Datum des Eingangs: 06.12.2016 / Ausgegeben: 12.12.2016 Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/5585 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 2242 der Abgeordneten Ursula Nonnemacher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 6/5390 Leistungsmissbrauch in der ambulanten Hilfe zur Pflege – Stand im Land Brandenburg Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit , Frauen und Familie die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragesteller: Das Land Nordrhein-Westfalen verpflichtet seit dem 30.06.2016 alle ambulant tätigen Pflegedienste, ihre Tätigkeit bei den dort zuständigen Behörden anzumelden. Dies soll eine bessere Kenntnis und Kontrollmöglichkeit über die Pflegedienste geben. Ambulante Dienste im Land Brandenburg müssen ihre Daten bisher nur den Pflegekassen vorlegen. Die gegenüber stationären Einrichtungen geringere öffentliche Kontrolle bei ambulanten Pflegediensten wird derzeit aufgrund von Abrechnungsbetrugsfällen öffentlich diskutiert. Auch im Land Brandenburg stehen einzelne Pflegedienste unter dem Verdacht des Pflegebetrugs. Pflegebetrug richtet sich nicht nur gegen die Sozialversicherungsträger, sondern auch gegen die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, die Kommunen als Träger der Sozialhilfe, und vor allem gegen die Pflegebedürftigen selbst. Gerade pflegebedürftige Menschen sind in höchstem Maße verletzlich. Sie benötigen Strukturen mit einer bestmöglichen Versorgungssicherheit. Die Diskussion um Abrechnungsbetrug birgt zudem die Gefahr, dass kriminelle Machenschaften Einzelner die gesamte Branche in Verruf bringen. In einer Antwort auf die mündliche Anfrage Nr. 478 in der 27. Sitzung des Landtages Brandenburg am 27.04.2016 zu den Möglichkeiten der Landesregierung, über ihre Aufsichtsmöglichkeiten systematischen Abrechnungsbetrug aufdecken zu können, antwortete Ministerin Golze unter anderem, die Landesregierung sei gerne bereit, eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung des Prüfsystems und der gesetzlichen Grundlagen dafür zu unterstützen. Frage 1: Wie viele Strafanzeigen wegen Abrechnungsbetrugs oder möglichen anderen Delikten im Zusammenhang mit der ambulanten Hilfe zur Pflege oder Privatpersonen wurden in den letzten fünf Jahren im Land Brandenburg gestellt? Bitte nach Jahren sowie Landkreisen und kreisfreien Städten aufschlüsseln. In wie vielen Fällen wurde Anklage erhoben? zu Frage 1: Bei den Staatsanwaltschaften des Landes Brandenburg erfolgt keine spezifische statistische Erfassung von Verfahren wegen Abrechnungsbetruges oder möglicher anderer Delikte im Zusammenhang mit der ambulanten Pflege, sodass hierzu keine validen Auskünfte gegeben werden können. Nach Auskunft der AOK Nordost – Die Gesundheitskasse wurden durch die Kostenträger im Land Brandenburg in der ambulanten Pflege einschließlich der häuslichen Krankenpflege in den Jahren 2011 bis 2016 insgesamt 66 Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft in Potsdam gestellt. Eine Differenzierung dieser Strafanzeigen nach Landkreisen und kreisfreien Städten bzw. eine Aussage, in wie vielen Fällen Anklage erhoben wurde, ist nach Auskunft der AOK Nordost aufgrund der Datenlage nicht möglich. Frage 2: In wie vielen Fällen a) kam es zur Kündigung des Versorgungsvertrags durch die Pflegekassen? b) wurde den Pflegediensten der Betrieb untersagt? c) kam es nach der Anklage zur Verurteilung der Angeklagten? Bitte aufschlüsseln nach Geld- oder Freiheitsstrafen. zu Frage 2: zu Buchstaben a) und b): Die Fragen nach der Anzahl der Kündigungen des Versorgungsvertrages und der Anzahl der erfolgten Betriebsuntersagungen werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Kündigung des Versorgungsvertrages entzieht einem Pflegedienst die Zulassung zur Leistungserbringung , sodass es einer gesonderten Erklärung einer Betriebsuntersagung nicht bedarf. Nach Auskunft der AOK Nordost – Die Gesundheitskasse wurde in dem benannten Zusammenhang bisher kein Versorgungsvertrag eines Pflegedienstes gekündigt , da entweder Ermittlungsverfahren noch andauern oder diese mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO) bzw. nach § 153 StPO wegen Geringfügigkeit eingestellt wurden. zu Buchstabe c): Hierzu liegen der Landesregierung keine statistischen Erhebungen vor. Frage 3: Welche Aktivitäten unternimmt das Land Brandenburg insgesamt, um den Leistungsmissbrauch in der ambulanten Pflege zu vermeiden und im Rahmen welcher Maßnahmen werden die Landkreise und kreisfreien Städte sowie die Städte und Gemeinden dabei unterstützt? Welche Maßnahmen sind für die nächsten Jahre geplant ? Wenn jeweils nein, warum nicht? zu Frage 3: Die Aufgabe der Verhinderung von Leistungsmissbrauch in der ambulanten Pflege hat der Bundesgesetzgeber den Kranken- und Pflegekassen zugewiesen. Die strafrechtliche Verfolgung entsprechender Vorfälle obliegt den Strafverfolgungsbehörden . Jeder Pflegedienst benötigt für die Erbringung von Pflegeleistungen eine Zulassung durch die Verbände der Pflegekassen im Land Brandenburg durch Abschluss eines Versorgungsvertrages. Gemäß § 72 Absatz 2 Satz 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) i.V.m. § 8 Absatz 3 Satz 1 des Landespflegegesetzes ist in diesem Verfahren das Einvernehmen mit dem zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe herzustellen. Nach der Zulassung haben die Landesverbände der Pflegekassen nach § 114 Absatz 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) jeden Pflegedienst im Abstand von höchstens einem Jahr (Regelprüfung) bzw. bei Vorliegen eines Anlasses (Anlassprüfung) prüfen zu lassen. Dies erfolgt durch Beauftragung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin- Brandenburg e.V., des Prüfdienstes des Verbandes der privaten Krankenversiche- rung e.V. oder durch von ihnen bestellte Sachverständige. Die zuständigen Träger der Hilfe zur Pflege haben daneben gemäß § 75 Absatz 3 Satz 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) das Recht, die Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistung zu prüfen. Daneben muss jede Kranken- und Pflegekasse nach §§ 197a SGB V bzw. 47a SGB XI eine „Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen “ vorhalten. Diese Prüfungs- und Ermittlungsstellen müssen allen Hinweisen und Sachverhalten nachgehen, die auf Unregelmäßigkeiten oder auf eine rechtswidrige Nutzung von Finanzmitteln hindeuten. Sie arbeiten hierfür verpflichtend auch mit den Trägern der Sozialhilfe zusammen. Zum 1. Januar 2016 hat der Bundesgesetzgeber relevante Erweiterungen der Handlungsmöglichkeiten und Handlungsverpflichtungen der Kranken- und Pflegekassen vorgenommen. So sind seitdem Anlassprüfungen auch in ambulanten Pflegediensten grundsätzlich unangemeldet durchzuführen. Die Abrechnung von Leistungen gehört nunmehr verpflichtend zum Prüfungsinhalt der Regelprüfung. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen wurden zudem neue Straftatbestände der Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen in das Strafgesetzbuch eingeführt und die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen gestärkt. Die Landesregierung sieht keinen Anlass, an der Wirksamkeit dieser Maßnahmen zu zweifeln . Über diese gesetzlich zugewiesenen Zuständigkeiten hinausgehende landesseitige Aktivitäten sind daher bislang nicht geplant. Hinzu tritt, dass die etwa im Land Berlin festgestellte Dimension der Vorfälle (vgl. Antwort des Senates zu der in wesentlichen Teilen wortgleichen Schriftlichen Anfrage vom 18. November 2015, Drucksache 17/18 791) in Brandenburg bisher nicht festgestellt werden kann. Frage 4: Welche Arbeitsgruppen tagen auf Landesebene sowie auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte und der von Städten und Gemeinden regelmäßig rund um die ambulante Hilfe zur Pflege und welche konkreten Ergebnisse haben sie insbesondere in Bezug auf die Bekämpfung von Missbrauch in der ambulanten Hilfe zur Pflege bisher erzielt? zu Frage 4: Auf Landesebene tagen die auf der Grundlage des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (AG-SGB XII) gebildeten Gremien der Brandenburger Kommission und des Brandenburger Steuerungskreises zu Fragen der Umsetzung der Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Zu diesen Leistungen zählt die Hilfe zur Pflege gemäß des siebten Kapitels SGB XII. Kenntnisse zu Arbeitsgruppen auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte sowie Ergebnisse in Bezug auf die Bekämpfung von Missbrauch in der ambulanten Hilfe zur Pflege liegen hier nicht vor. Frage 5: Wie haben sich die Ausgaben der Städte und Gemeinden als Träger von SGB XI Leistungen in den letzten fünf Jahren entwickelt? zu Frage 5: Die Landkreise und kreisfreien Städte sind als die örtlichen Träger der Sozialhilfe auch sachlich zuständige Träger der Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem siebten Kapitel SGB XII (§ 4 Absatz 1 Nummer 2 AG-SGB XII). Gemäß den Ergebnissen aus der Kostenerstattung des dritten Abschnitts AG-SGB XII haben sich die (Netto-)Aufwendungen für Leistungen der ambulanten Hilfe zur Pflege der Landkreise und kreisfreien Städte in diesem Bereich in den letzten fünf Jahren wie folgt entwickelt: Jahr Nettoaufwendungen 2011 11.213.972 € 2012 11.049.186 € 2013 10.697.102 € 2014 11.827.687 € 2015 12.703.723 € Frage 6: Wie viele Dienstkräfte sind bei Polizei und Justiz vorrangig mit der Bekämpfung von Leistungsmissbrauch in der ambulanten Hilfe zur Pflege befasst? Gibt es spezialisierte Abteilungen oder feste Ansprechpartner*innen bei Polizei und Staatsanwaltschaft ? zu Frage 6: In der Polizei des Landes Brandenburg sind keine Organisationeinheiten eingerichtet, die sich speziell und ausschließlich mit der Bearbeitung des angefragten Kriminalitätsphänomens befassen. Je nach Fallbeurteilung kommen hierfür das Kriminalkommissariat der Polizeiinspektionen, das Kriminalkommissariat Besondere Eigentumsdelikte der Polizeidirektionen oder in besonders herausragenden Fällen die Bearbeitung im Landeskriminalamt in Betracht. Insoweit sind Angaben zum konkret eingesetzten Personal auch in anzahlbezogener Hinsicht nicht möglich. Entsprechend einer im Januar 2013 zwischen dem Generalstaatsanwalt und den Leitenden Oberstaatsanwältinnen und -anwälten des Landes Brandenburg vereinbarten Verfahrenskonzentration werden Verfahren wegen Abrechnungsbetruges in der Pflege seit diesem Zeitpunkt ausschließlich von der Staatsanwaltschaft Potsdam bearbeitet. Mit der Bearbeitung dieser Verfahren sind dort derzeit zwei Dezernentinnen und Dezernenten befasst. Bei Verfahren von besonderem Umfang erfolgt eine Bearbeitung durch die bei der Staatsanwaltschaft Potsdam eingerichtete Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Frage 7: Wie ist die Zusammenarbeit mit den Pflegekassen zur Bekämpfung von Leistungsmissbrauch in der ambulanten Pflege im Land Brandenburg geregelt? Nach welchen Verfahren prüfen die Kassen Betrugsvorwürfe, wie viele Prüfungsanfragen gab es in den letzten fünf Jahren und was waren die Ergebnisse? zu Frage 7: Die bei den Pflegekassen angesiedelten Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen (s. Antwort zu Frage 3) sind nach § 47a Absatz 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. § 197a Absatz 3 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) verpflichtet, untereinander, mit den Krankenkassen, den Kassenärztlichen Vereinigungen und den für die Hilfe zur Pflege zuständigen Trägern der Sozialhilfe zusammenzuarbeiten. Hierfür dürfen sie personenbezogene Daten, die von ihnen zur Erfüllung der Aufgaben erhoben oder an sie weitergegeben oder übermittelt wurden, untereinander übermitteln, soweit dies für die Feststellung und Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen erforderlich ist. Die Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften wird in § 197a Absatz 4 SGB V explizit geregelt. Demnach ist diese bei Vorliegen eines Anfangsverdachts auf strafbare Handlungen mit nicht nur geringfügiger Bedeutung unverzüglich zu unterrichten. Gemäß § 197a Absatz 2 Satz 1 kann sich jede Person an diese Stelle und die hier tätigen Organisationen wenden. Die Stellen sind verpflichtet, den Hinweisen nachzugehen, wenn sie auf Grund der einzelnen Angaben oder der Gesamtumstände glaubhaft erscheinen. Zur Anzahl der getätigten Hinweise liegen der Landesregierung keine Angaben vor. Im Übrigen wird auf die Antwort zu der Frage 1 verwiesen. Frage 8: Was unternimmt die Landesregierung, um auf Bundesebene auf Maßnahmen hinzuwirken, mit denen dazu beigetragen werden kann, Leistungsmissbrauch in der ambulanten Hilfe zur Pflege vermeiden? zu Frage 8: Die in der Antwort zu Frage 3 beschriebenen Erweiterungen der Handlungsmöglichkeiten und Handlungsverpflichtungen der Kranken- und Pflegekassen bei der Verhinderung und der Bekämpfung von Abrechnungsbetrug gehen auf die Initiative der Länder zurück bzw. wurden von diesen unterstützt. Die Möglichkeiten zur weiteren Effektivierung des Prüfsystems sind zudem Gegenstand der diesjährigen Konferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder. Entsprechende Vorschläge hat der Bundesrat auch im Gesetzgebungsverfahren zum Dritten Pflegestärkungsgesetz eingebracht.