Landtag Brandenburg Drucksache 6/7766 6. Wahlperiode Eingegangen: 04.12.2017 / Ausgegeben: 11.12.2017 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 3088 der Abgeordneten Ursula Nonnemacher (Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 6/7566 Welche Kosten verursacht Ex-V-Mann „Piatto“ im Zeugenschutz? Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Fragestellerin: Am 10. Juli 2000 hat das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ den - zu diesem Zeitpunkt angeblich seit zehn Tagen ehemaligen - V-Mann „Piatto “ der brandenburgischen Verfassungsschutzbehörde enttarnt. Seit 14. Juli 2000 soll er sich in einem Zeugenschutzprogramm des Landeskriminalamtes Brandenburg befinden. „Piatto“ war vor seiner V-Mann-Tätigkeit an einem Mordversuch beteiligt, den der nigerianische Lehrer St. E. nur deshalb überlebt hat, weil ihn ein Disco-Mitarbeiter schwerstverletzt aus einem See zog und schnell ein Notarzt zur Stelle war. In seiner daraus resultierenden Untersuchungshaft wurde der tatbeteiligte Rassist C. S., der später zu acht Jahren Haft verurteilt wurde, vom brandenburgischen Nachrichtendienst als V-Mann angeworben. Das Schmerzensgeld für das lebensgefährlich verletzte Opfer hat „Piatto“ trotz seiner Einkünfte von der Verfassungsschutzbehörde bis zu seiner Enttarnung als V-Mann nicht bezahlt . Das Land Brandenburg entrichtete schließlich das Schmerzensgeld in Höhe von rund 46.000 D-Mark. Vorbemerkung der Landesregierung: Die personelle verdeckte Informationsbeschaffung im Vorfeld konkreter Gefahren nach § 6 Absatz 3 Nr. 1 BbgVerfSchG, § 34 BbgPolG oder zur Verfolgung eines diesbezüglichen staatlichen Strafverfolgungsanspruchs ist ein elementares Mittel der Gefahrenerkennung, -abwehr und diesbezüglicher Strafverfolgung im Rechtsextremismus. Sie dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung , des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. Zugleich ist die Zeugenaussage das zentrale Beweismittel und für die Wahrheitsfindung im Strafprozess regelmäßig entscheidend. Dies gilt aufgrund spezieller Szenespezifika besonders für Aussagen von Vertrauenspersonen in anschließenden Strafprozessen. Die Zusammenarbeitsbereitschaft von Vertrauenspersonen in gerade besonders eng vernetzten, konspirativ agierenden und zugleich teilweise hoch gewaltbereiten Szenen - herzustellen und dauerhaft zu erhalten, ist daher von überragender Bedeutung für die Arbeit von Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden . Gerade in schwierigen Fällen aus besonders gewaltgeneigten Bereichen wie z. B. der politisch motivierten Kriminalität sind Szeneangehörige zur verdeckten Zusammenarbeit und anschließenden Zeugenaussage nur bereit, wenn sie auf den Schutz ihrer körperlichen Integrität vertrauen. Dies zu gewährleisten ist die Aufgabe polizeilicher Zeugenschutzdienststellen. Ein wirkungsvoller Schutz dieser Personen in aktuellen und künftigen Fällen bzw. Einsätzen kann nur gewährleistet werden, wenn die Arbeitsweise des Zeugenschutzes nicht offen gelegt wird. Landtag Brandenburg Drucksache 6/7766 - 2 - Zudem könnte die Preisgabe zeugenschutztaktischer Informationen im konkreten Fall nicht nur die an diesem Verfahren beteiligten Personen, sondern gegebenenfalls auch künftige Vertrauenspersonen, Zeugen und Zeugenschutzmaßnahmen gefährden. Sobald Vertrauenspersonen jedoch auf die Effektivität des Zeugenschutzes nicht mehr vertrauen, hinterfragen sie ihre Zusammenarbeits- bzw. Aussagebereitschaft. Ihre Entscheidung treffen sie hierbei alleine aufgrund ihrer subjektiven Wahrnehmung. Es ist daher für die Sicherheits - und Strafverfolgungsbehörden und die Fachaufsicht führenden Ressorts ein überragendes Ziel, alles zu tun, um Zweifel an der Effektivität und Integrität des polizeilichen Zeugenschutzes zu vermeiden. Zweifel können insbesondere dann entstehen, wenn in der öffentlichen Diskussion kontrovers Einzelaspekte oder zeugenschutztaktische Maßnahmen öffentlich gemacht werden. Aus diesem Grunde können keine Aussagen zu Einzelheiten zeugenschutztaktischer Vorgehensweisen, finanziellen Leistungen an Zeugen, etwaige Rechtsbeiständen, Mitarbeitern und deren dienstlichen Aktivitäten getroffen werden . Denn auch diese Informationen wären geeignet, das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Schutzangebots in der Öffentlichkeit zu entkräften. Zugleich würde mit Veröffentlichung solcher Informationen ein erster konkreter Ansatzpunkt für Bestrebungen der kriminellen Szene zur Enttarnung entsprechend gefährdeter Personen geschaffen. Im Hinblick auf die Beantwortung der vorliegenden Kleinen Anfrage ist die Landesregierung - nach sorgfältiger Abwägung - zu der Auffassung gelangt, dass der Schutz der hier in Frage stehenden Individualrechtsgüter (insbesondere das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit , Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung , Artikel 2 Absatz 1 i. V. m. Artikel 1 Absatz 1 GG) geschützter Personen, ihrer Angehörigen und der sie schützenden Zeugenschützer sowie das Interesse des Staates an einem funktionierenden und effektiven Verfassungsschutz, einer frühzeitigen Gefahrenabwehr und einer entsprechenden Strafrechtspflege das Auskunftsrecht der Abgeordneten bzw. der Fraktion im Einzelfall überwiegen und daher eine Beantwortung im Detail nicht offen erfolgen kann (Artikel 56 Absatz 4 Satz 1 LV BB). Frage 1: Welche Kosten sind bis heute durch den Zeugenschutz für den ehemaligen V- Mann „Piatto“ und alle damit zusammenhängenden Maßnahmen entstanden? (Bitte die Kosten detailliert aufschlüsseln.) zu Frage 1: Unter „Kosten“ in der öffentlichen Verwaltung wird der in Geldeinheiten bewertete , durch den Prozess der Leistungserstellung verursachte Verbrauch an Gütern und Dienstleistungen verstanden. Leistung i. S. d. Zeugenschutzes ist der Schutz der Person. Soweit die Fragestellungen daher auf die Formulierung „Kosten durch den Zeugenschutz“ abstellt, wären Personal-, Betriebs-, Sach- und Reisekosten, die sich aus der Existenz eines polizeilichen Zeugenschutzes und diesbezüglicher Unterstützungsleistungen ergeben, erfasst. Diese lassen sich allerdings nicht trennscharf einer konkreten schutzbedürftigen Person zuweisen und müssen auch nicht kausal durch diese herbeigeführt worden sein. Unter der Fragestellung nach den Kosten für „alle Maßnahmen“, die mit dem Zeugenschutz der konkreten Person zusammenhängen, werden solche nach § 2 Absatz 3 Satz 1 ZSHG erfasst. Zu diesen einzelnen und dokumentierten Maßnahmen werden die Kosten konkret nachgehalten. Die diesbezüglichen Gesamtkosten betrugen seit dem Jahr 2006 circa 38.000 €. Eine detailliertere Aufschlüsselung kann hingegen nicht offen erfolgen. Gemäß § 2 Absatz 3 Satz 2 ZSHG unterliegen diesbezügliche Akten grundsätzlich der Geheimhaltung. Deren Inhalte können Anknüpfungspunkte zur Offenlegung von Personalien sowie dem gegenwärtigen Aufenthaltsort von zu schützenden Personen bieten. Dieser gesetzliche Geheimhaltungs- Landtag Brandenburg Drucksache 6/7766 - 3 - schutz kann aus den vorstehenden Erwägungen losgelöst von konkreten Einzelvorgängen zur Funktionssicherung des Zeugenschutzes selbst nicht aufgehoben werden, da damit drohen, Zeugenschutztaktiken offengelegt zu werden. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Frage 2: Wird der ehemalige V-Mann an diesen Kosten beteiligt, werden Sicherheitsbehörden außerhalb des Landes Brandenburg an den Kosten beteiligt oder sind die Kosten vollständig vom Land Brandenburg übernommen worden? (Bitte ggf. die konkrete Kostenverteilung darstellen.) zu Frage 2: Der Betroffene wurde an den Kosten einzelner Maßnahmen beteiligt. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Frage 3: Sind Kosten für Strafverteidiger-Leistungen zugunsten des ehemaligen V-Mannes „Piatto“ seit Beginn des Zeugenschutzprogramms am 14. Juli 2000 aus Mitteln des Landes Brandenburg beglichen worden? (Bitte ggf. nach Datum und Anlass aufschlüsseln.) Falls ja: Auf welcher Rechtsgrundlage hat das Land Strafverteidiger-Leistungen zugunsten des ehemaligen V-Mannes bezahlt? zu Frage 3: Eine Sichtung der in Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss 6/1 des brandenburgischen Landtages eruierten Justizakten hat keine Hinweise auf die Begleichung von Verteidigerkosten zugunsten des ehemaligen V-Mannes „Piatto“ aus Mitteln des Landes Brandenburg seit dem 14. Juli 2000 ergeben. Anhand der vorhandenen Aktenlage der Zeugenschutzdienststelle lässt sich nach Aufnahme in den Zeugenschutz ebenfalls keine Übernahme von Verteidigerkosten durch das Land Brandenburg feststellen. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung und die Antwort zur Frage 1 verwiesen. Frage 4: Sind Kosten für anwaltliche Rechtsbeistands-Leistungen (Zeugenbeistand) zugunsten des ehemaligen V-Mannes „Piatto“ seit Beginn des Zeugenschutzprogramms am 14. Juli 2000 aus Mitteln des Landes Brandenburg beglichen worden? (Bitte nach Datum und Anlass aufschlüsseln.) Falls ja: Auf welcher Rechtsgrundlage hat das Land Rechtsbeistands -Leistungen zugunsten des ehemaligen V-Mannes bezahlt? Frage 5: Hatte der ehemalige V-Mann „Piatto“ bei Befragungen und Vernehmungen durch Verfassungsschutz-, Polizei- und Justizbehörden sowie Gerichte, in denen es um die NSU-Aufklärung ging, einen oder mehrere Rechtsbeistände, die vollständig oder teilweise aus Mitteln des Landes Brandenburg bezahlt wurden? (Bitte die Fälle konkret benennen, also Datum, Anlass, befragende/vernehmende Stelle.) Falls ja: a) Wie hoch war jeweils die Honorarzahlung an den Rechtsbeistand, die das Land Brandenburg übernommen hat und wer hat sich ggf. noch an den Kosten beteiligt? b) Auf welcher Rechtsgrundlage wurde aus brandenburgischen Landesmitteln Rechtsbeistands -Honorar für den Ex-V-Mann bezahlt? c) Wie lautete der Arbeitsauftrag des Rechtsbeistandes bzw. wie lauteten die Arbeitsaufträge der Rechtsbeistände konkret? d) Wer war der Auftraggeber/Vertragspartner bzw. wer waren die Auftraggeber /Vertragspartner des Rechtsbeistandes - das Land Brandenburg, eine Behörde und/oder der ehemalige V-Mann „Piatto“ als Zeuge? Landtag Brandenburg Drucksache 6/7766 - 4 - e) Wem gegenüber war der Rechtsbeistand weisungsgebunden bzw. zur Rechenschaft verpflichtet - gegenüber der Landesregierung, einer Behörde und/oder gegenüber dem Zeugen? f) Haben die Landesregierung oder eine Landesbehörde dem oder den Rechtsbeiständen des ehemaligen V-Mannes „Piatto“ Handlungsanweisungen gegeben oder Wünsche an sie herangetragen und ggf. welche? zu den Fragen 4 und 5: Die vom Land Brandenburg getragenen Gesamtkosten für Rechtsbeistände betrugen insgesamt circa 10.000€. Zahlungen erfolgten im Rahmen der Aufgabenerfüllung nach dem Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetz. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung sowie die Antwort zur Frage 1 verwiesen.