Landtag Brandenburg Drucksache 6/6411 6. Wahlperiode Eingegangen: 10.04.2017 / Ausgegeben: 18.04.2017 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 2542 der Abgeordneten Prof. Dr. Ulrike Liedtke (SPD-Fraktion) Drucksache 6/6199 Provenienzforschung in Brandenburg Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragestellerin: 1998 trat die Bundesrepublik Deutschland der Washingtoner Erklärung zur Provenienzforschung bei. Die unklare Herkunft von Kulturgut, das seinem Eigentümer widerrechtlich im Nationalsozialismus entwendet wurde, ist zu klären, das Kulturgut an ermittelte Eigentümer zurück zu geben. Der Museumsverband des Landes Brandenburg hat zur Provenienzforschung aufgerufen und sich aktiv mit dieser Thematik befasst. Frage 1: Welche Schwerpunkte setzt das Land in Zusammenarbeit mit dem Museumsverband des Landes Brandenburg und der Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Brandenburg ? zu Frage 1: Der Museumsverband des Landes Brandenburg e.V. hat 2012 in Zusammenarbeit mit der damaligen Arbeitsstelle für Provenienzforschung das Projekt „Erstcheck Provenienzrecherche“ ins Leben gerufen. Im Rahmen der Fördergrundlagen der Arbeitsstelle für Provenienzforschung (ab 2015 aufgegangen in der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, DZK) wurden daraufhin in den Jahren 2012 bis 2016 von der Arbeitsstelle bzw. dem DZK in 22 brandenburgischen Museen Provenienzrecherchen zur Feststellung von Objekten bzw. Konvoluten, die in der NS-Zeit mutmaßlich unrechtmäßig entzogen worden waren, kofinanziert. Die Recherchen wurden vom Museumsverband des Landes Brandenburg organisiert und koordiniert. Der Museumsverband und das MWFK vertreten die Auffassung, dass Recherchen nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut auch in den kommenden Jahren an brandenburgischen Museen ein Schwerpunkt sein wird. Dies wird einerseits im Rahmen von durch die DZK geförderten Forschungsprojekten realisiert, soll andererseits aber auch zunehmend in Eigenregie der Museen organisiert werden. Der Museumsverband berät die brandenburgischen Museen sowohl hinsichtlich der Fördermöglichkeiten für Provenienzforschungsvorhaben als auch auf fachlicher Ebene. In den kommenden Jahren wird neben der Forschung nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut zunehmend die Provenienzforschung mit dem Fokus auf zwischen 1945 und 1989 in der SBZ/DDR unrechtmäßig entzogenem Kulturgut an Bedeutung gewinnen . Der Museumsverband bereitet zur Zeit ein Pilotprojekt auf diesem Forschungsgebiet vor. Hier ist Pionierarbeit zu leisten, da es bisher noch sehr wenige wissenschaftliche Vorarbeiten gibt. Derartige Forschungen werden vom DZK aktuell nur im Rahmen von Pi- Landtag Brandenburg Drucksache 6/6411 - 2 - lotprojekten gefördert. Gemäß den Fördergrundlagen des DZK sollen d iese Projekte „beleuchten , ob die Erwerbungen und Zuweisungen zwischen 1945 und 1989 nach heutiger rechtlicher und moralisch-ethischer Auffassung als potenziell oder faktisch unrechtsbehaftet anzusehen sind.“ Frage 2: Das Heimatmuseum Müllrose war mit 89 Objekten NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut ein Pilotprojekt der Provenienzforschung in Brandenburg. Wie wurde die Einigung zwischen dem Heimatmuseum und der Familie der Grafen zu Lynar hinsichtlich Verbleib vs. Rückgabe erzielt? Welche grundlegenden Ergebnisse – anwendbar auf ähnliche Vorgänge – brachte das Pilotprojekt? zu Frage 2: Die Einigung zwischen der Stadt Müllrose als Träger des dortigen Heimatmuseums und der Familie Lynar zur Rückgabe der Objekte aus Lynarschem Besitz bzw. zu deren Verbleib in der Sammlung des Museums wurde, wie bei solchen Verfahren üblich, auf bilateraler Ebene und unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Grundlage der Gespräche zwischen der Stadt Müllrose und der Familie Lynar waren die Ergebnisse der durch den Museumsverband Brandenburg angestoßenen intensiven Provenienzrecherche . Auch wenn jede potentielle Restitution gesondert zu betrachten ist, kann aus dem vorliegenden Fall die grundlegende Erkenntnis gezogen werden, dass eine aktive, permanente und nicht anlassbezogene Provenienzforschung der Museen die wichtigste Basis für eine faire und gerechte Lösung im Sinne der Washingtoner Erklärung von 1998 ist. Zudem sollten Kenntnisse über potentiell unrechtmäßig erworbene Kulturgüter im eigenen Sammlungsbestand so bald wie möglich veröffentlicht werden, z.B. auf der Internetplattform www.lostart.de (betrieben vom DZK). Im Fall von Müllrose war es sogar das Museum, das aktiv den direkten Kontakt zu den Nachkommen der seinerzeit enteigneten Familie suchte und diese von den Funden in Kenntnis setzte. Dieser Weg kann allerdings aus pragmatischen Gründen (hoher Nachforschungsaufwand) nicht in allen Fällen gegangen werden. Frage 3: Wie sind die Kunstankäufe für die Städtische Bildersammlung Cottbus in den Jahren 1933 bis 1945 „Carl Blechen“ zu bewerten? zu Frage 3: Bereits 2009 führte die Stiftung Fürst-Pückler-Museum Park und Schloss Branitz eine Provenienzrecherche über Kunstankäufe für die „Städtische Bildersammlung Cottbus“ in den Jahren 1933 – 1945 durch. Etwa die Hälfte ihrer Werksammlung von Carl Blechen kaufte die Stadt Cottbus zwischen 1933 und 1945. Es handelt sich um 45 Gemälde , Ölskizzen und Zeichnungen. Die Provenienzrecherche ergab, dass 20 Werke im NS- Kunsthandel erworben wurden, ein Werk nach 1945 im Staatlichen Kunsthandel/DDR gekauft wurde und 13 Werke aus Privatbesitz stammen. Bei 11 Ankäufen blieb die Herkunft ungeklärt. Die Prüfung der bekannten bzw. ermittelten Vorbesitzer ergab, dass keines der untersuchten Werke Carl Blechens in der Kunstsammlung der Stiftung Fürst-Pückler- Museum aus einem Ankauf stammt, der Restitutionsklärungen nach sich zöge. Frage 4: Welche Ergebnisse der Provenienzforschung gibt es hinsichtlich der ca. 400 Gemäldeankäufe der ehemaligen Berliner Verwaltung, die heute zum Bestand der SPSG gehören ? zu Frage 4: Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) besteht aus 33 Schlössern und Museen mit 14 Sammlungsbereichen. Zum Gemäldebe- Landtag Brandenburg Drucksache 6/6411 - 3 - stand der Stiftung zählen über 4.000 Gemälde, deren Entstehungszeit vom 15. bis ins 20. Jahrhundert reicht. In einem gegenwärtig laufenden 3-jährigen Forschungsprojekt wird ein Bestand von 353 Kunstwerken untersucht. Es handelt sich hierbei um deutsche und niederländische Gemälde, welche die Westberliner Verwaltung der Schlösser Charlottenburg, Pfaueninsel, Jagdschloss Grunewald und Glienicke durch Ankauf, Tausch oder Schenkung im Zeitraum ihres Bestehens von 1950 bis 1995 erworben hat. Ziel des Projektes, das durch Unterstützung der Stiftung Kulturgutverluste ermöglicht wurde, ist die möglichst lückenlose Erforschung und nachhaltige Dokumentation der Vorbesitzer-Chronik dieser Gemälde für den Zeitraum 1933 bis 1945, um NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke identifizieren zu können. In einem solchen Fall ist die SPSG bemüht, eine faire und gerechte Lösung mit den rechtmäßigen Eigentümern bzw. den heutigen Erbnachfolgern zu finden und gegebenenfalls Werke zu restituieren. Nach 2 Jahren Projektlaufzeit (Stand März 2017) wurden zu jedem der 353 Gemälde die hauseigenen Quellen und Dokumente (Karteikarten, Bildakten, Restaurierungsdokumente, Rechnungen oder Korrespondenzen) zusammengetragen, wodurch die unmittelbaren Vorbesitzer ermittelt wurden. Die Gemälderückseiten wurden, soweit zugänglich, nach Hinweisen (Stempel, Aufschriften, Etiketten etc.) auf weitere Vorbesitzer hin untersucht und dokumentiert. Parallel wurden die bislang unerforschten Berliner Senatsakten im Landesarchiv Berlin, welche die Ankäufe betreffen, gesichtet, sowie Kunsthändler-Recherchen im Amtsgericht Charlottenburg begonnen. Für die Einzelfallrecherchen pro Gemälde werden Werkverzeichnisse, Monografien, Ausstellungs-, Bestands- und Auktionskataloge zu fast 200 Künstlern auf Hinweise zu früheren Besitzern überprüft. Bislang konnten auf diese Weise bereits über 100 Gemälde aus dem Untersuchungsbestand hinsichtlich eines NS-verfolgungsbedingten Entzugs in der Zeit von 1933 bis 1945 als unbedenklich eingestuft werden. Die Projektmitarbeiterinnen gehen derzeit 15 Verdachtsfällen nach. Bei den übrigen 238 Werken ist die Provenienz bislang lückenhaft, daher kann ein NS-verfolgungsbedingter Entzug momentan nicht ausgeschlossen werden. Innerhalb der jüngst bewilligten Verlängerung um ein drittes Projektjahr (bis April 2018) sollen die Einzelfallrecherchen an diesen Objekten fortgesetzt, die Ergebnisse nachhaltig dokumentiert und einen Abschlussbericht unter besonderer Berücksichtigung der Kontextforschung zum Westberliner Kunstmarkt verfasst werden. Frage 5: Wie wird mit Büchern aus dem Judaika Bestand der Universitätsbibliothek Potsdam verfahren, die unter dem Verdacht stehen, NS-Raubgut oder Beutegut zu sein? zu Frage 5: Die in der Universitätsbibliothek Potsdam (UB) ermittelten Bände mit Provenienzmerkmalen werden untersucht, die Ergebnisse werden in der kooperativen Datenbank Looted Cultural Assets (LCA) dokumentiert: http://lootedculturalassets.de/index.php/About/Index In dieser Datenbank legen alle beteiligten Bibliotheken ihre Forschungsergebnisse ab, inklusive ermittelte Vorbesitzer, so auch die UB Potsdam. Die Bücher der UB Potsdam sind erst seit deren Gründung in den Bestand gekommen. Hauptsächlich handelt es sich um Sammlungen jüdischer Gelehrter, die nach dem 2. Weltkrieg zusammengetragen wurden. Um diesen Sammlungszusammenhalt zu bewahren, bittet die UB die ermittelten Erben, die Bücher im Sammlungszusammenhang zu belassen. Stattdessen wird eine digitale Kopie angefertigt und Open Access auf der Plattform Digitales Brandenburg veröffentlicht. Von fünf Vorbesitzern hat die UB Potsdam die Erlaubnis erhalten, die ermittelten Bücher im Bestand zu belassen. An drei Vorbesitzer wurden die ermittelten Bände restituiert. Bei Restitutionen an Nachfolgeinstitutionen wird bei der Jewish Claims Conference nachgefragt, an welche Institution restituiert wer- Landtag Brandenburg Drucksache 6/6411 - 4 - den soll (das wird wiederum in der LCA-Datenbank vermerkt). Neun Restitutionsfälle sind noch in der Bearbeitung, darunter ist ein möglicher Fall von Beutekunst. Frage 6: Was bedeutet die Rückgabe wertvoller Museumsbestände für die Attraktivität betroffener Museen in Brandenburg? zu Frage 6: Im Rahmen der inzwischen seit mehreren Jahren geleisteten Provenienzrecherchen an brandenburgischen Museen wurden generell nur sehr wenige Objekte bzw. Konvolute gefunden, bei denen ein gesicherter bzw. ein potentieller NSverfolgungsbedingter Entzug festgestellt werden konnte. Unter diesen wenigen Objekten ist wiederum nur ein sehr kleiner Teil überhaupt von einer Restitutionsforderung betroffen bzw. es konnten nur bei einem sehr kleinen Teil dieser Objekte, trotz Veröffentlichung derselben (z.B. in www.lostart.de), Hinweise auf potentielle Nachkommen bzw. Erben der rechtmäßigen Besitzer ermittelt werden. In keinem dem Museumsverband des Landes Brandenburg bekannten Fälle handelt es sich überhaupt um Objekte bzw. Bestände, deren potentielle Rückgabe einen negativen Einfluss auf die Attraktivität des Museums hätte. Im Gegenteil ist – wie im Fall Müllrose – zu beobachten, dass eine Rückgabe der betreffenden Objekte für eine positive Wahrnehmung des Museums in der Öffentlichkeit sorgt. Die Befürchtung, Restitutionen NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter könnten der Attraktivität brandenburgischer Museen einen Abbruch tun, hat sich bisher in keiner Weise bestätigt. Nach Dafürhalten des Museumsverbandes wird sich dies auch zukünftig nicht ändern.