Landtag Brandenburg Drucksache 6/9273 6. Wahlperiode Eingegangen: 24.07.2018 / Ausgegeben: 30.07.2018 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 3663 des Abgeordneten Steeven Bretz (CDU-Fraktion) Drucksache 6/9015 Segregationsprozesse am Beispiel der Landeshauptstadt Potsdam Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Infrastruktur und Landesplanung die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Fragestellers: Die Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) mit dem Titel „Wie brüchig ist die soziale Architektur unserer Städte?“ hat die soziale Durchmischung in 74 deutschen Städten, d.h. die räumlich ungleiche Verteilung der Wohnstandorte verschiedener Bevölkerungsgruppen (Segregation) in deutschen Städten, untersucht. Das Ergebnis: Besonders in Ostdeutschland vertiefe sich die soziale Spaltung. Die höchsten Werte sozialer Ungleichheit beim Wohnen gebe es u.a. in Potsdam . Die Dynamik dieser Veränderung sei „historisch beispiellos“, so einer der an der Studie beteiligten Wissenschaftler (SPIEGEL ONLINE, In deutschen Städten wachsen die Ghettos, 23.5.2018). 1. Wie beurteilt die Landesregierung das Studienergebnis in Bezug auf die soziale Durchmischung am Beispiel der Landeshauptstadt Potsdam? zu Frage 1: Die Studie des WZB untersucht die residenzielle (soziale, ethnische und demografische ) Segregation in Deutschen Großstädten. Basis der hier nachgefragten sozialen Segregation ist die räumliche Verteilung der Personen mit Bezug von SGB-II- Leistungen, insbesondere der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren. Hier wird eine hohe soziale Segregation in der Landeshauptstadt Potsdam festgestellt. Die Methoden der Studie werden von der Landesregierung ähnlich angewandt. So ist ein zentraler Indikator für die Auswahl von Stadtteilen im Programm der Sozialen Stadt der Anteil der Kinder und Jugendlichen im SGB-II-Bezug. Unter Verweis auf die kommunale Selbstverwaltung und die kommunale Planungshoheit bietet die Landesregierung Hilfestellungen an, wie die Kommunen einer sozialen Entmischung der Wohngebiete entgegenwirken können. 2. Welche Gründe sieht die Landesregierung für die wachsende Segregation in der Landeshauptstadt ? zu Frage 2: Die Landesregierung verweist hier auf die in der Studie aufgeführten Gründe. In Ostdeutschland war die soziale Segregation gering ausgeprägt. In den neunziger Jahren entstanden zunehmend Einfamilienhausgebiete, während es in den Gebieten des industriellen Wohnungsbaus zu einem zunehmenden Leerstand und einer Ballung von sozial benachteiligten Mietern kam (vgl. S. 101). Gleichzeitig kam es zu einer Sanierung der Landtag Brandenburg Drucksache 6/9273 - 2 - Innenstädte in Ostdeutschland. Die Autoren erklären die soziale Segregation u.a. in Potsdam mit der Dreiteilung in Plattenbaugebiete, Innenstadtlagen und Vororte (S. 107) 3. Für die Landeshauptstadt wird bis 2035 eine Einwohnerzahl von ca. 220.000 Menschen prognostiziert. Inwiefern sieht die Landesregierung auf Grund dieses Bevölkerungsanstiegs eine zunehmende Segregation und Gentrifizierung für die Stadt Potsdam ? 4. Welche gesellschaftlichen Folgen hat aus Sicht der Landesregierung die zunehmende Segregation am Beispiel der wachsenden Stadt Potsdam? zu Fragen 3 und 4: Die Landesregierung bewertet die sozialräumlichen Folgen eines Bevölkerungswachstums in der Landeshauptstadt Potsdam nicht. Dies obliegt der Stadt Potsdam i. R. d. kommunalen Selbstverwaltungshoheit. Generell ist davon auszugehen, dass in prosperierenden Städten die einkommensschwächeren Bevölkerungsteile in weniger attraktive Wohnlagen ausweichen. Die gesellschaftlichen Folgen zunehmender Segregation werden in der vorliegenden Studie als offene Forschungsfragen thematisiert. Hier ist die Datengrundlage zu gering. 5. Wie beurteilt die Landesregierung die Auswirkungen der Segregation insbesondere auf Kinder bzw. Familien mit Kindern? zu Frage 5: Der Landesregierung liegen hierzu keine ausreichenden Erkenntnisse vor. Die vom Fragesteller zitierte Studie führt zu diesem Punkt selbst aus: „Inwieweit diese wachsende Spaltung deutscher Städte die Lebenschancen insbesondere der jungen Generation und den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt beeinträchtigt, muss weitere Forschung zeigen.“ (vgl. S. I f.) Im Familien- und Kinderpolitischen Programm der Landesregierung (LT-Drucksache 6/6932) sind mit den Maßnahmen „Kinder- und familiengerechte Stadt“ und „Wohnungsbau “ Aktivitäten des Landes berücksichtigt, die die Schaffung einer familien- und kinderfreundlichen Wohninfrastruktur sowie entsprechender Außenräume in den Städten und Gemeinden unterstützen. 6. Die WZB-Studie kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass viele Sozialwohnungen die räumliche Ungleichheit verstärkten. Inwiefern beabsichtigt die Landesregierung, aus diesem Ergebnis wohnungsbaupolitische Konsequenzen zu ziehen? I zu Frage 6: Nach Auffassung der Landesregierung verstärken viele Sozialwohnungen nicht, wie es die Frage nahe legt, die räumliche Ungleichheit: Im Hinblick auf die soziale Segregation ist nicht die Summe der Sozialwohnungen in einer Stadt entscheidend, sondern deren räumliche Konzentration in einzelnen Quartieren (S. 87). Die Landesregierung hat zuletzt mit der ILB, der Kommune und der Pro Potsdam das sogenannte „Potsdamer Modell“ aufgelegt, das der Kommune die Möglichkeit gibt, Mietpreisund Belegungsbindungen flexibel an andere Standorte zu verlegen. Voraussetzung ist lediglich die Einhaltung eines festgelegten Ausstattungsstandards sowie eine Einstiegsmiete . Es eröffnet also der Kommune die Möglichkeit, im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltung Sozialwohnungen bzw. Belegungsbindungen dort zu schaffen, wo dies sozialräumlich erwünscht ist. Landtag Brandenburg Drucksache 6/9273 - 3 - Das Land ist bestrebt das "Potsdamer Modell" auf andere Standorte zu übertragen. Die Modelle zur Schaffung von Mietpreis- und Belegungsbindungen sind dabei jedoch stark standort- und unternehmensabhängig. 7. Wie bewertet die Landesregierung die Empfehlung des WZB, Neubau nur mit der Auflage eines prozentualen Anteils von Sozialwohnungen zu genehmigen, um eine soziale Mischung der Bevölkerung zu erhalten? zu Frage 7: Ob i. R. d. Bauleitplanung die Festlegung einer Quote für Sozialwohnungen ein geeignetes Instrument sein kann, eine soziale Mischung der Bevölkerung zu erreichen, ist der Bewertung der Kommune i. R. ihrer Selbstverwaltungshoheit vorbehalten. Beispielsweise hat die Stadtverordnetenversammlung Potsdam im Jahr 2017 ein Baulandmodell beschlossen mit dem Ziel, künftig 20 Prozent der planerisch neu ermöglichten Wohnfläche in allen städtischen Bebauungsplanverfahren mit Mietpreis- und Belegungsbindungen zu versehen. Im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung legt die Landesregierung großen Wert auf die soziale Durchmischung der Bewohnerschaft in den geförderten Mietwohnungsbeständen und fordert auch deshalb schon seit langem keine Bindungsquote von 100 %. Zum 1.1.2016 wurde zudem eine weitere Einkommensgrenze (WBS + 40 %) eingeführt. Dadurch wird eine noch bessere Durchmischung in den Bewohnerstrukturen erreicht. 8. Inwiefern wird die Landesregierung Programme auflegen, um einer zunehmenden Segregation - am Beispiel der Landeshauptstadt - entgegenzuwirken? zu Frage 8: Die vorhandenen Programme der Wohnraum- und Städtebauförderung sind geeignete Programme, um die Kommunen zu unterstützen, einer sozialen Segregation entgegenzuwirken. Die Auflage neuer Programme ist nicht vorgesehen (vgl. auch Antwort auf Frage 7). Die Landesregierung kann zwar in Förderrichtlinien der Wohnraumförderung die Konditionen für eine gute Durchmischung der Bewohnerstrukturen festschreiben, aber die Landesregierung kann nicht beeinflussen, wie viele und für welche Gebiete Anträge gestellt werden . 9. Inwiefern ist die Landesregierung der Auffassung, dass der von ihr vorgelegte neue Landesentwicklungsplan den Segregationsprozess in Potsdam verschärft? zu Frage 9: Der LEP HR regelt Raumnutzungen großräumig. Er greift nicht in kleinräumige Entwicklungsprozesse innerhalb der Städte und Gemeinden ein.