Datum des Eingangs: 17.08.2016 / Ausgegeben: 22.08.2016 Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/4915 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 1993 des Abgeordneten Christoph Schulze BVB/FREIE WÄHLER Gruppe Drucksache 6/4805 Folgen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. November 2015 zum Kommunalabgabengesetz (KAG) - für die Bürgerinnen und Bürger Erfolgreiche Verfassungsbeschwerden gegen die rückwirkende Festsetzung von Kanalanschlussbeiträgen - Urteil 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen des Fragestellers: Die gerichtlichen Auseinandersetzungen rund um die Problematik der sogenannten „Altanschließer“ drehen sich um die politische Frage, ob die Beitragsbescheide und Geldforderungen für Wasser- und/oder Abwasseranschlüsse der Grundstücke in Brandenburg die vor dem Jahr 1990 installiert wurden anerkannt werden oder rechts- und verfassungswidrig waren. Für die betroffenen Grundstückseigentümer ist nicht einsichtig, warum sie Wasserund /oder Abwasseranschlußbeiträge für vor 1990 vorhandene Wasserund /oder Abwasseranschlüsse zahlen sollen. Sie lehnen es ab, für Wasserund /oder Abwasseranschlüsse erneut zu zahlen, die bereits 1990 vorhanden waren, bzw. sind. Es gibt Forderungen an Grundstückseigentümer für Wasserund /oder Abwasseranschlußbeiträge für vor 1990 vorhandene Wasserund /oder Abwasseranschlüsse, obwohl im Kommunalabgabengesetz unter dem Paragraphen 18 gesetzlich geregelt ist, dass „Aufwand für Investitionen in leitungsgebundene Einrichtungen oder Anlagen, der vor dem 3. Oktober 1990 entstanden ist, ist nicht beitragsfähig“ ist. Im Jahr 2004 waren mögliche Forderungen für Wasser- und/oder Abwasseranschlüsse aus den Jahren von 1990 bis 2000 zudem verjährt. Mit der Novellierung des § 8 Abs. 7 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes im Jahr 2004 durch die seiner Zeit amtierende Landesregierung wurde mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgericht vom 12. November 2015 höchstrichterlich festgestellt, dass die von der Landesregierung Brandenburg organisierte Rechtsanwendung des im Jahr 2004 geänderten Paragraphen 8 des Brandenburger KAG eine unzulässige echte Rückwirkung entfaltet. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes wurde mit der Novellierung des § 8 Abs. 7 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes im Jahr 2004 verletzt. Und Zitat: „Das allgemeine Ziel der Umgestaltung des Abgabenrechts sowie fiskalische Gründe rechtfertigen die rückwirkende Abgabenbelastung hier nicht; dies gilt auch vor dem Hintergrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung.“ Vorbemerkungen der Landesregierung: Entgegen der Darstellung des Abgeordneten wurden Anschlussbeiträge für sog. „altangeschlossene“ Grundstücke nicht für vor 1990 vorhandene Wasser- und Abwasseranschlüsse erhoben, sondern nur zur Deckung des den Aufgabenträgern nach dem 3. Oktober 1990 entstandenen Herstellungsaufwands für die öffentliche Einrichtung. § 18 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg (KAG) diente ausweislich der Gesetzesbegründung (LT Drs. 4/7225) lediglich der Klarstellung. Das Bundesverfassungsgericht hat auch nicht § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG in der seit dem 1. Februar 2004 geltenden Fassung für verfassungswidrig erklärt, sondern lediglich die Anwendung der Vorschrift auf Fälle, in denen Beitragserhebungen nach der bis dahin geltenden Fassung nicht mehr möglich gewesen wären. Es hat auch nicht entschieden, dass diese Beiträge verjährt sind, sondern dies sogar ausdrücklich verneint. Frage 1: Trifft es zu, dass mit dem Beschluss 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 des Bun-desverfassungsgericht die seit 2004 im Land Brandenburg praktizierte rückwirkende Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n.F. in bestimmten Fällen verfassungswidrig ist? zu Frage 1: Ja. Frage 2: Trifft es zu, dass mit dem Beschluss 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 des Bundesverfassungsgerichtes grundsätzlich alle Grundstücke nicht rückwirkend zu Beitragszahlungen für Wasser- und/oder Abwasseranschlüsse (sogenannte „Altanschließer “) hätten herangezogen werden dürfen, die bereits vor dem 1.1.2000 über Wasser- und/oder Abwasserversorgungsanschlüsse verfügten? zu Frage 2: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Erhebung von Beiträgen für Grundstücke, für die nach der bis zum 1.2.2004 geltenden Fassung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Beitragserhebungen nicht mehr möglich gewesen wären, gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstößt. Darunter können grundsätzlich alle Grundstücke fallen, die bis zum 1.1.2000 bereits an die öffentliche Wasserver - bzw. Abwasserentsorgungsanlage angeschlossen werden konnten, demnach auch die sog. „altangeschlossenen“ Grundstücke. Es bedarf jedoch einer Prüfung im Einzelfall. Frage 3: Trifft es zu, dass bei jeglicher Zweckverbandsneugründung oder bei einem Zweckverbandszusammenschluss die Regelungen des Paragrafen 35 GKGBbg greifen und der neue Verband damit die Rechtsnachfolge der/des vorherigen Aufgabenträgers antritt? zu Frage 3: § 35 Abs. 1 GKGBbg regelt den Zusammenschluss von bestehenden Zweckverbänden durch Neubildung (Absätze 1 und 2) bzw. durch Eingliederung (Absatz 3). Für diese Fälle bestimmt § 35 Absatz 1 Satz 5 GKGBbg, dass der neugebildete bzw. aufnehmende Zweckverband Rechtsnachfolger der an der Neubildung beteiligten (aufgelösten) Zweckverbände bzw. des (aufgelösten) eingegliederten Zweckverbandes ist. Für die erstmalige Bildung eines Zweckverbandes im Wege der Vereinbarung einer Verbandssatzung durch die Verbandsmitglieder (§ 10 Abs. 1 i.V.m. § 13 Abs. 1 GKGBbg) sieht das Gesetz hingegen keine Rechtsnachfolge vor. Zweckverbände sind daher weder zivilrechtlicher Teil- noch Gesamtrechtsnachfolger der sie bildenden (weiterbestehenden) Verbandsmitglieder. Dies gilt auch dann, wenn bestimmte kommunale Aufgaben in die eigene Zuständigkeit des Zweckverbandes übertragen wurden (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKGBbg) und nach § 3 Abs. 3 GKGBbg damit alle mit der Trägerschaft dieser Aufgaben verbundenen Rechte und Pflichten auf den Zweckverband übergehen (Funktionsnachfolge; vgl. auch OLG Brandenburg, Urteil vom 11.02.2004, Az.: 4 U 26/03). Frage 4: Trifft es zu, dass bei Gemeindebeitritten, in Anlehnung an die Paragraphen 6 und 7 der Brandenburger Kommunalverfassung, der neue Gemeindeverbund die Rechtsnachfolge der Vorgänger antritt? zu Frage 4: Nein. Frage 5: Trifft es zu, dass mit dem Beschluss 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 für nicht bestandkräftige Bescheide ca. 210 Mio. Euro verpflichtend zurückgezahlt werden müssen? zu Frage 5: Der genannte Betrag für die Rückzahlung von Beiträgen für noch nicht bestandskräftige Bescheide basiert auf einer Datenerhebung des Landeswasserverbandstags Brandenburg e. V. (LWT) und kann daher von der Landesregierung nicht verifiziert werden. Frage 6: Trifft es zu, dass mit dem Beschluss 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 Bescheide , die z. B. wegen Ratenzahlungen noch nicht vollständig bezahlt wurden nicht vollstreckt werden dürfen und die bereits gezahlten Beiträge zurückgezahlt werden müssen? zu Frage 6: Nach der gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a KAG i.V.m. § 251 Abs. 2 Satz 1 AO anwendbaren Vorschrift des § 79 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz folgt für bereits bestandskräftige Bescheide aus dem Beschluss des BVerfG vom 12. November 2015 ein Vollstreckungsverbot. Ein Anspruch auf Erstattung bereits erfolgter Zahlungen besteht bei bestandskräftigen Bescheiden jedoch nicht. Frage 7: Trifft es zu, dass mit dem Beschluss 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 für bestandkräftige Bescheide ca. 400 Mio. Euro eine Beitragsrückzahlung nach §130 Abs. 1 Abgabenordnung rechtlich zulässig ist? zu Frage 7: Der genannte Betrag für die nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 rechtswidrigen, bestandskräftigen Bescheide basiert auf der zu Frage 5 genannten Datenerhebung des LWT. Die Aufhebung dieser Bescheide gemäß § 130 Abs. 1 AO liegt im Ermessen der jeweiligen kommunalen Aufgabenträger.