Landtag Brandenburg Drucksache 6/7408 6. Wahlperiode Eingegangen: 20.09.2017 / Ausgegeben: 25.09.2017 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 2972 des Abgeordneten Danny Eichelbaum (CDU-Fraktion) Drucksache 6/7264 Extremismus in den Justizvollzugsanstalten Brandenburg Namens der Landesregierung beantwortet der Minister der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Fragestellers: Das Thema „Radikalisierung in den Justizvollzugsanstalten “ ist bereits seit den 90er Jahren ein zentrales Problem im Strafvollzug. Kleinkriminelle suchen Anschluss und Anerkennung und finden sie unter Umständen in extremistischen Ideologien und Gemeinschaften, die sich in den Gefängnissen gebildet habe. Gefördert wird diese Radikalisierung oftmals durch eine „Gefangenenhilfe“ durch extremistische Kreise von außen. 2001 wurde daher in Brandenburg das Modellprojekt „Verantwortung übernehmen – Abschied von Hass und Gewalt“ gestartet, um Rechtsradikalisierung zu verhindern. Heutzutage droht jedoch nicht nur eine Verbreitung rechtsextremistischer Ideologie und Gewalt in Gefängnissen, sondern auch von islamistischer, salafistischer und ggf. linksradikaler Ideologie. Hiergegen präventiv vorzugehen, ist Aufgabe der Länder. Frage 1: Wurden in den letzten fünf Jahren extremistische Gruppierungen in Brandenburger Justizvollzugsanstalten bekannt (bitte aufschlüsseln nach JVA und extremistischer Richtung/einschließlich Name der Gruppierung)? zu Frage1: In dem in Rede stehenden Zeitraum sind keine Feststellungen getroffen worden , wonach sich extremistische Gruppierungen in den Justizvollzugsanstalten des Landes gebildet hätten oder bestehen. Frage 2: Gibt es Gefangenenunterstützung aus extremistischen Kreisen heraus (bitte aufschlüsseln nach JVA und extremistischer Richtung/einschließlich Name der Gefangenenhilfe )? zu Frage 2: Es liegen in den brandenburgischen Vollzugsanstalten keine Erkenntnisse über das Tätigwerden extremistischer Kreise im Sinne der Unterstützung von Gefangenen vor. Frage 3: Gibt es Erkenntnisse, wie viele Häftlinge sich in den letzten zehn Jahren erst während ihrer Haftzeit radikalisiert haben? Falls nein: ist eine derartige Erfassung oder Beobachtung geplant? zu Frage 3: Nach den vorliegenden Erkenntnissen hat sich in den letzten 10 Jahren kein Gefangener während seiner Haftzeit radikalisiert. Die Leiter der Justizvollzugsanstalten Landtag Brandenburg Drucksache 6/7408 - 2 - sind gleichwohl sensibilisiert worden, auf entsprechende mögliche Entwicklungen zu achten , dies bei vollzuglichen Maßnahmen zu berücksichtigen und gegebenenfalls mit den zuständigen Justiz- und Sicherheitsbehörden in Kontakt zu treten. Gefangene, die wegen (des Verdachts) einer Straftat gemäß den §§ 89 a, 89 b, 89 c, 129 a und 129 b StGB inhaftiert sind, werden zentral erfasst. Frage 4: Sind Gegenmaßnahmen und Präventionsmaßnahmen geplant? Falls ja: Wie sehen sie aus/sollen sie aussehen? zu Frage 4: Um möglichen Radikalisierungsbestrebungen im Justizvollzug entgegenzuwirken werden den Justizvollzugsanstalten u.a. Merkblätter und Indikatorenlisten zur Verfügung gestellt, anhand derer sie Radikalisierungserscheinungen erkennen können. Daneben finden (anstaltsinterne) Schulungen zum Thema „Radikalisierung“ statt. Nicht zuletzt bietet der Informationsaustausch des Justizvollzuges mit den Justiz- und Sicherheitsbehörden die Möglichkeit, Radikalisierungen frühzeitig erkennen zu können. Im Übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 5 und 11 verwiesen. Frage 5: Wurde das Modellprojekt „Verantwortung übernehmen – Abschied von Hass und Gewalt“ – ggf. in ähnlicher Form - fortgeführt? zu Frage 5: Das bisherige Deradikalisierungsangebot des Vereins „Violence Prevention Network – VPN - “ mit dem Arbeitstitel „Abschied von Hass und Gewalt“ zum Umgang mit rechtsextremistisch gefährdeten jungen Gefangenen wurde von 2001 bis 2016 (bis 2007 mit einem Vorläuferverein, aus dem VPN hervorgegangen ist) im hiesigen Jugendvollzug durchgeführt. Es ist seinerzeit von der Brandenburger Justiz gemeinsam mit der Bundeszentrale und der hiesigen Landeszentrale für politische Bildung mitentwickelt und mitfinanziert worden. Danach erfolgte die Finanzierung über unterschiedliche Förderprogramme. Die bisherigen Präventionsangebote richteten sich aus Ressourcengründen ausschließlich an männliche Gefangene des Jugendstrafvollzuges. In einem Einzelfall wurde ein wegen einer rechtsextremistisch motivierten Gewalttat verurteilter erwachsener Gefangener im Rahmen eines Einzelcoachings durch den Verein „VPN“ betreut. Im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben“ wird für die Jahre 2017 bis 2019 eine Erweiterung der Zielgruppe möglich sein. Folgende Angebote sind beabsichtigt: Für diejenigen Gefangenen, die dem extremistischen Spektrum zuzurechnen sind, sollen sogenannte Einzelcoachings einschließlich Maßnahmen des Übergangsmanagements und des Stabilisierungscoachings nach der Haftentlassung angeboten werden. Daneben sind Maßnahmen der Prävention, die extremistischen Einstellungen vorbeugen sollen, vorgesehen. Hierzu sind insbesondere Workshops, in welchen ideologisierte Denkmuster radikalisierungsgefährdeter Gefangener hinterfragt werden, vorgesehen. Frage 6: Gibt es Weiterbildungen für die Vollzugsbediensteten, um Radikalisierungen oder Gang-Bildungen zu erkennen (z.B. Kenntnis rechtsextremistischer Symbole und „Codes“ etc.)? zu Frage 6: Es gibt Weiterbildungen für Vollzugsbedienstete. So wurden und werden Seminare zu psychischen Aspekten von Radikalisierung und zum islamistischen bzw. religiösen Extremismus angeboten. Daneben werden Weiterbildungsmaßnahmen zur transkultu- Landtag Brandenburg Drucksache 6/7408 - 3 - rellen Konfliktkommunikation sowie Deeskalationsseminare vorgehalten. Ergänzend dazu werden derzeit - im Rahmen eines gemeinsam mit den Justizvollzugsanstalten und einem externen Anbieter durchgeführten Projektes - Fortbildungen zum Thema „Mobile Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung von Menschen in Haft und in der Bewährungshilfe“ vorbereitet. Mit diesen Fortbildungen sollen die Bediensteten u.a. befähigt werden, Radikalisierungsgefahren zu erkennen und Kommunikationsstrukturen mit den Gefangenen herzustellen, die gefährdet sind, sich zu radikalisieren. Hierbei erfolgt auch eine Einbeziehung der Bewährungshilfe. Frage 7: Gibt es – ähnlich wie in Hessen – Strukturbeobachter bzw. eigens hierfür ausgebildete und eingestellte Bedienstete, die Radikalisierungen frühzeitig erkennen können? zu Frage 7: In den Vollzugsanstalten des Landes Brandenburg gibt es keine Strukturbeobachter bzw. eigens für das Erkennen von Radikalisierung*stendenzen unter den Gefangenen ausgebildete oder eingestellte Bedienstete. Die vorhandenen bzw. sich in Vorbereitung befindenden Aus- und Fortbildungsangebote sind aktuell darauf gerichtet, eine große Anzahl von Bediensteten, insbesondere der Fachdienste, zu erreichen, damit diese im alltäglichen Kontakt mit den Gefangenen Radikalisierungserscheinungen erkennen und geeignete Maßnahmen ergreifen können. Im Übrigen nehmen angesichts der tatsächlichen Gegebenheiten im brandenburgischen Justizvollzug derzeit die Leiter Sicherheit und Ordnung in den Justizvollzugsanstalten die Aufgabe wahr, sich entwickelnde subkulturelle Strukturen und Radikalisierungsbestrebungen zu beobachten. Frage 8: Sind ausreichend Dolmetscher in den Justizvollzugsanstalten vorhanden (bitte aufschlüsseln nach JVA und Sprache)? zu Frage 8: In den brandenburgischen Justizvollzugsanstalten sind keine Dolmetscher fest angestellt. Bei Bedarf werden diese auf Honorarbasis zu Gesprächen mit Gefangenen hinzugezogen. Grundsätzlich gibt es diesbezüglich keine Probleme. In einzelnen Fällen hat es sich allerdings als schwierig erwiesen, gerichtlich vereidigte Dolmetscher in Sprachen hinzuzuziehen, welche wenig im Land Brandenburg gesprochen werden, insbesondere in Fällen, in denen Gefangenen seltene Dialekte sprachen. Frage 9: Wird religiöse Unterstützung für alle Religionen in den einzelnen Justizvollzugsanstalten angeboten? Wenn ja, bedarf es hierfür einer besonderen Ausbildung oder Überprüfung ? zu Frage 9: Gemäß § 81 BbGJVollzG darf den Gefangenen die religiöse Betreuung nicht versagt werden und es ist ihnen auch „zu helfen, mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger in Verbindung zu treten“. Aufgrund des hohen Bedarfs an Seelsorge durch die christlichen Religionsgemeinschaften sind an allen Justizvollzugsanstalten des Landes protestantische bzw. katholische Seelsorgerinnen und/oder Seelsorger tätig. Auf Wunsch von Gefangenen anderen Glaubens wird jeweils ein Besuch durch einen Vertreter der entsprechenden Glaubensrichtung durch die Justizvollzugsanstalt organisiert. Seelsorger, die von der katholischen oder evangelischen Kirche für eine Tätigkeit im Justizvollzug freigestellt sind, werden nicht einer gesonderten Sicherheitsüberprüfung unterzogen, da die Beschäftigung bei diesen Kirchen mit dem Beamtenverhältnis vergleichbar ist und von den Kirchen bereits eine entsprechende Überprüfung durchgeführt wurde. Seelsorger anderer Glaubensrichtungen, gleich von wem benannt, werden vor einer Tätigkeit im Brandenbur- Landtag Brandenburg Drucksache 6/7408 - 4 - ger Justizvollzug mit deren Einverständnis einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Die Ausbildung betreffende formelle Voraussetzungen sollen im Auftrag der Justizministerkonferenz in einer Arbeitsgruppe erarbeitet und sodann von allen Bundesländern übernommen werden. Im Land Brandenburg wird gleichwohl bereits jetzt darauf geachtet, dass ein, der jeweiligen Glaubensrichtung entsprechender, Ausbildungshintergrund vorhanden ist. Frage 10: Werden ausländischen Häftlingen besondere Resozialisierungsmaßnahmen angeboten (bspw. Pflicht-Deutschkurse etc.)? zu Frage 10: Die Vollzugs- und Eingliederungsplanung erfolgt auch für ausländische Gefangene nach § 15 Brandenburgisches Vollzugsgesetz auf der Grundlage des Diagnoseverfahrens . Darin werden die unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Vollzugsdauer zur Erreichung des Vollzugsziels erforderlichen Maßnahmen aufgezeigt und weitere Hilfsangebote und Empfehlungen gegeben. Grundsätzlich stehen den ausländischen Gefangenen alle Behandlungsangebote zur Verfügung, soweit sie die deutsche Sprache hinreichend beherrschen. Für Gefangene, die der deutschen Sprache nicht oder nur kaum mächtig sind, steht der Erwerb von Sprachkenntnissen im Vordergrund. Hierfür werden in allen Justizvollzugsanstalten entsprechende Maßnahmen angeboten. Das Angebot erstreckt sich vom Kurs „Deutsch als Fremdsprache“ bis hin zum Erlernen der deutschen Sprache in einer Vollzeitmaßnahme im Jugendvollzug. Frage 11: Existiert ein Deradikalisierungstraining für Häftlinge (bitte aufschlüsseln nach JVA und extremistischer Richtung)? zu Frage 11: Im Justizvollzug des Landes Brandenburg sind Radikalisierungen bisher als Gefährdungen im rechten Spektrum aufgetreten. Die Maßnahmen, die im Rahmen des in der Antwort zu Frage 5 aufgezeigten Projekts durchgeführt werden sollen, können auch bei Radikalisierungen im linken oder islamistischen Spektrum Anwendung finden. Von den Justizvollzugsanstalten Brandenburg a.d.H., Cottbus-Dissenchen, Luckau-Duben und Wriezen wurden Bedarfe für Einzelcoachings benannt, die in der Projektplanung vollumfänglich berücksichtigt werden konnten. Sollten sich die Bedarfe ändern, ist eine Verschiebung der Coachings zwischen den Anstalten jederzeit möglich. Die in der Antwort zu Frage 5 benannten Workshops werden in den Justizvollzugsanstalten Brandenburg a.d.H., Cottbus-Dissenchen und Luckau-Duben durchgeführt. Auch diesen Festlegungen liegen die Bedarfsmeldungen der Justizvollzugsanstalten zugrunde. Daneben werden in den Justizvollzugsanstalten Luckau-Duben und Wriezen Trainingsprogramme der „Denkzeit – Gesellschaft zur Förderung wissenschaftlich begründeter Methoden psychosozialer Arbeit mit jungen Menschen“ angeboten. Außerdem wird für Väter in Haft in den Justizvollzugsanstalten Wriezen, Cottbus-Dissenchen und Neuruppin-Wulkow das Projekt Präfix R angeboten. Das Projekt richtet sich an Väter, die daran interessiert sind, ihre Erziehungsstile und –haltungen zu reflektieren. Angesprochen werden insbesondere Väter, die rechtsaffine Einstellungen oder auch ideologisch verfestigte rechtsextreme Überzeugungen haben bzw. möglicherweise selbst radikalisierten Gruppen angehören oder gefährdet sind, sich diesen anzuschließen, und bei denen davon auszugehen ist, dass sie bewusst oder auch unreflektiert ihre Überzeugungen an ihre Kinder weitergeben. Landtag Brandenburg Drucksache 6/7408 - 5 - Frage 12: Welche Aussteigerprogramme/-hilfen existieren für die unterschiedlichen extremistischen Strömungen? Werden sie aktiv gefährdeten Häftlingen angeboten? zu Frage 12: Eigene Aussteigerangebote werden nicht vorgehalten. Es wird auf das Angebot des Vereins „Exit“ verwiesen.