Datum des Eingangs:12.05.2016 / Ausgegeben: 17.05.2016 Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/4106 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1609 der Abgeordneten Sven Petke und Prof. Dr. Michael Schierack, Fraktion der CDU Drucksache 6/3888 Unzulässige Rückwirkung durch die Erhebung von Anschlussbeiträgen Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragesteller Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss aus dem Jahr 2015 ausgeführt (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 12. November 2015 - 1 BvR 2961/14 - Rn. (1-70)), dass § 8 Abs. 2 Satz 7 KAG n. F. nicht als „Klarstellung“, sondern als konstitutive Änderung der alten Rechtslage zu behandeln sei. Die Änderung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG trete zwar nicht formell rückwirkend in Kraft. Gleichwohl habe sie in den Fällen der Beschwerdeführerinnen materiell rückwirkenden Charakter. § 8 Abs. 2 Satz 7 KAG n. F. entfalte bei Anwendung in den Fällen, in denen Beiträge nach der alten Rechtslage nicht mehr erhoben werden konnten, eine unzulässige echte Rückwirkung . Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat dies für die Fälle bis zum 31.12.1999 angenommen (Urteile des OVG vom 11. Februar 2016, Az. 9 B 1,16; 9 B 43.15). Frage 1: Wodurch wurde die Beitragserhebung trotz bereits eingetretener Festsetzungsverjährung veranlasst? War die Gesetzesänderung von 2004 hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbotes zu unbestimmt ? zu Frage 1: Dem o. g. Beschluss des BVerfG lagen keine Beitragsbescheide zugrunde in denen bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war. Darauf hat das BVerfG ausdrücklich hingewiesen (Rn. 52 des Urteils-umdrucks). Die Gesetzesänderung zum 01.02.2004 war nicht zu unbestimmt. Mit der Neufassung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG hat der Gesetzgeber keine Rückwirkungsanordnung getroffen . Frage 2: Hätten die Zweckverbände und Kommunen entgegen der alten Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg aus dem Jahr 2007 und entsprechend der jetzigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bescheiden können? zu Frage 2: Bei einer Beitragsfinanzierung waren Aufgabenträger nach der bis zum o. g. Beschluss des BVerfG geltenden brandenburgischen Rechtsprechung (z. B. OVG Berlin –Brandenburg vom 12.12.2007, 9 B 45.06¸ LVerfG vom 21.09.2012 – VfGBbg 46/11-) verpflichtet, für alle durch die zentrale öffentliche Einrichtung bevorteilten Grundstücke Beiträge zu erheben. Dies galt auch in Fällen in denen Beitragserhebungen nach der bis zum 01.02.2004 geltenden Fassung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG nicht mehr möglich gewesen wären. Erst durch den o. g. Beschluss sind diese Beitragsbescheide als rechtswidrig zu qualifizieren. Frage 3: Welche rechtlichen Auswirkungen haben die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Berlin- Brandenburg? zu Frage 3: Die Entscheidungen des BVerfG sind für die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden bindend (§ 31 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes , BVerfGG). Im Übrigen sind die rechtlichen sowie die wirtschaftlichen Auswirkungen der genannten Entscheidung des BVerfG auch Gegenstand des vom Ministerium des Innern und für Kommunales in Auftrag gegebenen externen Gutachtens, das der Landesregierung noch nicht vorliegt. Frage 4: Welche Gruppen von Beitragszahlern können aus diesen Entscheidungen welche Rechte ableiten? zu Frage 4: Unmittelbar betroffen von der durch die genannten Entscheidungen geänderten Rechtsprechung zur Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG in der seit dem 01.02.2004 geltenden Fassung sind Beitragsbescheide, die bis zum 12.11.2015 noch nicht bestandskräftig geworden sind. Diese Beitragsbescheide sind aufzuheben und die darauf geleisteten Beiträge sind zu erstatten. Für bereits bestandskräftige Bescheide folgt aus der o. g. Entscheidung des BVerfG nach der gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a KAG i. V. m. § 251 Abs. 2 Satz 1 AO anwendbaren Vorschrift des § 79 Abs. 2 BVerfGG ein Vollstreckungsverbot. Ein Anspruch auf Erstattung bereits erfolgter Zahlungen auf der Grundlage bestandskräftiger Bescheide besteht indes nicht. Frage 5: Können Beitragszahler mit bestandskräftigen Verwaltungsakten oder rechtskräftigen Urteilen ihre Rechte durchsetzen (z. B. Abwehr der Vollstreckung , Wiederaufgreifen des Verfahrens, Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen etc.)? zu Frage 5: Auf das Vollstreckungsverbot für die bereits bestandskräftigen Bescheide wurde in der Antwort zu Frage 4 hingewiesen. Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ist nicht ersichtlich. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Frage 6: Welche Pflichten ergeben sich aus den Entscheidungen für betroffene Zweckverbände und die sie tragenden Kommunen? Frage 7: Können die betroffenen Zweckverbände oder die sie tragenden Kommunen dafür sorgen, dass auch Beitragszahler mit bestandskräftigen Verwaltungsakten oder rechtskräftigen Urteilen ihre Anschlussbeiträge zurückerhalten? Gibt es gegebenenfalls Rücknahmesperren (z. B. § 169 AO) und können die Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes durch den Landesgesetzgeber (sinnvollerweise) so abgeändert werden, dass diese entfallen? Frage 8: Welche Kosten können den (jeweils) betroffenen Zweckverbänden oder den sie tragenden Kommunen entstehen? Frage 9: Welche tatsächlichen und rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten haben die betroffenen Zweckverbände und Kommunen, die Kosten zu tragen bzw. auf die Gebühren umzulegen? Frage 10: Welche Pflichten ergeben sich aus den Entscheidungen für das Land? zu den Fragen 6 – 10 wird insgesamt auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Frage 11: Erwächst aus diesen Entscheidungen für den Landesgesetzgeber die Notwendigkeit, das Kommunalabgabengesetz zu ändern oder zu ergänzen ? Welche Pflichten ergeben sich aus den Entscheidungen für das Land? zu Frage 11: Weder aus dem Beschluss des BVerfG vom 12.11.2015 noch aus den Urteilen des OVG Berlin-Brandenburg vom 11.02.2016 ergibt sich die Notwendigkeit, das KAG zu ändern oder zu ergänzen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Frage 12: Hat das Land eine Kostentragungspflicht? zu Frage 12: Es wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Frage 13: Durch welche Maßnahmen kann das Land unter Beachtung des Grundsatzes der kommunalen Selbstverwaltung dazu beitragen, dass die betroffenen Zweckverbände und Kommunen dazu geneigt sein werden, auch die durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erfassten Fälle mit bestandskräftigem Beitragsbescheid oder rechtskräftiger Gerichtsentscheidung rückabzuwickeln? zu Frage 13: Es wird darauf hingewiesen, dass sich der Landtag am 10.03.2016 mit der Annahme des Entschließungsantrags (Drs. 6/3695-B) darauf verständigt hat, politische Entscheidungen über Lösungsmöglichkeiten erst nach einer gründlichen Auswertung des in der Beantwortung zu Frage 3 genannten externen Gutachtens zu den rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG auf bestimmte Fälle und zu rechtssicheren Möglichkeiten einer künftigen Finanzierung der Siedlungswasserwirtschaft – zu treffen. In diese Lösungen sollen auch Überlegungen zu einer möglichst gerechten Lastenverteilung und zur Unterstützung von Aufgabenträgern, die durch die Rückzahlung von Anschlussbeiträgen in eine wirtschaftliche Notlage geraten würden, einbezogen werden. Frage 14: Sieht sich die Landesregierung in der Pflicht oder strebt sie es an, die Ungleichbehandlung betroffener Beitragszahler unterschiedlicher und die möglicherweise dadurch verursachte Störung des sozialen Friedens im Einvernehmen mit den betroffenen Zweckverbänden und die sie tragenden Kommunen abzuwenden? Frage 15: Welche tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten hat das Land, betroffene Zweckverbände und Kommunen (insbesondere finanziell) zu unterstützen? Frage 16: Sieht sich die Landesregierung in der Pflicht oder strebt sie es an, die bei den betroffenen Zweckverbänden und den sie tragenden Kommunen die entstehenden Gerichts- und Verwaltungskosten zu übernehmen ? zu den Fragen 14 – 16 wird insgesamt auf die Beantwortung zu Frage 13 verwiesen. Frage 17: Wie sind vor dem Hintergrund der restriktiveren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Regelungen zur Festsetzungsverjährungshöchstfrist in § 19 KAGBbg (insbesondere die 15-Jahresfrist und die Hemmungsregelung) zu bewerten? zu Frage 17: Das BVerfG hat sich mit der Verjährungsobergrenze des § 19 Abs. 1 KAG nicht befasst . Insoweit bestehen keine Anhaltspunkte für eine andere rechtliche Bewertung als die bislang vom OVG Berlin-Brandenburg vorgenommene. Das Gericht hat wiederholt entschieden, dass die zeitliche Obergrenze von 15 Jahren seit Eintritt der Vorteilslage für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner zuzüglich einer Fristhemmung für die Zeit bis zum 03.10.2000 nicht zu beanstanden sei (vgl. u. a. Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 16.07.2014 - OVG 9 N 69.14 -, Juris Rn. 24 f. m.w.N).