Landtag Brandenburg Drucksache 6/9257 6. Wahlperiode Eingegangen: 20.07.2018 / Ausgegeben: 25.07.2018 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 3648 des Abgeordneten Benjamin Raschke (Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 6/8961 Strafverfolgung von illegaler Abfallentsorgung in Brandenburg Namens der Landesregierung beantwortet der Minister für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Fragestellers: Laut Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage von Juni 2016 (Drucksache 6/4338) bestehen in Brandenburg über 100 illegale Abfalldeponien . Die fachgerechte Entsorgung des auf diesen Deponien lagernden Abfalls würde mehrere hundert Mio. Euro kosten, welche in den meisten Fällen nicht durch die DeponiebetreiberInnen getragen werden. Die rechtlichen Sanktionen für die BetreiberInnen illegaler Deponien sind bisher überschaubar und stellen keine wirksame Abschreckung für einen Betrieb illegaler Deponien dar. Die Zahl der Sanktionsentscheidungen gegen Beschuldigte bewegt sich seit dem Jahr 2010 im einstelligen Bereich, die letzten Angaben stammen aus dem Jahr 2016. Diese Anfrage dient daher insbesondere dem Zweck, aktuelle Zahlen im Bereich der Strafverfahren im Zusammenhang mit illegaler Abfallentsorgung in Erfahrung zu bringen. Vorbemerkung der Landesregierung: Zur Klarstellung ist voranzustellen: Bei den in dieser Kleinen Anfrage in Betracht genommenen über 100 illegalen Abfallansammlungen geht es um illegale Abfalllager, die entweder die Hinterlassenschaften ehemaliger Abfallentsorgungsanlagen sind, die nach Immissionsschutzrecht genehmigt wurden und deren Betreiber in Insolvenz gegangen sind, oder ohne jegliche Genehmigung angefahren wurden. Sie weisen keinen Bezug zu Deponien auf. Insoweit sind hier auch die im Abfallrecht verankerten deponierechtlichen Regelungen nicht anwendbar. Frage 1: Wie viele Strafanzeigen im Zusammenhang mit illegaler Abfallentsorgung/- lagerung gab es seit 2016? (Bitte nach Ermittlungsverfahren gegen unbekannt/bekannt unterscheiden sowie nach Jahren auflisten und Gesamtzahl aller Strafanzeigen angeben) Zu Frage 1: Der nachstehenden Tabelle sind die jeweiligen Neueingänge bei den Staatsanwaltschaften von Verfahren wegen unerlaubten Umgangs mit Abfällen nach § 326 StGB in den Jahren 2016 bis 2018 gegen bekannte und unbekannte Täter sowie die Neueingänge insgesamt zu entnehmen. Landtag Brandenburg Drucksache 6/9257 - 2 - Neueingänge wegen Verfahren nach § 326 StGB (Unerlaubter Umgang mit Abfällen) …davon gegen unbekannte Täter Neueingänge insgesamt gegen bekannte Täter Neueingänge insgesamt gegen unbekannte Täter 2016 183 91 144.859 125.809 2017 196 101 158.080 117.040 2018 118 50 41.223 32.714 Die Neueingänge wegen Verfahren nach § 326 StGB weisen für 2018 den Stand zum 21. Juni 2018 aus. Die Anzahl der Neueingänge insgesamt bezieht sich auf das 1. Quartal 2018. Von den Neueingängen sind sowohl die Ermittlungsverfahren, die aufgrund von Strafanzeigen eingeleitet wurden, als auch die Verfahren, bei denen eine Einleitung von Amts wegen erfolgte, umfasst. Eine differenzierte Darstellung ist insoweit mangels statistischer Erfassung nicht möglich. Verfahren wegen des unerlaubten Betreibens von Anlagen nach § 327 StGB sind nicht aufgeführt, weil dieser Straftatbestand auch andere Anlagen als Abfallentsorgungsanlagen erfasst und eine Differenzierung statistisch nicht erfolgt. Frage 2: Wie viele Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit illegaler Abfallentsorgung/- lagerung gab es seit 2016 und welche Strafen wurden in diesen Gerichtsverfahren verhängt ? (Bitte unter Angabe der Gesamtzahl der Gerichtsverfahren und verhängten Strafen nach Jahren auflisten) Zu Frage 2: Für die Jahre 2016 bis 2018 sind folgende Sanktionsentscheidungen im Rahmen von gerichtlichen Verfahren wegen Straftaten gemäß § 326 StGB im staatsanwaltschaftlichen Informationssystem MESTA erfasst: Jahr Sanktionsentscheidungen gegen Beschuldigte (FHS = Freiheitsstrafe, GS = Geldstrafe) 2016 2 GS 2017 1 FHS ohne Bewährung 2018 (bis 21.06.) 2 GS Darüber hinaus erfolgte in den Jahren 2016 und 2017 durch Gerichte jeweils eine Verfahrenseinstellung gemäß § 153a Abs. 2 StPO. Im Jahre 2018 erging zudem ein Freispruch. Betreffend Verfahren wegen § 327 StGB wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Frage 3: Wie viele Staatsanwälte und Staatsanwältinnen in Brandenburg sind seit 2010 ausschließlich mit Umweltdelikten befasst und wie hoch ist das Vollzeitäquivalent der Staatsanwaltschaften im Bereich Umweltdelikte? (Bitte nach Jahren auflisten und Gesamtzahl der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Brandenburg angeben) zu Frage 3: Der Einsatz von Dezernentinnen und Dezernenten der Staatsanwaltschaften zur Bearbeitung von Umweltsachen in den Jahren 2010 bis 2018 sowie die Gesamtzahl der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte stellen sich wie folgt dar: Landtag Brandenburg Drucksache 6/9257 - 3 - Cottbus Frankfurt (Oder) Neuruppin Potsdam Staatsanwältinnen/ -anwälte gesamt 2010 2 2 1 2 252 2011 3 2 1 2 246 2012 4 2 1 2 241 2013 4 2 1 2 238 2014 4 2 1 2 239 2015 4 5 1 2 230 2016 2 5 1 2 231 2017 4 5 1 2 227 2018 5 4 2 2 225 (Stand 31.03.) Die eingesetzten Dezernentinnen und Dezernenten waren und sind jeweils auch mit der Bearbeitung von Verfahren aus anderen Deliktsbereichen befasst. Einzelne, umfangreiche Umweltsachen werden zudem in der Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität der Staatsanwaltschaft Potsdam bearbeitet. Da der Umfang der anteiligen Bearbeitung anderer Verfahren nicht nachgehalten werden kann, ist ein Vollzeitäquivalent nicht ausweisbar. Frage 4: Welche Kosten sind durch die behördliche Überwachung illegaler Abfalldeponien gemäß § 25 des Brandenburgischen Abfall- und Bodenschutzgesetz seit 2010 entstanden ? Wer trug diese Kosten? (Bitte nach Jahren auflisten) zu Frage 4: Bei der Überwachung von illegalen Abfalllagern und Ablagerungen fallen i.d.R. Personalkosten und Kosten für Gutachten zur Abfalluntersuchung und Gefährdungsabschätzung (GA) an. Der Bearbeitungsaufwand zur Überwachung von illegalen Abfalllagern und Ablagerungen erfolgt im Rahmen der allgemeinen Vollzugsaufgaben des Landesamtes für Umwelt (LfU) und wird nicht gesondert erfasst. Im Zuständigkeitsbereich des Landesamtes für Bergbau, Geologie und Rohstoffe betragen die Aufwendungen für die behördliche Überwachung illegaler Abfallablagerungen im Durchschnitt ca. 100.000,- € pro Jahr. Damit belaufen sich die Kosten seit 2010 auf insgesamt ca. 900.000,- €. Für die Beurteilung der von einem Standort ausgehenden Gefahren wurden seit 2010 vom LfU folgende Gutachten in Auftrag gegeben: - GEAB Bernau: GA vom 06.12.2012, Kosten 34.861,65 € - Jänickendorf und Vogelsdorf, es wurde ein Auftrag zur GA für beide illegalen Abfalllager erteilt, Rechnung vom 20.07.2015, Kosten 64.000,00 €. Die vorstehenden Kosten trug das Land. Landtag Brandenburg Drucksache 6/9257 - 4 - Die Gasmigrationsuntersuchung (Hubschraubereinsatz) vom 17.11.2017 bei der GEAB in Bernau, Kosten 35.045,50 €, wurde aus der dem LfU zur Verfügung stehenden Sicherheitsleistung finanziert. Frage 5: Wie wird § 36 Absatz 1 Satz 2 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes, nach dem ein Planfeststellungsbeschluss für Abfalldeponien nur erlassen werden darf, wenn „keine Tatsachen bekannt sind, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Betreibers oder der für die Errichtung, Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes oder für die Nachsorge der Deponie verantwortlichen Personen ergeben“ in der Praxis umgesetzt? zu Frage 5: Die Zuverlässigkeit des Betreibers oder der für die Errichtung, Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes oder für die Nachsorge der Deponie verantwortlichen Personen ist eine der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes für den Erlass einer abfallrechtlichen Planfeststellung. Dazu untersucht das LfU als Planfeststellungsbehörde nach dem Eingang der Antragsunterlagen, ob Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit ergeben. Das LfU fordert den Bundeszentralregisterauszug des Antragstellers, d. h. der für die Deponie verantwortlichen Personen, an und prüft, ob Eintragungen vorliegen. Handelt es sich um eine juristische Person, etwa eine GmbH, fordert das LfU, neben dem Bundeszentralregisterauszug des Geschäftsführers in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft, zusätzlich das Handelsregister an. Ist der Bundeszentralregisterauszug frei von Eintragungen und ergeben sich nicht aus anderen Quellen gewichtige und objektivierbare Einwände gegen die Zuverlässigkeit des maßgeblichen Personenkreises, gilt die Zuverlässigkeit als gegeben. Frage 6: Wie steht die Landesregierung zu einer Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes , welches das Genehmigungsverfahrens für die Zulassung von Abfallbehandlungsanlagen regelt, um die persönliche Zuverlässigkeit der Antragstellenden zu einem Prüfungsgegenstand zu machen? Wird sich die Landesregierung für eine Änderung auf Bundesebene einsetzen? zu Frage 6: Das Genehmigungsverfahrensrecht des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) ist im Grundsatz anlagenbezogen und nicht personenbezogen geregelt. Das bedeutet, dass der Genehmigungsinhaber einer Abfallbehandlungsanlage keine personenbezogene Konzession erhält, sondern eine Genehmigung für die Anlage (Sachkonzession ), die nicht personengebunden ist, und daher auch ein späterer Betreiberwechsel nicht zum Erlöschen der Genehmigung führen würde. Eine Vorschrift, die explizit an die persönlichen Eigenschaften des Antragstellenden anknüpft, ist mit dem Systemwechsel dieser Abfallanlagen aus dem abfall- in das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsregime (1993 durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz) verloren gegangen . Landtag Brandenburg Drucksache 6/9257 - 5 - Trotzdem kann bereits jetzt die Unzuverlässigkeit des Betreibers oder des Betriebsleiters (nach Genehmigungserteilung) gemäß § 20 Abs. 3 BImSchG Berücksichtigung finden. Daneben wäre auch die Untersagungsvorschrift des § 35 Abs. 1 Gewerbeordnung grundsätzlich anwendbar. Eine Betriebsuntersagung wegen Unzuverlässigkeit des Anlagenbetreibers ist daher schon jetzt möglich. Aus diesen Gründen hätte eine Bundesratsinitiative zur weiteren Änderung des BImSchG kaum Aussicht auf Erfolg. Frage 7: Wie informiert das Land die Gemeinden, in deren Gebiet (illegale) Abfalldeponien existieren, darüber, dass sie eine Gewerbeausübung nach § 35 Absatz 1 Gewerbeordnung wegen Unzuverlässigkeit untersagen können (vgl. Drucksache 6/8677)? zu Frage 7: Die Zuständigkeit der örtlichen Ordnungsbehörden für die Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit ergibt sich aus Nummer 1.20 der Anlage zur Gewerberechtszuständigkeitsverordnung . Im Rahmen Ihres Zuständigkeitsbereiches werden die örtlichen Ordnungsbehörden eigenständig tätig. Die Handlungsmöglichkeiten im Gewerberecht insbesondere die Möglichkeiten der Gewerbeuntersagung nach § 35 Gewerbeordnung sind den örtlichen Ordnungsbehörden bekannt. Um eine Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit auszusprechen, müssen Tatsachen vorliegen, aus denen sich die Unzuverlässigkeit der/des Gewerbetreibenden ergibt und die Untersagung muss zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich sein, § 35 Gewerbeordnung (GewO). Die für die Gewerbeuntersagung erforderlichen Tatsachen können der zuständigen örtlichen Ordnungsbehörde (Gemeinde/kreisfreie Stadt) auf unterschiedliche Weise bekannt werden, z. B. durch Zeitungsberichte, eigene Erkenntnisse, Anzeigen oder aufgrund von Informationen anderer Stellen. An das Bekanntwerden dieser Tatsachen schließt sich die Prüfung der o. g. Behörde an, ob hierauf unter Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls eine Gewerbeuntersagung gestützt werden kann.