Landtag Brandenburg Drucksache 6/7640 6. Wahlperiode Eingegangen: 15.11.2017 / Ausgegeben: 20.11.2017 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 3061 des Abgeordneten Frank Bommert (CDU-Fraktion) Drucksache 6/7513 Verbesserung der ÖPNV-Anbindung der Gedenkstätte Sachsenhausen Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur die Kleine Anfrage wie folgt: Kürzlich wurde ein Gutachten zur ÖPNV-Anbindung der Gedenkstätte Sachsenhausen vorgestellt. Der Landkreis Oberhavel als Träger des Verkehrsbetriebs soll sich nun mit der Gedenkstätte und der Stadt über das weitere Vorgehen verständigen. Die Bedarfsanalyse basiert auf einer stichprobenhaften Befragung von Besuchern der Gedenkstätte Sachsenhausen in einer Woche im Juli 2017. Sie war gekoppelt mit einer quantitativen statistischen Erfassung der Besucher in diesem Zeitraum. Ich frage die Landesregierung: 1. Auf welcher Basis wird aus dieser kurzfristigen Erhebung, noch dazu im Sommer, eine Hochrechnung auf 700 000 Besucher für das ganze Jahr erstellt? Wurde die Erhebung, die der Landkreis Oberhavel Januar 2017 durchgeführt hat, in die Berechnung einbezogen und wenn ja, mit welchem Ergebnis? Zu Frage 1: Grundlage für die jährliche Gesamtzahl der Gedenkstättenbesucher sind vor allem statistische Daten der Gedenkstätte Sachsenhausen von Januar 2015 bis Juli 2017. Sie basieren auf erfassten Angaben zu den von der Gedenkstätte und von externen Guides betreuten Besucherinnen und Besuchern sowie zu den Ausleihzahlen der Audioführungen . Da hinsichtlich der Einzelbesucherinnen und -besucher, die weder von der Gedenkstätte noch von externen Guides betreut werden, keine verlässlichen Daten über längere Zeiträume vorliegen, beruhen diese auf Schätzungen. Eine weitere wichtige Grundlage bildet nunmehr auch die von der TH Wildau durchgeführte Vollerhebung im Zeitraum vom 13. bis 19. Juli 2017, bei der eine genügend große Stichprobe an Besucherinnen und Besuchern manuell erfasst wurde, um repräsentative Aussagen zur Verkehrsmittelwahl und zum zeitlichen Verlauf im Wochen- und Tagesprofil zu erhalten. Dies wurde untermauert durch nahezu 1.000 Befragungen zur Zufriedenheit mit dem ÖPNV und zur Bereitschaft , Linienbusangebote zu nutzen. Die Hochrechnung auf das Linienbus- Jahrespotenzial erfolgte für die verschiedenen Besuchertypen aus den Besucherstatistiken der Gedenkstätte über den Zeitraum Januar 2015 bis Juli 2017, d. h. über mehr als zweieinhalb Jahre. Die Potenzialabschätzung, d. h. die Bestimmung der Anteile derjenigen , die ein Linienbusangebot nutzen würden, erfolgte besuchertypspezifisch unter Berücksichtigung der Herkunftsorte und der üblichen Anreisewege. Dabei wurde jeweils eine Abschätzung zur sicheren Seite (also konservativ im Sinne weniger Busnutzerinnen und - Landtag Brandenburg Drucksache 6/7640 - 2 - benutzer) vorgenommen, d. h. die Höhe der Potenziale ist anhand von Statistiken sicher belegt und die Nutzungsbereitschaft bestätigt sich durch das erfasste Verhalten in der Erhebungswoche sowie durch die Antworten auf Fragen in den Interviews und Fragebögen. Die Erhebung des Landkreises Oberhavel vom Januar 2017 war den Gutachtern bekannt, ist aber nicht in die Berechnungen in der Untersuchung eingeflossen. 2. Die aktuelle Datengrundlage für die Hochrechnung von 700 000 Besuchern erschließt sich nicht. Warum wurde nicht schon längst - wie auch in anderen ähnlichen Einrichtungen üblich - eine einfache Besucherzählanlage in der Gedenkstätte installiert, zumal ja offensichtlich lediglich zwei Zugänge existieren? Zu Frage 2: Hinsichtlich der Datengrundlagen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Die Besucherinnen und Besucher betreten die Gedenkstätte von der Straße der Nationen her durch verschiedene Öffnungen in der mit modernen Betontafeln nachgezeichneten historischen Lagermauer. Da es keinen eindeutig definierten Eingang gibt, ist eine verlässliche quantitative Erfassung kaum möglich. Hinzu kommt, dass bisher kein Bedarf bestand , die Gesamtzahl der Gedenkstättenbesucherinnen und -besucher ganz exakt zu erfassen, zumal aus den genannten Quellen (Statistik der Besucherbetreuung, Erfassung der extern geführten Gruppen, Ausleihe der Audioführung, Stichprobenzählungen) verlässliches Zahlenmaterial in ausreichendem Umfang vorlag, um die Gesamtzahl der Besucherinnen und Besucher annäherungsweise zu ermitteln. 3. Bei der ermittelten Gesamtzahl von 7630 erfassten befragten Besuchern werden bereits in den eigenen Darstellungen Doppelzählungen am Bahnhof und im Eingangsbereich der Gedenkstätte (bis zu 1926 Besucher doppelt befragt) eingeräumt. Entsprechend den Darstellungen müssen auch Doppelzählungen bei befragten Fußgängern zur und von der Gedenkstätte unterstellt werden. Unklar sind Doppelzählungen bei der Befragung von Lehrern und Guides i. V. m. den erfassten Besuchern am Bahnhof bzw. im Eingangsbereich der Gedenkstätte. Wie sind diese Doppelzählungen bei der Analyse berücksichtig worden? Zu Frage 3: Auf mögliche Doppelbefragungen wurde in der TH-Wildau-Studie ausdrücklich hingewiesen. Daher wurden auch alle statistischen Auswertungen mit quantitativen Angaben zu Befragungsergebnissen nur bezogen auf den jeweiligen Befragungsort bzw. die Befragungsart (z. B. Guide-Befragung per zugesandtem Fragebogen) angegeben. Summen wurden bewusst nicht gebildet. Gleichwohl sind die tendenziellen Aussagen zum Anreiseverhalten , zur Zufriedenheit mit dem derzeitigen Angebot und zu den Anforderungen an ein verbessertes Angebot bei allen Befragungsorten und -gruppen eindeutig in dieselbe Richtung weisend und führen zu einer Bewertung wie in der Studie dargestellt. Unabhängig von den Befragungen (und dabei möglichen Doppelbefragungen) erfolgte eine Besucherzählung (Vollerhebung) an den zwei Eingängen der Gedenkstätte im Untersuchungszeitraum . Damit wurde sichergestellt, dass keine Doppelzählung erfolgte. Doppelbefragungen haben somit keinerlei Einfluss auf die Potenzialbestimmung für die Linienbusnutzung . Die Potenziale wurden - wie zu Frage 1 beschrieben - auf Basis der konkreten Besucherzählung an den Eingängen und den statistischen Daten der Gedenkstätte berechnet . 4. Welche Kosten hat die Erstellung des Gutachtens der TH Wildau verursacht und wer trägt diese Kosten? Landtag Brandenburg Drucksache 6/7640 - 3 - Zu Frage 4: Die Kosten der TH-Wildau-Studie (Tagessätze wissenschaftliches und studentisches Personal sowie Reisekosten) betrugen inkl. Umsatzsteuer 23.324 € und wurden zu 100 % vom Land gefördert. 5. Wie genau und in welcher Form wurde die Messung der Besucherzahlen vorgenommen ? Zu Frage 5: Die Besucherinnen und Besucher in der Erhebungswoche wurden über eine volle Kalenderwoche vom 13.07.2017 bis 19.07.2017 während der kompletten Öffnungszeiten der Gedenkstätte Sachsenhausen an den beiden Zuwegungen zum Besucherzentrum durch studentische Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter erfasst und dokumentiert. Gezählt wurden Besucherinnen und Besucher getrennt nach genutztem Verkehrsmittel und An- und Abreise sowie Wochentag und Uhrzeit in folgenden Kategorien: Fußgängerinnen /Fußgänger, PKW-, Reisebus-, Linienbus- Taxinutzerinnen/-nutzer, Radfahrerinnen /Radfahrer. Auf diese Weise wurden in der Erhebungswoche - bis auf einen vernachlässigbar kleinen Restanteil - alle Besucherinnen und Besucher der Gedenkstätte während der Öffnungszeiten erfasst. Dabei ist für die Untersuchung primär das Verhalten der verschiedenen Besuchertypen und deren Anteil an der Gesamtgruppe entscheidend. Die absolute Anzahl der Besucherinnen und Besucher dieser Woche wurde lediglich zur Plausibilitätsprüfung der Besucherstatistiken genutzt. Sie floss - wie zu den Fragen 1 und 3 beschrieben - nicht unmittelbar in die Potenzialbestimmung ein. 6. Die Machbarkeit eines eigenwirtschaftlichen Verkehrs mit 1 EUR je Fahrt wird im Gutachten unterstellt. Wo ist die entsprechende Berechnung dazu einsehbar? Wer trägt die Kosten, wenn die Einnahmen nicht kostendeckend sind? Zu Frage 6: Die Berechnung der grundsätzlichen Machbarkeit einer eigenwirtschaftlichen Lösung ist Bestandteil des Gutachtens, das von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten in Auftrag gegeben worden ist. Auf dieser Basis werden die weiteren Gespräche und Prüfungen einer Machbarkeit geführt. In diesem Rahmen wird auch die Frage der Kostendeckung zu erörtern sein. 7. Der Vorschlag der Gutachter, einen Shuttlebus einzusetzen, bedeutet auch zusätzliche Kosten für die Nutzer. Wurde im Rahmen der Potentialanalyse und der Befragung der Nutzer ermittelt, ob diese bereit sind, die zusätzlichen Kosten zu übernehmen? Zu Frage 7: Die Gutachter empfehlen einen Shuttlebus, der entweder durch den Landkreis als Aufgabenträger für den ÖPNV innerhalb des VBB-Tarifs bestellt oder auch eigenwirtschaftlich betrieben und für einen gesonderten Fahrpreis angeboten werden kann. Für die Nutzerinnen und Nutzer des Shuttlebusses entstünden im Falle des eigenwirtschaftlichen Betriebs Kosten von 1 Euro je Fahrt. Eine detaillierte Befragung zur Akzeptanz zusätzlicher Kosten durch die Besucherinnen und Besucher wurde nicht durchgeführt. In einzelnen Interviews haben Besucherinnen und Besucher die Bereitschaft dazu dennoch ausdrücklich genannt. 8. Schon jetzt ist die Belastung der Anwohner an der Straße zur Gedenkstätte durch den Busverkehr sehr hoch. Wenn ein Shuttlebetrieb eingesetzt werden sollte, der einen 20minütige Erschließung der Gedenkstätte gewährleistet, würde sich diese Belastung mit Landtag Brandenburg Drucksache 6/7640 - 4 - Bussen vom Bahnhof zur Gedenkstätte und zurück verdreifachen. Inwieweit sind diese zusätzlichen Belastungen der Anwohner in dem Gutachten betrachtet worden? Zu Frage 8: Gegenstand der TH-Wildau-Studie ist die Analyse des Bedarfs für eine verbesserte ÖPNV-Anbindung vom Bahnhof Oranienburg zur Gedenkstätte und zurück. Dieser konnte eindeutig nachgewiesen werden. Die Verkehrsbelastung im Umfeld sowie die konkrete Linienführung waren nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Allerdings ergibt der vorgeschlagene Shuttlebus nahezu keine Erhöhung des Linienbusverkehrs im Jahresverlauf , da er im Einbahnverkehr betrieben werden sollte, saisonal skaliert werden kann und die derzeitigen Linien 804 und 821 die Gedenkstätte nicht mehr anfahren würden. 9. Mit welcher fußläufigen Entfernung zu einem S-Bahnhof gilt ein Bereich durch die S-Bahn als erschlossen? Zu Frage 9: Hierfür gibt es keine allgemeingültige Regel. Der durchschnittliche S-Bahn- Haltestellenabstand in Deutschland innerhalb der S-Bahnnetze beträgt knapp 4,919 km. Mit einer fußläufigen Entfernung von 2,2 km vom Bahnhof Oranienburg ist die Gedenkstätte Sachsenhausen daher durchschnittlich gut erschlossen. 10. Bei täglich ca. 2000 ein- und aussteigenden Besuchern am Bahnhof Oranienburg mit weiterem Wachstumspotenzial - die zur Gedenkstätte Sachsenhausen wollen - ergibt sich der reale Bedarf nach einem eigenen S-Bahn-Halt in den Nähe der Gedenkstätte Sachsenhausen . Zum Vergleich Ein- und Aussteiger: Bergfelde 1200 Lehnitz 1600 Borgsdorf 2350 Mühlenbeck-Mönchmühle 2400 Zieht die Landesregierung in Betracht, die S-Bahn bis zur Gedenkstätte zu verlängern? Zu Frage 10: Nein. Es ist Aufgabe der zuständigen Infrastrukturunternehmen, die bundeseigene Eisenbahninfrastruktur zu erweitern. 11. Alternativ oder übergangsweise könnte eine landesbedeutsame Buslinie im Sinne § 3 Absatz 1 ÖPNV-Gesetz in Finanzierungshoheit des Landes Brandenburg das ermittelte Beförderungspotenzial zwischen dem Bahnhof Oranienburg und der Gedenkstätte Sachsenhausen sichern. In wieweit ist dieser Aspekt im Gutachten betrachtet worden? Wie bewertet die Landesregierung einen solchen Vorschlag? Zu Frage 11: Siehe Antwort zu Frage 8. Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung im sog. übrigen öffentlichen Personennahverkehr (übriger ÖPNV) einschließlich des Ausbildungsverkehrs ist nach § 3 Abs. 3 des ÖPNVG die freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe der Landkreise und kreisfreien Städte. Hierfür erhalten die kommunalen Aufgabenträger finanzielle Zuweisungen vom Land Brandenburg. Die hier thematisierte Verbindung gilt nicht als landesbedeutsame Buslinie, da es sich um eine innerörtliche Verbindung in Oranienburg zwischen dem S-Bahnhof und der Gedenkstätte Sachsenhausen mit einer Länge von ca. 2,2 km handelt.