Datum des Eingangs: 04.03.2015 / Ausgegeben: 09.03.2015 Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/781 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 268 der Abgeordneten Roswitha Schier und Kristy Augustin der CDU-Fraktion Drucksache 6/573 Älter werdende Menschen mit vorwiegend geistiger Behinderung im Land Brandenburg Wortlaut der kleinen Anfrage Viele Menschen mit geistiger Behinderung, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen gearbeitet haben oder in einer Tagesförderstätte betreut wurden, benöti- gen auch nach Vollendung des 65. Lebensjahres ein bedarfsgerechtes, alltagsstruk- turierendes Unterstützungsangebot. Sie haben ein Recht auf eine Lebensführung, die sie am Leben in der Gemeinschaft teilhaben lässt. Dazu gehören neben dem Wohnumfeld auch Angebote einer sinnvollen, an persönlichen Wünschen und Be- dürfnissen orientierten Tagesstrukturierung. Wir fragen die Landesregierung: 1. Wie viele Menschen mit Behinderung über 65 Jahre, die in einer Werkstatt tätig waren, leben derzeit im Land Brandenburg? (bitte aufgeschlüsselt nach Landkreisen und kreisfreien Städten) 2. Wie viele Plätze in geschützten Werkstätten gibt es derzeit im Land Brandenburg ? (bitte aufgeschlüsselt nach Landkreisen und kreisfreien Städten) 3. Wie viele Menschen mit Behinderung, die derzeit in Werkstätten tätig sind, werden bis zum Jahr 2020 die Altersgrenze von 65 Jahren erreichen? (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren und Landkreisen sowie kreisfreien Städten) 4. Wie viele Menschen mit Behinderung über 65 Jahre, die bisher in einer Tagesförderstätte betreut und gefördert wurden, leben derzeit im Land Brandenburg ? (bitte aufgeschlüsselt nach Landkreisen und kreisfreien Städten) 5. Wie viele Plätze in Tagesförderstätten gibt es derzeit in Brandenburg? (bitte aufgeschlüsselt nach Landkreisen und kreisfreien Städten) 6. Wie viele Menschen mit Behinderung, die derzeit in Tagesförderstätten betreut und gefördert werden, werden bis zum Jahr 2020 die Altersgrenze von 65 Jahren erreichen? (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren und Landkreisen sowie kreisfreien Städten) 7. Wie viele Menschen mit Behinderung, die in einer geschützten Werkstatt tätig sind oder in einer Tagesförderstätte betreut werden, leben a) bei der Familie, b) in der eigenen Wohnung oder c) in einem betreuten Wohnbereich? 8. Welche Schwierigkeiten ergeben sich aus Sicht der Landesregierung, wenn Menschen mit zum Teil schweren geistigen Behinderungen plötzlich und übergangslos aus ihrem über Jahre gewohnten Betätigungsumfeld gerissen werden? 9. Welche Angebote zur Tagesstrukturierung und Teilhabe bestehen für alt gewordene Menschen mit Behinderung im Land Brandenburg, die in geschützten Werkstätten tätig waren oder in Tagesförderstätten betreut und gefördert wurden? 10. Welche weiteren Angebote befinden sich in Planung? 11. Sind die unterschiedlichen Einrichtungen im Land Brandenburg, in denen besonders viele Menschen mit Behinderungen über 65 Jahre leben, mit einem besonderen Betreuungsschlüssel ausgestattet, damit unterstützende pädagogische Angebote für die Bewohner möglich sind? 12. Gibt es Vorhaben, um auch einzelnen hochaltrigen und wenig mobilen Menschen mit geistiger Behinderung zusätzliche unterstützende Angebote zur Tagesstrukturierung zu ermöglichen? 13. Welche Planungen für alternative Wohnformen für Menschen mit Behinderung gibt es derzeit im Land Brandenburg? Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie viele Menschen mit Behinderung über 65 Jahre, die in einer Werkstatt tätig waren, leben derzeit im Land Brandenburg? (bitte aufgeschlüsselt nach Land- kreisen und kreisfreien Städten) Zu Frage 1: Der Landesregierung liegen dazu keine Informationen vor, da in Brandenburg die Landkreise und kreisfreien Städte die örtlichen Träger der Sozialhilfe sind. Sie neh- men die Aufgaben der Sozialhilfe als pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben in eigener Zuständigkeit wahr (§ 4 AG SGB XII). Frage 2: Wie viele Plätze in geschützten Werkstätten gibt es derzeit im Land Bran- denburg? (bitte aufgeschlüsselt nach Landkreisen und kreisfreien Städten) Zu Frage 2: Im Land Brandenburg existieren 28 anerkannte Werkstätten für behinderte Men- schen (WfbM). Nach den vorliegenden Informationen der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstät- ten für behinderte Menschen in Brandenburg e.V. sind 11.317 Menschen mit Behin- derungen mit Stand 30.06.2014 in den Werkstätten tätig. Darüber hinaus liegen der Landesregierung keine Angaben über die gegenwärtig besetzten Plätze in Werkstätten für behinderte Menschen vor. Frage 3: Wie viele Menschen mit Behinderung, die derzeit in Werkstätten tätig sind, werden bis zum Jahr 2020 die Altersgrenze von 65 Jahren erreichen? (bitte aufge- schlüsselt nach Jahren und Landkreisen sowie kreisfreien Städten) Zu Frage 3: Es wird auf die Beantwortung der Frage 1 verwiesen. Insofern können dazu keine Aussagen getroffen werden. Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie (MASGF) lässt derzeit eine Studie zu den Rahmenbedingungen für den Übergang aus Werkstätten für behinderte Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wissenschaftlich erarbei- ten. Eine Grundlage der Studie ist eine umfangreiche Befragung der Brandenburger WfbM über ihre Beschäftigten. Im Rahmen dessen werden auch die Daten zur Al- terssituation der in WfbM tätigen Menschen mit Behinderungen erhoben. Der Ab- schlussbericht zur Studie wird bis zum Ende des 1. Halbjahres 2015 erwartet. Frage 4: Wie viele Menschen mit Behinderung über 65 Jahre, die bisher in einer Ta- gesförderstätte betreut und gefördert wurden, leben derzeit im Land Brandenburg? (bitte aufgeschlüsselt nach Landkreisen und kreisfreien Städten) Zu Frage 4: Der Landesregierung liegen dazu keine Angaben vor. Im Land Brandenburg sind keine Tagesförderstätten für besonders betroffene Menschen mit geistiger Behinde- rung, die das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht haben, vereinbart. Frage 5: Wie viele Plätze in Tagesförderstätten gibt es derzeit in Brandenburg? (bitte aufgeschlüsselt nach Landkreisen und kreisfreien Städten) Zu Frage 5: Mit der Begrifflichkeit der Tagesförderstätten sind im Land Brandenburg zumeist die Förder- und Beschäftigungsbereiche (FBB) gemeint, die an eine Werkstatt angeglie- dert sind. Für Menschen mit Schwerstbehinderung unter 65 Jahren, die die Aufnahmekriterien in eine Werkstatt für behinderte Menschen (noch) nicht erfüllten, werden Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft angeboten. Diese Leistungen werden insbesondere für den Personenkreis aus dem häuslichen Bereich in Förder-und Be- schäftigungsbereichen erbracht, die gemäß § 136 Abs. 3 SGB IX den Werkstätten für behinderte Menschen organisatorisch angegliedert sind. Nach Angaben der Landes- arbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen in Brandenburg e.V. wer- den 799 Personen mit Stand 30.06.2014 in diesen Bereichen gefördert und betreut. Frage 6: Wie viele Menschen mit Behinderung, die derzeit in Tagesförderstätten be- treut und gefördert werden, werden bis zum Jahr 2020 die Altersgrenze von 65 Jah- ren erreichen? (bitte aufgeschlüsselt nach Jahren und Landkreisen sowie kreisfreien Städten) Zu Frage 6: Die Landesregierung hat keine Angaben zur Altersstruktur der gegenwärtig im För- der- und Beschäftigungsbereich an WfbM betreuten Personen. Frage 7: Wie viele Menschen mit Behinderung, die in einer geschützten Werkstatt tätig sind oder in einer Tagesförderstätte betreut werden, leben a) bei der Familie, b) in der eigenen Wohnung oder c) in einem betreuten Wohnbereich? Zu Frage 7: Der Landesregierung liegen keine Angaben zur Beantwortung dieser Frage vor. Im Rahmen der o.g. WfbM-Studie (siehe Antwort zu Frage 3) werden auch Angaben über die Wohnsituation von WfbM-Beschäftigten im Land Brandenburg insgesamt erwartet. Frage 8: Welche Schwierigkeiten ergeben sich aus Sicht der Landesregierung, wenn Menschen mit zum Teil schweren geistigen Behinderungen plötzlich und übergangs- los aus ihrem über Jahre gewohnten Betätigungsumfeld gerissen werden? Zu Frage 8: Unabhängig davon, ob der Eintritt in den Ruhestand mit dem Regelrentenalter oder vorzeitig erfolgt, wird das Verlassen der Werkstatt meist als einschneidende Verän- derung empfunden, da auch für Menschen mit Behinderungen die Arbeit und damit einhergehend die Struktur des Tagesablaufs von zentraler Bedeutung sind. Auch dieser Personenkreis erfährt durch die Arbeit einen Zugewinn an Lebensqualität und nicht zuletzt auch eine soziale Integration durch die Gemeinschaft der in der Werk- statt Tätigen. Das Erreichen des Rentenalters und die Frage nach einer weiteren sinnvollen und erfüllenden Lebenssituation stellt zwar für jeden Menschen eine Her- ausforderung dar, allerdings ist das Ende der Erwerbstätigkeit insbesondere für Menschen mit Behinderungen eine durchaus starke Veränderung in der Lebens- und Alltagsgestaltung, die vor allem mit neuen Anforderungen verbunden ist:  Das Netzwerk der sozialen Beziehungen zu dem Kollegen bzw. der Kollegin und den Betreuungspersonen im Kontext der WfbM oder anderen tagesstrukturierenden Angeboten, das eine wesentliche Rolle gespielt hat, muss umgestaltet werden. Neue Beziehungen müssen erschlossen, alte an die neue Lebenssituation angepasst werden.  Die sinnvolle Gestaltung der frei gewordenen Zeit ist ebenfalls zu bewältigen. Die meisten Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen haben ihre Er- werbsphase in speziellen Werkstätten verbracht und während dieser Zeit bei der Familie oder in einer Wohnstätte gelebt. Wie dargestellt bedeutet das Älterwerden eine besondere Herausforderung, weil Veränderungen zu Bezugspersonen und Än- derungen des sozialen Systems gerade von Menschen mit einer geistigen Behinde- rung schwerer verarbeitet und gestaltet werden können. Die große Gruppe derer, die jetzt um die 50 Jahre alt sind, muss sich aktuell auf ihre Rentenzeit vorbereiten. Der Übergang aus dem Arbeitsleben in den Ruhestand muss behutsam gestaltet werden, damit der betroffene Mensch in der Lage ist, die Veränderungen zu verar- beiten. Das heißt, die Vorbereitung auf sich verändernde Bedingungen muss mög- lichst vor Erreichen des Rentenalters begonnen werden. Hier müssen Werkstatt und Einrichtungsträger eng kooperieren. Dies erfolgt in der Praxis bereits mit positiven Beispielen, da im Einzelfall auch die Möglichkeit geschaffen wird, weiterhin den ge- wohnten Ort aufzusuchen und beispielsweise in der bisherigen WfbM altersgerecht tätig bleiben zu können. Personenzentrierte Konzepte für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer in den WfbM werden angeboten. Im Rahmen der Hilfeplanung ist es eine fachlich inhaltliche Aufgabe, die Übergänge aus der WfbM zu gestalten. Endet das Beschäftigungsverhältnis, muss über eine ge- eignete Anschlussmaßnahme entschieden werden. Alternativ zur Teilhabe am Ar- beitsleben ist nach dem Ausscheiden aus der WfbM die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft oder, wenn erforderlich, die Hilfe zur Pflege sicherzustellen. Analog zu § 5 Abs. 5 i. V. m. § 3 Abs. 3 Werkstattverordnung (WVO) sollte der Fachausschuss vor Beginn der Planung und Durchführung von übergangsvorbereitenden Maßnah- men die Anhörung des behinderten Menschen (bzw. des gesetzlichen Vertreters) realisieren. In den von jeder Werkstatt durchzuführenden arbeitsbegleitenden Maß- nahmen sollte jede Werkstatt für behinderte Menschen ihre Beschäftigten auf die Entwicklungsprozesse des Alterns und den Ruhestand vorbereiten. Es ist auch Auf- gabe der Einrichtungsträger im Bereich Wohnen, die älteren Menschen auf den Ein- tritt ins Rentenalter vorzubereiten. Frage 9: Welche Angebote zur Tagesstrukturierung und Teilhabe bestehen für alt gewordene Menschen mit Behinderung im Land Brandenburg, die in geschützten Werkstätten tätig waren oder in Tagesförderstätten betreut und gefördert wurden? Zu Frage 9: Menschen, die in der WfbM oder im Förder- und Beschäftigungsbereich tätig waren, haben grundsätzlich weiterhin einen Anspruch auf Teilhabe am Leben in der Ge- meinschaft. Dieser wird je nach Wohnsituation in der Wohnstätte oder in der Häus- lichkeit, aber im Einzelfall auch weiter in der WfbM gedeckt. Landesweit gibt es zu- dem 4 externe teilstationäre Angebote zur Gestaltung des Tages, sowie weitere kreisindividuelle Angebote, welche meist in den Altenhilfe- oder Eingliederungshilfe- plänen der Landkreise verankert sind. Es wird weiterhin auf die Antworten zu den Fragen 3 und 4 verwiesen. Frage 10: Welche weiteren Angebote befinden sich in Planung? Zu Frage 10: Die Planung der Angebote obliegt im Rahmen der Sozialplanung grundsätzlich den Landkreisen und kreisfreien Städten. Sofern die örtlichen Sozialhilfeträger eine Bera- tung bei Umstrukturierungsprozessen oder in Vorbereitung des Abschlusses einer Leistungsvereinbarung wünschen, wird diese auf der Grundlage des AG SGB XII durch den Fachdienst sichergestellt. Zusätzliche Angebote in Form von separaten Tagesförderstätten sieht das Land vor dem Hintergrund des Rechts auf Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und des auf Inklusion setzenden, sozialräumlichen Ansatzes nicht als zielführend an. Es kommt vielmehr darauf an, die bestehenden Versorgungsstrukturen, Hilfen und Un- terstützungsangebote im Sozialraum intelligent zu verknüpfen und die bestehenden Angebote für Menschen mit geistiger Behinderung zu öffnen. Vorstellbar wäre hierbei die Bildung einer Modellregion mit entsprechend steuernden Strukturen. In den län- derrechtlichen Gremien findet bereits hierzu ein reger Austausch zwischen Land, Kommunen und Trägerverbänden statt. Es muss die Bereitschaft gestärkt werden, Menschen mit Behinderung auch an Orten aufzunehmen, an denen nichtbehinderte Menschen im Altersruhestand Ihre Freizeit verbringen. Auch dies ist ein Ausdruck gelebter Inklusion. Die Landesregierung ver- folgt diesen Ansatz weiter. Frage 11: Sind die unterschiedlichen Einrichtungen im Land Brandenburg, in denen besonders viele Menschen mit Behinderungen über 65 Jahre leben, mit einem be- sonderen Betreuungsschlüssel ausgestattet, damit unterstützende pädagogische Angebote für die Bewohner möglich sind? Zu Frage 11: Der Betreuungsschlüssel in den Wohnstätten für behinderte Menschen richtet sich nach den individuellen Bedarfen der Leistungsberechtigten. Dieser ist unabhängig vom Alter. Frage 12: Gibt es Vorhaben, um auch einzelnen hochaltrigen und wenig mobilen Menschen mit geistiger Behinderung zusätzliche unterstützende Angebote zur Ta- gesstrukturierung zu ermöglichen? Zu Frage 12: Sofern die älteren Menschen mit Behinderung einen Teilhabeanspruch gemäß SGB XII haben, wird im Rahmen des Gesamtplanverfahrens gem. § 58 SGB XII und der Hilfebedarfsermittlung für jeden Leistungsberechtigten die Feststellung des Hilfebe- darfes vorgenommen. Die inhaltliche Gestaltung und Umsetzung obliegt den Leis- tungsanbietern. Angebote zur Gestaltung des Tages sind Bestandteil jeder Hilfepla- nung und der Konzepte der Anbieterseite. Frage 13: Welche Planungen für alternative Wohnformen für Menschen mit Behinde- rung gibt es derzeit im Land Brandenburg? Zu Frage 13: Insgesamt ist ein Trend zu Hausgemeinschaftsmodellen, Wohngemeinschaften und kleinteiligen Wohnformen im Land Brandenburg zu verzeichnen. Wie bereits in Antwort zu Frage 10 beschrieben, obliegt die Planung auf der Grund- lage des AG SGB XII als Selbstverwaltungsaufgabe gleichwohl den Landkreisen und kreisfreien Städten (Leistungsanbieter erstellen Angebote). In Hinblick auf Wohnfor- men für Menschen mit geistiger Behinderung existieren landesseitig keine gesonder- ten Maßnahmen oder Programme.