Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/2710 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1060 der Abgeordneten Birgit Bessin der AfD-Fraktion Drucksache 6/2465 Inobhutnahme durch das Jugendamt Wortlaut der Kleinen Anfrage 1060 vom 03.09.2015: In begründeten Fällen kann das Jugendamt Eltern ihre Kinder aus Kinderschutzgründen entziehen und sie in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe unterbringen . Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Kinder und Jugendliche wurden in den letzten 10 Jahren durch das Jugendamt ihren Eltern weggenommen? Bitte die Zahlen für jedes Jahr separat aufschlüsseln. 2. Wie viele Mädchen waren betroffen und wie viele Jungen und welches Alter? 3. Was waren die Gründe für die Inobhutnahme? Bitte prozentual gewichten. 4. Wie oft waren familienpsychologische Gutachten die Basis für eine Inobhutnahme? 5. Wie oft wurden in BRB die Kinder mit dem Einverständnis der Eltern in Obhut genommen, wie oft ohne? 6. Wie viele Klagen gegen Jugendämter sind in den letzten 10 Jahren in Brandenburg durch Eltern wegen obiger Problematik anhängig geworden? 7. Wie lange dauerte die längste Inobhutnahme, wie lange die kürzeste und welcher Durchschnitt kann hier ermittelt werden? 8. Falls es in den letzten 10 Jahren eine Zunahme der Fälle gegeben haben sollte, welche Vermutungen gibt es dafür, umgekehrt für eine angenommene Abnahme der Fälle? Namens der Landesregierung beantwortet der Minister für Bildung, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Das Jugendamt ist gemäß §§ 42 Absatz 1 Nr. 2 und 8a Absatz 2 Sozialgesetzbuch VIII berechtigt und verpflichtet, Kinder und Jugendliche in dringenden Not- und Gefahrensituationen in Obhut zu nehmen, wenn die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen bzw. im Fall des Widerspruchs der Sorgeberechtigten, wenn eine familiengerichtliche Entscheidung wegen eines zu erwartenden unmittelbar bevorstehenden Schadenseintritts für deren Wohlergehen nicht abgewartet werden kann. Zulässig ist in solchen Fällen auch die Wegnahme des Kindes von der jeweiligen Person , bei der sich das Kind, der oder die Jugendliche in der gegenwärtigen Situation befindet. Der Begriff der „dringenden Gefahr“ steht im Zusammenhang der Definition des Gefährdungsrisikos nach § 1666 BGB (Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls). Frage 1: Wie viele Kinder und Jugendliche wurden in den letzten 10 Jahren durch das Jugendamt ihren Eltern weggenommen? Bitte die Zahlen für jedes Jahr separat aufschlüsseln . Zu Frage 1: Die amtliche Kinder- und Jugendhilfestatistik weist für die Jahre 2004 bis 2014 folgende Fallzahlen von Inobhutnahmen aus, die aufgrund einer Gefährdung des Kindes oder Jugendlichen von Jugendämtern in Brandenburg vorgenommen wurden: Tabelle 1: Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen wegen Gefährdung 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 906 886 888 899 941 1 060 1 087 1 150 1 112 1 055 1 247 Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Statistische Berichte, Jugendhilfe im Land Brandenburg, Vorläufige Schutzmaßnahmen, 2004 - 2014 Frage 2: Wie viele Mädchen waren betroffen und wie viele Jungen und welches Alter? Zu Frage 2: Nach der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik stellt sich die Verteilung von Mädchen und Jungen sowie der jeweiligen Altersgruppen in den Jahren 2004 bis 2014 bei Inobhutnahmen, die aufgrund einer Gefährdung von den Jugendämtern vorgenommen wurden, wie folgt dar: Tabelle 2: Verteilung von Mädchen und Jungen sowie der Altersgruppen bei Inobhutnahmen aufgrund einer Gefährdung 200 4 200 5 200 6 200 7 200 8 200 9 201 0 201 1 201 2 201 3 201 4 Inobhutnahmen von Mädchen 457 491 453 462 459 593 528 613 607 533 589 insgesamt Mädchen unter 3 Jahre 33 31 34 40 40 61 54 66 55 48 70 Mädchen 3 – 6 Jahre 21 22 27 23 30 50 37 43 49 41 58 Mädchen 6 – 9 Jahre 23 32 21 35 34 40 31 45 38 26 42 Mädchen 9 – 12 Jahre 41 40 38 31 47 50 61 67 55 35 51 Mädchen 12 – 14 Jahre 82 82 63 78 71 102 89 116 119 93 96 Mädchen 14 – 16 Jahre 171 180 158 165 148 167 158 179 180 190 189 Mädchen 16 – 18 Jahre 86 104 112 90 89 123 98 97 111 100 83 200 4 200 5 200 6 200 7 200 8 200 9 201 0 201 1 201 2 201 3 201 4 Inobhutnahmen von Jungen insgesamt 449 395 435 437 482 467 559 537 505 522 658 Jungen unter 3 Jahre 41 42 39 60 50 54 63 70 57 50 64 Jungen 3 – 6 Jahre 26 39 34 31 46 50 62 56 54 35 57 Jungen 6 – 9 Jahre 36 40 40 22 45 46 50 50 54 38 47 Jungen 9 – 12 Jahre 40 42 36 49 49 56 59 73 58 57 77 Jungen 12 – 14 Jahre 88 52 55 54 55 48 78 78 85 71 104 Jungen 14 – 16 Jahre 129 108 110 83 122 113 142 105 103 145 144 Jungen 16 – 18 Jahre 89 72 121 138 115 100 105 105 94 126 165 Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Statistische Berichte, Jugendhilfe im Land Brandenburg, Vorläufige Schutzmaßnahmen, 2004 - 2014 Frage 3: Was waren die Gründe für die Inobhutnahme? Bitte prozentual gewichten. Zu Frage 3: Die Gründe bzw. Anlässe für Inobhutnahmen, die explizit wegen einer dringenden Kindeswohlgefährdung vorgenommen wurden, werden in der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik nicht gesondert erfasst. Mit Bezug auf alle von den Jugendämtern vorgenommenen Inobhutnahmen ist der Kinder- und Jugendhilfestatistik zu entnehmen, dass am häufigsten Beziehungsprobleme (im Jahr 2004 z.B. in 41 % aller Fälle; im Jahr 2014 in 25 % aller Fälle) sowie die Überforderung der Eltern bzw. eines Elternteils (im Jahr 2004 in 30 % aller Fälle; im Jahr 2014 in 43 % aller Fälle) Anlässe von Inobhutnahmen waren. Daneben stellen Vernachlässigung (im Jahr 2004 in 5,7 % aller Fälle; im Jahr 2014 8,5 % aller Fälle) sowie Anzeichen für Misshandlung und sexuellen Missbrauch (im Jahr 2004 insgesamt 7,9 % aller Fälle, im Jahr 2014 insgesamt 7,4% aller Fälle) eine häufige Indikation für Inobhutnahmen dar. Frage 4: Wie oft waren familienpsychologische Gutachten die Basis für eine Inobhutnahme? Zu Frage 4: Die Inobhutnahme ist ein Rechtsinstrument einer sofortigen und zeitlich eng umschriebenen Krisenintervention in akuten Gefährdungssituationen von Kindern und Jugendlichen. Damit besteht qua gesetzlicher Definition der Inobhutnahme kein zeitlicher Spielraum zur Einholung eines Gutachtens vor dem Vollzug der Inobhutnahme. Frage 5: Wie oft wurden in BRB die Kinder mit dem Einverständnis der Eltern in Obhut genommen , wie oft ohne? Zu Frage 5: Die amtliche Kinder- und Jugendhilfestatistik enthält kein Erhebungsmerkmal, die erfassten Inobhutnahmen dahingehend zu unterscheiden, ob sie mit dem Einverständnis der Sorgeberechtigten ausgeführt wurden oder ob diese der Inobhutnahme widersprochen haben. Frage 6: Wie viele Klagen gegen Jugendämter sind in den letzten 10 Jahren in Brandenburg durch Eltern wegen obiger Problematik anhängig geworden? Zu Frage 6: Es wird keine Statistik geführt, in der Klagen vor den Verwaltungsgerichten gegen Jugendämter gesondert ausgewiesen sind. Aus den vorhandenen Statistiken lässt sich auch nicht ersehen, ob und wenn ja, wie viele Gerichtsverfahren in Bezug auf Inobhutnahmen nach § 42 SGB VIII geführt wurden. Frage 7: Wie lange dauerte die längste Inobhutnahme, wie lange die kürzeste und welcher Durchschnitt kann hier ermittelt werden? Zu Frage 7: Die Kinder- und Jugendhilfestatistik erfasst die Zeitdauer von Inobhutnahmen insgesamt , nicht gesondert die Zeitdauer von Inobhutnahmen, die wegen einer dringenden Kindeswohlgefährdung vorgenommen wurden. Zur zeitlichen Dauer aller Inobhutnahmen 2014 wird auf die Daten des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg verwiesen : Tabelle 3: Kinder und Jugendliche 2014 nach persönlichen Merkmalen sowie nach Dauer der Maßnahme Merkmal Insgesamt Dauer der Maßnahme in Tagen 1 2 3 4 5 6 7 - 14 15 und mehr unter 3 Jahre .................... 134 4 10 5 7 5 13 32 58 3 - 6 Jahre ................... 115 11 13 11 3 4 9 26 38 6 - 9 Jahre ................... 91 2 4 10 3 7 5 28 32 9 - 12 Jahre .................... 139 12 22 12 14 9 7 34 29 12 - 14 Jahre .................... 263 35 38 26 23 22 16 55 48 14 - 16 Jahre .................... 496 83 91 54 22 36 19 96 95 16 - 18 Jahre .................... 535 76 76 46 29 37 15 101 155 Insgesamt....................... 1 773 223 254 164 101 120 84 372 455 mit ausländischer Herkunft mindestens eines Elternteils........ 406 47 49 27 13 23 15 83 149 männlich...................... 893 108 138 68 51 61 41 178 248 weiblich....................... 880 115 116 96 50 59 43 194 207 Quelle: Statistischer Bericht K V 4-j/14 „Jugendhilfe im Land Brandenburg 2014 Vorläufige Schutzmaßnahmen“ Tabelle 7 Frage 8: Falls es in den letzten 10 Jahren eine Zunahme der Fälle gegeben haben sollte, welche Vermutungen gibt es dafür, umgekehrt für eine angenommene Abnahme der Fälle? Zu Frage 8: Die Schwankungen der Fallzahlen der Inobhutnahme bei dringender Kindeswohlgefährdung bewegen sich, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerungszahl der Kinder und Jugendlichen im Land Brandenburg betrachtet, in den Jahren 2004 bis 2014 lediglich im Promillebereich, sodass nicht von statistisch bedeutsamen Zunahmen und Abnahmen der Fälle in diesem Zeitraum auszugehen ist.