Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/3654 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1438 der Abgeordneten Isabelle Vandre der Fraktion DIE LINKE Drucksache 6/3449 Pegida in Potsdam Wortlaut der Kleinen Anfrage 1438 vom 08.02.2016: Am 3. Februar versuchte "Pogida", der Potsdamer Ableger von "Pegida", zum nunmehr vierten Mal, einen "Abendspaziergang" in Potsdam durchzuführen. Während der Anmelder Christian Müller dabei jeweils kaum mehr als 100 Personen zu seiner Veranstaltung mobilisieren konnte, standen ihm und seinen Anhängerinnen am 11. Januar, am 20. Januar, am 27. Januar und zuletzt am 3. Februar jedes Mal mehr als 1000 engagierte Potsdamerinnen gegenüber, die ihren Protest gegen Rassismus deutlich machten. Begleitet wurden die bisherigen Veranstaltungen von einem massiven Polizeiaufgebot, im Rahmen dessen Einsatzhundertschaften, sowie Großgeräte (u.a. Räumfahrzeuge, Hubschrauber und Wasserwerfer) aus anderen Bundesländern angefordert und ganze Stadtteile Potsdams über Stunden lahm gelegt wurden. Ich frage die Landesregierung daher: Welche Kosten haben die bisherigen 4 Polizeieinsätze verursacht? Bitte aufschlüsseln nach Veranstaltungsdatum, Kosten für Großgeräte (Hubschrauber, Räumfahrzeuge und Wasserwerfer) und Infrastruktur, sowie Personalkosten für Einsatzkräfte aus a.) Brandenburg, b.) aus anderen Bundesländern) Erachtet die Landesregierung den mit der Durchführung des Aufmarsches von 100 Pogida-Anhängerinnen verbundenen Aufwand der Einsatzkräfte und - geräte als verhältnismäßig? Wenn ja, wie begründet sie dies? Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass Proteste gegen Veranstaltungen , auf denen offen gegen Geflüchtete gehetzt wird, in Sicht- und Hörweite zu ermöglichen sind? Bitte begründen. Wie viele Ermittlungsverfahren wurden bisher insgesamt im Kontext der Pogida -Veranstaltungen wegen des Zeigens verfassungsfeindlicher Symbole und des Mitführens gefährlicher Gegenstände oder Waffen eingeleitet? Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung zu möglichen volksverhetzenden Inhalten der dort gehaltenen Reden, insbesondere zu der mehrfach erhobenen Forderung nach einem "neuen Nürnberg" (für die Bundesregierung) Bitte aufschlüsseln nach Veranstaltungsdatum und Veranstaltungskontext. 1. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse über Verbindungen der Pogida-Teilnehmenden und –Veranstalterinnen a) zur rechten Szene und einschlägigen neonazistischen Netzwerken b) zur Partei Alternative für Deutschland c) zu weiteren neofaschistischen und rechtspopulistischen Parteien, insbesondere zur NPD und zur Partei 3. Weg d) zur Hooliganszene vor? 2. Wie beabsichtigt die Landesregierung in Zukunft die Einhaltung geltenden Rechts durch die Einsatzkräfte zu gewährleisten? Insbesondere ist einzugehen auf: a.) Kennzeichnungspflicht von Polizisten b.) Ausübung eines Abgeordnetenmandats c.) Rechtssicherheit für Demonstrantinnen (Filmen von d.) Demonstrantinnen in je- der Situation, Übergriffe, Schubsen, verbale Entgleisungen, die nicht zur An- zeige gebracht und nicht skandalisiert wurden) e.) Wasserwerfereinsatz bei Minusgraden f.) Protest in Hör- und Sichtweite 3. Kam es im Rahmen der genehmigten Veranstaltungen, die im Zusammenhang mit „Pogida“ standen zu Verstößen gegen zuvor erteilte/vereinbarte Versammlungsauflagen bzw. –absprachen? Wenn ja welche und wie wurden diese geahndet? Bitte aufschlüsseln nach Veranstaltungsdatum und –kontext. Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Kosten haben die bisherigen 4 Polizeieinsätze verursacht? Bitte aufschlüsseln nach Veranstaltungsdatum, Kosten für Großgeräte (Hubschrauber, Räumfahrzeuge und Wasserwerfer) und Infrastruktur, sowie Personalkosten für Einsatzkräfte aus a.) Brandenburg, b.) aus anderen Bundesländern. zu Frage 1: Die Abrechnungen der Bundesländer bzw. der Bundespolizei erfolgt erst nach eigener interner Prüfung. Die einzureichenden Kosten gemäß den gültigen Verwaltungsvereinbarungen hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab, wie z. B. der Zusammensetzung der Einsatzhunderthundertschaft nach Beamten des mittleren und gehobenen Polizeivollzugsdienstes, der jeweils aktuellen Verfügbarkeit von Übernachtungsmöglichkeiten für die Beamtinnen und Beamten, der Dauer des Einsatzes im Land Brandenburg, der eingesetzten Technik, der Höhe des Verpflegungssatzes, der anfallenden Tankkosten, der Höhe der Personalmehrkosten, möglicher Beschädigungen von Dienstfahrzeugen etc. Für die Erhebung dieser Forderungen sind Bearbeitungszeiten von ca. drei Monaten üblich. Nach Eingang dieser Rechnungen werden diese durch das Polizeipräsidium geprüft und zur Auszahlung angewiesen. Eine detaillierte Beantwortung der Frage ist aus zuvor genannten Gründen zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Frage 2: Erachtet die Landesregierung den mit der Durchführung des Aufmarsches von 100 Pogida-Anhängerinnen verbundenen Aufwand der Einsatzkräfte und -geräte als verhältnismäßig ? Wenn ja, wie begründet sie dies? zu Frage 2: Der Aufwand an Einsatzkräften und -mitteln wird als verhältnismäßig angesehen. Der Schutz von Versammlungsteilnehmern, die sich friedlich und ohne Waffen versammeln (Art. 8 GG), ist verfassungsmäßiger Auftrag der Polizeien der Länder und des Bundes. Die bisherigen Pogida-Versammlungen haben gezeigt, dass eine Vielzahl von gewaltbereiten und gewaltgeneigten Demonstrationsgegnern versuchte, Pogida- Versammlungen zu stören und angemeldete Aufzüge zu verhindern. Am 11. und 20. Januar 2016 ist es gewaltbereiten Störern gelungen, die Versammlungen der Pogida zu stören bzw. zu blockieren, so dass die Aufzüge nicht stattfinden konnten. Nur durch einen hohen Kräfteansatz von Polizeibeamten/-innen und mit Einsatz vorhandener Führungs- und Einsatzmittel (z. B. Wasserwerfer) konnte und kann es der Polizei gelingen, einen störungsfreien Verlauf der Versammlungen zu gewährleisten. Frage 3: Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass Proteste gegen Veranstaltungen, auf denen offen gegen Geflüchtete gehetzt wird, in Sicht- und Hörweite zu ermöglichen sind? Bitte begründen. zu Frage 3: Die sogenannte „Sicht- und Hörweite“ ist häufig ein wichtiges Anliegen bei der Anmeldung von Versammlungen. Um einen möglichst großen „Beachtungserfolg“ zu erzielen, ist ein entsprechendes Anliegen bei der Beschränkung der Ortswahlfreiheit bei Versammlungen in der Abwägung des grundrechtlich geschützten Interesses zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht hat insbesondere bei Versammlungen in der Nähe von symbolträchtigen Orten hierzu mehrfach relevante Entscheidungen getroffen (z. B. AKW Brokdorf, G8-Gipfel in Heiligendamm, Castor- Transport). Eine besondere Situation ergibt sich jedoch, wenn sich eine Versammlung nicht gegen einen besonders symbolträchtigen Ort, sondern gegen eine andere Versammlung in Form einer sogenannten „Gegendemonstration“ wendet. Denn in diesem Falle bedarf es nicht nur des Schutzes des Versammlungsrechtes der Gegendemonst- ration, sondern auch des Schutzes der ursprünglichen Versammlung. Dieser Umstand kann es rechtfertigen, zur Schaffung eines verbreiterten Sicherheitskorridors zwischen der ursprünglichen Versammlung und der Gegendemonstration weiträumige Absperrungen vorzunehmen und somit das Recht auf Gegendemonstration in Sicht- und Hörweite der ursprünglichen Versammlung einzuschränken. Voraussetzung für eine solche Einschränkung ist eine hinreichende Gefahrenprognose, wobei auch Erfahrungen aus früheren vergleichbaren Versammlungslagen zu berücksichtigen sind. Dies kann es rechtfertigen, einen Sicherheitskorridor von ca. 50 bis 100 Metern zwischen den Versammlungen einzurichten. Ein solcher Sicherheitskorridor muss nicht zwingend durch Sperrgitter realisiert werden. Es können vielmehr auch Polizeifahrzeuge zur Absicherung eingesetzt werden, sofern diese nicht zum Zwecke des Sichtschutzes, sondern zum Zwecke einer flexiblen Absperrung oder Verstärkung einer Absperrung abgestellt werden (Bay. VGH, 28. November2014). Die politische Zielsetzung der jeweiligen Versammlung ist dabei zunächst ohne Belang . Denn „es ist die Aufgabe der zum Schutz der rechtstaatlichen Ordnung berufenen Polizei, in unparteiischer Weise und ungeachtet der jeweils vertretenen politischen Ansichten, auf die Verwirklichung des Versammlungsrechts hinzuwirken“ (OVG Berlin-Brandenburg vom 18. Januar 2016). Bei allen bisherigen Versammlungen der „Pogida“ in Potsdam im Jahre 2016 (11. Januar, 20. Januar, 27. Januar, 03. Februar, 10. Februar) kam es jeweils zu Störungsversuchen durch Dritte, wobei teilweise versucht wurde, Absperrungen zu überwinden, um die Versammlung der „Pogida“ massiv zu stören. Am 11. Januar kam es zudem zum Einsatz von Wurfgeschossen (z. B. Flaschen, Steine, Böller) gegen einen Bus mit potentiellen Teilnehmern der Pogida-Versammlung. Insofern hat die Gefahrenprognose der Polizei bei den bisherigen relevanten Einsätzen die Schaffung eines ausreichenden Sicherheitskorridors zwischen den Versammlungen und die damit verbundene Einschränkung des Rechts auf Gegendemonstration in Sicht- und Hörweite nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar verlangt. Frage 4: Wie viele Ermittlungsverfahren wurden bisher insgesamt im Kontext der Pogida- Veranstaltungen wegen des Zeigens verfassungsfeindlicher Symbole und des Mitführens gefährlicher Gegenstände oder Waffen eingeleitet? Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung zu möglichen volksverhetzenden Inhalten der dort gehaltenen Reden, insbesondere zu der mehrfach erhobenen Forderung nach einem "neuen Nürnberg" (für die Bundesregierung) Bitte aufschlüsseln nach Veranstaltungsdatum und Veranstaltungskontext. zu Frage 4: Im Rahmen der zurückliegenden Pogida-Veranstaltungen sind in der Polizeidirektion West bis zum jetzigen Zeitpunkt nachfolgend aufgelistete Strafanzeigen eingegangen . Versammlung am 11. Januar 2016 keine Strafanzeigen gemäß Anfrage Versammlung am 20. Januar 2016 1 x Verstoß Sprengstoffgesetz (Mitführen/Werfen von Böllern) 12 x Verstoß Versammlungsgesetz gem. § 27 (2) Nr. 2 (Vermummung) Versammlung am 27. Januar 2016 4 x Verstoß Versammlungsgesetz gem. § 27 (2) Nr. 2 (Vermummung) 2 x Verstoß Versammlungsgesetz gem. § 27 (2) Nr. 1 (Besitz Schlagschutzhandschuhe ) Versammlung am 03. Februar 2016 1 x Verstoß gem. § 86a StGB (zeigen des sogenannten „Kühnen Gruß“) 1 x Verstoß Waffengesetz (Mitführen Elektroschocker) 2 x Verstoß Waffengesetz (Mitführen/Einsatz von Pfefferspray) Versammlung am 10. Februar 2016 1 x Verstoß Versammlungsgesetz gem. § 27 (2) Nr. 2 (Vermummung) Hinsichtlich möglicher volksverhetzender Inhalte liegen zwei Strafanzeigen bezüglich der Versammlung vom 27. Januar 2016 wegen eines Redebeitrages vor, in welchem ein „Nürnberg 2.0“ für die „Vorführung und Aburteilung von Volksverrätern und Verbrechern “ gefordert worden sein soll. Frage 5: Liegen der Landesregierung Erkenntnisse über Verbindungen der Pogida- Teilnehmenden und -Veranstalterinnen a) zur rechten Szene und einschlägigen neonazistischen Netzwerken b) zur Partei Alternative für Deutschland c) zu weiteren neofaschistischen und rechtspopulistischen Parteien, insbesondere zur NPD und zur Partei 3. Weg d) zur Hooliganszene vor? zu Frage 5: Am 20. Januar 2016 wurde ein NPD-Mandatsträger als Teilnehmer identifiziert. Belastbare Erkenntnisse über Verbindungen zwischen ihm und den Organisatoren der Pogida-Demonstrationen liegen nicht vor. Weiter wurden mehrere bekannte Rechtsextremisten aus Potsdam, Rathenow und Nauen identifiziert. Zudem sollen sich Personen, die dem sogenannten „Bund Deutscher Hooligans (BDH)“ und somit der Hooliganszene zuzuordnen sind, unter den Versammlungsteilnehmern befunden haben. Gesicherte Erkenntnisse über Verbindungen von Pogida-Teilnehmern bzw. Veranstaltern zu den unter Punkt a) bis d) genannten Parteien / Organisationen liegen nicht vor. Frage 6: Wie beabsichtigt die Landesregierung in Zukunft die Einhaltung geltenden Rechts durch die Einsatzkräfte zu gewährleisten? Insbesondere ist einzugehen auf: a) Kennzeichnungspflicht von Polizisten b) Ausübung eines Abgeordnetenmandats c) Rechtssicherheit für Demonstrantinnen (Filmen von Demonstrantinnen in jeder Situation, Übergriffe, Schubsen, verbale Entgleisungen, die nicht zur Anzeige gebracht und nicht skandalisiert wurden) d) Wasserwerfereinsatz bei Minusgraden e) Protest in Hör- und Sichtweite zu Frage 6: a) Die Umsetzung der polizeilichen Kennzeichnungspflicht und deren Einhaltung wurden durch Erlass des MIK vom 19. Januar 2016 in Ergänzung zur gesetzlichen Regelung in § 9 BbgPolG und der VV Kennzeichnungspflicht geregelt. Danach ist auf die Einhaltung der polizeilichen Kennzeichnungspflicht zu achten und es sind diejenigen Polizeibeamte/-innen, die dieser Pflicht außerhalb der rechtlich vorgesehenen Fälle von Befreiungen oder Ausnahmen nicht nachkommen, zum Tragen der Kennzeichnungen nachdrücklich aufzufordern. b) Die Rechte eines Landtagsabgeordneten sind in der Verfassung des Landes Brandenburg geregelt. Diese Abgeordnetenrechte wurden und werden durch die Polizeibediensteten des Landes Brandenburg stets berücksichtigt und finden sowohl im täglichen Polizeidienst als auch bei der Aus-/Fortbildung entsprechende Beachtung. c) Rechtsgrundlage für die Anfertigung von Bildaufnahmen bei Versammlungen sind §§ 19a, 12a Versammlungsgesetz (VersG). Danach erfolgt die Anfertigung von Bildmaterial von Versammlungsteilnehmern, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Sofern dabei strafrechtlich relevante Sachverhalte durch die Polizei festgestellt werden , werden diese zur Anzeige gebracht. d) Der Einsatz eines Wasserwerfers erfolgt stets nach entsprechender Einzelfallprüfung und nach den Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen. e) Siehe Antwort zu Frage 3. Frage 7: Kam es im Rahmen der genehmigten Veranstaltungen, die im Zusammenhang mit „Pogida“ standen zu Verstößen gegen zuvor erteilte/vereinbarte Versammlungsauflagen bzw. -absprachen? Wenn ja welche und wie wurden diese geahndet? Bitte aufschlüsseln nach Veranstaltungsdatum und -kontext. zu Frage 7: Im Rahmen der bestätigten Pogida-Versammlungen kam es nicht zu Verstößen gegen zuvor erteilte bzw. vereinbarte Versammlungsauflagen/-absprachen.