Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/3327 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1327 der Abgeordneten Thomas Jung und Andreas Galau der AfD-Fraktion Drucksache 6/3197 Zwangsehen in Brandenburg Wortlaut der Kleinen Anfrage 1327 vom 15.12.2015: In der diesjährigen Dezemberausgabe der Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei wird im Artikel „Zwangsheirat – Moderne Form der Sklaverei“1 das Schicksal von „mehreren tausend“ Mädchen muslimischen Glaubens geschildert, die Jahr für Jahr von einer Zwangsehe bedroht sind. Im Artikel ist zu lesen, dass viele Mädchen im Sommer nicht aus ihrem „Heimaturlaub“ zurückkehren, da sie jetzt bei ihrem „Ehemann “ leben. In der gemäß Artikel bisher einzigen Studie zu diesem Thema, angefertigt 2011 auf Initiative des Bundesfamilienministeriums, wird eine Zahl von 3.400 bekannten Fällen angegeben. Die Dunkelziffer soll deutlich höher sein. Wir fragen die Landesregierung: 1) Welche quantitativen Angaben kann die Landesregierung für den Zeitraum ab 2009, dem Zeitpunkt der o. g. Studie zu Grunde gelegten Zahlen, in Bezug auf Zwangsehen in Brandenburg lebender Personen machen? a. Wie viele Personen haben auf Grund einer angedrohten Zwangsehe um Hilfe ersucht? b. Wie viele Personen haben auf Grund einer vollzogenen Zwangsehe um Hilfe ersucht? 2) Existieren Initiativen zur Sensibilisierung der brandenburgischen Polizei und sonstiger Landesbehörden mit dem Thema „Zwangsheirat“? a. Wenn ja: Inwiefern werden die brandenburgische Polizei, die Staatsanwaltschaft und sonstige Landesbehörden auf den Umgang mit dem Thema „Zwangsheirat“ vorbereitet? Vgl. Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei, Ausgabe Dezember 2015, S. 8ff. b. Existieren Leitfäden, Arbeitsanweisungen oder ähnliches als Diensthilfe für die brandenburgische Polizei oder sonstige Landesbehörden? 3) Im Bundesland Nordrhein-Westfalen wird derzeit ein neues Regelwerk zum „operativen Opferschutz“ vorbereitet.2 Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung über dieses Regelwerk vor? 4) Wie schätzt die Landesregierung die Notwendigkeit eines entsprechenden Regelwerks für Brandenburg ein? 5) Gedenkt die Landesregierung, sich mit o. g. Regelwerk zum operativen Opferschutz auseinanderzusetzen und dieses für das Land Brandenburg zu übernehmen , bzw. dieses ggf. als Vorlage für ein eigenes Regelwerk zu verwenden ? Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche quantitativen Angaben kann die Landesregierung für den Zeitraum ab 2009, dem Zeitpunkt der o. g. Studie zu Grunde gelegten Zahlen, in Bezug auf Zwangsehen in Brandenburg lebender Personen machen? a. Wie viele Personen haben auf Grund einer angedrohten Zwangsehe um Hilfe ersucht? b. Wie viele Personen haben auf Grund einer vollzogenen Zwangsehe um Hilfe ersucht? zu Frage 1: Die Nötigung zur Eingehung der Ehe ist in § 237 StGB (Zwangsheirat) unter Strafe gestellt. Die Norm wurde mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts - und asylrechtlicher Vorschriften vom 23. Juni 2011 (BGBl. I, S. 1266) eingeführt und ist seit 1. Juli 2011 in Kraft. Vor dem 1. Juli 2011 war die Nötigung zur Eingehung der Ehe in § 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB a.F. unter Strafe gestellt. Eine Recherche im staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister MESTA ergab für den Zeitraum vom 1. Juli 2011 bis zum 16. Dezember 2015 eine Anzeigesache und drei Ermittlungsverfahren wegen § 237 StGB. In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Landes Brandenburg konnten analog die drei Fälle der „Zwangsheirat“ recherchiert werden. Vgl. Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei, Ausgabe Dezember 2015, S. 13. In der PKS wurden für den Zeitraum seit 2009 bis 1. Juli 2011 acht Fälle der Nötigung zur Eingehung der Ehe in § 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB a.F. statistisch erfasst. Da MESTA bei dem Tatbestand der Nötigung nicht zwischen den einzelnen Absätzen differenziert, liegen keine ergänzenden quantitativen Angaben bei den Staatsanwaltschaften vor. Sogenannte „Hilfeersuchen“, wie in den Fragen 1a und 1b aufgeführt, sind in den benannten Auskunftssystemen nicht recherchierbar. Frage 2: Existieren Initiativen zur Sensibilisierung der brandenburgischen Polizei und sonstiger Landesbehörden mit dem Thema „Zwangsheirat“? a. Wenn ja: Inwiefern werden die brandenburgische Polizei, die Staatsanwaltschaft und sonstige Landesbehörden auf den Umgang mit dem Thema „Zwangsheirat“ vorbereitet? b. Existieren Leitfäden, Arbeitsanweisungen oder ähnliches als Diensthilfe für die brandenburgische Polizei oder sonstige Landesbehörden? zu Frage 2: Bei den Staatsanwaltschaften werden Strafverfahren gemäß § 237 StGB regelmäßig als Strafsachen wegen häuslicher Gewalt bzw. als Jugendschutzsachen qualifiziert. Die in diesen Dezernaten tätigen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind besonders erfahren im Umgang mit Zeuginnen und Zeugen, die noch minderjährig sind bzw. sich in einer persönlichen Notlage befinden. Für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte werden regelmäßig Fortbildungen zum Themenkreis „Gewalt in der Familie“ mit familien- und strafrechtlichen Aspekten angeboten . Die wesentlichen Richtlinien für polizeiliche Aktivitäten im Opferschutz gibt das Opferschutzkonzept der Polizei des Landes Brandenburg vor. Hauptbestandteil bildet die Arbeit der Opferschutzbeauftragten, die im Nebenamt als Ansprechpartner für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei sowie für die Betreuung und Vermittlung der Opfer zur Verfügung stehen. Zur Befähigung der Polizeibediensteten für einen kompetenten Umgang mit Opfern finden regelmäßig dezentrale Fortbildungen statt, die auch den operativen Opferschutz umfassen. Daneben steht den Polizeibediensteten jederzeit die Handreichung „Polizeilicher Opferschutz“ mit umfangreichen Informationen zur Verfügung. Durch die Brandenburger Polizei werden den Opfern Verhaltenshinweise und grundlegende Informationen zu den Hilfsmöglichkeiten und -angeboten gegeben. Dabei werden u. a. Informationsmaterialien der Opferhilfeeinrichtungen, Faltblätter der Polizei des Landes Brandenburg sowie spezielle Merkblätter zu den Opferrechten ausgehändigt . Zudem erfolgt die Vermittlung von Opfern an Opferhilfeeinrichtungen. Das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz (MdJEV) hat dem Geschäftsbereich Informationsblätter des vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) angebotenen Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ zur Verfügung gestellt. Die Informationsblätter (zur Weitergabe an Betroffene) geben Auskunft über die Erreichbarkeit und das mehrsprachig angebotene Leistungsspektrum des Hilfetelefons. Das Hilfetelefon berät Betroffene sowie mit der Beratung und Unterstützung befasste Personen u. a. zum Thema Zwangsverheiratung. Ein spezieller Leitfaden zum Thema „Zwangsheirat“ liegt derzeit nicht vor. Frage 3: Im Bundesland Nordrhein-Westfalen wird derzeit ein neues Regelwerk zum „operativen Opferschutz“ vorbereitet. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung über dieses Regelwerk vor? zu Frage 3: Das Regelwerk zum Operativen Opferschutz bzw. dessen Entwurf aus dem Bundesland Nordrhein-Westfalen liegt der Landesregierung nicht vor. Frage 4 Wie schätzt die Landesregierung die Notwendigkeit eines entsprechenden Regelwerks für Brandenburg ein? zu Frage 4: Nach den polizeilichen Erfahrungen wird ein bundesweit gültiges Regelwerk und die Schaffung entsprechender rechtlicher Regelungen - orientiert am Zeugenschutzharmonisierungsgesetz (ZSHG) - ausdrücklich befürwortet, um sachgerechte, effektive und angemessene Maßnahmen für betroffene Personen umsetzen zu können. Frage 5: Gedenkt die Landesregierung, sich mit o. g. Regelwerk zum operativen Opferschutz auseinanderzusetzen und dieses für das Land Brandenburg zu übernehmen, bzw. dieses ggf. als Vorlage für ein eigenes Regelwerk zu verwenden? zu Frage 5: Das Land Brandenburg ist mit einem Vertreter an einer im Frühjahr 2013 eingerichteten und sich speziell diesem Thema widmenden Bund-Länder-Projektgruppe beteiligt . Die Arbeitsergebnisse werden u. a. auch im Rahmen von Zusammenkünften der Opferschutzbeauftragten und der Polizei des Landes Brandenburg bekannt gemacht. Auf der Basis einer künftigen bundesweiten Richtlinie ist die Erarbeitung einer polizeilichen Konzeption für die Bearbeitung von herausragenden Gefährdungssachverhalten eingeschlossen von Fällen der Zwangsheirat vorgesehen.