Datum des Eingangs: 11.07.2016 / Ausgegeben: 18.07.2016 Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/4608 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 1801 der Abgeordneten Björn Lakenmacher, Danny Eichelbaum und Raik Nowka CDU-Fraktion Drucksache 6/4280 Anti-Kohle-Demonstrationen und -Aktionen durch „Ende Gelände" Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragesteller: Laut des Portals „Energiezukunft“ hat es im Februar 2016 ein Treffen des Aktionsbündnisses „Ende Gelände“ in Berlin mit über 100 Personen gegeben, um die Aktionen zum massiven zivilen Ungehorsam gegen die Kohleverstromung Brandenburg und Sachsen zu besprechen. „Ende Gelände“ hat sich an der Kampagne „Break Free“ beteiligt, die vom 3. bis zum 15. Mai 2016 etwa 20 Aktionen des zivilen Ungehorsams auf 6 Kontinenten durchführte. Vom 13. bis zum 15 Mai fand die Aktion „Ende Gelände“ statt. Neben einem Klimacamp wurde die Infrastruktur im Tagebau Welzow-Süd und im Kraftwerk Schwarze Pumpe sowie an weiteren technischen Anlagen blockiert. Hunderte von Menschen haben in verschiedenen Gruppen Orte besetzt und den Betrieb aufgehalten, um die Arbeiten möglichst lange zu stören. Frage 1: Ab wann war den Sicherheitsbehörden des Landes Brandenburg insbesondere der Polizei bekannt, dass Anti-Kohle-Demonstrationen und -Aktionen durch „Ende Gelände“ durchgeführt werden sollen? zu Frage 1: Seit Herbst 2015 bewarben die Initiatoren der kohlekritischen Initiative „Ende Gelände 2016 – Kohlebagger stoppen. Klima schützen“ Aktionen zivilen Ungehorsams im Rahmen eines Camps vom 9. bis 16. Mai 2016 in der Lausitz, unter anderem im Internet. Damit wurde das „Klimacamp“ und “Ende Gelände“ polizeilich bekannt. Frage 2: Ab wann war den Sicherheitsbehörden des Landes Brandenburg insbesondere der Polizei bekannt, dass durch „Ende Gelände“ die Infrastruktur der Tagebaue blockiert werden soll und hunderte von Menschen in verschiedenen Gruppen Orte besetzen und den Betrieb möglichst lange stören und aufhalten wollen? zu Frage 2: Über allgemeine Ankündigungen im Internet hinausgehende, konkrete Informationen zu Art und Weise geplanter Störaktionen lagen vor Beginn des Einsatzes der Polizei nicht vor. Darüber hinaus wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Frage 3: Warum hat die Polizei Brandenburg die Aktivisten die Infrastruktur im Tagebau Welzow-Süd und im Kraftwerk Schwarze Pumpe sowie an weiteren technischen Anlagen blockieren und besetzen lassen? zu Frage 3: Im Ergebnis der Lageeinschätzungen wurde die Entscheidung getroffen, den Gesamteinsatz als „Deeskalationseinsatz“ durchzuführen. Deeskalation heißt allerdings nicht die schrankenlose Hinnahme von Straftaten. Insofern war im Einzelfall zu entscheiden, welche Aktionen Straftatbestände erfüllen und dann polizeiliche Intervention bzw. Dokumentation zur Sicherstellung der Strafverfolgung erfordern. Grundlagen für diese Entscheidung waren neben der Geländeausdehnung von über 55 x 50 km auf Brandenburger Gebiet die hohe Anzahl von verletzten Polizisten und Demonstrationsteilnehmern im Rheinland im Jahr 2015 sowie der hohe Sachschaden beim dortigen RWE-Konzern. Zudem waren die hohen Teilnehmerzahlen zu berücksichtigen . Das Einsatzkonzept wurde u. a. sowohl mit Verantwortlichen der Fa. Vattenfall, als auch mit der ebenfalls von den Aktionen betroffenen Polizei des Freistaates Sachsen abgestimmt. Frage 4: Wie viele Personen wurden im Verlaufe der Pfingsttage im Zusammenhang mit den Anti-Kohle-Demonstrationen und -Aktionen festgenommen? zu Frage 4: Im gesamten Einsatzzeitraum durchliefen 178 Personen die Gefangenensammelstelle . Frage 5: Bei wie vielen der Festgenommenen konnte die Identität geklärt werden? zu Frage 5: Insgesamt wurden bei 146 Personen Identitätsfeststellungen durchgeführt , teilweise dauern Identitätsklärungen noch an. Frage 6: Gab es Fälle, in denen die Identität der Festgenommenen nicht festgestellt wurde? Wenn dies der Fall war, aus welchen Gründen wurde die Identität nicht ermittelt ? zu Frage 6: Ja. Die zweifelsfreie Identifizierung einiger Festgenommenen konnte aufgrund von Sekundenkleber an den Händen, fehlender Personaldokumente bzw. „geritzter“ Fingerkuppen sowie unter Beachtung der Strafprozessordnung zur „Dauer einer Freiheitsentziehung zum Zwecke der Feststellung der Identität“ nicht erfolgen. Frage 7: In wie vielen Fällen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet? zu Frage 7: Derzeit werden im Zusammenhang mit den Ereignissen um die „Anti- Kohle-Demonstrationen und –Aktionen“ insgesamt 24 Ermittlungsverfahren, u. a. auch gegen Personen, die nicht Teilnehmer der Demonstrationen waren, geführt. Frage 8: Wegen welcher Tatvorwürfe wird ermittelt? Ist es zu Sachbeschädigungen, Nötigungen und Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte gekommen? zu Frage 8: Es wird unter anderem wegen nachfolgender Tatvorwürfe ermittelt: - Gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr gemäß § 315 StGB - Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315c StGB - Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 StGB - Landfriedensbruch gemäß § 125 StGB - Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB - Verstoß Versammlungsgesetz. Frage 9: Welches Ausmaß haben die Sachbeschädigungen im Tagebau Welzow- Süd und im Kraftwerk Schwarze Pumpe sowie an weiteren technischen Anlagen des Bergbauunternehmens und Energieerzeugers nach dem aktuellen Ermittlungsstand ? zu Frage 9: Nach dem der Polizei vorliegenden vorläufigen Schadensbericht von der Fa. Vattenfall vom 19. Mai 2016 kam es zu folgenden Sachbeschädigungen: Im zentralen Eisenbahnbetrieb wurden Manipulationen, wie Entfernung von Splinten, Einbau von Schienenkrallen, an den Weichen und Schienen festgestellt, wodurch in der Folge am 17. Mai 2016 ein Zug entgleiste. Darüber hinaus wurden Weichenzungen ausgebaut und verkehrt herum wieder eingebaut sowie Signalanlagen manipuliert. Aufgrund der Gleisbesetzungen konnte der Kohlebunker des Kraftwerks Schwarze Pumpe nicht mehr mit Kohle befüllt werden. Als Folge reduzierte sich die elektrische Leistung und ein Block des Kraftwerkes musste vom Netz genommen werden. Des Weiteren wurden im Kraftwerk Schwarze Pumpe das Eingangstor deformiert, Zäune durch Verbiegen oder Umtreten beschädigt, die Druckknopfmelder der Brand- und Löschanlage eingeschlagen sowie Fassaden und Schilder beschmiert. Im Tagebau Welzow-Süd erfolgten diverse Manipulationen an den elektrischen Anlagen. Es wurden u. a. bei der Kohleverladung an den Stellantrieben der Bunkerbänder 4 und 5 die Verschraubungen der Einspeisekabel gelöst. An einer Kohleverladestelle wurden Kabel abgeklemmt und zahlreiche Sachbeschädigungen begangen, insbesondere wurden Geländerteile demontiert, Schutzgitter abgebaut sowie Feuerlöscher entleert. Frage 10: Handelte es sich bei den festgestellten Beschädigungen um das Ergebnis spontaner Gewaltausbrüche oder lassen die Beschädigungen auf planvolles Handeln schließen? zu Frage 10: Eine Aussage hierzu kann nicht vor Abschluss der Ermittlungen getroffen werden. Allerdings deuten Indizien, wie das Mitführen von Ausrüstungsgegenständen , auf ein planvolles Handeln hin. Frage 11: Ist die Stellung eines sogenannten ,,Parlamentarischen Beobachters" im Falle der Beteiligung an der Verübung von Straftaten rechtlich anders zu bewerten, als die der übrigen Demonstrations- bzw. Protestaktionsteilnehmer? zu Frage 11: Für den Fall, dass sich ein „Parlamentarischer Beobachter“ an Straftaten beteiligt, ist der Sachverhalt grundsätzlich nicht anders zu bewerten als bei übrigen Demonstrationsteilnehmern. Auf die Regelungen der „Immunität“ von Abgeordneten des Landtages (Artikel 58 der Verfassung des Landes Brandenburg) wird verwiesen . Frage 12: Wie ist beistehendes und moralisch unterstützendes Verhalten oder die Versorgung von sich außerhalb rechtlicher Normen bewegender Demonstrationsteilnehmer straf- und zivilrechtlich zu bewerten? zu Frage 12: Die straf- bzw. zivilrechtliche Bewertung von beistehendem und moralisch unterstützendem Verhalten oder die Versorgung von sich außerhalb rechtlicher Normen bewegenden Demonstrationsteilnehmern obliegt im Einzelfall den zuständigen Straf- bzw. Zivilgerichten. Frage 13: In welcher Höhe sind ein Schaden und ein Produktionsausfallschaden entstanden ? zu Frage 13: Durch die Fa. Vattenfall erfolgten gegenüber der Polizei unmittelbar nach dem Einsatz folgende konkrete Schadensangaben: - Außerbetriebnahme Fa. Vattenfall am 14. Mai 2016 (156.500 € durch verminderte elektrische Leistung) - Zukauf von Strom aufgrund vertraglicher Bindungen in Höhe von 22.500 €. Die Schadenshöhe ist als noch nicht abschließend zu betrachten. Vattenfall hat im Nachgang gegenüber der Landesregierung mündlich eine mögliche Schadensbilanz im Umfang von insgesamt einer Million Euro in den Raum gestellt. Frage 14: Welche zivilrechtlichen Ansprüche kann das Bergbauunternehmen und Energieerzeuger geltend machen? zu Frage 14: Die Bewertung von Fragen zivilrechtlicher Ansprüche des Bergbauunternehmens und Energieerzeugers obliegen der Bewertung durch die Gerichte der Zivilgerichtsbarkeit. Frage 15: Wann lagen die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen vor, die Anti- Kohle-Demonstration und -Aktionen von „Ende Gelände“ aufzulösen? zu Frage 15: Die Besetzungsaktionen/Blockaden waren nicht versammlungsrechtlich geschützt. Mit Bekanntwerden massiver Straftaten aus dem „Klimacamp“ und „Ende Gelände“ wurde durch die Stadt Welzow eine Ordnungsverfügung erlassen. Die Teilnehmer des Klimacamps wurden aufgefordert, das Klimacamp bis Sonntag, 15. Mai 2016, 13:00 Uhr, zu verlassen. Bei Nichtbefolgen wurde die Räumung auch unter Anwendung des unmittelbaren Zwanges angedroht. Ein entsprechendes Amtshilfeersuchen ist an die einsatzführende Polizeidirektion ergangen. Eine Räumung wurde aufgrund bevorstehender Abreise der Teilnehmer nicht durchgeführt. Für die dem Versammlungsrecht zuzuordnenden Aktionen (Mahnwachen, Anti-Kohle- Demonstrationen) lagen diese Voraussetzungen nicht vor. Frage 16: Waren die Anti-Kohle-Demonstration und -Aktionen von „Ende Gelände“ unfriedlich, weil die Handlungen von einiger Gefährlichkeit zeugten, wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten ? zu Frage 16: Eine Vielzahl der im Zusammenhang stehenden Anti-Kohle- Demonstration und -Aktionen von „Ende Gelände“ verliefen friedlich. Darüber hinaus kam es aber durch Teilnehmer zu Blockaden und Besetzungen und zu aggressiven Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen. Dies dokumentiert sich in der hohen Anzahl von Ermittlungsverfahren (siehe Antwort zu Fragen 7 und 8). Mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. u. a. „Brokdorf-Beschluss“ vom 14. Mai 1985, BVerfGE 69, 315) ist eine Versammlung als Ganzes nur dann unfriedlich, wenn die Prognose mit hoher Wahrscheinlichkeit ergibt, dass die Versammlung im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt. Steht dies nicht zu befürchten, muss der Schutz der Versammlungsfreiheit für die friedli- chen Teilnehmer der Versammlung auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne Demonstranten oder einen Minderheit Ausschreitungen begehen. Frage 17: Das Bundes Verfassungsgericht hat entschieden, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit keinen Zutrittsrecht zu beliebigen Orten verschafft. Insbesondere gewährt es dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Fehlte den Teilnehmern der Anti-Kohle- Demonstration und -Aktionen im Tagebau Welzow-Süd und im Kraftwerk Schwarze Pumpe sowie an weiteren technischen Anlagen ein konkretes Nutzungsrecht, so dass bereits der Schutzbereich des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nicht eröffnet war? Können die hier betroffenen Energieinfrastruktureinrichtungen als wirkungsmächtiger Versammlungsort am Garantiegehalt der Art. 8 Absatz 1 GG, Art. 23 Absatz 1 Verfassung des Landes Brandenburg teilhaben? zu Frage 17: Die angemeldeten und bestätigten Versammlungen fanden auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen statt. Sowohl aus der Anti-Kohle-Demonstration am 14. Mai 2016 als auch aus den Mahnwachen gab es keine Störungen auf betrieblichen Liegenschaften der Fa. Vattenfall. Nach den vorliegenden Unterlagen (Geschäftsbericht Fa. Vattenfall) sind die Besitzanteile am Kraftwerk Schwarze Pumpe und Tagebau Welzow (Vattenfall Europe Generation AG & Co. KG) zu 100 Prozent in privater Hand. Damit handelt es sich um rein privatrechtliche Liegenschaften. Personen , die in den Tagebau und auf das Betriebsgelände eingedrungen sind, gehörten nicht zu einer angemeldeten Versammlung. Die Aktionen waren nicht vom Versammlungsrecht geschützt. Den Personen stand kein Nutzungsrecht zu. Der Tagebau Welzow hat eine flächenmäßige Ausdehnung von ca. 250 Quadratkilometern. Die Zugänglichkeit dieses Gebietes ist über ehemalige öffentliche Straßen und Wege des Siedlungsgebietes gegeben. Das Gebiet ist durch Schilder und Schranken als Betriebsgelände gekennzeichnet. Die Größe des Geländes lässt jedoch eine lückenlose Kennzeichnung nicht zu. Organisatoren von „Ende Gelände“ wiesen darauf hin, dass Schilder auch verlorengehen könnten. Ob sich Personen insoweit auf einen strafrechtlich relevanten Irrtum berufen können, unterliegt der Bewertung durch die Strafgerichtsbarkeit. Das Kraftwerk Schwarze Pumpe ist ein umfriedetes Gelände. An den offiziellen Kraftwerkseinfahrten werden Zugangskontrollen durch Werkschutz durchgeführt. Insofern können die Energieinfrastruktureinrichtungen nicht als „wirkungsmächtiger Versammlungsort“ am Garantiegehalt der Art. 8 Absatz 1 GG, Art. 23 Absatz 1 Verfassung des Landes Brandenburg „teilhaben“.