Landtag Brandenburg Drucksache 6/6674 6. Wahlperiode Eingegangen: 23.05.2017 / Ausgegeben: 29.05.2017 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 2653 der Abgeordneten Iris Schülzke (BVB/FREIE WÄHLER Gruppe) Drucksache 6/6476 Absurditäten im Umgang mit Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragestellerin: Am 17.12.2015 veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht zwei Beschlüsse zu erfolgreichen Verfassungsbeschwerden gegen die Erhebung von so genannten Altanschließerbeiträgen. Am 11. Februar 2016 wurden diese Entscheidungen in Landesrecht übernommen, indem das Oberverwaltungsgericht Brandenburg die eigenen Urteile abänderte. Für viele Beitragsbetroffene endeten so Unsicherheiten zur Belastung mit Beitragsforderungen, die teils aus den frühen neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts stammen. Leider ist bis zum heutigen Tage keine einheitliche Handlungsanweisung an die Aufgabenträger erstellt worden. Sehr viele Beitragsbetroffene könnten erneut Verwaltungs- und Zivilgerichte anrufen müssen, um Ihre Rückforderungen durchzusetzen. Es ergeben sich nun fast monatlich neue rechtliche Positionen der Gerichte und Obergerichte. Beispielsweise sei hier abgeführt, dass nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 16. Januar 2017 (- 1 BvR 2406/16 - - 1 BvR 2407/16 - - 1 BvR 2408/16 - - 1 BvR 2409/16 - ) die Aufgabenträger und Ihre Rechtsberater zu jeder Zeit hätten erkennen und beraten müssen, dass eine rückwirkende Beitragserhebung gegen grundgesetzliche Regelungen verstößt. Die Aufgabenträger handeln sicher im Rahmen der vorgegebenen Landesgesetze. Folgt man der Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes , in der oben zitierten Entscheidung vom 16. Januar 2017, muss jeder Aufgabenträger , zu jeder Zeit, das eigene Handeln auf Grundgesetzkonformität prüfen. Das betrifft auch und insbesondere die Kontroll- und Beratungspflichten der Kommunalaufsichtsbehörden in Kenntnis der veröffentlichten und gültigen Satzungen der einzelnen Verbände und der geänderten und nun klaren Rechtslage. Frage 1: Wann wird das Innenministerium des Landes Brandenburg eine Handlungsempfehlung an die kommunalen Aufgabenträger, im Umgang mit der Altanschließerfrage, erstellen ? zu Frage 1: Die Landesregierung hat, auch im Interesse der Aufgabenträger, ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben, welches neben den Folgen, die sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.11.2015 ergeben, ausdrücklich auch die grundsätzlich möglichen Handlungsoptionen der betroffenen Aufgabenträger darstellt (Rückzahlungsoptionen I bis IV). Das MIK hat dieses Gutachten auf seiner Seite veröffentlicht und allen Aufgabenträgern zur Verfügung gestellt. Aus dem Gutachten ergibt sich, dass es im Hinblick auf den Umgang mit den Folgen der o. g. Bundesverfassungsge- Landtag Brandenburg Drucksache 6/6674 - 2 - richtsentscheidung keinen landeseinheitlichen „Königsweg“ gibt. Vielmehr handelt es sich um kommunale Selbstverwaltungsaufgaben. Zudem stellen sich die Fallgestaltungen vor Ort sehr unterschiedlich dar, sodass konkrete Handlungsempfehlungen der Landesregierung an die Aufgabenträger weder angezeigt noch möglich sind. Jeder Aufgabenträger muss anhand der jeweiligen örtlichen Verhältnisse in eigener Zuständigkeit entscheiden, welche Konsequenzen er aus der o. g. Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zieht. Frage 2: Wie werden die Kommunalaufsichten tätig, wenn einzelne Aufgabenträger Vollstreckungsmaßnahmen gegen Altanschließer durchführen? zu Frage 2: Die Kommunalaufsichten üben die Rechtsaufsicht über die Aufgabenträger aus. Ihnen obliegt hierbei sowohl die Prüfung der im öffentlichen Interesse gebotenen Einhaltung des geltenden Rechts durch die Aufgabenträger als auch deren Beratung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Die Ausübung der Aufsicht unterliegt dem Opportunitätsprinzip (BVerfGE 6, 104; 8, 122). Der Aufsichts-behörde steht grundsätzlich ein Entschließungsermessen zu, ob sie gegenüber dem Aufgabenträger einschreitet. Die Kommunalaufsicht handelt allein im öffentlichen Interesse. Die Kommunalaufsicht dient daher nicht dazu, Privatinteressen Einzelner zu vertreten bzw. durchzusetzen, wenn diese die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln haben. Der Einzelne hat damit keinen Anspruch auf ein Tätigwerden der Rechtsaufsichtsbehörde. Gleichwohl kann sich eine Prüfungspflicht für die Aufsichtsbehörde bei Vorliegen von Hinweisen auf ein Fehlverhalten des Aufgabenträgers ergeben. Ein kommunalaufsichtliches Einschreiten erfolgt hierbei jedoch nur bei offensichtlich rechtswidrigem Verhalten von Aufgabenträgern. Ob ein offensichtlich rechtswidriges Verhalten bei der Vollstreckung gegen Beitragsschuldner vorliegt, die von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.11.2015 betroffen sind, ist gerichtlich noch nicht abschließend geklärt. Frage 3: Wann, wie und mit welchem Ergebnis haben die Kommunalaufsichten als Untere Landesbehörden das Handeln der Aufgabenträger in den Jahren 2004 – 2015 auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Verwaltungsrecht und mit der Grundgesetzkonformität geprüft ? zu Frage 3: Der Landesregierung liegen hierzu im Rahmen des für die Bearbeitung Kleiner Anfragen zur Verfügung stehenden Zeitraums keine hinreichenden Daten vor. Frage 4: Einzelne Aufgabenträger versuchen die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes und die Urteile des OVG Berlin/Brandenburg zu umgehen, indem behauptet wird, die Verbandserweiterungen begründen neue Beitragspflichten, auch wenn erste Beitragsbescheide aus den frühen neunziger Jahren stammen. Diese Behauptung wiederlegte das VG Frankfurt/Oder, genau wie auch das Bundesverfassungsgericht. Wie schreiten die Kommunalaufsichten bei einem so offensichtlichen Rechtsbruch ein? zu Frage 4: Eine abschließend geklärte oberverwaltungsgerichtliche Entscheidung liegt diesbezüglich noch nicht vor (vgl. Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 20.01.2017, 9 S 28.16, RnNr. 9). Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezogen auf die Auswirkungen einer Eingemeindung auf die Anschlussmöglichkeit ist der Landesregierung nicht bekannt. Landtag Brandenburg Drucksache 6/6674 - 3 - Frage 5: Nach Informationen des Innenministeriums des Landes Brandenburg sollen Aufgabenträger zur Abdeckung des finanziellen Aufwandes im Zusammenhang mit der Lösung der Altanschließerfragen einen Pauschalbetrag als Zuweisung erhalten. Wie wurde dieser Betrag ermittelt, wie hoch ist er, wie wird er ausgereicht, an welche Bedingungen ist die Zuwendung gebunden, wie, durch wen und wo wird dieser Pauschalbeitrag beantragt? zu Frage 5: Es handelt sich bislang lediglich um einen Richtlinienentwurf. Danach ist jeder von der o.g. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts durch Rückzahlungsverpflichtungen betroffene Aufgabenträger der Wasserversorgung bzw. Abwasserbeseitigung antragsberechtigt . Jeder Antragsteller erhält auf Antrag – unabhängig von der gewählten Rückzahlungsoption - eine pauschale einmalige Zuwendung in Höhe von 200.000 EUR. Der Pauschalbetrag ergibt sich aus dem Verhältnis der zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel zu der dem MIK bekannten Zahl der von der BVerfG-Entscheidung betroffenen Aufgabenträger. Mit der Zuwendung werden die nach dem 12.11.2015 angefallenen und nicht gebührenfähigen Verwaltungskosten, die im Zuge der Umsetzung der BVerfG-Entscheidung, insbesondere bei der Bearbeitung von Rückzahlungsforderungen, entstehen oder entstanden sind, vom Land anteilig erstattet. Der formlose, aber schriftliche Zuwendungsantrag ist über die für den Aufgabenträger zuständige Kommunalaufsichtsbehörde an die ILB zu richten. Dabei ist vom Aufgabenträger die Betroffenheit von der BVerfG-Entscheidung (Rückzahlungsverpflichtung) nachzuweisen und ein Grundsatzbeschluss der Vertretungskörperschaft (Verbandsversammlung, Gemeindevertretung) über den Inhalt und Umfang der Beitragsrückzahlung einschließlich der Beschlussvorlage (Beschlussbegründung) beizufügen . Mit dem Pauschalbetrag dürfen die o. g. nicht gebührenfähigen Verwaltungskosten zu maximal 90% gedeckt werden. Der Aufgabenträger hat innerhalb von 6 Monaten die ordnungsgemäße Verwendung nachzuweisen. Er hat zudem nachzuweisen, dass die tatsächlich angefallenen, nicht gebührenfähigen Verwaltungskosten den Betrag von 222.000 Euro nicht unterschritten haben. Frage 6: Folgt man der Argumentation des oben genannten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes , dann hätten die Rechtsberater der Aufgabenträger zu jeder Zeit die Rechtswidrigkeit der rückwirkenden Beitragserhebung erkennen müssen. Ergeben sich daraus mögliche Schadensersatzansprüche gegen die oft vertraglich, auch mit Honorar gebundenen Rechtsberater, wegen einer möglichen Falschberatung? zu Frage 6: Nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) ist die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden. Kommunalaufsichtsbehörden und Aufgabenträger hatten mithin bis zur Verkündung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.11.2015 die bis dahin geltende, mehrfach obergerichtlich durch das OVG Berlin-Brandenburg und das LVerfG bestätigte Rechtsprechung zur Erhebung von Anschlussbeiträgen umzusetzen. Der Landesregierung obliegt es nicht, über das Bestehen von zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen der Aufgabenträger gegenüber Rechtsberatern zu entscheiden.