Datum des Eingangs: 03.02.2017 / Ausgegeben: 08.02.2017 Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/5966 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 2367 der Abgeordneten Andrea Johlige der Fraktion DIE LINKE Drucksache 6/5809 Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragestellerin: Immer wieder sind Presseberichten Berichte über Straftaten gegen Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zu entnehmen . Für die Einschätzung der Situation von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender und intersexuellen Menschen (LSBTTI) in Brandenburg ist es wichtig, das Ausmaß der Straftaten gegen sie zu kennen. Frage 1: Wie viele Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung wurden in den Jahren 2001 bis 2016 in Brandenburg erfasst und welche Ermittlungsverfahren schlossen mit welchem Ergebnis ab? (Bitte nach Datum, Ort, Delikt, Alter und Geschlecht des/der Opfer sowie des/der Täter darstellen!)? zu Frage 1: Mangels statistischer Erhebung liegen weder dem Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz noch den Staatsanwaltschaften hierzu Erkenntnisse vor. Zur Erhebung der Fallzahlen für den Betrachtungszeitraum 01.01.2001 bis 31.12.2016 wurden alle im Rahmen des „Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen Politisch motivierter Kriminalität“ (KPMD-PMK) gemeldeten Straftaten mit dem Oberthemenfeld „Hasskriminalität“; Unterthema „sexuelle Orientierung“ berücksichtigt. Eine Recherche zur Anzahl der Opfer und Tatverdächtigen, zu weiteren personenbezogenen Informationen (u. a. Alter und Geschlecht) sowie zum Strafmaß ist nicht möglich. Im Berichtszeitraum wurden 61 Fälle mit Begründungszusammenhang „sexuelle Orientierung“ im Land Brandenburg registriert. Eine dezidierte Aufstellung ist der Anlage zu entnehmen. Frage 2: Welche der unter der Frage 1 aufgelisteten Straftaten wurden seitens der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden als politisch motivierte Straftaten eingeordnet? zu Frage 2: Gemäß dem Definitionssystem „Politisch motivierte Kriminalität“ (PMK) des BKA werden Straftaten der PMK zugeordnet, wenn in Würdigung der Tatum- stände und Tätermotivation Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person wegen „…ihrer sexuellen Orientierung gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht…“. Alle vorgenannten 61 Fälle wurden als PMK- Straftaten einklassifiziert. Frage 3: Wie hoch schätzt die Landesregierung die Dunkelziffer bei solchen Straftaten ein? zu Frage 3: Der Landesregierung ist eine verlässliche Aussage zur Dunkelziffer solcher Straftaten nicht möglich. Frage 4: Welche Gründe gibt es aus Sicht der Landesregierung für nicht angezeigte Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung und welche Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen oder vor zu ergreifen, um das Anzeigeverhalten von Opfern solcher Straftaten zu verbessern? zu Frage 4: Der Landesregierung liegen keine empirisch abgesicherten Erkenntnisse zu den möglichen Gründen der Nichtanzeige solcher Straftaten vor. Weiterhin wird auf die Beantwortung der Frage 6 verwiesen. Von Interessenverbänden für LSBTTI im Land Brandenburg werden bestehende Vorbehalte gegenüber den Strafverfolgungsbehörden aufgrund einer vermuteten fehlenden Sensibilität beim Umgang mit den Opfern vorurteilsmotivierter Kriminalität als mögliche Ursache für die Nichtanzeige solcher Straftaten angeführt. Zwischen den Bediensteten der Strafverfolgungsbehörden und den Opfern bestünden danach Berührungsängste und Unsicherheiten. Mit der erfolgten Einrichtung der Funktion eines Ansprechpartners für gleichgeschlechtliche Lebensweisen im Polizeipräsidium des Landes Brandenburg wird diesem Umstand begegnet. Damit sollen eventuelle Vorbehalte gegenüber der Polizei abgebaut werden, um eine Erhöhung der Anzeigebereitschaft bei den Opfern von Straftaten zu erreichen. Der Beschluss des Landtages „Aktionsplan für Akzeptanz von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, für Selbstbestimmung und gegen Homound Transphobie in Brandenburg“ vom 9. Juni 2016 (LT-DS 6/4295) sieht als einen Schwerpunkt die wirksame Bekämpfung von Diskriminierung, Gewalt und vorurteilsmotivierter Kriminalität vor. Bei der Erarbeitung des Aktionsplans wird die Landesregierung diesen Aspekt im Rahmen des vorgesehenen Partizipationsprozesses mit LSBTTI und ihren Interessenverbänden thematisieren. Frage 5: Ist der Umgang mit Opfern von Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung Bestandteil der Polizeiausbildung bzw. gibt es besondere Schulungsangebote? zu Frage 5: Sowohl im Bachelorstudium für den gehobenen als auch in der Ausbildung für den mittleren Polizeivollzugsdienst ist der Umgang mit Opfern von Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung Inhalt von Lehrveranstaltungen. Im Rahmen des Bausteins „Interkulturelle und interpersonelle Kommunikation“ der Reihe „Trainings sozialer Kompetenzen“ in der Ausbildung und im Studium wird der polizeiliche Umgang mit Menschen thematisiert und trainiert, die eine andere Weltanschauung, andere Lebenspraktiken oder andere sexuelle Orientierungen haben. Der Umgang mit Menschen anderer sexueller Orientierung wird weiterhin aus der Perspektive der verschiedenen Fachdisziplinen in mehreren Lehrveranstaltungen, u. a. im Strafrecht und in der Kriminologie, thematisiert. In diesem Kontext wird auch der besondere Umgang mit Opfern von Gewaltdelikten vermittelt. Zur Befähigung der Polizeibediensteten für einen kompetenten Umgang mit Opfern finden dezentrale Fortbildun- gen statt, die auch den operativen Opferschutz umfassen. Daneben steht den Polizeibediensteten die Handreichung „Polizeilicher Opferschutz“ mit umfangreichen Informationen zur Verfügung. Im Polizeipräsidium wurde ein Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen bestellt. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Sensibilisierung von Kolleginnen und Kollegen zum Thema Homosexualität u. a. im Rahmen von Aus- und Fortbildung. Frage 6: Welche Hilfe- bzw. Beratungsangebote für Opfer von Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung existieren in Brandenburg? Sind weitere in der Zukunft geplant? zu Frage 6: Den Opfern von Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung stehen die allgemeinen Beratungsstellen zur Seite. So können Kriminalitätsopfer und ihre Familien beim Weißen Ring e. V. persönliche Betreuung, finanzielle Unterstützung und Hilfestellungen im Umgang mit den Behörden und bei der Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche erhalten. Landesweit steht daneben ein erfahrenes multiprofessionelles Team in den Beratungsstellen der Opferhilfe Land Brandenburg e. V. zur psychosozialen Unterstützung von Opfern und Zeugen von Straftaten sowie deren Angehörigen zur Verfügung. Neben der Sozialberatung, der psychosozialen Prozessbegleitung und der Stalkingberatung erhalten sie dort psychologische Traumaberatung und therapeutische Gespräche, die ihnen bei der Verarbeitung des Erlebten helfen. Darüber hinaus berät das Landesamt für Soziales und Versorgung über die Möglichkeiten und gesetzlichen Ansprüche sowie das Verwaltungsverfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz. So erhalten Betroffene Informationen und Auskunft über das Bürgertelefon für Gewaltopfer unter der Telefonnummer 0355/ 2893-561. Auf die Beratung Betroffener von rechter Gewalt und Diskriminierung ist die Opferperspektive e. V. spezialisiert. Das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz unterstützt die Opferhilfeeinrichtungen im Land Brandenburg durch die Bereitstellung von Haushaltsmitteln und auf Antrag über die projektbezogene Vergabe von Lottomitteln aus der Konzessionsabgabe. Die vom Land geförderte Landeskoordinierungsstelle für LesBiSchwule&Trans*Belange in Trägerschaft des AndersARTIG e. V. bietet im Rahmen ihrer Beratungstätigkeit Opfern von Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung ebenfalls Hilfe und Unterstützung an. Am 20. Dezember 2016 hat der Landtag Brandenburg das Gesetz zur Ausführung des Gesetzes über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (AGPsychPbG) beschlossen, das zeitgleich mit dem Bundesgesetz zur psychosozialen Prozessbegleitung am 1. Januar 2017 in Kraft getreten ist. Danach haben Kinder und Jugendliche , die Opfer schwerer Gewalt- und Sexualstraftaten geworden sind, einen Rechtsanspruch auf kostenlose psychosoziale Begleitung und Betreuung im Strafverfahren, wenn diese beantragt und vom Gericht bestätigt worden ist. Erwachsenen Opfern kann auf deren Antrag in diesen Fällen ein/e psychosoziale/r Prozessbegleiter/in durch das Gericht beigeordnet werden, wenn die besondere Schutzbedürftigkeit des Verletzten dies erfordert. Der Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen im Polizeipräsidium dient den Kolleginnen und Kollegen sowie Dienststellen als Kommunikationsstelle. Weiterhin ist er für die Zusammenarbeit mit Projekten gegen homophobe (antihomosexuelle) Gewalt im Land Brandenburg zuständig. Frage 7: Wie schätzt die Landesregierung die Gefährdungslage für LSBTTI in Brandenburg ein? zu Frage 7: Hierzu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Land Brandenburg Anlage zur KA 2367, Frage 1 Politisch motivierte Straftaten im Begründungszusammenhang "sexuelle Orientierung" 01.01.2001 - 31.12.2016 lfd. N . Tatzeit Tatort Delikt (§§) geklärt 1 22.01.2001 Frankfurt (Oder) 186 nein 2 02.03.2001 Templin 86a nein 3 24.06.2001 Brandenburg 130 ja 4 28.05.2002 Cottbus 130 ja 5 16.11.2002 Schulzendorf 130 nein 6 17.12.2002 Cottbus 130 nein 7 31.10.2003 Falkensee 130 ja 8 12.12.2004 Potsdam 86a nein 9 03.02.2005 Potsdam 185 ja 10 24.08.2005 Potsdam 86a nein 11 27.10.2005 Perleberg 185 ja 12 09.09.2006 Cottbus 130 nein 13 27.01.2007 Cottbus 130 ja 14 18.05.2007 Luckenwalde 86a ja 15 15.06.2007 Belzig 223 ja 16 08.12.2007 Potsdam 130 ja 17 24.08.2008 Velten 186 nein 18 24.10.2008 Jochachimsthal 126 ja 19 23.10.2008 Neuruppin 223 ja 20 09.01.2009 Cottbus 130 ja 21 18.03.2009 Hohen Neuendorf 86a ja 22 17.02.2010 Brandenburg 185 nein 23 08.06.2010 Königs Wusterhausen 185 ja 24 11.06,2010 Gorden-Staupitz 241 ja 25 09.08.2010 Mühlberg 303 nein 26 16.09.2010 Brandenburg 130 ja 27 22.09.2010 Potsdam 303 nein 28 22.03.2011 Beeskow 86a nein 29 18.09.2011 Brandenburg 224 ja 30 28.11.2011 Senftenberg 90a ja 31 12.12.2011 Eberswalde 130 ja Land Brandenburg Anlage zur KA 2367, Frage 1 Politisch motivierte Straftaten im Begründungszusammenhang "sexuelle Orientierung" 01.01.2001 - 31.12.2016 lfd. Nr. Tatzeit Tatort Delikt(§§) geklärt 32 31.03.2012 Brandenburg 185 ja 33 08.05.2012 Rathenow 130 nein 34 14.06.2012 Oranienburg 130 nein 35 05.10.2012 Potsdam 130 nein 36 16.11.2012 Neuruppin 223 ja 37 05.02.2013 Rheinsberg 185 ja 38 16.04.2013 Perleberg 303 nein 39 19.06.2013 Brieselang 86a nein 40 19.08.2013 Ludwigsfelde 85a nein 41 16.09.2013 Mühlenbecker Land 86a ja 42 24.10.2013 Angermünde 223 ja 43 22.11.2013 Wittenberge 303 ja 44 31.01.2014 Brück 86a ja 45 21,022014 Teltow 130 ja 46 01,05.2014 Frankfurt (Oder) 86a ja 47 16,06.2014 Oranienburg 241 ja 48 06,08.2014 Cottbus 177 ja 49 15.12.2014 Oranienburg 86a nein 50 10.02.2015 Hoppegarten 86a nein 51 11.04.2015 Großräschen 113 ja 52 14.04.2015 Brandenburg 86a ja 53 25.06.2015 Glienicke/Nordbahn 241 ja 54 18.07.2015 Glienicke/Nordbahn 241 nein 55 24.07.2015 Brandenburg 223 ja 56 07.08.2015 Frankfurt (Oder) 224 nein 57 20.08.2015 Großbeeren 130 ja 58 23.03.2016 Hohen Neuendorf 86a ja 59 15.05.2016 Zossen 224 ja 60 01.10.2016 Königs Wusterhausen 130 ja 61 29.10.2016 Cottbus 130 ja Page 1 Page 2