Datum des Eingangs: 02.01.2017 / Ausgegeben: 09.01.2017 Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/5778 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 2318 der Abgeordneten Birgit Bessin und Christina Schade der AfD-Fraktion Drucksache 6/5597 Auswirkungen der Industrie 4.0 auf den Brandenburger Arbeitsmarkt Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit , Frauen und Familie die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragesteller: Die digitale Gesellschaft und der Begriff Industrie 4.0 stehen für die vierte industrielle Revolution, in deren Verlauf die klassische Produktion mit dem Internet zusammenwächst. Einer BITKOM-Studie zufolge kann der Prozess in sechs volkswirtschaftlich zentralen Branchen, darunter Maschinen- und Anlagenbau, Elektrotechnik und chemische Industrie, bis zum Jahr 2025 für Produktivitätssteigerungen von 78,5 Milliarden Euro sorgen. Laut einer Veröffentlichung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung wird die Industrie 4.0 zu einer beschleunigten Entwicklung des Strukturwandels hin zu Dienstleistungen führen. Weiter heißt es dort: "IT-Berufe und lehrende Berufe profitieren, Berufe des verarbeitenden Gewerbes und hier vor allem die Maschinen und Anlagen steuernden und wartenden Berufe sind dagegen vom Personalabbau am stärksten betroffen. Die Nachfrage nach höher Qualifizierten nimmt zu Lasten von Personen mit Berufsabschluss sowie ohne abgeschlossene Berufsausbildung zu. Der Bedarf an Berufen mit hohem Routineanteil geht zurück." Vorbemerkung: Schlagworte wie „Wirtschaft 4.0“, „Industrie 4.0“ oder „Arbeit(en) 4.0“ werden häufig synonym zur Beschreibung der Auswirkungen der Digitalisierungsprozesse in Wirtschaft und Arbeitswelt verwendet. Dabei meint „Industrie 4.0“ die „[…] interaktive Vernetzung der analogen Produktion mit der digitalen Welt1“, wohingegen „Wirtschaft 4.0“ davon ausgeht, dass neben der industriellen Produktion auch sämtliche Dienstleistungsbranchen erfasst sind. Der Begriff „Arbeit(en) 4.0“ geht ebenfalls von diesem umfassenden Begriffsverständnis aus und rückt dabei die Neugestaltung der Arbeitsorganisation, von Arbeitsanforderungen, Arbeitsformen und Arbeitsverhältnissen ins Zentrum. Zur verständlicheren Beschreibung kann alternativ von der Digitalisierung der Arbeitswelt gesprochen werden. Die Landesregierung geht angesichts der Vorbemerkung davon aus, dass der Fokus der Fragestellungen im Besonderen auf dieser Begrifflichkeit liegt. Frage 1: Wie bewertet die Landesregierung die Chancen und Risiken der Industrie 4.0 und wie begründet sie dies? zu Frage 1: Aus Sicht der Landesregierung entstehen durch die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung der Wirtschaft Potentiale für Wachstum und die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Industrie, Dienstleistung und Handel, vor allem im Mittelstand . Insbesondere die Vernetzung von IT und Geschäftsprozessen bietet die Chance für das Entstehen neuer Anwendungsmöglichkeiten und für die Erschließung neuer Geschäftsfelder. Die Folgen dieser Entwicklung sind in Bezug auf die Arbeitswelt von heute und morgen ambivalent zu sehen. Einerseits werden durch die Digitalisierung und Globalisierung neue, vielfach hochwertige Arbeitsplätze in spezialisierten Sparten geschaffen, flexiblere Arbeitsmodelle durch die Trennung von Ort der Arbeitsleistung und Ort des Arbeitserfolges ermöglicht und schwere körperliche Arbeit durch den Einsatz computergesteuerter Maschinen erleichtert. Den positiven Wirkungen stehen jedoch auch Herausforderungen und ernst zu nehmende soziale Risiken im Bereich der Arbeitswelt gegenüber – sei es durch eine Schwächung betrieblicher Mitbestimmung, die zunehmende Entgrenzung der Arbeit, die Zunahme neuer Beschäftigungsformen ohne hinreichende soziale Absicherung, die Änderung der Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten oder die Sicherheit von Beschäftigtendaten . Frage 2: Von welchen Auswirkungen auf das Beschäftigungsniveau geht die Landesregierung aus? In welchen konkreten Branchen rechnet die Landesregierung mit einem Beschäftigungsrückgang und in welchen Branchen mit einem Beschäftigungszuwachs ? zu Frage 2: Eine Prognose der Auswirkungen auf das Beschäftigungsniveau, d.h. auf den Umfang der Erwerbstätigkeit der erwerbsfähigen Bevölkerung im Vergleich zum aktuellen Stand, ist derzeit weder für den Arbeitsmarkt in Brandenburg insgesamt, noch für einzelne Branchen möglich. Ursächlich hierfür ist insbesondere die Tatsache , dass bisher unklar ist, in welcher Art und in welchem Umfang Brandenburger Betriebe digitale Technologien aktuell und in Zukunft einsetzen und welche Auswirkungen auf die Beschäftigung damit jeweils konkret verbunden sein werden. Frage 3: Wie wird sich die qualifikationsspezifische Arbeitslosenquote in Brandenburg voraussichtlich entwickeln? zu Frage 3: Es gibt keine qualifikationsspezifische Arbeitslosenquote. Soweit die Fragestellung darauf abzielt, wie sich perspektivisch die Arbeitslosigkeit von Personen , differenziert nach Art ihres Berufsabschlusses entwickeln wird, ist derzeit keine Prognose möglich. Frage 4: Welche Mittel nutzt die Landesregierung, um die voraussichtlichen Auswirkungen der Industrie 4.0 zu prognostizieren? zu Frage 4: Vorliegende Prognosen über die voraussichtlichen Auswirkungen der Industrie 4.0 kommen – abhängig von den dabei jeweils gemachten Annahmen – zu quantitativ und qualitativ unterschiedlichen Ergebnissen, die die Landesregierung bei ihrer Arbeit kontinuierlich zur Kenntnis nimmt. Besondere Beachtung erfahren dabei die Veröffentlichungen der Bundesregierung, namentlich die 2014 veröffentlichte „Digitale Agenda“ und die 2016 erschienene „Digitale Strategie 2025“. Die von der Bundesregierung herausgegebenen Dokumente geben den jeweils aktuellen Stand der Entwicklung wieder. Frage 5: Wie bewertet die Landesregierung die Entwicklungen vor dem Hintergrund des Facharbeitermangels und wie begründet sie ihre Aussage? zu Frage 5: Es wird auf die Ausführungen in der Antwort auf Frage 2 verwiesen und ergänzend angemerkt, dass es einen allgemeinen Facharbeitermangel derzeit nicht gibt. Ergänzend kann festgestellt werden, dass dem Bilden, Halten und Gewinnen von Fachkräften vor dem Hintergrund der sich verändernden qualifikatorischen Anforderungen an die Beschäftigten und den parallel verlaufenden demografischen Veränderungen zukünftig eine noch größere Bedeutung zukommen wird. Es ist davon auszugehen, dass die Arbeit in Zukunft weniger körperlich anstrengend, dafür aber geistig anspruchsvoller, vielfältiger und komplexer wird. Damit werden sich die Anforderungen an berufliche Kompetenzen verändern. Kompetenzen im Umgang mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik sowie übergreifende Kompetenzen wie Prozessknowhow, interdisziplinäres Arbeiten, Kommunikationsfähigkeit und Problemlösungskompetenz gewinnen an Bedeutung. Beschäftigte stehen vor der Herausforderung, sich durch kontinuierliche Weiterbildung fortlaufend neues Wissen anzueignen und dieses anzuwenden, um ihre Beschäftigungsfähigkeit zu sichern. Frage 6: Inwiefern kann die Entwicklung der Industrie 4.0 nach Ansicht der Landesregierung eine Gefahr für die berufliche Integration von Asylbewerbern darstellen? zu Frage 6: Die Landesregierung unterscheidet in ihrer Bewertung der Auswirkungen der Digitalisierung in der Arbeitswelt nicht danach, ob Arbeitsuchende oder Beschäftigte einen Fluchthintergrund haben. Es gilt allgemein die Notwendigkeit des Erwerbs geeigneter beruflicher Qualifikation durch Ausbildung und berufliche Weiterbildung. Auch unabhängig von der Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt gilt schon heute, dass eine berufliche Aus- und Weiterbildung am ehesten die Gewähr für die Integration in Beschäftigung bietet. Frage 7: Wie wird die Landesregierung die Auswirkungen der Entwicklungen steuern und insbesondere Geringqualifizierte vor der drohenden Arbeitslosigkeit schützen? zu Frage 7: Es ist in erster Linie Aufgabe der Betriebe, die Beschäftigungsfähigkeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch betriebliche Weiterbildung zu sichern und dabei einen besonderen Fokus auf die Perspektiven für Geringqualifizierte, etwa durch Unterstützung zum Erwerb vollqualifizierender Ausbildungsabschlüsse, zu richten . Tarifliche Regelungen und Betriebsvereinbarungen können diese Anstrengungen befördern. Die Landesregierung kann die betrieblichen Prozesse flankieren, indem sie entsprechende Förderprogramme anbietet. Die Landesregierung fördert schon jetzt den beruflichen Kompetenzerwerb mit der Weiterbildungsrichtlinie. Die Weiterbildungsdatenbank bei der Zukunftsagentur Brandenburg GmbH (ZAB) informiert Beschäftigte, Arbeitslose und Betriebe umfassend über Angebote der beruflichen Weiterbildung und Qualifizierung im Land Brandenburg. Die Regionalbüros für Fachkräftesicherung bei der ZAB unterstützen Betriebe in ihren Anstrengungen zur Kompetenzentwicklung und bei der Inanspruchnahme entsprechender Fördermittel. Diese Angebote des Landes werden aus dem Europäischen Sozialfonds gefördert. Zudem stehen aber auch Angebote zu individuellen Entwicklung für Geringqualifizier- te insbesondere seitens der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung, um im Rahmen von Nachqualifizierung bzw. Aufstiegsfortbildung die beruflichen Chancen zu erhöhen . Darüber hinaus setzt sich die Landesregierung politisch für die Gestaltung eines modernen Aus- und Weiterbildungssystems in Deutschland ein. Beispielhaft sei hier auf den mit Unterstützung des Landes Brandenburg erarbeiteten Antrag „Qualifizierung 4.0“ verwiesen, der auf der diesjährigen Arbeits- und Sozialministerkonferenz am 01./02. Dezember 2016 angenommen wurde. Mit diesem fordert die ASMK die Bundesregierung auf, eine Evaluation existierender Weiterbildungsberatungsangebote und Finanzierungsmöglichkeiten vorzunehmen. Darüber hinaus fordert sie die Kompetenzanforderungen für den digitalen Wandel in der Aus- und Weiterbildung in enger Abstimmung mit einschlägigen Expertinnen und Experten sowie den Sozialpartnern und Wirtschaftsverbänden zu definieren sowie ihre Anerkennung und Integration in Aus- und Weiterbildungsordnungen zu befördern.