Landtag Brandenburg Drucksache 6/6633 6. Wahlperiode Eingegangen: 15.05.2017 / Ausgegeben: 22.05.2017 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 2619 der Abgeordneten Steeven Bretz (CDU-Fraktion) und Roswitha Schier (CDU-Fraktion) Drucksache 6/6404 Pflegenotstand in Potsdam Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragestellenden: Laut der Stadtverwaltung Potsdam ist die Versorgung pflegebedürftiger Menschen in der Landeshauptstadt Potsdam nicht mehr zufriedenstellend abgesichert. So sei die ambulante Pflege nicht gewährleistet und Patienten teilweise unversorgt, weil Fachkräfte fehlten. Ein Grund sei, dass diese im benachbarten Berlin eine erheblich bessere Vergütung als in Brandenburg erhielten. In der Pflicht hinsichtlich einer höheren Leistungsvergütung sieht die Stadt die Landesregierung. Die Ministerin für Arbeit, Soziales und Frauen, hat in der Sitzung des Landtages Brandenburg am 6.4.2017 erklärt, das Land Brandenburg sei bei der Pflege „vorausgegangen“. Niemand müsse Angst haben, „dass die Pflege in Zukunft nicht mehr ausreicht“. Vorbemerkung der Landesregierung: Soweit die Fragestellenden in ihrer Vorbemerkung eine Aussage der Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie in der Sitzung des Landtages Brandenburg vom 6. April 2017 zitieren, wird darauf hingewiesen, dass sich diese auf die notwendige Überwindung von Konkurrenzsituationen unter den Pflegeunternehmen bezog. Die Aussage lautete insoweit, dass niemand Angst haben müsse, „dass die zu Pflegenden in der Zukunft nicht mehr ausreichen werden“. Frage 1: Wie stellt sich aus Sicht der Landesregierung der Status quo zum Thema Pflegenotstand in Potsdam dar? Frage 2: Welche Gründe sieht die Landesregierung für den entstandenen Pflegenotstand in Potsdam? Frage 3: Inwiefern liegen der Landesregierung eigene Informationen vor, dass die pflegerische Versorgung in Potsdam nicht gesichert sei? zu Fragen 1, 2 und 3: Die Fragen 1, 2 und 3 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Landesregierung ist sich der angespannten Fachkräftesituation in der Pflege bewusst. Spätestens seit der durch das MASGF im Jahr 2014 veröffentlichten „Brandenburger Fachkräftestudie Pflege“ ist bekannt, in welchem Umfang die demographische Entwicklung im Land die Pflege betrifft: Nicht nur, dass weniger Menschen zur Verfügung stehen, die diese Arbeit durchführen können. Mit der Alterung der Bevölkerung steigt auch die Anzahl der Menschen, die pflegebedürftig und auf diese Hilfen ange- Landtag Brandenburg Drucksache 6/6633 - 2 - wiesen sind. Der Handlungsdruck in den Pflegeeinrichtungen im Hinblick auf die Fachkräftesicherung wächst. Hinsichtlich des Personals stellt sich auch die Konkurrenzfrage zu anderen Branchen. Eine detaillierte Analyse der pflegerischen Versorgung in der Stadt Potsdam sowie die Projektion der Entwicklungen bis in das Jahr 2040 sind der Publikation „Daten und Fakten zur Pflege in Potsdam“ zu entnehmen, die das MASGF 2016 veröffentlicht hat (abrufbar auf der Internetseite des MASGF unter http://www.masgf.brandenburg.de/media_fast/4055/Pflegedossier_Potsdam_final_Dezemb er_2016.pdf). Nach § 4 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 des Landespflegegesetzes ist es Aufgabe der Lokalen Pflegestrukturen, den regionalen Pflegemarkt zu beobachten, auszuwerten sowie die vorhandene pflegerische Versorgungsstruktur und deren Vernetzung mit dem Gesundheitssystem, den Strukturen des bürgerschaftlichen Engagements und der Selbsthilfe zu analysieren und Vorschläge zu Maßnahmen zu unterbreiten, um eine wirtschaftliche und sachgerechte Leistungserbringung zu fördern. Diese Aufgabe wird von der Stadt Potsdam durch die federführende Sozialverwaltung aktiv wahrgenommen. Auf Initiative der Stadt Potsdam wurde die ambulante Versorgungssituation im Rahmen eines ersten Gedankenaustauschs am 16. Februar 2017 mit ambulanten Pflegediensten und Vertreterinnen und Vertretern der Kostenträger erörtert. Hierbei wurde eine regionale Ungleichverteilung der ansässigen ambulanten Pflegedienste festgestellt. Es ist eine starke Konzentration der ambulanten Pflegedienste im Süden der Stadt vorzufinden, wohingegen im Potsdamer Norden nur wenige Pflegedienste ansässig sind. Eine Auswertung der AOK Nordost stellt graphisch die Verteilung der Pflegedienste über das Potsdamer Stadtgebiet dar: Hier wirkt sich aus, dass für die Zulassung von Pflegeeinrichtungen nach § 72 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) die Frage des Standortes oder des Tätigkeitsgebietes grundsätzlich nicht relevant ist. Es besteht vielmehr ein Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrages, wenn die personellen und organisatorischen Voraussetzungen erfüllt werden. Es bleibt abzuwarten, ob die mit dem Pflegestärkungsgesetz III ermöglichten Pflegestrukturplanungsempfehlungen von regionalen Ausschüssen den Landkreisen und Landtag Brandenburg Drucksache 6/6633 - 3 - kreisfreien Städten eine handhabbare Möglichkeit bieten können, um hierauf steuernd Einfluss zu nehmen. Dessen ungeachtet liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse darüber vor, dass die pflegerische Versorgung in Potsdam nicht sichergestellt wäre. Dabei geht es nicht darum, ob z.B. ein einzelner Pflegedienst eines bestimmten Trägers so ausgelastet ist, dass er keine neuen Aufträge mehr annimmt. Vielmehr geht es darum, ob für die erforderliche Pflege eines Menschen kein Pflegedienst gefunden werden kann. Die Anzahl der Beschäftigten und der Auszubildenden in der Pflege steigt kontinuierlich. So hat es die Pflege in Brandenburg geschafft, innerhalb von zwei Jahren, von 2013 auf 2015, zusätzlich 3.346 Menschen für diese Tätigkeit zu gewinnen. Seit 2007 gibt es einen Personalaufwuchs von knapp 53 % auf heute 34.648 Personen. Im gleichen Zeitraum ist die Anzahl pflegebedürftiger Menschen um 31 % gestiegen. Auch für Potsdam ergibt sich ein ähnliches Bild: Hier sind 1.669 Menschen in der Pflege tätig, knapp 50 % mehr als noch 2007, ebenfalls bei einen Anstieg der Zahl pflegebedürftiger Menschen um 31 %. Das zeigt, dass die gemeinsamen Anstrengungen Früchte tragen. Angesichts der prognostizierten Entwicklung müssen sich aber sowohl Kassen und Leistungsträger als auch Länder , Kommunen und Bund weiterhin für die Sicherung der pflegerischen Versorgung einsetzen . Die Pflege der Zukunft ist eine Pflege im Quartier. Um Fachkräfte zu entlasten, braucht es insbesondere eine gute Unterstützung der pflegenden Angehörigen und den Ausbau intelligenter, sozialräumlicher Pflegestrukturen. Die Landesregierung begrüßt daher ausdrücklich, dass die Stadt Potsdam genau diesen Weg einschlägt. Die von der Stadt geplante weitere Stelle in dem Potsdamer Pflegestützpunkt wird dabei helfen, die häusliche Pflege zu unterstützen. Der einberufene Runde Tisch ist ein guter Anfang, damit die Potsdamer Pflegedienste nicht als isolierte Unternehmen agieren, sondern sich regional miteinander und mit den pflegergänzenden Hilfen und Angeboten vernetzen und kooperieren . So können z.B. unnötige Fahrtwege eingespart und für die Menschen Hilfen neben der professionellen Pflege erschlossen werden. Mit den Fachstellen „Altern und Pflege im Quartier“ bietet das Land bei dieser Entwicklung Unterstützung an. Frage 4: Inwiefern wenden sich Pflegedienstleister und Pflegebedürftige bzw. deren Angehörige aus Potsdam direkt an die Landesregierung, um über vorhandene Pflegemissstände zu informieren? zu Frage 4: Pflegebedürftige und deren Angehörige wenden sich mit Fragen und auch mit Hinweisen auf vermutete Qualitätsmängel an die Landesregierung. Diesen wird stets durch die zuständigen Stellen nachgegangen. Nur vereinzelt gab es Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern, die auf der Suche nach einem Pflegedienst oder einen Platz in einer Pflegeeinrichtung waren. In allen Fällen konnte durch den eingeschalteten ortsansässigen Pflegestützpunkt eine Versorgung sichergestellt werden. Eine Statistik zur regionalen Unterscheidung der Anfragen und Hinweise wird jedoch nicht erhoben. Die Landesregierung steht zudem mit den Verbänden der Leistungserbringenden und deren Mitgliedern im stetigen Austausch. In diesem Rahmen wurden auch zunehmende Probleme bei der Gewinnung von Fachkräften thematisiert. Frage 5: Wie viele ambulante und stationäre Pflegedienste gibt es in Potsdam? (Mit der Bitte um Auflistung) zu Frage 5: Dem Land liegen zum einen die Daten der zweijährlichen Statistik über „Ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen sowie Empfänger von Pflegegeldleistungen im Land Brandenburg“ (amtliche Pflegestatistik) vor. Danach gab es in Potsdam nach der Landtag Brandenburg Drucksache 6/6633 - 4 - jüngsten amtlichen Pflegestatistik (Stichtag 15.12.2015) insgesamt 29 Pflegedienste und 23 stationäre Pflegeeinrichtungen. Zum anderen wird auf den Pflegenavigator der AOK im Internet verwiesen, mit dem nach verschiedenen Suchkriterien stationäre Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste recherchiert und tagesaktuell aufgelistet werden können (http://www.aok-pflegedienstnavigator.de bzw. http://www.aokpflegeheimnavigator .de). Danach gibt es in Potsdam aktuell (Stichtag 21.04.2017) 35 Pflegedienste . Frage 6: In welchen konkreten Stadtteilen kann der Bedarf an Pflegeleistungen nicht mehr bedient werden? zu Frage 6: Es wird auf die Antwort zu den Fragen 1, 2 und 3 verwiesen. Frage 7: Inwieweit hat die Landesregierung Kenntnis darüber, wie viele Pflegebetten in Potsdamer Pflegeheimen unbelegt sind, weil Pflegefachkräfte fehlen? zu Frage 7: Die Aufsicht für unterstützende Wohnformen (AuW) des Landesamtes für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg erhebt bei Anlass- und Regelprüfungen die Belegung in Einrichtungen der Stadt Potsdam und ist über die Erhebungen bei den Prüfungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V. (MdK) und des Verbandes der Privaten Krankenversicherung e.V. (PKV) informiert. Danach sind zum Stichtag der jeweils letzten Erhebung von MdK, PKV und AuW in den 23 Potsdamer Einrichtungen nach § 4 Absatz 1 des Brandenburgischen Pflege- und Betreuungswohngesetzes (hauptsächlich vollstationäre Einrichtungen) 183 Plätze von insgesamt 1.726 Plätzen nicht belegt gewesen. Darunter befinden sich auch Fälle, in denen aufgrund von Personalvakanzen vorübergehend auf weitere Aufnahmen verzichtet wird. Frage 8: Auf welche Art und Weise wird die Landesregierung aktiv werden, damit der eklatante Pflegekräftemangel in Potsdam behoben werden kann? zu Frage 8: Die Landesregierung hat mit der Pflegeoffensive die zentralen Handlungsempfehlungen der „Brandenburger Fachkräftestudie Pflege“ an die Landespolitik aufgegriffen und setzt diese weiter um. Es wird insoweit auf den Bericht der Landesregierung „Pflegeoffensive für eine verantwortungsvolle pflegerische Versorgung im Land Brandenburg auch in der Zukunft“ vom 30. Juni 2016 (Landtagsdrucksache 6/4521) verwiesen. Frage 9: Welche konkreten Pläne hat die Landesregierung hinsichtlich einer Stärkung des Pflegeberufs im Land Brandenburg? zu Frage 9: Die Sicherung des Fach- und Hilfskräftepersonals in der Pflege ist eine gemeinschaftliche Aufgabe aller Akteure in der Pflege. Zentral ist aus Sicht des Landes die tatsächliche Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen, um Pflegekräfte möglichst lange im Beruf zu halten und um als Beschäftigungssektor in der zunehmenden Konkurrenz der Branchen um beruflichen Nachwuchs erfolgreich sein zu können. Bei der Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen stehen Entlohnung, Arbeitszeitbedingungen, die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie, betriebliches Gesundheitsmanagement sowie Konzepte alternsgerechter Beschäftigung im Mittelpunkt. Für die Frage der Entlohnung würde ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag in der Pflege eine wichtige Sicherungsfunktion einnehmen. Hier sind jedoch die Tarifvertragsparteien gefragt. Mit diesen steht Landtag Brandenburg Drucksache 6/6633 - 5 - das MASGF im regen Austausch und unterstützt sie soweit möglich. Brandenburg hat mit dafür gesorgt, dass im Pflegeversicherungsrecht ausdrücklich geregelt ist, dass eine tarifliche Bezahlung in den Verhandlungen mit den Pflegekassen und den Sozialhilfeträgern nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden kann. Die Zufriedenheit mit der Tätigkeit ist ein, wenn nicht der entscheidende Faktor bei der Wahl des Arbeitsortes. Das beginnt mit einer guten Organisation der Arbeitsprozesse. Hier setzt ein Modellprojekt aus der Pflegeoffensive an: Es soll Pflegeeinrichtungen dabei unterstützen, die Möglichkeiten eines effektiven Personaleinsatzes zu erkennen und zu erproben und handhabbare Empfehlungen für alle Brandenburger Einrichtungen geben. Mit dem Entbürokratisierungsmodell in der Pflege unterstützt auch das Land ideell und finanziell dabei, dass Pflegekräfte von unnötiger Bürokratie befreit werden. Zudem wird die Frage geklärt, ob eine Pflegekammer in Brandenburg bei diesen Entwicklungen hilfreich unterstützen kann. Dazu soll über ausgewogene und vielfältige Informationsmaßnahmen die Meinungsbildung unter den Pflegekräften angestoßen und anschließend ihre Haltung zur Errichtung einer Pflegekammer in einer repräsentativen Befragung ermittelt werden. Brandenburg soll ein attraktiver Ausbildungsstandort sein und bleiben. Hier schließen jährlich rund 1.100 junge Menschen erfolgreich eine Ausbildung in einem Pflegeberuf ab. Es gibt in Brandenburg 32 Schulstandorte mit einer Ausbildungskapazität von rund 4.600 Ausbildungsplätzen an denen man Gesundheits - und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege, Altenpflege, Krankenpflegehilfe oder Altenpflegehilfe erlernen kann. Das Land Brandenburg fördert den theoretischen und praktischen Unterricht der dreijährigen Altenpflegeausbildung und nunmehr auch der Regelausbildung in der einjährigen Altenpflegehilfe. Die Durchlässigkeit des Ausbildungssystems ermöglicht einem großen Personenkreis den Einstieg in eine anspruchsvolle und krisensichere, berufliche Tätigkeit. Das Land sichert allen Interessierten einen Ausbildungsplatz zu. Dabei haben Auszubildende in Brandenburg kein Schulgeld zu zahlen . Die Qualität der Ausbildung wird auf der Grundlage landesrechtlicher Regelungen gesichert und geprüft. Die Chancen, die das nunmehr in Aussicht stehende Pflegeberufsgesetz bietet, sollen effektiv genutzt werden. Insbesondere die Umsetzung des hierin vorgesehenen vorbehaltlosen Umlageverfahrens wird auf der Agenda der Landesregierung stehen und zur Attraktivität der Ausbildung beitragen. Daneben wird durch die beabsichtigte Regelung der Finanzierung der Praxisbegleitung die Qualität der praktischen Ausbildung gestärkt. Seit dem Sommersemester 2013 gibt es den Modellstudiengang „Pflegewissenschaften “ an der BTU Cottbus – Senftenberg, der neben dem Bachelor-Abschluss einen Berufsabschluss im Bereich Alten- bzw. Gesundheits- und Krankenpflege ermöglicht. Auch berufsbegleitende Quereinstiege sind möglich. Die ersten Absolventen werden in diesem Jahr die Hochschule verlassen. Auch dieses akademische Angebot trägt zur Attraktivität des Berufsbildes bei.