Datum des Eingangs: 22.12.2016 / Ausgegeben: 27.12.2016 Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/5756 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 2282 der Abgeordneten Ursula Nonnemacher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 6/5515 Polizeieinsatz im Kulturzentrum Rathenow Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragestellerin: Am Mittwoch, den 26. Oktober 2016 veranstaltete eine Künstlergruppe, die sich nach den zahlreichen im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlingen „Freunde der toten Kinder“ nennt, eine Ausstellung im Foyer des Kulturzentrums Rathenow. Um 17.39 Uhr erstatte ein Akteur des flüchtlingsfeindlichen, der Pegida nahestehenden sog. „Bürgerbündnisses Havelland“ bei der Polizei Strafanzeige wegen Beleidigung und Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte. Um 18.06 traf die Polizei vor Ort ein. Zu diesem Zeitpunkt war die Ausstellung bereits beendet und die Räumlichkeiten waren verschlossen. Nach Auskunft von Innenminister Schröter in der 36. Plenarsitzung des Landtages wurde der Polizei durch das Personal des im Kulturzentrum befindlichen Cafés Zugang zu den Räumlichkeiten der Ausstellung verschafft. Im Bereich der Ausstellung waren Broschüren ausgelegt, die die Aktionen der „Freunde der toten Kinder“ dokumentieren und auf denen ein Porträt des Anzeigenerstatters abgebildet war. Die Polizeibeamten nahmen laut Auskunft des Ministers ein Exemplar mit. Presseberichten zufolge hielt sich zudem der Anzeigenerstatter im Foyer auf. Es fehlten am Ende alle 25 bis 30 Broschüren. Die Leiterin des Kulturzentrums erfuhr von den Ereignissen erst am darauffolgenden Tag. Bereits im Frühjahr dieses Jahres war es in Rathenow zu einer umstrittenen Beschlagnahme eines Transparents der Künstlergruppe aufgrund einer Anzeige dieses Akteurs gekommen . Frage 1: Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgte das Betreten des Kulturzentrums durch die Polizei und die Mitnahme der Broschüre? Frage 2: Wer hat die Polizei zum Betreten der verschlossenen Räumlichkeiten des Kulturzentrums ermächtigt und war diese Person aus Sicht der Landesregierung hierzu befugt? Frage 3: Hätte die Polizei nach Auffassung der Landesregierung prüfen müssen, ob es sich bei Gaststätte und Kulturzentrum um eigenständige wirtschaftliche Einheiten handelt? Wenn ja, warum ist dies nicht erfolgt, wenn nein, warum nicht? zu den Fragen 1 bis 3: Zur Verfolgung einer Straftat und Aufklärung des Sachverhaltes (Strafanzeige wegen Beleidigung) wurde der Polizei der Zugang zu den Räumlichkeiten der Ausstellung „Freunde der toten Kinder“ freiwillig durch das Personal des im Kulturzentrum befindlichen Cafés über eine Durchgangstür gewährt. Den Schlüssel dafür hatten die Mitarbeiter – den eigenen Angaben zufolge – vom Hausmeister des Kulturhauses genau zu dem Zweck erhalten. Demzufolge gingen die Beamten davon aus, dass ihnen der Zutritt durch den Hausrechtsinhaber oder zumindest durch eine von ihm berechtigte Person ermöglicht wurde. Einer gesetzlichen Eingriffsbefugnis bedurfte das Betreten der Ausstellungsräume unter diesen Voraussetzungen nicht. Im Bereich der Ausstellung waren unter anderem die besagten Broschüren zur kostenfreien Mitnahme ausgelegt. Ein Exemplar dieser Broschüren wurde nach § 94 Strafprozessordnung (StPO) zum Zwecke der Beweissicherung sichergestellt . Inwiefern sich der Anfangsverdacht der Beleidigung erhärtet und ob noch andere Straftatbestände, z. B. nach dem Kunsturhebergesetz, erfüllt sind, ist zurzeit Gegenstand kriminalpolizeilicher bzw. staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Frage 4: War der Polizeieinsatz nach Auffassung der Landesregierung rechtmäßig? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? zu Frage 4: Ja. Dem Legalitätsprinzip folgend, führte die Polizei Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts einer Straftat (Beleidigung, ggf. Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz ). Damit lagen die Voraussetzungen für polizeiliche Maßnahmen, u. a. die Sicherstellung von Beweismitteln, vor. Frage 5: Hätten die Maßnahmen eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses bedurft ? Wenn nein, warum nicht? zu Frage 5: Nein, siehe Antwort zu den Fragen 1 bis 3. Frage 6: Wie bewertet die Landesregierung den Polizeieinsatz vor dem Hintergrund der Kunst- und Meinungsfreiheit? zu Frage 6: Polizeiliches Handeln unterliegt zum einen dem Legalitätsprinzip, d. h. bei Vorliegen des Verdachts einer Straftat sind Ermittlungen aufzunehmen, der Sachverhalt ist zu erforschen und erforderliche Maßnahmen sind zu treffen. Ob und inwieweit Tathandlungen ggf. durch die Kunst- oder Meinungsfreiheit gedeckt sind, ist Gegenstand der Ermittlungen. Zum anderen ist durch die Polizei bei Auseinandersetzungen widerstreitender Parteien Neutralität zu wahren (Neutralitätsgebot). Vor diesem Hintergrund sind die in diesem Zusammenhang getroffenen Maßnahmen, auch mit Blick auf die Kunst- und Meinungsfreiheit, nicht zu beanstanden. Frage 7: War beim Betreten der Räumlichkeiten des Kulturzentrums und bei der Mitnahme der Broschüre durch die Polizeibeamten der Anzeigenerstatter anwesend? Wenn ja, war dies rechtmäßig? zu Frage 7: Ja. Der Anzeigenerstatter war als Geschädigter und damit als Zeuge rechtmäßig anwesend. Seine Anwesenheit war insbesondere geeignet und erforderlich , um die als Beweismittel benötigten Unterlagen zu identifizieren. Frage 8: Liegen dem Ministerium Kenntnisse über den Verbleib der übrigen Broschüren vor? Wenn ja, welche? zu Frage 8: Nein. Frage 9: Wurde aufgrund des Fehlens der Broschüren ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und wenn ja, mit welchem Ergebnis? zu Frage 9: Nein. Bisher wurde hierzu durch Berechtigte weder eine Anzeige erstattet noch Strafantrag gestellt. Frage 10: Wie ist der Stand des Ermittlungsverfahrens aufgrund der Anzeige des flüchtlingsfeindlichen Akteurs des „Bürgerbündnisses Havelland“? Sind die Ermittlungen abgeschlossen und wenn ja, mit welchem Ergebnis? zu Frage 10: Das Verfahren wurde zur rechtlichen Würdigung an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Ein Ergebnis liegt noch nicht vor. Frage 11: Gab es nach der Beschlagnahme des Transparents im Frühjahr und nach den aktuellen Ereignissen jeweils eine Auswertung des Einsatzes? Mit welchem Ergebnis ? zu Frage 11: Beide Einsätze wurden mit den betreffenden Mitarbeitern und Führungskräften ausgewertet. Die getroffenen polizeilichen Maßnahmen wurden im Ergebnis insgesamt jeweils als korrekt und verhältnis-mäßig eingeschätzt. Frage 12: Welche Maßnahmen zur Sensibilisierung der Beamten für die Belange der Kunst- und Meinungsfreiheit wurden ergriffen? Sind angesichts der aktuellen Ereignisse weitere Maßnahmen geplant? zu Frage 12: In der Gesamtbewertung bietet der konkret vorliegende Sachverhalt bisher keine Grundlage für eine anlassbezogene Sensibilisierung aller Bediensteten hinsichtlich der Belange der Kunst- und Meinungs-freiheit.