Landtag Brandenburg Drucksache 6/7574 6. Wahlperiode Eingegangen: 02.11.2017 / Ausgegeben: 07.11.2017 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 3012 der Abgeordneten Kristy Augustin (CDU-Fraktion) und Raik Nowka (CDU-Fraktion) Drucksache 6/7352 Schutzmaßnahmen für Kinder in Not Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Bildung, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Fragenstellenden: In der Antwort zur Kleinen Anfrage 2695 (Drucksache 6/6583) wurden erschreckende Zahlen zur Gefährdung von Kindern und Jugendlichen dargestellt. Seit 2010 haben sich die notwendigen Schutzmaßnahmen verdoppelt. Jeden Tag müssen im Land Brandenburg 8 Maßnahmen zur Sicherung des Kindeswohls durch Behörden ergriffen werden. Vorbemerkung der Landesregierung: Die Zunahme der Inobhutnahmen ergibt sich in erster Linie aus der hohen Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, die bei ihrer Einreise durch die Jugendämter qua gesetzlichem Auftrag in Obhut zu nehmen sind. Für diese Gruppe sind seitens der öffentlichen Träger und der freien Träger der Jugendhilfe große Anstrengungen erfolgreich unternommen worden, binnen kürzester Zeit Aufnahmekapazitäten zu schaffen, die den Standards der Jugendhilfe entsprechen. So gab es zu jeder Zeit Einrichtungen zur Erstaufnahme und zum Clearing, die entsprechend personell ausgestattet waren, um den eingereisten Kindern und Jugendlichen einen Ort des Ankommens zu bieten, erste Sprachkenntnisse zu erwerben, ausländerrechtliche Fragen zu klären, gegebenenfalls die medizinische Erstuntersuchung durchzuführen und sich mit den Gegebenheiten in Deutschland vertraut zu machen. 1. Die Zahlen zur häuslichen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche haben sich in den Jahren von 2010-2017 fast verdoppelt. Worauf führt die Landesregierung die steigende Gewalt zurück? zu Frage 1: Der Polizei Brandenburg liegen keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, die diese Entwicklung valide erklären können. Es ist möglich, dass die vielfältigen gesamtgesellschaftlichen Bemühungen bei Sensibilisierung und Opferschutz auch zu einer gestiegenen Anzeigenbereitschaft geführt haben. 2. Wie haben sich diese Zahlen im Quartal 1 und 2 2017 zu den Vergleichsquartalen ab 2010 entwickelt? zu Frage 2: Es wird darauf hingewiesen, dass gemäß einer Vereinbarung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern (IMK) vom 05.12.2002 eine unterjährige Veröffentlichung der Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) un- Landtag Brandenburg Drucksache 6/7574 - 2 - terbleiben soll. Dies liegt insbesondere darin begründet, dass die PKS-Zahlen eines Berichtsjahres erst im darauffolgenden Jahr (Jahresanfang) endgültig feststehen und unterjährig erhobene Daten nicht valide sind. Gegenwärtig ist auf Grundlage der PKS festzustellen , dass im Vergleich der ersten beiden Quartale 2016/2017 ein Anstieg bei Straftaten der häuslichen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche erfasst wurde. 3. Wie bewertet die Landesregierung die Vervierfachung der Schutzmaßnahmen, die im Zusammenhang mit Suchtproblemen eines Kindes/Jugendlichen standen? zu Frage 3: Es trifft zu, dass sich den Zahlen des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg zufolge der Anteil der vorläufigen Schutzmaßnahmen im Zeitraum 2010 bis 2016, die aus Anlass einer Suchtproblematik des Kindes bzw. Jugendlichen durchgeführt wurden, etwa vervierfacht hat. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die absoluten Zahlen geringfügig sind und sich im betreffenden Zeitraum zwischen 2,2 % und 3,4 % aller vorläufigen Schutzmaßnahmen bewegen. Generell ist im Land Brandenburg keine signifikante Zunahme von Suchtproblemen Minderjähriger zu konstatieren. Die Ergebnisse der regelmäßigen Erhebungen der Landessuchtkonferenz Brandenburg zum Substanzkonsum bei Jugendlichen (Tabak, Alkohol, illegale Drogen) der vergangenen 12 Jahre belegen vielmehr einen kontinuierlichen Rückgang der Anzahl Jugendlicher, die regelmäßig Alkohol konsumieren. Bei den illegalen Drogen wird im genannten Zeitraum ein Anstieg des Cannabiskonsums auf niedrigem Niveau verzeichnet. Alle anderen illegalen Drogen neben Cannabis spielen in der Altersgruppe der Jugendlichen eine geringe Rolle (vgl. MASGF, Landessuchtkonferenz Brandenburg , Substanzkonsum bei Jugendlichen - Ergebnisse der 4. Welle der Befragung Brandenburger Jugendlicher und Substanzkonsum). Auch aus Sicht der Jugendämter in Brandenburg haben vorläufige Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit einer Suchtproblematik von Kindern und Jugendlichen eine geringe Bedeutung. Insgesamt kann zudem festgestellt werden, dass seit der Einführung des Bundeskinderschutzgesetzes im Jahr 2011 die allgemeine Aufmerksamkeit für die Thematik des Schutzes von Kindern und Jugendlichen bzw. des Kindeswohls geschärft wurde. Menschen im Umfeld von Kindern, im sozialen Wohnumfeld wie auch in Einrichtungen zur Betreuung und Bildung von Kindern und Jugendlichen, beobachten bewusster, wie es den Kindern und Jugendlichen in Ihrer Umgebung geht und sie wenden sich an öffentliche Stellen, vor allem an Jugendämter, um ihre Sorge um diese Kinder und Jugendlichen mitzuteilen. 4. Wie haben sich diese Zahlen im Quartal 1 und 2 2017 zu den Vergleichsquartalen ab 2010 entwickelt? zu Frage 4: Statistische Daten für das laufende Jahr veröffentlicht das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg erst ab Mitte des folgenden Jahres. Die Entwicklung zwischen 2010 und 2016 kann der nachfolgenden Tabelle 1 entnommen werden: Tabelle 1: Amtliche Statistik zu den vorläufigen Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche 2010 bis 2016, Unmittelbarer Anlass der Maßnahme – Suchtprobleme des Kindes/der/des Jugendlichen 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 22 34 47 44 74 83 101 Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Statistische Berichte, Jg. 2010 - 2016 Landtag Brandenburg Drucksache 6/7574 - 3 - 5. Welche Drogen stellen diesbezüglich ein besonderes Problem dar? zu Frage 5: Es wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. 6. Welche Regionen des Landes sind von Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit der Drogenproblematik besonders betroffen? zu Frage 6: Nach Auskunft des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg wurden 2016 im Landkreis Barnim und in der Landeshauptstadt Potsdam die meisten vorläufigen Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit Suchtproblemen von Kindern und Jugendlichen verzeichnet . Im Jahr 2015 waren die diesbezüglichen Zahlen im Landkreis Teltow-Fläming und in der Landeshauptstadt Potsdam am höchsten. Aufgrund der geringen Höhe werden diese Zahlen nicht absolut angegeben; sie bewegen sich in beiden Jahren zwischen 14 und 25. 7. Wie bewertet die Landesregierung die stark ansteigende Zahl der vorläufigen Schutzmaßnahmen bzw. der Unterbringungen während der Maßnahme? zu Frage 7: Wie in der Vorbemerkung bereits ausgeführt, ist die ansteigende Zahl der vorläufigen Schutzmaßnahmen durch die starke Zunahme der unbegleitet eingereisten ausländischen Minderjährigen (Geflüchtete) zu erklären. Diese sind gemäß § 42 SGB VIII bzw. nach der Novellierung des SGB VIII vom 01.11.2015 gemäß §§ 42a ff. SGB VIII unmittelbar nach ihrer Einreise oder nach Zuweisungsentscheidung der zuständigen Landesbehörde vom jeweiligen örtlich zuständigen Jugendamt in Obhut zu nehmen. Während diese Personengruppe Geflüchteter im Jahr 2012 noch einen Anteil von 0,6 % an allen im Land Brandenburg statistisch erfassten vorläufigen Schutzmaßnahmen hatte, ist deren Anteil bereits bis zum Jahr 2014 auf 8,3 % angestiegen sowie im Jahr 2015 auf 22,6 % und im Jahr 2016 auf 35,3 % aller vollzogenen Schutzmaßnahmen. Daneben ist zu beobachten, dass infolge der allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit zum Schutz von Kindern sowie der neueren Gesetzgebung zum Kinderschutz (v. a. Bundeskinderschutzgesetz vom 01.01.2012) die verschiedenen Formen der Kindesvernachlässigung und Gewalt gegen Kinder öffentlich stärker wahrgenommen werden. In der Folge erhalten die Jugendämter zunehmend Hinweise aus der Bevölkerung über mögliche Gefährdungstatbestände von Kindern und Jugendlichen. 8. Wie haben sich diese Zahlen im Quartal 1 und 2 2017 zu den Vergleichsquartalen ab 2010 entwickelt? zu Frage 8: Statistische Daten für das laufende Jahr veröffentlicht das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg erst ab Mitte des folgenden Jahres. Anderweitige Informationen zur Beantwortung der Frage stehen der Landesregierung nicht zur Verfügung. Die Entwicklung der zwischen 2010 und 2016 kann der nachfolgenden Tabelle 2 entnommen werden. Tabelle 2: Amtliche Statistik zu den vorläufigen Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche 2010 bis 2016, Unmittelbarer Anlass der Maßnahme - unbegleitete Einreise aus dem Ausland 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 13 8 9 15 147 458 1.035 Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Statistische Berichte, Jg. 2010 - 2016 Landtag Brandenburg Drucksache 6/7574 - 4 - 9. In welchen Regionen des Landes werden derartige Maßnahmen besonders häufig veranlasst und gibt es an diesen Standorten ausreichend Unterbringungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche? zu Frage 9: Die Übersicht der amtlichen Statistik zu den vorläufigen Schutzmaßnahmen gemäß §§ 42, 42a SGB VIII, die aufgrund einer Gefährdung erfolgten, gibt Auskunft über die Verteilung auf die einzelnen Landkreise und kreisfreien Städte. Tabelle 3: Amtliche Statistik zu den vorläufigen Schutzmaßnahmen gemäß §§ 42, 42a SGB VIII Landkreis / kreisfreie Stadt 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Brandenburg an der Havel 155 126 148 95 95 86 71 Cottbus 89 68 61 49 56 73 102 Frankfurt (Oder) 44 59 48 37 34 56 59 Potsdam 73 69 70 65 84 88 98 Barnim 5 58 27 28 60 133 204 Dahme-Spreewald 40 52 41 66 83 108 150 Elbe-Elster 23 17 23 27 33 69 133 Havelland 5 15 5 22 10 15 55 Märkisch-Oderland 50 46 62 62 53 118 215 Oberhavel 79 74 58 55 38 78 208 Oberspreewald-Lausitz 70 144 67 78 91 102 158 Oder-Spree 49 46 69 52 195 1 93 Ostprignitz-Ruppin 33 55 73 67 56 87 168 Potsdam-Mittelmark 69 80 95 78 69 188 126 Prignitz 22 12 18 24 28 115 73 Spree-Neiße 72 71 64 49 68 83 152 Teltow-Fläming 98 59 71 61 62 55 157 Uckermark 108 99 112 140 132 110 186 Gesamt 1.087 1.150 1.112 1.055 1.247 1.565 2.406 Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Statistische Berichte, Jg. 2010 - 2016 Die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung für die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Plätzen zur stationären Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Krisensituationen obliegt den Landkreisen und kreisfreien Städten als örtlichen Trägern der Jugendhilfe (§§ 79 f. SGB VIII). Der Landesregierung ist nicht bekannt, dass diesbezüglich Engpässe vorhanden sind. Die erhebliche Zunahme dieser Maßnahmen, gerade in Regionen mit bislang geringen Zahlen, ergibt sich aus der gesetzlichen Verpflichtung der Inobhutnahme von minderjährigen unbegleiteten Ausländern gemäß § 42a SGBVIII, die nach Königsteiner Schlüssel im gesamten Bundesland erfolgt. 10. Wie ist die derzeitige Auslastung der zur Verfügung stehenden Unterbringungsmöglichkeiten ? (Mit der Bitte um Auflistung nach belegten und freien Plätzen je Standort.) Landtag Brandenburg Drucksache 6/7574 - 5 - zu Frage 10: Die derzeitige Auslastung der vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten in Krisensituationen ist der Landesregierung nicht bekannt. Die Belegungszahlen der Einrichtungen der Jugendhilfe werden dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport erst am Ende eines jeden Kalenderjahres mit Stichtag 01.11. von den Einrichtungsträgern im Rahmen ihrer Meldepflichten gemäß § 47 SGB VIII mitgeteilt. 11. Ist die Anzahl von 44 Plätzen in den Wohngruppen ausreichend? zu Frage 11: Zur Beantwortung dieser Frage wird auf die Antwort zu Frage 9 verwiesen. 12. Wie bewertet die Landesregierung die ebenfalls stark angestiegenen erzieherischen Hilfen außerhalb des Elternhauses? zu Frage 12: Bei der Beantwortung dieser Fragenstellung wird davon ausgegangen, dass auf die Antwort der Landesregierung zu Frage 14 der Kleinen Anfrage 2695 (Drucksache 6/6583) Bezug genommen wird. Die in der Antwort zitierte Statistik verzeichnet einen signifikanten Anstieg der eingeleiteten erzieherischen Hilfen außerhalb des Elternhauses nach Beendigung vorläufiger Schutzmaßnahmen von 2015 (511 Hilfen) zu 2016 (836 Hilfen ). Dieser Anstieg ist auf die notwendigen erzieherischen Hilfen zugunsten der unbegleiteten minderjährigen Ausländerinnen und Ausländer zurückzuführen. 13. Wie haben sich diese Zahlen im Quartal 1 und 2 2017 zu den Vergleichsquartalen ab 2010 entwickelt? zu Frage 13: Statistische Daten für das laufende Jahr veröffentlicht das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg erst ab Mitte des folgenden Jahres. Anderweitige Informationen zur Beantwortung der Frage stehen der Landesregierung nicht zur Verfügung. Die Entwicklung zwischen 2010 und 2016 kann den Antworten der Landesregierung zu den Fragen 13 und 14 der Kleinen Anfrage 2695 (Drucksache 6/6796) entnommen werden. 14. Wie begründet die Landesregierung, mit Blick auf die dramatischen Zahlen und die steigende Not von Kindern sowie Gewalt gegen Kinder, dass keine eigenen Kinderschutzmaßnahmen ergriffen werden sollen? zu Frage 14: Es wird auf die Antwort zu Frage 7 und die Vorbemerkung verwiesen. Die steigende Zahl vorläufiger Schutzmaßnahmen steht im Zusammenhang mit dem verstärkten Zugang von unbegleiteten ausländischen Minderjährigen. Deren Unterbringung und Betreuung erfolgt in enger Zusammenarbeit des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport mit den Jugendämtern und freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe.