Datum des Eingangs: 28.04.2016 / Ausgegeben: 03.05.2016 Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/4026 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 1568 des Abgeordneten Péter Vida BVB / FREIE WÄHLER Gruppe Drucksache 6/3793 Diverse Ungereimtheiten bei der Genehmigung und Errichtung des Windparks Wildberg in der Gemeinde Temnitztal Namens der Landesregierung beantwortet der Minister für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft die Kleine Anfrage wie folgt: Bei der Planung und Genehmigung des Windparks in Wildberg (Genehmigungsbescheid Nr. 022.00.00/08) gab es zahlreiche Fehler und Ungereimtheiten. Die letzte Windenergieanlage (WEA) wurde im September 2014 in Betrieb genommen. Trotzdem sind noch viele Fragen unbeantwortet und die Probleme vorhanden. Bezüglich der im o. g. Genehmigungsbescheid enthaltenen fachlichen Fehler wurde u. a. auch in der Stellungnahme des Sprechers des Ministeriums für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft (Ruppiner Anzeiger vom 20.12.2014) „Heilung“ zugesagt. Das ist bis heute nicht geschehen. So gibt es auch noch keine Antwort auf die Schreiben der dortigen Bürgerinitiative „Keine neuen Windräder in der Temnitzregion “, gerichtet an das Landesamt für Umwelt in Potsdam. Nachfolgend stelle ich mehrere Fragen an die Landesregierung. Zu deren besserem Verständnis nehme ich Bezug auf die Inhalte des Genehmigungsbescheides. Auf diesen beziehen sich die jeweiligen Seitenangaben. Vorbemerkung: Es ist nicht immer auszuschließen, dass es bei der Ausfertigung von Bescheiden zu Schreibfehlern, Verwechselung von Ortsbezeichnungen oder fehlerhafter Übertragung von Zahlen und Daten kommt. Aber nicht jeder Fehler in einem Bescheid führt automatisch dazu, dass dieser rechtswidrig ist. Offensichtliche Fehler kann die Behörde gem. § 42 Verwaltungsverfahrensgesetz jederzeit berichtigen. Um solche handelt es sich im vorliegenden Fall, auf den sich die Fragestellung bezieht. Darüber hinaus berechtigt auch nicht jeder Verstoß gegen eine Auflage des Genehmigungsbescheides die Überwachungsbehörde, eine Genehmigung zu widerrufen oder eine Untersagung des Betriebes auszusprechen. Vielmehr ist die Behörde gehalten , zunächst für eine Erfüllung von Auflagen zu sorgen. Abschnitt A: Regionale Zuordnung S. 2 Pkt. 3: An dieser Stelle wird die Gemeinde Wildberg benannt. Es gibt jedoch keine Gemeinde Wildberg im Land Brandenburg, sondern nur die Gemeinde Temnitztal mit dem Ortsteil Wildberg, d. h. das Amt Temnitz kann eine nicht existierende Gemeinde nicht vertreten. S. 5 Pkt. 1.6: Die Inbetriebnahme der Anlagen ist laut Genehmigungsbescheid der unteren Bauaufsichtsbehörde des Landkreises Prignitz schriftlich anzuzeigen. Die Gemeinde Temnitztal liegt jedoch im Landkreis Ostprignitz-Ruppin. S. 20 V.1.: Mit der Abgabe zu einer fachlichen Stellungnahme wird der Wasser- und Bodenverband Prignitz aufgefordert. Die Grenze des Einzugsgebietes des Wasserund Bodenverbandes Prignitz liegt in Luftlinie mehr als 40 km von der überplanten Fläche entfernt. Ich frage daher die Landesregierung: 1. Wie konnte trotz solcher Fehler eine Genehmigung erteilt werden? Zu Frage 1: Es handelt sich nicht um inhaltliche Fehler, die Einfluss auf das Ergebnis der Prüfung im Genehmigungsverfahren hatten, sondern um offenbare Unrichtigkeiten , zu deren Berichtigung die Behörde gem. § 42 VwVfG berechtigt ist. Nach Abschluss des Genehmigungsverfahrens stand zweifelsfrei fest, dass die Genehmigungsvoraussetzungen gem. § 6 Abs. 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) vorlagen, so dass die Genehmigungsbehörde verpflichtet war, die Genehmigung zu erteilen. 2. Welche weiteren Fälle sind der Landesregierung bekannt, in denen inhaltlich fehlerhafte Genehmigungsbescheide für Windkraftanlagen ohne zwischenzeitliche Korrektur zur Grundlage einer Betriebsgenehmigung wurden? Bitte Genehmigung, Ort, Datum und entsprechende Fehler tabellarisch auflisten. Zu Frage 2: Weitere Fälle sind der Landesregierung nicht bekannt. 3. Ist der Landesregierung bekannt, ob der Begünstigte des hiesigen Genehmigungsbescheides auch WEA im Landkreis Prignitz betreibt und hierfür Genehmigungen erteilt bekommen hat? Zu Frage 3: Ja, das ist der Landesregierung bekannt. Abschnitt B: Anordnung der sofortigen Vollziehung – Interessenabwägung Zur Interessenabwägung heißt es auf S. 38: „Als besonderes überwiegendes Interesse ist anerkannt, wenn […] eine Anlage der Sicherung des Energiebedarfs dient. Die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Energieversorgung stellt ein Gemeinschaftsinteresse höchsten Ranges dar…“ Ich frage daher die Landesregierung: 4. Teilt die Landesregierung die Auffassung der Genehmigungsbehörde, wonach WEA einen höchstrangigen, dem Gemeinschaftsinteresse dienenden Beitrag zur Sicherung und Wirtschaftlichkeit der (Elektro-)Energieversorgung erbringen? Letzteres insbesondere im Wissen darum, dass WEA aufgrund der meteorologischen Gegebenheiten (volatile Energiequelle Wind) nur knapp ein Fünftel des Jahres Strom im Umfang der installierten Nennleistung liefern und dass diese bei Flaute bzw. zu Zeiten mit geringem Bedarf zeitweise gar keinen Strom einspeisen können? Zu Frage 4: Ja. 5. Ist der Landesregierung bekannt, ob im Rahmen der Interessenabwägung die Belange der Allgemeinheit im Spannungsverhältnis zu den Gewinninteressen des Investors angemessen berücksichtigt wurden? Erstere insbesondere repräsentiert durch die entsprechenden Festlegungen im FNP der Gemeinde nebst entsprechenden Beschlüssen dieser. Zu Frage 5: Der Genehmigungsbescheid des Landesamtes für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (jetzt Landesamt für Umwelt – LfU) vom 30.4.2013 ist bekannt . In der dort vorgenommenen Interessensabwägung sind die Belange der Allgemeinheit und die Interessen an der Errichtung der Anlagen in ein angemessenes Verhältnis gesetzt worden. Das LUGV hat unter Würdigung der vorliegenden Abwägungsinhalte (einschließlich Flächennutzungsplan) eine nachvollziehbare und vertretbare Entscheidung getroffen. 6. Ändert sich die Auffassung der Landesregierung zu Frage 5 in Ansehung dessen, dass im Genehmigungsbescheid die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.01.2013 (BVerwG 4 CN 1.12) bzgl. der Revision des Antragstellers (Investors) gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18.11.2011 (AZ: OVG 2 A2.11) keinerlei adäquate Berücksichtigung findet? Zu Frage 6: Nein. 7. Rechtfertigt die vorgenommene Interessenabwägung eine derart krasse zulasten der Anwohner und der Gemeinde ausfallende Entscheidung, dass entgegen dem FNP 6 deutlich höhere WEA samt Anordnung der sofortigen Vollziehung genehmigt werden? Zu Frage 7: Das LfU hat die Belange der Anwohner und der Gemeinde in seiner Entscheidung gewürdigt und das Abweichen von der Höhenbegrenzung des Flächennutzungsplans hinreichend begründet. Abschnitt C: Schallprognose/Schallnachweismessungen Der Genehmigungsbescheid bezieht sich auf Anlagen des Typs Enercon E 82-2.3 (Nennleistung 2,3 MW), die auch gebaut wurden. Die Antragsunterlagen beziehen sich aber auf Anlagen des Typs Enercon E 82-2.0 (Nennleistung 2,0 MW). Die 15 Prozent Leistungsunterschied bedeuten auch andere Werte in der Schallprognose. Da die Schallprognose für die genehmigten und errichteten Anlagen nicht vorlag, sind die Prognoseangaben zum Immissionsschutz (s. Genehmigung, S. 31) falsch. Weiterhin ist aus der eingereichten Schallprognose nicht ersichtlich, woher die Daten zur Berücksichtigung der Vorbelastung durch die WEA im Gebiet Wildberg stammen, aus Messwerten berechnet oder nach mehreren Betriebsjahren nur aus Prognosedaten der Anlagenhersteller entnommen. Auch gab es zwischenzeitlich einen teilweisen Betreiberwechsel. Ich frage daher die Landesregierung: 8. Ist der Aufsichtsbehörde fristgerecht der Betreiberwechsel von 3 der 6 WEA gemeldet worden (S. 6 Pkt. 1.10)? Zu Frage 8: Der Überwachungsbehörde sind Betreiberwechsel für zwei Windkraftanlagen (WEA 4 und 6) gemeldet worden. Eine konkrete Frist für Anzeigen gibt es nicht. Ein Betreiberwechsel für eine 3. WKA ist dem LfU nicht bekannt. 9. Haben alle drei Betreiber der Behörde gegenüber die Nachweise zur Auftragserteilung der Schallnachweismessungen (Inbetriebnahme der letzten Anlage am 17.12.2014, Durchführung bis zum 17.12.2015) erbracht? Gibt es schon erste ausgewertete Schallnachweis-Messprotokolle? Zu Frage 9: Der Adressat des Genehmigungs- bzw. Widerspruchsbescheides hat dem LfU die Auftragserteilung an eine zugelassene Messstelle vorgelegt. Die Nachweismessung fand nach Mitteilung des Betreibers abstimmungsgemäß an 2 Anlagen am 9. November 2015 statt. Zwischenzeitlich wurde der Messbericht erstellt und dem Betreiber übergeben. Der Bericht liegt dem LfU zur Auswertung vor. Abschnitt D: Rückbaukostensicherung S. 7 Punkt 2.1. und S. 8, Punkt 2.1.6.: Bei Gesamtkosten von rund 3,2 Mio. Euro je Anlage (Investorenangabe) bzw. Herstellungskosten von mindestens 2.070.000 Euro je Anlage (entspricht dem Mittelwert von 900.000 Euro je MW) ergibt sich nach dem Runderlass des MSWV Nr. 24/01.06 vom 28.03.2006 eine in Form einer selbstschuldnerischen Bankbürgschaft nachzuweisende Sicherheit von insgesamt 496.800 Euro. Durch den Investor ausgewiesen sind aber nur insgesamt 350.100 Euro. Die jeweilige Rückbaukostensicherheitsleistung ist entsprechend Punkt 2.1. vor Baubeginn nachzuweisen. Diese lag jedoch nur für eine Anlage vor. Die letzten Rückbaukostensicherungen in einem nicht begründeten, zu geringen Umfang wurden erst auf Nachfrage einer Bürgerinitiative z. T. mit Bankdatum vom Mai 2015 nachgereicht. Ich frage daher die Landesregierung: 10. Wie konnte trotz der größtenteils fehlenden Bankbürgschaften die Genehmigung erteilt werden? Zu Frage 10: Die Bauaufsichtsbehörde erteilte zu dem geplanten Vorhaben in der Gesamtstellungnahme des Landkreises an das LfU die Zustimmung zu dem Vorhaben mit Bedingungen, die vor Erteilung der Baufreigabe zu erfüllen sind. Eine davon war die Beibringung der Rückbausicherheitsleistung in Form einer Bankbürgschaft in Höhe von 350.100,00 €. Diese Bedingung wurde in den Genehmigungsbescheid des LfU übernommen. 11. Liegen inzwischen für alle Anlagen Rückbaukostensicherungen mit einer korrekten Summe vor? Zu Frage 11: Ja. Abschnitt D: Naturschutzrechtliche Abwägung S. 35: Die Genehmigungsbehörde formuliert, dass eine Verunstaltung des Landschaftsbildes durch WEA aufgrund deren Privilegierung nur dann anzunehmen sei, wenn es sich um eine besonders schöne oder besonders schutzwürdige Umgebung bzw. um einen besonders groben Eingriff handele. Die bereits westlich in der Gemarkung Ganzer errichteten Anlagen „… haben zu einer technischen Überprägung und damit Entwertung des Landschaftsbildes geführt“, sodass der Charakter des Landschaftsraumes nur noch eine mittlere Wertigkeit aufweise. Dies bedeutet, dass eine durch die Behörde in der Vergangenheit (Genehmigung der 5 WEA im Raum Ganzer) veranlasste und begründete Verunstaltung des Landschaftsraumes nunmehr eine weitere nachhaltige Landschaftszerstörung im weiteren Umfeld rechtfertigt . Im Bereich der jetzt überbauten Fläche und unmittelbar südlich davon gibt (gab) es seit Jahrzehnten Großtrappen (letzte auch fotografisch dokumentierte Meldung im März 2013), in der Vergangenheit sogar nachweislich mit Brutgelegen. Diese an die Behörden weitergegebenen Beobachtungen wurden ignoriert. Ich frage daher die Landesregierung: 12. Auf welcher gesetzlichen Grundlage (Landschaftsprogramm des Landes Brandenburg ? – eine Quellenangabe dazu ist im Detail nicht ersichtlich) gelangt die Genehmigungsbehörde zu der Einschätzung, die Landschaft am Errichtungsstandort hätte nur mittlere Wertigkeit (schon vor der Errichtung raumbedeutender WEA)? Zu Frage 12: Die Bewertung des Landschaftsbildes in der damaligen Stellungnahme fußt auf dem Landschaftsprogramm, Karte 3.5 Landschaftsbild. In dieser Karte ist der Bereich um den Windpark "Wildberg" als Bereich zur "Pflege und Verbesserung des vorhandenen Eigencharakters" eingestuft. Unter Berücksichtigung der Vorbelastung durch den unmittelbar westlich angrenzenden Windpark "Ganzer" wurde dann im Verfahren der Vorhabensbereich als Bereich mit mittlerer Wertigkeit des Landschaftsbildes und einem mittleren Konfliktpotenzial eingestuft. Abschnitt E: Landschaftsbild und Denkmalschutz S. 28: Bewertung des Orts- und Landschaftsbildes sowie des Denkmalschutzes: Die durch keine Quelle belegte Abwertung gerade auch des Denkmalschutzes und die einseitige Darlegung, die Höhenbegrenzung im FNP resultiere nur aus Gründen der Flugsicherheitsbefeuerung, weshalb die 100-Meter-Höhenbegrenzung abzulehnen sei, ist nicht nachvollziehbar. Die Gemeinde hat im FNP aus mehreren Gründen im Rahmen eines öffentlichen Belanges eine Höhenbegrenzung vorgesehen, die sich in keiner Weise, wie in der Genehmigung ausgeführt, gegen die Privilegierung entsprechend § 35 BauGB für diese Konzentrationsfläche richtet. So ging es der Gemeinde insbesondere auch um die Berücksichtigung des weniger als 1000 m östlich vom Eignungsgebiet gelegenen Wohn-/Erschließungsgebiet Werderberg-Königsgraben mit voll erschlossenen Baugrundstücken, von denen aufgrund der optischen und akustischen Beeinträchtigungen durch die 6 WEA die noch unbebauten Grundstücke inzwischen unverkäuflich sind. Die Lage des Wohngebietes zu den WEA hat bereits jetzt zu Wertverlusten bei den Immobilien von z. T. mehr als 50% geführt. Des Weiteren führt der Genehmigungsbescheid unverständlicherweise aus, dass der 64 m hohe Kirchturm der Wildberger Kirche „denkmalrelevant nur aus einer größeren Nähe wahrnehmbar [ist], in der die WKA visuell keine Rolle mehr spielen“ (S. 25). Tatsächlich ist seit Jahrhunderten diese markante Landmarke weithin sichtbar und als Denkmal erkennbar. Sogar die entsprechenden denkmalfachlichen Bedenken des Landesamtes für Denkmalpflege wurden ignoriert. Ich frage daher die Landesregierung: 13. Warum wurden bei der Genehmigung die Hinweise bzgl. des Denkmalsschutzes dermaßen ignoriert bzw. übergangen? Zu Frage 13: Die Belange des Denkmalschutzes wurden im Genehmigungsbescheid umfangreich gewürdigt und auch im Widerspruchsverfahren der Gemeinde Temnitztal gegen diesen Bescheid berücksichtigt. Abschnitt F: Verringerung der Auswirkungen der 6 WEA Den Betroffenen ist bewusst, dass es wohl keinen Rückbau der 6 Anlagen geben wird. Trotzdem kann die jetzige Situation ohne Maßnahmen zur Minderung der Belästigung für die Anwohner nicht dauerhaft so bleiben. Besonders beim vorherrschenden Westwind ist die monotone Geräuschbelästigung unerträglich und raubt den Menschen den Schlaf. Auch die optische Belästigung durch die Nachtkennzeichnung wirkt sich auf die Anwohner sehr störend aus. Ich frage daher die Landesregierung: 14. Was gedenkt die Landesregierung zu unternehmen, um die beschriebenen Beeinträchtigungen der Lebensqualität der Anwohner zu vermindern? Zu Frage 14: Ein Eingreifen der Landesregierung ist nicht erforderlich, da bei Einhaltung der Vorschriften und Grenzwerte des BImSchG und der dazu ergangenen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften sowie der Einhaltung aller übrigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften keine unzumutbaren Beeinträchtigungen und Belästigungen für die Anwohner von einer Anlage ausgehen.