Datum des Eingangs: 01.06.2016 / Ausgegeben: 06.06.2016 Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/4309 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 1682 des Abgeordneten Benjamin Raschke Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 6/4066 Artenschutzverträgliche Nutzung der Oderbrücke Neurüdnitz-Siekierki in Natura 2000-Gebieten für einen nachhaltigen Grenzverkehr Namens der Landesregierung beantwortet der Minister für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragesteller: Europaweit entwickelt sich die Verbindung von Sport und Tourismus in NATURA 2000-Gebieten zu einem Zukunftsmodell für nachhaltige Wirtschaft: Das Bundesamt für Naturschutz stellt bspw. die Prag-Wien- Greenways und die Kooperation Rhin vivant heraus , das an der Peene ansässige Netzwerk „Abenteuer Flusslandschaft“ wurde 2010 mit seinem Produkt „Auf dem Amazonas des Nordens“ mit dem Europäischen Tourismuspreis EDENAward ausgezeichnet . Brandenburg scheint bei dieser Entwicklung jedoch den Anschluss zu verlieren . Zwar nutzen viele Touristen gerade den Oder-Neiße-Radweg in die deutschpolnische Grenzregion wegen des Naturerlebnisses, dennoch wurde er in den letzten Jahren aus den Top Ten der ADFC-Radreiseanalyse für den „Beliebtesten Deutscher Radfernweg“ verdrängt. Um den Radtourismus im deutsch-polnischen Grenzgebiet zu fördern gibt es derzeit mehrere Unternehmungen: So soll die am Oder-Neiße- Radweg liegende und derzeit stillgelegte Eisenbahnbrücke über die Oder bei Neurüdnitz für den Tourismus erschlossen werden. Da die Brücke und die Verbindung zu ihr in Natura 2000-Gebieten liegen, gab es mehrere Anstrengungen, die touristische Nutzung artenschutzverträglich zu gestalten. Zu Ostern 2016 sollte über die Brücke ein Draisinenverkehr aufgenommen werden, der jedoch aufgrund von Schutzbestimmungen für eine Uhu-Niststätte untersagt wurde. Von polnischen Naturschützern werden Bedenken an der artenschutzverträglichen Nutzung der Brücke geäußert, da der Uhu auf der Roten Liste bedrohter Tierarten Polens steht und nur an zwei Orten im betroffenen Europäischen Vogelschutzgebiet Dolina Dolnej Odry (PLB320003) vorkommt, wovon ein Vorkommen das Gebiet bei der Oderbrücke ist. Deshalb fordern sie nach polnischem Recht (Dz. U. 2014, Pos. 1348) eine Horstschutzzone. Am 5. April 2016 fand die Amtsausschusssitzung des Amtes Barnim-Oderbruch im Beisein einer polnischen Delegation statt, in der die Absicht zur touristischen Nutzung der Brücke Neurüdnitz-Siekierki bekräftigt wurde. Laut dem Amtsdirektor des Amtes Barnim-Oderbruch ist eine geforderte Umweltverträglichkeitsprüfung im März angelaufen (vgl. Märkische Oderzeitung vom 7. April 2016). I .Förderung artenschutzverträglicher Tourismus in NATURA 2000-Gebieten Frage 1: Welche Maßnahmen werden von der Landesregierung ergriffen, um in Brandenburg den artenschutzverträglichen Tourismus in NATURA 2000-Gebieten und damit die Akzeptanz gegenüber den Zielen von NATURA 2000 zu fördern? zu Frage 1: Im Rahmen der Richtlinie zur Förderung des natürlichen Erbes und des Umweltbewusstseins vom 5. August 2015 können nach Teil F „Vorhaben der Freizeitinfrastruktur für NATURA 2000-Gebiete sowie sonstige Gebiete mit hohem Naturwert zur Erhöhung der Akzeptanz von Natura 2000“ gefördert werden. Dazu zählen u. a. Wegeleitsysteme zur Besucherlenkung oder Naturerlebniseinrichtungen wie z.B. Infopunkte, Beobachtungstürme und -plattformen oder Themenwege. Im Teil C der Richtlinie „Vorhaben zur Förderung des Umweltbewusstseins“ bestehen beispielsweise Fördermöglichkeiten für die Aus- und Fortbildung von Natur- und Landschaftsführern unter bestimmten Bedingungen. Frage 2: Welche konkreten Maßnahmen unternimmt die Landesregierung, um den (grenzüberschreitenden) Naturtourismus in den NATURA 2000-Gebieten an der Oder zu fördern? (Bitte aufschlüsseln nach Gebietsnummer und Gebietsname? zu Frage 2: Grenzüberschreitender Naturtourismus in den NATURA 2000-Gebieten findet koordiniert von der Verwaltung des Nationalparks vorwiegend im Bereich des unteren Odertals statt. Hierzu gehören auf der deutschen Seite der Nationalpark Unteres Odertal (fast zu 100 % als NATURA 2000-Gebiet ausgewiesen): 1. Unteres Odertal, DE 2951-302 (Flora-Fauna-Habitat Gebiet – FFH) - 10.056,39 Hektar 2. Unteres Odertal, DE 2951-401 (EU Vogelschutzgebiet – SPA) - 11.775,28 Hektar Auf der polnischen Seite sind die Landschaftsschutzparks ebenfalls als NATURA 2000-Gebiete ausgewiesen: 1. Ostoja Cedyńska, PLB320017 (Vogelschutzgebiet – SPA) - 20.837,08 Hektar 2. Dolna Odra, PLH320037 (Flora-Fauna-Habitat Gebiet – FFH) - 29.290,44 Hektar 3. Dolina Dolnej Odry, PLB320003 (Vogelschutzgebiet – SPA) - 61.547,85 Hektar Als Beispiele für die zahlreichen Aktivitäten des Nationalparks seien hier die regelmäßigen Veranstaltungen: Flußauenwoche, deutsch-polnische Kranichwoche, die Singschwantage, sowie das Besucherzentrum in Criewen (dreisprachig ausgerichtet) genannt. In der letzten Förderperiode wurde ein deutsch-polnischer grenzüberschreitender INTERREG IV A- Antrag in Leadpartnerschaft der Nationalparkverwaltung mit einem Gesamtvolumen von ca. 3,5 Mill. € genehmigt. Über einen Zeitraum von drei Jahren sind u. a. folgende konkrete Infrastrukturmaßnahmen umgesetzt worden: 2 Informationsterminal (Nationalparkhaus, Laden) Interreg 45 Dreisprachige Informationstafeln, lokale Bezüge zu den NATURA 2000-Gebieten mit einem einheitlichen, grenzüberschreitenden Erscheinungsbild („Einzigartiges Unteres Odertal / Unikalna Dolina Dolnej Odry“) Interreg 3 Bildungsmodule für das Nationalparkhaus (u.a. Kinderecke und Vorstellung der grenzüberschreitenden NATU- RA 2000-Gebiete im unteren Odertal) Interreg 1 Bildungspavillon Interreg pl. Seite 1 Mobiler Infopunkt Interreg pl. Seite 1 Lehrpfad zum Thema Geologie, 6 erläuternde Tafeln in zwei Sprachen Interreg pl. Seite 10 Tafeln zu den deutschen und poln. NATURA 2000- Gebieten, Bildungspavillon Interreg pl. Seite 1 Neubau des NATURA 2000-Hauses im Nationalparkzentrum Criewen mit Wildnislabor und Nationalparkladen Interreg 2 Beobachtungstürme Interreg In der laufenden Förderperiode stehen Mittel aus dem Programm INTERREG VA 2014-2020, Kooperationsprogramm: Territoriale europäische Zusammenarbeit für den Schwerpunkt Bewahrung, Schutz, Förderung und Entwicklung des Natur- und Kulturerbes zur Verfügung. In der Region Lebuser Land – Ostbrandenburg wurden deutsch-polnische, zertifizierte Natur- und Landschaftsführer ausgebildet, die Exkursionen und Führungen in NATURA 2000-Gebieten anbieten. Frage 3: In welche Form unterstützt die Landesregierung naturtouristischen Maßnahmen an der Oder auf dem Wasser wie beispielsweise Paddeltouren mit Landschaftsführern und -innen? zu Frage 3: Die Landesregierung fördert die gewerbliche Wirtschaft bei der Errichtung , Erweiterung und Übernahme von Betriebsstätten mit Mitteln des Förderprogramms der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur ", also auch für naturtouristische Vorhaben, wenn diese im Rahmen der geltenden Förderregeln förderfähig sind. Darüber hinaus können grundsätzlich Mikrokredite bis zu 25.000 EUR vergeben werden, wenn die Förderbedingungen eingehalten werden und ein wirtschaftlich tragfähiges Vorhaben umgesetzt werden soll. Im Bereich des Nationalparks Unteres Odertal werden geführte Kanutouren angeboten, die jährlich von 500 - 700 Teilnehmern wahrgenommen werden. Frage 4: Welche Maßnahmen sind bekannt, um den Oder-Neiße-Radweg wieder beliebter zu machen? Welche dieser Maßnahmen sind grenzüberschreitend? zu Frage 4: Die Beliebtheit des Oder-Neiße-Radweges ist hoch. Um die hohe Beliebtheit zu erhalten, wird der Radweg u. a. auf den Internetseiten der Tourismus- Marketing Brandenburg GmbH unter http://www.reiseland-brandenburg.de/themen /radfahren/oder-neisse-radweg.html beworben. Im Rahmen von Modernisierungsüberlegungen wird für einige Abschnitte erwogen, den Radweg zu verbreitern. Frage 5: Inwiefern werden kleinere Fluss-Tourismus-Unternehmen, die aufgrund ihrer Lage in den Hochwasserrisikogebieten Probleme haben, bei privaten Anbietern Kredite für naturverträgliche Projekte zu erhalten, unterstützt? zu Frage 5: Es wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. II. Artenschutzverträgliche Nutzung der Oderbrücke bei Neurüdnitz-Siekierki Frage 6: Ist die für den diesjährigen Verkehr über die Oderbrücke vorgesehene Draisine als Eisenbahn im Sinne des § 2 Allgemeines Eisenbahngesetz zu qualifizieren? Falls ja, wird das betreibende Unternehmen als Eisenbahnverkehrsunternehmen (E- VU) für Personenverkehr gemäß § 6 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) genehmigt und findet eine Aufsicht durch das Landesamt für Bauen und Verkehr (LBV) statt? zu Frage 6: Bei dem vorgesehenen Draisinenverkehr handelt es sich um ein touristisches Angebot. Es handelt sich hierbei nicht um eine Eisenbahn im Sinne des AEG. Das betreibende Unternehmen ist kein Eisenbahnverkehrsunternehmen. Somit ist die Eisenbahnaufsicht auch nicht die für den Draisinenbetrieb zuständige Aufsichtsbehörde . Frage 7: Gibt es ein Konzept für die öffentliche Brückennutzung werktags und in der gesamten zweiten Hälfte des Jahres, wenn also die Bruten vieler Vogelarten abgeschlossen sind, aber Radfahren durchaus noch möglich ist? Falls ja, wie sieht dieses Konzept aus? Frage 8: Findet die erwähnte Umweltverträglichkeitsprüfung grenzüberschreitend statt? Falls ja, wo sind entsprechende Unterlagen einzusehen, falls nein, weshalb nicht? Frage 9: Welche Verkehrsinfrastruktur des Projekts ist Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung (Fußweg, Radweg, Eisenbahninfrastruktur für Draisine oder Kombination aus allem)? Sind bauliche Maßnahmen zur Betreibung von Bahnbetrieb oder Gaststättengewerbe als auch die Durchführung von Events Bestandteil der Umweltverträglichkeitsprüfung? Bis wann ist mit dem Abschluss der Umweltverträglichkeitsprüfung zu rechnen? zu den Fragen 7 bis 9: Der Landesregierung liegen hierzu keine Informationen vor. Frage 10: Sind die Forderungen polnischer Naturschützer zur Errichtung einer Horstschutzzone für den Uhu der Landesregierung bekannt? Falls ja, wie werden diese bewertet? zu Frage 10: Forderungen polnischer Naturschützer zur Errichtung einer Horstschutzzone für den Uhu sind der Landesregierung nicht bekannt. Frage 11: Wie bewertet die Landesregierung Uhu-Brutversuche an Steilwänden oberhalb von Wasserflächen? Bewertet die Landesregierung den Bruterfolg der Uhus 2013 auf der Pfeilerruine in der Oder ebenso positiv wie der damalige Präsident des Landesamtes für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (vgl. Märkische Oderzeitung vom 2. Juli 2013)? Falls die Bewertung negativ ausfällt, stützt sich diese auf den Fund von ertrunkenen Tieren? zu Frage 11: Die Wahl des Brutplatzes durch das Uhu-Brutpaar bestimmt das allgemeine Lebensrisiko der geschlüpften Jungvögel. Jungvögel können auch aus Nestern in Steilwänden auf den harten Boden fallen bzw. bei der Brut an Steilwänden oberhalb von Wasserflächen ins Wasser fallen und dabei den Tod finden. Menschlich verursachte Störungen können dazu führen, dass Jungvögel zu früh und nichtflügge aus dem Nestbereich flüchten. Da die letzten Beobachtungen bei Neurüdnitz von einem fast flüggen Jung-Uhu berichten und der Landesregierung keine Beobachtungen zu einem ertrinkenden bzw. ertrunkenen Jung-Uhu vorliegen, wird von einer erfolgreichen Brut mit einem ausgeflogenen Jungvogel ausgegangen. Frage 12: Welche Berücksichtigung findet der Uhu im brandenburgischen Maßnahmenprogramm zur biologischen Vielfalt? Falls der Uhu berücksichtigt wird, welche Bedeutung haben dabei die Uhu-Vorkommen beiderseits Oder für die Sicherung oder Stärkung der lokalen Population? zu Frage 12: Da der Uhu keine Art ist, für deren Erhaltung Brandenburg eine besondere Verantwortung aus internationaler oder nationaler Sicht hat, findet er keine Berücksichtigung im brandenburgischen Maßnahmenprogramm zur biologischen Vielfalt . Welche Bedeutung das Vorkommen an der mittleren Oder für die lokale Population hat, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilt werden. Frage 13: Wie hat sich der Bestand des Uhus in Brandenburg in den letzten 10 Jahren entwickelt? zu Frage 13: Der Bestand des Uhus in Brandenburg ist seit 2006 kontinuierlich leicht angewachsen. In der folgenden Tabelle sind die Bestandszahlen 2006 - 2012 dargestellt . Jahr 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Anzahl Reviere* > 10 1 BP 4RP 5 ET > 11 3 BP 2 RP 6 ET > 13 2 BP 1 HP 2 RP 8 ET > 14 1 BP 3 RP 10 ET > 15 4 BP 1 RP 10 ET > 21 6 BP 4 RP/BV 11 ET > 20 5 BP 4 RP/BV 11 ET * Abkürzungen: Brutpaare (BP), Revierpaare (RP), Horstpaare (HP), Brutverdacht (BV), Nachweis von Einzeltieren zur Brutzeit (ET)