Datum des Eingangs: 22.03.2016 / Ausgegeben: 29.03.2016 Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/3755 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1474 der Abgeordneten Gerrit Große Fraktion DIE LINKE Drucksache 6/3510 Geraubte und enteignete Kulturgüter Wortlaut der Kleinen Anfrage 1474 vom 16.02.2016 Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände haben 1999 ihre Bereitschaft bekräftigt , unter nationalsozialistischer Herrschaft enteignete oder geraubte Kulturgüter in öffentlichen Archiven, Museen und Bibliotheken zu suchen und faire Lösungen für die Rückgabe oder Entschädigung früherer Eigentümer bzw. deren Erben zu finden. Die für Kunst und Kultur zuständigen Ressorts haben zur Umsetzung der Erklärung in den Ländern entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Die Kultusministerkonferenz hat 2008 eine entsprechende Handreichung verabschiedet. Ich frage die Landesregierung: 1. Welche konkreten Maßnahmen hat sie seitdem ergriffen, um in den Beständen der Museen, Archive und Bibliotheken im Land Brandenburg entsprechende Kulturgüter zu finden? 2. Welche Unterstützung bietet sie Kommunen, damit diese in ihren Einrichtungen aktiv werden können? 3. Welche öffentlichen Träger von Museen, Archiven und Einrichtungen im Land Brandenburg haben nach Kenntnis der Landesregierung selber entsprechende Nachforschungen durchgeführt bzw. in Auftrag gegeben? 4. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen bzw. wird sie ergreifen, um die Provenienzforschung zu stärken? 5. In welchem Umfang konnten in den Beständen der Museen, Archive und Bibliotheken im Land Brandenburg unter nationalsozialistischer Herrschaft enteignete oder geraubte Kulturgüter gefunden werden? 6. Wie unterstützt die Landesregierung die Suche nach früheren Eigentümern bzw. Erben? 7. In welchem Umfang konnten diese gefundenen Kulturgüter zurückgegeben werden? 8. In welchem Umfang wurde für diese gefundenen Kulturgüter eine Entschädigung gezahlt? 9. Wie hoch ist nach Kenntnis der Landesregierung in etwa der Anteil der bereits auf enteignete bzw. geraubte Kulturgüter erforschte bzw. durchsuchte Bestände? Welchen Zeitraum wird es nach Ansicht der Landesregierung noch in Anspruch nehmen, bis alle Bestände untersucht worden sind? 10. Wie bewertet die Landesregierung die Bemühungen und die Umsetzung der KMK-Handreichung im Land insgesamt? Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche konkreten Maßnahmen hat sie seitdem ergriffen, um in den Beständen der Museen, Archive und Bibliotheken im Land Brandenburg entsprechende Kulturgüter zu finden? Zu Frage 1: Für das gezielte Auffinden von enteigneten oder geraubten Kulturgütern in den Brandenburger Museen entwickelte der Museumsverband des Landes Brandenburg e.V. (MVB) im Jahr 2012 ein Pilotprojekt für kleine und mittlere Museen, den „Erst-Check Provenienzrecherche“. Das Projekt wurde finanziert durch die bundesfinanzierte Arbeitsstelle für Provenienzforschung beim Institut für Museumsforschung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die mittlerweile in die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste integriert ist. Das Pilotprojekt rückte erstmals die Untersuchung der Bestände kleiner und mittlerer Museen in Hinblick auf ihre Provenienz in den Mittelpunkt. Das Land, das die Arbeit des Museumsverbandes mit einer jährlichen Geschäftsstellenförderung unterstützt, hat den Verband unterstützt, dieses Pilotprojekt in die Wege zu leiten. Zwischen 2012 und 2014 hat der Museumsverband drei Staffeln des „Erst-Checks Provenienzrecherche“ organisiert und durchgeführt. Seit 2012 haben sich 19 Museen am Erst-Check beteiligt, im Einzelnen sind dies: Oderlandmuseum Bad Freienwalde, Museum im Frey-Haus, Brandenburg an der Havel, Stadtmuseum Cottbus, Heimatmuseum Dahme, Museum Eberswalde, Stadtmuseum Viadrina Frankfurt (Oder), Museum Fürstenwalde, Stadt- und Regionalmuseum Lübben, Niederlausitzmuseum Luckau, Heimatmuseum Müllrose, Museum Neuruppin, Kreismuseum Oberhavel, Oranienburg, Stadt- und Regionalmuseum Perleberg, Kulturhistorisches Museum im Dominikanerkloster Prenzlau, Stadt- und Brauereimuseum Pritzwalk, Stadtmuseum Schwedt, Ofen- und Keramikmuseum Velten, Stadtmuseum „Alte Burg“ Wittenberge, Wegemuseum Wusterhausen. Aktuell bereitet der Museumsverband eine vierte Recherchestaffel vor, für die eine Förderung durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste noch im laufenden Jahr beantragt werden soll. Als unmittelbare Folge der Ergebnisse des „Erst-Checks“ haben mehrere Museen selbständig weitere Forschungen zur Provenienz ihrer Bestände bzw. einzelner Objekte in Angriff genommen, in der Regel mit finanzieller Förderung durch die Arbeitsstelle für Provenienzforschung. Beispielhaft seien hier die Forschungsprojekte im Heimatmuseum Müllrose und im Stadtmuseum Brandenburg an der Havel genannt. Die Untersuchung der Bestände in den Museen ist eine umfangreiche und hochkomplexe Aufgabe, die nur langfristig zu bewältigen ist. Als wichtiger Erfolg des „Erst-Checks“ kann die zunehmende Sensibilisierung der brandenburgischen Museen für den Umgang mit der Provenienz ihrer Sammlungen konstatiert werden. Es gab von Beginn an großes Interesse der Einrichtungen am Projekt und tatkräftige Unterstützung vor Ort. Die Resonanz anderer Museumsverbände in Deutschland auf die „Erst- Checks“ in brandenburgischen Museen zeigt, dass hier ein Weg in die richtige Richtung eingeschlagen wurde. Bei den Untersuchungen in den Museen ist ferner deutlich geworden, dass sich Provenienzforschung nicht allein auf die Zeit bis 1945 beschränken darf. Forschungsbedarf besteht gerade auch für die Zeit nach 1945 und die Zeit der DDR (u.a. „Schlossbergungsgut“, beschlagnahmtes Gut bei „Republikflucht“ oder Zugänge aus dem Staatlichen Kunsthandel der DDR). Im Unterschied zu den Museen handelt es sich bei den Kulturgütern, die in den Archiven der öffentlichen Hand aufbewahrt werden, weit überwiegend um Schriftgut der Verwaltungen und nicht wie in Museen um Sammelgut, das vor seiner musealen Existenz oftmals Privaten gehörte. Das BLHA hat seine Bestände wiederholt selbst hinsichtlich eventuell darin enthaltener enteigneter oder geraubter Kulturgüter geprüft. Ein besonderes Augenmerk galt der Ermittlung von unter der NS-Diktatur verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern. Die Bibliotheken haben aufgrund des Gesetzes über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen und über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage (EALG) in den 90iger Jahren ihre Bestände ebenfalls selbst gesichtet. Insoweit kann für die Stadt- und Landesbibliothek Potsdam (SLB Potsdam) benannt werden, dass in dieser Zeit mehr als 40.000 Bände gesichtet und Besitzvermerke Dritter (oft handschriftliche Einträge) festgestellt werden konnten. Für die Bibliotheken war der Prozess der Auffindung geraubter und enteigneter Kulturgüter hiernach bereits weitestgehend abgeschlossen. Frage 2: Welche Unterstützung bietet sie Kommunen, damit diese in ihren Einrichtungen aktiv werden können? Zu Frage 2: Die ordnungsgemäße Betreuung der Bestände erfolgt zunächst durch die Träger der Einrichtungen selbst. Länderübergreifend beteiligt sich das Land an der Finanzierung der Stiftung Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste mit einer jährlichen Förderung im Umfang von 25.600 Euro auf Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung. Grundsätzlich können alle öffentlich unterhaltenen Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland - vornehmlich Museen, Archive und Bibliotheken - einen Antrag auf Fördermittel bei der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste stellen. Voraussetzung für einen Antrag sind Verdachtsmomente auf nationalsozialistische Unrechts- und Verfolgungsmaßnahmen, die in Zusammenhang mit der antragstellenden Institution und ihren Sammlungsbeständen stehen. Zusätzliche Fördermöglichkeiten für den Forschungsbedarf im Umgang mit Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR werden derzeit von der Stiftung Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste geprüft. Frage 3: Welche öffentlichen Träger von Museen, Archiven und Einrichtungen im Land Brandenburg haben nach Kenntnis der Landesregierung selber entsprechende Nachforschungen durchgeführt bzw. in Auftrag gegeben? Zu Frage 3: Bezüglich der SLB Potsdam, der kleinen und mittleren Museen, wie auch des BLHA wird insoweit auf die Beantwortung der Frage 1 verwiesen. Darüber hinaus untersucht die SPSG seit 2004 systematisch und aktiv ihre Sammlungsbestände auf unrechtmäßigen Besitz. Dazu zählen neben der NS- Raubgutforschung die Provenienzrecherche in den Bereichen Schlösserbergungen, Sowjetische Rückgabeaktion 1955-58 und DDR-Unrecht. Frage 4: Welche Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen bzw. wird sie ergreifen, um die Provenienzforschung zu stärken? Zu Frage 4: Das Land würdigt die beispielhaften und erfolgreichen Bemühungen des Museumsverbands des Landes Brandenburg e.V. (MVB), wie auch der SPSG, Bibliotheken und Archive. Um die Provenienzforschung weiter zu stärken, trägt es zur Finanzierung der Stiftung Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste bei, deren Stiftungszweck u. a. die Förderung von Kunst und Kultur, Wissenschaft und Forschung im Hinblick auf Kulturgutverluste ist. Das Land beteiligt sich ferner an den Konsultationsrunden zur Rückführung von Kulturgütern die grundsätzlich zwei Mal p.a. auf Einladung der Senatskanzlei in Berlin stattfinden. Frage 5: In welchem Umfang konnten in den Beständen der Museen, Archive und Bibliotheken im Land Brandenburg unter nationalsozialistischer Herrschaft enteignete oder geraubte Kulturgüter gefunden werden? Zu Frage 5: Aus den seit 2004 laufenden Provenienzrecherchen seitens der SPSG zu sämtlichen Erwerbshintergründen konnten fünfzehn Kunstwerke als NS-Raubgut identifiziert werden. In einem zweijährigen Forschungsprojekt werden aktuell knapp 400 Objekte (betrifft ausschließlich Nachkriegserwerbungen der alten Berliner Schlösserverwaltungen bis 1995) auf deren NS-verfolgungsbedingten Hintergrund untersucht. Aus der Recherche haben sich neue Verdachtsmomente ergeben, denen augenblicklich nachgegangen wird. Im BLHA konnten keine Hinweise auf derartige Kulturgüter ermittelt werden. Zur SLB Potsdam ist bekannt, dass die „Ehem. Gräflich zu Lynarsche Fideikommiß Bibliothek“ während des Nationalsozialismus beschlagnahmt worden war. Der Bestand ist in der Datenbank „Lost Art“ (http://www.lostart.de/Webs/DE/Datenbank/Index.html), die von der Stiftung Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste geführt wird, verzeichnet. Andere Bücher sind während der Kriegswirren im Jahr 1945 an die Vorgängereinrichtung der SLB Potsdam übergeben worden. Frage 6: Wie unterstützt die Landesregierung die Suche nach früheren Eigentümern bzw. Erben? Zu Frage 6: Die Suche nach früheren Eigentümern wird maßgeblich durch die unter 5. schon beschriebene länderübergreifende Datenbank „Lost-Art“ erleichtert. Die laufenden Forschungsprojekte, wie beispielsweise auch das unter 5. beschriebene Projekt der SPSG, wird ebenfalls durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste gefördert. Darüber hinaus unterstützt das BLHA seit vielen Jahren regelmäßig die Provenienzforschung im In- und Ausland bei Recherchen nach NSverfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern, insbesondere aus jüdischem Besitz. Neben Museen, Galerien und Archiven ist speziell die Zusammenarbeit mit der „Commission for Looted Art in Europe“ (London) zu erwähnen. Frage 7: In welchem Umfang konnten diese gefundenen Kulturgüter zurückgegeben werden? Zu Frage 7: Die seitens der SPSG eindeutig als NS-Raubgut identifizierten fünfzehn Objekte konnten zurückgegeben werden. Sämtliche von der SLB Potsdam ermittelten Bücher (ca. 9.000) waren ehemals bestehenden Adelsbibliotheken zuzuordnen. Die bedeutendsten Bestände entstammten der Pückler-Bibliothek/ Branitz, Hardenberg-Bibliothek/Neuhardenberg sowie der Lynarschen- Bibliothek/Lübbenau. Fast sämtliche dieser Bestände wurden bereits nach dem EALG an die Erben der verstorbenen Eigentümer rückübertragen. Frage 8: In welchem Umfang wurde für diese gefundenen Kulturgüter eine Entschädigung gezahlt? Zu Frage 8: Für restituierte Kunstwerke wurde seitens der SPSG keine Entschädigung gezahlt. In fünf Fällen wurden nach der Restitution die Kunstwerke angekauft. Die SPSG hat sich in diesen Fällen mit den Restitutionsberechtigten gütlich geeinigt. Über die Kaufsumme wurde in diesen fünf Fällen Stillschweigen vereinbart. Von Seiten der SLB Potsdam kann ebenfalls mitgeteilt werden, dass Entschädigungszahlungen nicht vorgenommen worden sind. Neben der Rückgabe haben die Erben für die vormals verloren gegangenen Bestände der Adelsbibliothek auch keine Leistungen beantragt. Frage 9: Wie hoch ist nach Kenntnis der Landesregierung in etwa der Anteil der bereits auf enteignete bzw. geraubte Kulturgüter erforschte bzw. durchsuchte Bestände? Welchen Zeitraum wird es nach Ansicht der Landesregierung noch in Anspruch nehmen, bis alle Bestände untersucht worden sind? Zu Frage 9: Eine abschließende Beurteilung der Höhe des Anteils kann durch die Landesregierung derzeit noch nicht erfolgen. Es besteht weiterer, umfassender Forschungsbedarf, der konkrete Aussagen erst mittel- bis langfristig zulässt. So hat beispielsweise die langjährige Erfahrung der SPSG gezeigt, dass alle Erwerbungen von 1933 bis zur Gegenwart systematisch auf deren NS-verfolgungsbedingten Hintergrund untersucht werden müssen, unabhängig vom Vorliegen konkreter Verdachtsmomente. Das bedeutet für die SPSG eine Ausdehnung der Provenienzrecherche auf mehrere hundert Objekte. Diese Aufgabe kann aufgrund der hohen methodischen Komplexität der systematischen Provenienzforschung und des erheblichen Rechercheaufwands nur mittelfristig erfüllt werden. Der hierfür erforderliche Zeitraum kann derzeit nicht konkret benannt werden. Auch das unter Frage 1 genannte Pilotprojekt hat gezeigt, dass im Nachgang des „Erst-Checks“ weiterer, erheblicher Forschungsbedarf erforderlich ist, der nur langfristig bewältigt werden kann. Frage 10: Wie bewertet die Landesregierung die Bemühungen und die Umsetzung der KMK-Handreichung im Land insgesamt? Zu Frage 10: Die Bemühungen der SLB Potsdam werden als nahezu abgeschlossen bewertet. Sämtliche Forschungsbemühungen der Museen, Bibliotheken und Archive werden begrüßt. Die KMK-Handreichung dient vielen Einrichtungen hierbei als Handlungsgrundlage.