Datum des Eingangs: 01.06.2016 / Ausgegeben: 06.06.2016 Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/4312 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1678 des Abgeordneten Gordon Hoffmann CDU-Fraktion Drucksache 6/4053 Schreiben nach Gehör: Neue Bewertung der Landesregierung? Namens der Landesregierung beantwortet der Minister für Bildung, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Fragestellers: Unterrichtsmethoden, nach denen Schulanfänger das Schreiben primär nach dem Gehör lernen, ohne dabei korrigiert zu werden, geraten immer mehr in die Kritik. Bildungswissenschaftler weisen auf die Risiken diese Methoden hin, so etwa die Expertin der Universität Potsdam für Grundschulpädagogik , Professor A. S.-L.. Auch verschiedene deutsche Kultusministerien raten Schulen von diesen Unter-richtsmethoden ab. Mecklenburg-Vorpommers Kultusminister Mathias Brodkorb hat in einem Rund-schreiben an Grundschulleiter festgestellt: „Es gibt keinen Beleg dafür, dass andere Methode [als die analytisch-synthetische] zu besseren Ergebnissen führen. Insofern gibt es keinen Grund, die Arbeit mit der analytischsynthetischen Methode einzustellen (…)“ Auch Sachsen Kultusministerin Brunhild Kurth hat ein ähnliches Schreiben an die Schulleiter gerichtet. (Vgl. Berichterstattung in der FAZ, „Schreiben, wie man es nicht sprechen kann“, H. S., 21. April 2016) Der Hamburger Bildungssenator Ties Rabe hat in einer Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft sogar festgestellt: „Methoden, nach denen die Kinder monatelang oder gar jahrelang nicht auf die richtige Rechtschreibung achten müssen, sind in Hamburg nicht zulässig.“ (Drucksache der Hamburger Bürgerschaft 20/13458) In der Öffentlichkeit hat er diese Feststellung als ein „Verbot“ der sogenannten „Lesen-durch- Schreiben“-Methode dargestellt. Frage 1: Wie bewertet die Landesregierung angesichts der neueren wissenschaftlichen Befunde den Einsatz von Methoden des Schreibens nach Gehör an Brandenburger Grundschulen? Zu Frage 1: Grundsätzlich ist festzustellen, dass es kein Konzept und keine Methode „Schreiben nach Gehör“ gibt. Aufgrund von Rückmeldungen von Visitation, Studienseminaren , Schulberaterinnen und Schulberatern sowie aus Fortbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte kann festgestellt werden, dass im Land Brandenburg, wie in den anderen östlichen Bundesländern auch, nach wie vor überwiegend Fibeln im Anfangsunterricht oder in den nachfolgenden Schuljahren als Sprachbücher eingesetzt werden. Diese beinhalten neben der Förderung der alphabetischen Strategie ebenso die Beachtung des Wortschatzprinzips, das Bilden von Wortfamilien, das Ab- leiten von Schreibweisen oder das Einprägen von Ausnahmeschreibungen. Die Fibeln weisen in der Regel eine Anlauttabelle auf, um den Lese- und Schreiblernprozess der Schülerinnen und Schüler zu unterstützen. Die meisten dieser Lehrwerke beruhen auf der analytisch-synthetischen Leselehrmethode und setzen die (bewährten ) didaktisch-methodischen Ansätze der Fibeltradition fort. Die Veröffentlichung „Konzeptionelle Grundlagen und methodische Hilfen für den Rechtschreibunterricht“, die für die Lehrkräfte des Landes Brandenburg entwickelt wurde, vermittelt in ihrer Gesamtheit, übersichtlich strukturiert und auf den immer wieder währenden Streit um das „richtige“ Erlernen der Rechtschreibung bezogen, eine aktuelle umfassende Zusammenstellung der Ergebnisse der Schriftspracherwerbsforschung und empirischer Befunde zu Konzepten des Rechtschreiblernens. In dieser Veröffentlichung werden Grundsätze des Schriftspracherwerbs sowie eine Gegenüberstellung der Methoden des Rechtschreiblernens ausgewiesen und Potenziale wie auch Risiken zielgruppenspezifisch erläutert.FN1 Methodische Rezepte für einen problemlosen Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler gibt es nicht. Der Erfolg einer jeden Methode hängt von ihrer kompetenten und situationsbezogenen Umsetzung im Unterricht und von der pädagogischen Haltung der Lehrerinnen und Lehrer ab. Jede Schülerin und jeder Schüler – gleichgültig in welchem Bundesland – müssen auf dem Weg zum richtigen Schreiben Einsicht in die Lautorientierung unserer Schrift gewinnen, da unser Schriftsystem vom Schwerpunkt her ein alphabetisches ist. In der von der Wissenschaft als besonders wichtig angesehenen alphabetischen Phase erkennt das Kind, dass jeder Laut durch einen Buchstaben oder durch eine Buchstabenverbindung repräsentiert wird. Die alphabetische Strategie – d.h. die Laute den Buchstaben zuordnen oder die Buchstaben den Lauten zuordnen – ist die Basis für das Rechtschreiblernen (vgl. auch Stufenmodell des Schriftspracherwerbs FN2, Scheerer-Neumann, Valtin u. a.). Frage 2: Inwieweit lässt der ab dem Schuljahr 2017/2018 gültige Rahmenlehrplan für die Länder Berlin und Brandenburg Methoden des Schreibens nach dem Gehör zu? Zu Frage 2: Im neuen Rahmenlehrplan 1-10, Teil C/Deutsch, Kapitel 1FN3 wird der Schriftspracherwerb u. a. wie folgt beschrieben: „Der sprachliche Anfangsunterricht schafft den Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit. Die Schülerinnen und Schüler werden von Anfang an ermutigt, Schrift zum Aufschreiben eigener Ideen und Gedanken zu nutzen. Schülerinnen und Schüler , die noch nicht selbst schreiben können, diktieren ihre Texte. Auf dem individuellen Lernweg des Rechtschreiberwerbs ist die Nutzung der alphabetischen Strategie ein erster wichtiger Entwicklungsschritt, um die Beziehungen zwischen Sprache und Schrift zu erschließen. Die alphabetische Strategie wird erweitert durch morphematische , orthografische und wortübergreifende Strategien, die die Schülerinnen und Schüler unterstützen, normgerechte Schreibweisen zu erkennen und anzuwenden.“ Konsequent wird im Rahmenlehrplan 1-10 auch die alphabetische Strategie als wichtiger Entwicklungsschritt beschrieben. Gleichzeitig wird aber auch deutlich gemacht, dass den Schülerinnen und Schülern Strategien vermittelt werden müssen, die das FN http://bildungsserver.berlinbrandenburg.de/fileadmin/bbb/unterricht/faecher/sprachen/deutsch/schreiben_rechtschreiben/K onzeptionelle_Grundlagen_Rechtschreibunterricht.pdf FN2 http://bildungsserver.berlinbrandenburg.de/fileadmin/bbb/unterricht/faecher/sprachen/deutsch/LRS/Leitfaden_LRS_BE_2010 .pdf FN3 http://bildungsserver.berlinbrandenburg.de/fileadmin/bbb/unterricht/rahmenlehrplaene/Rahmenlehrplanprojekt/amtliche_Fass ung/Teil_C_Deutsch_2015_11_10_WEB.pdf normgerechte Schreiben zum Ziel haben (siehe RLP 1-10, Fachteil Deutsch/ Kompetenz „Rechtschreibstrategien nutzen“: Wörter lautorientiert schreiben, verwandte Wörter für Ableitungen nutzen, Merkstellen benennen, Satzanfänge und Nomen großschreiben). Die Vermittlung des normgerechten Schreibens wird ferner durch den verbindlichen Grundwortschatz für die Jahrgangsstufen 1 bis 4 der Grundschule unterstützt. Frage 3: Welche Beschlüsse der Kultusministerkonferenz zum Erwerb der Schriftsprache in der Grundschule gibt es, und inwieweit sind Methoden des Schreibens nach Gehör mit den Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich vereinbar ? Zu Frage 3: Die Kultusministerkonferenz hat mit Beschluss vom 15.10.2004 die Bildungsstandards am Ende der Jahrgangsstufe 4 im Fach Deutsch für den Primarbereich FN4 verabschiedet. Darin heißt es: „Die Kinder verfügen über grundlegende Rechtschreibstrategien. Sie können lautentsprechend verschriften und berücksichtigen orthografische und morphematische Regelungen und grammatisches Wissen. Sie haben erste Einsichten in die Prinzipien der Rechtschreibung gewonnen. Sie erproben und vergleichen Schreibweisen und denken über sie nach. Sie gelangen durch Vergleichen, Nachschlagen im Wörterbuch und Anwenden von Regeln zur richtigen Schreibweise. Sie entwickeln Rechtschreibgespür und Selbstverantwortung ihren Texten gegenüber.“ Auf der Grundlage dieses Beschlusses wurde auch der Fachteil Deutsch des neuen Rahmenlehrplans entwickelt. Das normgerechte Schreiben bildet die Grundlage des Rechtschreibunterrichts ab dem Beginn des Schriftspracherwerbs (vgl. Antwort zu Frage 2). Frage 4: Hat die Landesregierung eine den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen bzw. Hamburg vergleichbare Klarstellung – etwa in Form eines Rundschreibens – vorgenommen oder plant sie diese? Zu Frage 4: Die Landesregierung hat mit Schreiben des für Schule zuständigen Ministeriums im Februar 2016 an die Schulleiterinnen und Schulleiter der Grund- und Förderschulen, Ober- und Gesamtschulen mit Grundschulteilen die Erwartungshaltung geäußert, dass der Rechtschreibunterricht so gezielt verbessert wird, dass alle Schülerinnen und Schüler im Land Brandenburg von Anfang an richtig schreiben lernen . Methoden, nach denen die Schülerinnen und Schüler nicht auf eine richtige Rechtschreibung achten müssen, sind an brandenburgischen Schulen nur partiell oder temporär einzusetzen. Um die Fachlehrkräfte dabei zu unterstützen, wurde u.a. auf die Handreichung „Hinweise und Beispiele für den Rechtschreibunterricht an Hamburger Schulen“ der Freien und Hansestadt Hamburg, Behörde für Schule und Berufsbildung, Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung, die 2014 herausgegeben wurde, verwiesen. Frage 5: Welche Gründe sprechen aus Sicht der Landesregierung dagegen, die pauschale Zulassung von Schulbüchern und insbesondere weiteren Lernmittel im Fach Deutsch für die Grundschule aufzuheben und Schulbücher wie Lernmittel im Fach Deutsch unter Genehmigungsvorbehalt zu stellen? FN4 Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich. Beschluss vom 15.10.2004. München 2005 Zu Frage 5: Die Zulassung von Lern- und Lehrmitteln im Unterricht an den Schulen im Land Brandenburg bestimmt sich nach der Verordnung über die Zulassung von Lernmitteln und über die Lernmittelfreiheit (LernMV). Hiernach dürfen Schulbücher nur benutzt werden, wenn sie einzeln oder pauschal zugelassen sind. Die Schulbücher im Fach Deutsch sind gemäß der LernMV pauschal zugelassen und können nach Entscheidung der Fachkonferenzen der Schulen auf der Grundlage des § 14 Absatz 3 des Brandenburgischen Schulgesetzes Verwendung finden. Lernmittel sind demnach zuzulassen, wenn sie Rechtsvorschriften nicht widersprechen, mit den grundlegenden Zielen und Inhalten der Rahmenlehrpläne vereinbar sind und nach methodischen und didaktischen Grundsätzen den pädagogischen Anforderungen genügen. Eine Abweichung von diesem Zulassungsverfahren bedarf einer Veränderung der Lernmittelverordnung. Für eine solche Einschränkung der Freiheit der Schulen ist kein Bedarf erkennbar. Die öffentlich getragenen Schulen des Landes Brandenburg wählen die Lernmittel auf der Grundlage der Lernmittelverordnung entsprechend ihren konkreten Bedingungen nach pädagogischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten aus. Hierzu beschließt die Konferenz der Lehrkräfte die Grundsätze für die Beschaffung von Lernmitteln an ihrer Schule. Die Fachkonferenzen wählen dann Schulbücher für ihre jeweiligen Fächer aus. Letztlich entscheidet die Konferenz der Lehrkräfte in Abstimmung mit dem jeweiligen Schulträger, welche Lernmittel beschafft werden und künftig an der Schule Verwendung finden. Frage 6: An Brandenburger Schulen werden zwischen 5000 und 6000 Kinder unterrichtet , deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Die meisten dieser Kinder besuchen die Grundschule. Wie bewertet die Landesregierung Methoden des Schreibens nach dem Gehör mit Blick auf die besonderen Anforderungen dieser Schülergruppe? Zu Frage 6: Jedes Kind muss auf dem Weg zum richtigen Schreiben der deutschen Sprache Einsicht in die Lautorientierung der Schrift gewinnen. Bestimmte phonologische Übungen zur Differenzierung der Laute im Deutschen sind nötig, um eine eindeutige Zuordnung zu den Buchstaben zu gewährleisten, was durch die Verwendung beispielsweise von Anlauttabellen erleichtert werden kann. Bei der Alphabetisierung in Lerngruppen mit Kindern nicht deutscher Herkunftssprache ergibt sich die schwierige Situation des parallelen Wortschatzerwerbs. Das muss bei jeder Leselernmethode Berücksichtigung finden.