Landtag Brandenburg Drucksache 6/9083 6. Wahlperiode Eingegangen: 27.06.2018 / Ausgegeben: 02.07.2018 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 3589 der Abgeordneten Steeven Bretz (CDU-Fraktion) und Sven Petke (CDU-Fraktion) Drucksache 6/8841 Umgang mit dem Urteil des Bundesfinanzhofes zur Zinsfestsetzung Namens der Landesregierung beantwortet der Minister der Finanzen die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Fragesteller: Bisher werden bei der Verzinsung von Steuernachforderungen monatlich 0,5 Prozent erhoben, jährlich also 6 Prozent. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist dieser Zinssatz, den Finanzämter bei Steuer-nachzahlungen erheben , „realitätsfern und unbegründet“. Mit dem am 14. Mai 2018 veröffentlichtem Beschluss in einem Einzelfall wurde auch die Vollziehung für Nachzahlungszinsen ab dem Jahr 2015 ausgesetzt. Eine grundsätzliche Bewertung muss durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen und ist bisher nicht absehbar. Dennoch können und werden sich die Steuerpflichtigen auf die Entscheidung des BFH berufen, was Auswirkungen auf die Haushalte der Länder haben wird. Frage 1: Wie bewertet die Landesregierung das Urteil des Bundesfinanzhofs im Allgemeinen ? zu Frage 1: Der IX. Senat des BFH hat in seinem am 14. Mai 2018 veröffentlichten Beschluss vom 25. April 2018 - IX B 21/18 - schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel an der in § 238 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordung (AO) geregelten Höhe von Nachzahlungszinsen von 0,5 Prozent für jeden vollen Monat geäußert und deshalb in dem entschiedenen Einzelfall die Vollziehung eines Zinsbescheids ausgesetzt. Nach seiner Auffassung überschreitet der gesetzlich festgelegte Zinssatz jedenfalls ab dem 1. April 2015 angesichts des niedrigen Marktzinsniveaus den angemessenen Rahmen in erheblichem Maße. Es sei daher zweifelhaft, ob eine Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz gegeben ist und/oder ein Verstoß gegen das Übermaßverbot vorliegt. Dieser Aussetzungsbeschluss ist in einem Verfahren zur vorläufigen Rechtsschutzgewährung nach § 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung ergangen. In einem solchen Verfahren erfolgt lediglich eine summarische Prüfung des angefochtenen Bescheids auf seine Rechtmäßigkeit. Die vom IX. Senat des BFH in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren geäußerten verfassungsrechtlichen Zweifel werden von der Landesregierung nicht geteilt. Von einer übermäßigen Belastung der Steuerpflichtigen kann nach Ansicht der Landesregierung auch in Anbetracht des andauernden niedrigen Marktzinsniveaus nicht ausgegangen werden. Dabei ist insbesondere der Umstand zu berücksichtigen, dass der Zinssatz des § 238 AO nicht nur für Nachzahlungszinsen, sondern gleichermaßen für Erstattungszinsen gilt. Eine so weitgehende Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, dass ein Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat als gänzlich markt- und realitätsfremd und damit als wirtschaftlich unzumutbar Landtag Brandenburg Drucksache 6/9083 - 2 - erscheint, hat die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht nur für frühere Verzinsungszeiträume (vgl. Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3. September 2009, 1 BvR 2539/07, BFH/NV S. 2115), sondern auch für Verzinsungszeiträume bis 2013 nicht zu erkennen vermocht (vgl. Urteil des III. Senat des BFH vom 9. November 2017, III R 10/16, BStBl 2018 II S. 255). Vielmehr hat der X. Senat des BFH in seinem für einen Zinszeitraum bis Ende 2013 ergangenen Beschluss vom 19. Februar 2016, X S 38/15 [PKH], BFH/NV S. 940 ausgeführt, dass die in früheren Entscheidungen des Gerichts angestellten Überlegungen zur Verfassungsmäßigkeit des gesetzlichen Zinssatzes unverändert fortbestehen. Die langjährige höchstrichterliche Rechtsprechung hat daher die Verfassungsmäßigkeit der Verzinsung von Steuerforderungen in Verbindung mit dem in § 238 AO festgelegten Zinssatz bisher ausnahmslos bejaht. Weshalb sich an dieser rechtlichen Beurteilung ab 2015 etwas Grundlegendes geändert haben könnte, ist nicht ersichtlich. Das bloße Fortdauern des Niedrigzinsniveaus kann jedenfalls nach Ansicht der Landesregierung nicht dazu führen, dass sich eine bisher verfassungsmäßige Zinshöhe nunmehr für die Steuerpflichtigen übermäßig belastend auswirken würde. Frage 2: Welche Auswirkungen hat das Urteil auf die Arbeit der Finanzämter in Brandenburg und wurden seitens der Landesregierung bereits entsprechende Hinweise oder Anordnungen für die Finanzämter erlassen? zu Frage 2: Aufgrund des Aussetzungsbeschlusses des IX. Senats des BFH legen viele Steuerpflichtige gegen die Festsetzung von Nachforderungszinsen Einspruch ein und beantragen Aussetzung der Vollziehung der Zinsbescheide. Allein die Erfassung und Verwaltung dieser zusätzlichen Einsprüche und Anträge führt zu Mehraufwand in den Finanzämtern . Die Frage, wie mit diesen Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung umzugehen ist, wird derzeit zwischen den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder erörtert und bundeseinheitlich abgestimmt. Daher konnten noch keine fachlichen Weisungen an die Finanzämter herausgegeben werden. Die Finanzämter wurden jedoch gebeten, vorerst über Anträge auf Aussetzung der Vollziehung von Zinsfestsetzungen, die Zinsberechnungszeiträume ab 2015 betreffen, nicht zu entscheiden. Frage 3: Wie hoch waren in den Jahren 2014, 2015, 2016 und 2017 jeweils die Einnahmen des Landes aus Zinsen für Steuernachforderungen in Brandenburg? zu Frage 3: Die vorliegenden statistischen Erhebungen zu Zinseinnahmen umfassen solche für Einkommensteuer- bzw. Lohnsteuernachforderungen, Körperschaftsteuernachforderungen und Umsatzsteuernachforderungen. Für diese Steuernachforderungen hat das Land Brandenburg in den Jahren 2014, 2015, 2016 und 2017 insgesamt jeweils folgende Zinsen eingenommen: 2014 2015 2016 2017 Zinseinnahmen 53.770.487,36 € 46.729.151,24 € 29.539.456,54 € 40.601.388,77 € Ergänzend wird mitgeteilt, dass für Steuererstattungen im gleichen Zeitraum folgende Zinsen ausgezahlt wurden: 2014 2015 2016 2017 Zinserstattungen 31.795.116,66 € 25.303.308,48 € 20.470.205,19 € 54.373.289,57 € Landtag Brandenburg Drucksache 6/9083 - 3 - Frage 4: Erwägt die Landesregierung eine eigene Initiative zu ergreifen, um zu einer raschen Rechtsklarheit beizutragen, beispielsweise durch einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht? zu Frage 4: Eine eigene Initiative ist in Anbetracht von zwei Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unter den Aktenzeichen 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 zu der Frage anhängig, ob der gesetzliche Zinssatz des § 238 Abs. 1 AO in Höhe von 0,5 Prozent für jeden Monat für Verzinsungszeiträume nach dem 31. Dezember 2009 und nach dem 31. Dezember 2011 verfassungswidrig ist, derzeit nicht geplant. Das BVerfG hat angekündigt, über diese von ihm zur Entscheidung angenommenen Verfassungsbeschwerden noch in diesem Jahr zu entscheiden.