Landtag Brandenburg Drucksache 6/9254 6. Wahlperiode Eingegangen: 20.07.2018 / Ausgegeben: 25.07.2018 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 3668 der Abgeordneten Ursula Nonnemacher (Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 6/9031 Ausweitung des Unterbindungsgewahrsams Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: Laut Presseberichten plant Innenminister Schröter im Rahmen eines neuen Polizeigesetzes eine Ausweitung des Unterbindungsgewahrsams auf bis zu 30 Tage. Derzeit lässt § 20 Abs. 1 des Brandenburgischen Polizeigesetzes maximal vier Tage Unterbindungsgewahrsam zu. Eine präventive Entziehung der körperlichen Freiheit unterliegt hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit. Vorbemerkung der Landesregierung: Unter dem sog. Unterbindungs- oder Präventivgewahrsam wird ein Gewahrsam verstanden, der dazu dient, die unmittelbar drohende Begehung einer Straftat oder einer qualifizierten Ordnungswidrigkeit zu verhindern. Ein solcher Gewahrsam kann auf Grundlage des § 17 Abs. 1 Nr. 2 des Brandenburgischen Polizeigesetzes (BbgPolG) bei Vorliegen der dort genannten (strengen) Voraussetzungen erfolgen . Die richterliche Entscheidung ist in § 18 BbgPolG und die zulässige Dauer der Freiheitsentziehung in § 20 BbgPolG geregelt. Derzeit erarbeitet die Landesregierung den Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Polizeigesetzes. Anlass für die Änderungen bietet u. a. die angespannte Terror- und Gefährdungslage. Nur im Zusammenhang mit möglichen Befugnissen zur Abwehr von Gefahren des Terrorismus wird aktuell überhaupt eine Verlängerung der Dauer der Freiheitsentziehung in Erwägung gezogen. Ich frage daher die Landesregierung: 1. Wie oft wurde in den vergangenen 5 Jahren in Brandenburg von der Möglichkeit des Unterbindungsgewahrsams Gebraucht gemacht? (Bitte aufschlüsseln nach Anzahl der im Gewahrsam verbrachten Tage sowie nach zu verhindernder Straftat, auf welche sich die jeweiligen richterlichen Anordnungen stützen). 2. Wie oft reichte die derzeit geltende maximale Dauer von vier Tagen nicht aus, um die im Polizeigesetz genannten Ziele des Unterbindungsgewahrsams zu erreichen? Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund ihres inhaltlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet . Landtag Brandenburg Drucksache 6/9254 - 2 - Gewahrsamnahmen und die Zahl der gerichtlichen Anordnungen von Unterbindungsgewahrsam werden nicht gesondert statistisch erfasst. In der zur Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit konnten zwei Fälle des sog. Unterbindungsgewahrsams , jeweils mit einer Dauer von vier Tagen, ermittelt werden: 2017 erfolgte die Ingewahrsamnahme eines Betroffenen, der polizeilich als Intensivtäter und für seine Gewalttätigkeiten bekannt ist, und in die Wohnung der Ehefrau eindrang, jener mehrfach mit Gewalt drohte und Todesdrohungen aussprach. Im Fall einer Ingewahrsamnahme im Jahr 2018 erfolgte diese zum Schutz der Person eines Geschädigten gegen eine Gefahr für dessen Leib oder Leben. In diesen Fällen reichte die Dauer der Freiheitsentziehung von vier Tagen zur Zweckerreichung aus. 3. Welche Vorteile sieht die Landesregierung in einer Ausweitung der Gewahrsamsdauer auf bis zu 30 Tage? Eine generelle Verlängerung der in § 20 BbgPolG geregelten Dauer der Freiheitsentziehung ist seitens der Landesregierung derzeit nicht geplant. Eine mögliche Erhöhung des Zeitraums für den Gewahrsam allein zur Abwehr von Gefahren des Terrorismus wird aktuell im Rahmen der Erarbeitung des Entwurfs des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Polizeigesetzes geprüft. Dabei sind unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit insbesondere auch der Zweck der Maßnahme (Gefahrenabwehr ) und die Grundrechte Betroffener zu beachten. Eine abschließende Meinungsbildung der Landesregierung hat insoweit noch nicht stattgefunden. 4. Ist der Landesregierung bekannt, dass ein Unterbindungsgewahrsam nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht außerhalb eines Strafverfahrens unzulässig ist? Wie ist die Stellung der Landesregierung zu dieser Auffassung? Der Landesregierung ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bekannt, im Besonderen die Urteile vom 01.12.2011, Az. 8080/08, 8577/08, und vom 07.03.2013, Az. 15598/08. Die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie die dazu ergangene Rechtsprechung des EGMR - die auch das Bundesverfassungsgericht bei der Beurteilung des polizeilichen Präventivgewahrsams heranzieht (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18.04.2016, Az. 2 BvR 1833/12, 2 BvR 1945/12) - werden von der Landesregierung beachtet. Nach den o.g. Entscheidungen des EGMR ist eine Freiheitsentziehung gemäß Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c EMRK zwar nur im Zusammenhang mit einem Strafverfahren zulässig, um die Person der zuständigen Justizbehörde vorzuführen. Eine präventive Ingewahrsamnahme kann jedoch nach Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 lit. b 2. Alt. EMRK gerechtfertigt sein. Danach ist die Freiheitsentziehung zulässig zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung. Davon erfasst sind Fälle, in denen es gesetzlich zulässig ist, einer Person die Freiheit zu entziehen, um sie zu zwingen, eine ihr obliegende spezifische und konkrete Verpflichtung zu erfüllen, der sie bisher nicht nachgekommen ist. Dabei genügt die allgemeine Verpflichtung, sich an Gesetze zu halten, nicht. Soweit es um die Pflicht geht, keine Straftat zu begehen, muss diese Straftat hinreichend bestimmt sein und der Betroffene muss sich unwillig gezeigt haben, sie zu unterlassen. Diesen Anforderungen wird genügt, wenn Ort und Zeit der bevorstehenden Tatbegehung sowie das potenzielle Opfer hinreichend konkretisiert sind und der Betroffene, nachdem er auf die konkret zu Landtag Brandenburg Drucksache 6/9254 - 3 - unterlassende Handlung hingewiesen worden ist, eindeutige und aktive Schritte unternommen hat, die darauf hindeuten, dass er der konkretisierten Verpflichtung nicht nachkommen wird. Im Einklang mit dieser Rechtsprechung ist aus Sicht der Landesregierung ein Unterbindungsgewahrsam nicht per se unzulässig, sondern unter Wahrung der genannten Anforderungen zulässig.