Datum des Eingangs: 27.12.2016 / Ausgegeben: 02.01.2017 Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/5762 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2278 des Abgeordneten Thomas Jung der AfD-Fraktion Drucksache 6/5492 Verfassungswidrige überlange Untersuchungshaft wegen Personalnot in der Brandenburgischen Justiz Namens der Landesregierung beantwortet der Minister der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Fragesteller: Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 13.10.2016 (2 BvR 1275/16) der Beschwerde eines Mannes gegen einen Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts mit der Feststellung stattgegeben, dass aufgrund gravierender rechtsstaatlicher Verfahrensverzögerungen die gegen ihn verhängte überlange Untersuchungshaft gegen das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsverbot verstoßen habe. Das Bundesverfassungsgericht führt in seiner Urteilsbegründung dazu unter anderem aus: „II. „Das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg wäre verpflichtet gewesen, für die ausreichende personelle Ausstattung des Landgerichts Potsdam Sorge zu tragen. Die infolge der mangelhaften personellen Ausstattung eingetretene Verzögerung verletze das verfassungs-rechtlich verankerte Beschleunigungsgebot .“ Des Weiteren: „III. 2. 2. Das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg hat, soweit der Beschwerdeführer eine mangelnde personelle Ausstattung des Landgerichts Potsdam und eine Verletzung der Justizgewährungspflicht gerügt hat, darauf hingewiesen, dass die Personalausstattung unter Zugrundelegung des bundesweit einheitlich angewandten Berechnungssystems dem Personalbedarf Rechnung trage. Es sei nicht möglich und auch durch den Justizgewährleistungsanspruch nicht geboten, richterliche Arbeitskraft in solchem Umfang in Reserve zu halten, dass jeder unvorhergesehene krankheitsbedingte Ausfall sofort ausgeglichen werden könne. Im Übrigen hat das Ministerium von einer Stellungnahme abgesehen.“ Das Land Brandenburg hat dem Beschwerdeführer die Auslagen dieses Verfahrens zu erstatten, weitere Schadenersatzansprüche sind möglich. Die Personalausstattung unter Zugrundelegung des bundesweit einheitlich angewandten Berechnungssystems der Personalbedarf trägt den Erfordernissen der rechtsstaatlicher Justizgewährung offensichtlich nicht Rechnung. Zur Vorbemerkung: Voranstellend muss zunächst der Darstellung in der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage widersprochen werden. Mit den in der Anfrage wiedergegebenen Zitaten aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werden lediglich das Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen der Verfassungsbeschwerde und die hierauf erfolgte Stellungnahme des Ministeriums der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg wiedergegeben. Entgegen dem in der Einleitung zur Anfrage erzeugten Eindruck hat das Bundesverfassungsgericht nicht festgestellt, dass das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg nicht für eine ausreichende personelle Ausstattung des Landgerichts Potsdam Sorge getragen habe. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner Entscheidung zur Personalausstattung der Gerichte im Land Brandenburg nicht geäußert. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich die vom Brandenburgischen Oberlandesgericht vertretene Auffassung bestätigt, dass krankheitsbedingte Ausfälle unvorhergesehene Ereignisse darstellen, die nicht in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft fallen. Soweit der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen in solchen Fällen gebietet, dass das Tatgericht alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreift, um einen zügigen Fortgang der Hauptverhandlung zu gewährleisten, hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass sich das Brandenburgische Oberlandesgericht auch mit diesem Gesichtspunkt in der gebotenen Tiefe auseinandergesetzt hat (vgl. BVerG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 13. Oktober 2016 – 2 BvR 1275/16 -, Rn. 52, juris). Die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Grundrechtsverletzung ist allein darauf zurückzuführen, dass das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts in einem Punkt, der vom Beschwerdeführer beanstandet wurde, nicht für ausreichend erachtet hat. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht beanstandet, dass die Ausführungen des Oberlandesgerichts zur Verfahrensverzögerung infolge eines Besetzungsfehlers nicht die verfassungsrechtliche gebotene Begründungstiefe erreichten und an die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Haftfortdauer unklare Maßstäbe angelegt worden seien. Frage 1: Wie viele Fälle einer Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft gemäß § 121 StPO hat es in Brandenburg seit 2010 gegeben? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Delikten) zu Frage 1: Die bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht jährlich eingegangenen Anträge auf eine Haftentscheidung nach §§ 121 ff. StPO ergeben sich aus der nachfolgenden Tabelle. Weitere statistische Daten, insbesondere zur Anzahl der Entscheidungen, mit denen eine Haftfortdauer tatsächlich angeordnet wurde, oder zu den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden mutmaßlichen Delikten, liegen nicht vor. Jahr Anträge auf Haftentscheidung nach §§ 121 ff StPO 2010 38 2011 43 2012 34 2013 25 2014 63 2015 49 1.-3. Qu. 2016 24 Frage 2: Wie viele Fälle verfassungswidriger überlanger Untersuchungshaft hat es in Brandenburg seit 2010 gegeben? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr) zu Frage 2: Neben dem bereits in der Kleinen Anfrage selbst benannten Verfahren liegen keine weiteren Fälle vor, in denen eine verfassungswidrige Überlänge durch ein Verfassungsgericht festgestellt wurde. Frage 3: Wie hoch waren die zu erstattenden notwendigen Auslagen der Betroffenen verfassungswidriger überlanger Untersuchungshaft? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Fall) zu Frage 3: In dem Verfahren mit dem Az. 1 Ws 56/16 wurde der Haftbefehl des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 18. November 2014, zuletzt geändert durch Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 21. Juli 2016, durch Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 1. November 2016 aufgehoben und die vom Angeklagten hinterlegte Kaution freigegeben. Daraufhin hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts das durch das Bundesverfassungsgericht zurückverwiesene Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 8. Dezember 2016 für erledigt erklärt und die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Angeklagten entstandenen Auslagen der Landeskasse auferlegt. Die Höhe der entstandenen Kosten und Auslagen ist gegenwärtig noch nicht bekannt. Frage 4: Wie hoch waren die zu erstattenden Schadensersatzbeträge von Betroffenen verfassungswidriger überlanger Untersuchungshaft? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Fall) zu Frage 4: Schadensersatzansprüche sind bislang seitens des Angeklagten nicht geltend gemacht worden. Frage 5: Welche konkreten Maßnahmen auf Landes- und Bundesebene hat die Landesregierung unternommen oder wird sie im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes unternehmen, um das bundesweit einheitlich angewandte Berechnungssystems zur Bestimmung des Personalbedarfs den sich objektiv aufzeigenden Bedürfnissen der Praxis anzupassen? zu Frage 5: Das Land Brandenburg wendet zur Ermittlung des Personalbedarfs das bundeseinheitliche Personalberechnungssystem PEBB§Y an. Die im Rahmen der PEBB§Y-Projekte ermittelten durchschnittlichen bundesweiten Bearbeitungszeiten beruhen auf einer empirisch validen und analytisch gesicherten Grundlage und bilden den Personalbedarf in den unterschiedlichen Laufbahnen und Bereichen ab. Die aktuelle Validität des Personalbedarfsberechnungssystems PEBB§Y kann nur durch regelmäßige empirische Vollerhebungen gewährleistet werden. Deshalb wurde im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2014 eine Vollerhebung zur Fortschreibung des Systems in der ordentlichen Gerichtsbarkeit und den Staatsanwaltschaften durchgeführt und das System auf dieser Grundlage aktualisiert. Wie eingangs dargestellt, gibt die genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keinen Anlass für weitergehende Maßnahmen.