Landtag Brandenburg Drucksache 6/9306 6. Wahlperiode Eingegangen: 01.08.2018 / Ausgegeben: 06.08.2018 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 3692 der Abgeordneten Andrea Johlige (Fraktion DIE LINKE) und Margitta Mächtig (Fraktion DIE LINKE) Drucksache 6/9105 Probleme des Identitätsnachweises von Staatsangehörigen aus Eritrea, Somalia und Afghanistan Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: „Staatsangehörige von Herkunftsländern, die über kein nationales Personenregister verfügen , stoßen im Alltag häufig auf Probleme beim Nachweis ihrer Identität. Dies trifft insbesondere auf Flüchtlinge aus Eritrea, Somalia, Afghanistan und weiteren Staaten zu. In Deutschland ausgestellte elektronische Aufenthaltskarten sind meist mit dem Hinweis versehen , dass die Daten zur Person auf den eigenen Angaben des Ausweisinhabers bzw. der -inhaberin beruhen. Im Zuge der Verlängerung von Aufenthaltstiteln oder bei Änderungen des Personenstandes (Heirat, Geburt eines Kindes) werden Betroffene von den zuständigen Ausländerbehörden, Standesämtern und anderen Einrichtungen aufgefordert, Reisepässe bei den Botschaften ihrer Herkunftsländer zu beantragen, auch wenn sie vor dem dortigen Regime geflohen und Schutz gesucht haben (z.B. Eritrea) oder die Beantragung eines Reisepasses in Deutschland überhaupt nicht möglich (z.B. Somalia) oder mit unzumutbaren Härten (z.B. Afghanistan) verbunden ist. Die Botschaft Somalias in Berlin verfügt über keine konsularische Abteilung und ist daher nicht berechtigt, Reisepässe für somalische Staatsangehörige auszustellen. Außerdem kann die Deutsche Botschaft in Nairobi (Kenia) aufgrund des Bürgerkriegs in Somalia bereits seit geraumer Zeit keine Urkunden und Reisepässe aus Somalia überprüfen. Gemäß einer Allgemeinverfügung des Bundesministerium des Innern vom 6. April 2016 können somalische Pässe generell nicht anerkannt werden (vgl. BAnz. AT 25. April 2016 B1). Erschwerend kommt hinzu, dass viele der in Deutschland Schutzsuchenden aus Somalia nie einen Ausweis oder ähnliches (auch keine Geburtsurkunde) besaßen, da in vielen Landesteilen seit Beginn der 1990er Jahre keine staatliche Ordnungsmacht existiert. Für die Ausstellung eines Reisepasses für afghanische Staatsangehörige verlangt die Botschaft in Berlin die Vorlage eines so genannten "Tazkira" (nationales Ausweisdokument) im Original einschließlich einer Beglaubigung durch das Außenministerium Afghanistans mit Sitz in Kabul (vgl. http://www.afqhanconsulate-munich.com/index.php/de/passneuausstellung). Ein Tazkira wird in Afghanistan üblicherweise durch den Ortsvorsteher ausgestellt und durch ein Distriktgericht beglaubigt. Ein Tazkira kann nur persönlich beantragt und beglaubigt werden oder durch eine beauftragte Anwaltskanzlei, was jedoch sehr kostenintensiv ist. Eine systematische Erfassung der persönlichen Daten findet dabei nicht statt, so dass ein solches Ausweisdokument leicht fälschbar ist und keine verifizierbaren Daten enthält. Landtag Brandenburg Drucksache 6/9306 - 2 - Darüber hinaus hat die Deutsche Botschaft im Juni 2017 jedoch die Überprüfung afghanischer Urkunden einschließlich der Tazkira bis auf Weiteres eingestellt (vgl. http://www.konsularinfo. diplo.de /contentblob/1619656/Daten/7694596/Merkblatt Afghanistan .pdf)." Wir fragen die Landesregierung: 1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung hinsichtlich der Beschaffbarkeit von Ausweisdokumenten der o. g. Herkunftsstaaten? zu Frage 1: Mit Blick auf die diesbezüglich unzureichende bzw. veraltete Kenntnislage hat sich das Ministerium des Innern und für Kommunales im Oktober 2017 mit einem Fragenkatalog zu den Modalitäten und Voraussetzungen der Passausstellung für u. a. auch diese drei Staaten direkt an das Auswärtige Amt gewandt. Die Beantwortung steht noch aus. Für die hier in Rede stehenden Herkunftsstaaten liegen gegenwärtig folgende länderspezifischen Erkenntnisse vor: Eritrea: Der Beantwortung und der damit verbundenen Herausgabe von „VS - Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuften geheimhaltungsbedürftigen Informationen des Bundes steht die in § 58 Absatz 4 Geschäftsordnung des Landtages vorgesehene elektronische Veröffentlichung entgegen. Unbeschadet dessen steht den Abgeordneten die Möglichkeit offen, einen entsprechen Antrag auf Akteneinsicht bzw. Auskunft nach Maßgabe des Artikels 56 Absatz 3 der Landesverfassung zu stellen. Somalia: Nach hiesiger Kenntnis stellt die somalische Botschaft in Berlin aus technischen Gründen keine Pässe aus; somalische Staatsangehörige müssen daher grds. zur Passbeschaffung in ihr Heimatland reisen. Afghanistan: Voraussetzung für die Ausstellung eines Reisepasses ist die Vorlage eines Personenstandsregisterauszugs, der sogenannten Tazkira. In der Tazkira sind Informationen zu Vater und Großvater enthalten. Tazkiras können sowohl in der Hauptstadt Kabul als auch an dem jeweiligen Geburtsort, nicht jedoch von afghanischen Auslandsvertretungen ausgestellt werden. Nach unseren Erkenntnissen können sie jedoch über eine afghanische Auslandsvertretung beim afghanischen Innenministerium beantragt werden. Aus der ausländerbehördlichen Praxis ist bekannt, dass die Tazkira auch durch ein Familienmitglied im Heimatland übersandt werden kann. 2. Welche Empfehlungen/Richtlinien gibt die Landesregierung hinsichtlich der Bewertung der Aussagekraft von Ausweisdokumenten der o.g. Herkunftsstaaten bezüglich des Ausräumens von Zweifeln an den Daten zur Person (vgl. Ausweisvermerk)? zu Frage 2: Aufgrund der erforderlichen Einzelfallprüfung hat das Ministerium des Innern und für Kommunales keine allgemeinen Empfehlungen bzw. Richtlinien zur Bewertung der Aussagekraft von Ausweisdokumenten der genannten Herkunftsstaaten ausgesprochen bzw. erlassen. 3. Welche alternativen Möglichkeiten bestehen insbesondere für Staatsangehörige aus Somalia und Afghanistan, ihre Identität nachzuweisen? Landtag Brandenburg Drucksache 6/9306 - 3 - zu Frage 3: Eine allgemeingültige Aussage zu der Frage, welche Dokumente alternativ zum Identitätsnachweis in Frage kommen, kann nicht getroffen werden; die Fallkonstellationen sind zu unterschiedlich. 4. Welche weiteren Möglichkeiten stehen den Betroffenen unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Ehefreiheit nach Art. 6 GG offen, um eine Eheschließung im Standesamt zu beurkunden? zu Frage 4: Zwar gebietet Art. 6 GG und Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention dem Staat, Ehe und Familie zu schützen, doch gerade diesem Ziel dient das in § 12 Personenstandsgesetz (PStG) vorgeschriebene Verfahren zur Feststellung der Eheschließungsvoraussetzungen der Ehewilligen. Die dem Standesbeamten obliegende eigenständige Prüfung etwa bestehender Ehehindernisse sowie der Ehefähigkeit der Ehewilligen dient vordergründig der Zielsetzung, auszuschließen, dass keiner der Verlobten bereits verheiratet ist. Bei ehewilligen Ausländern dient dem Schutz der Ehe und Familie auch das durch den Standesbeamten vorzubereitende Verfahren gemäß § 1309 BGB zur Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses des Heimatstaates bzw. zur Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses durch das zuständige Oberlandesgericht. Der Standesbeamte hat auch im Sinne des Schutzes der Ehe und Familie u.a. zu prüfen, ob keine Eheverbote der Eheschließung entgegenstehen, die in den §§ 1306 bis 1308 BGB abschließend geregelt sind (Verbot der Ehe bei bestehender Ehe oder Lebenspartnerschaft , zwischen nahen Verwandten und zwischen nahen Verwandten nach einer Adoption ). Diese obligatorischen Überprüfungen durch den Standesbeamten setzen zwingend die Feststellung der Identität des/der Verlobten i. S. v. § 12 Absatz 2 PStG voraus. Und nicht zuletzt soll durch die dargestellten Prüfungen im Sinne des Schutzes der Ehe und Familie noch vor der Eheschließung verhindert werden, dass die in Deutschland geschlossene Ehe des ehewilligen Ausländers in seinem Herkunftsland nicht anerkannt wird. Der Standesbeamte hat die o. g. Sachverhalte eigenständig zu prüfen und seine Mitwirkung an der Eheschließung zu verweigern, wenn offenkundig ist, dass die Ehe nach § 1314 BGB wegen Vorliegens eines der Eheverbote bzw., wenn sie entgegen den Vorschriften der § 1303 (Ehemündigkeit), § 1304 (Geschäftsunfähigkeit), § 1306 (Bestehende Ehe oder Lebenspartnerschaft ), § 1307 (Verwandtschaft), § 1311 (Persönliche Erklärung) geschlossen worden ist, aufhebbar wäre. Die Ablehnung der Amtshandlung eines Standesbeamten kann gemäß § 49 Absatz 1 PStG überprüft werden. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Verpflichtung zur Vornahme der Amtshandlung besteht, weist es den Standesbeamten hierzu an. 5. Wie wird der in internationalen Konventionen besonders festgelegte Schutz von Kindern umgesetzt, um Benachteiligungen aufgrund eines Ausweisvermerks zu Zweifeln an der Namensführung bei Kindern zu vermeiden? zu Frage 5: Aus den Vermerken in den Ausweisen der Kinder, dass ihre Namensführung nicht nachgewiesen ist, ergeben sich für diese Kinder keine der UN- Kinderrechtskonvention zuwiderlaufenden Nachteile. 6. Art. 6 GG und Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention gebieten dem Staat, Ehe und Familie unabhängig von Nationalität und Herkunft zu schützen. Dazu zählt nicht nur die Ausräumung von Zweifeln an der Ehefähigkeit der Heiratswilligen sondern auch, einer Eheschließung keine unzumutbaren Härten entgegen zu stellen. Weder somalische noch Landtag Brandenburg Drucksache 6/9306 - 4 - afghanische Antragsteller haben in der Regel die Möglichkeit, durch Vorlage von über alle Zweifel erhabenen Dokumenten ihre Identität zu erklären. Sind aus Sicht der Landesregierung in Fällen, in denen die Heiratswilligen alles in ihrer Möglichkeit Stehende getan haben , eine Eheschließung auf Grundlage von Erklärungen an Eides statt bzw. analog des Rechts des Heimatlandes unter Hinzuziehung nahestehender Zeugen zu beurkunden? zu Frage 6: Zunächst wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Im Rahmen der Beweispflichtigkeit der Antragsteller bezüglich ihrer Identität und ihres Personenstandes kann als „ultima ratio" auf eidesstattliche Versicherungen der betroffenen Person oder anderer Personen /Zeugen zurückgegriffen werden, wenn die erforderlichen Dokumente objektiv nicht beschaffbar sind (siehe § 9 Abs. 2 PStG). Ein Nachweis zur Staatsangehörigkeit muss aber immer vorliegen. Weil eine Versicherung an Eides statt nur Tatsachen zum Inhalt haben und keine Werturteile oder rechtliche Schlussfolgerungen enthalten kann, wäre es nicht möglich, eine solche zur Staatsangehörigkeit abzugeben. Die Aussagekraft der Versicherung an Eides statt unterliegt der freien Beweiswürdigung durch das Standesamt /Gericht. Die Versicherung ist im Rahmen der Überzeugungsbildung nur ein Anhaltspunkt von mehreren. 7. In Somalia oder Afghanistan ausgestellte Identitätsnachweise sind aktuell weder vor Ort nachprüfbar noch in Ermangelung zentraler Register über alle Zweifel erhaben. Auf welcher Grundlage werden Antragsteller aus diesen Ländern trotzdem aufgefordert, diese Dokumente beizubringen und in Kauf nehmend, dass durch Zahlung entsprechend erhöhter "Gebühren" eine Ausstellung mit den vom Antragsteller gewünschten Daten gegebenenfalls möglich ist? zu Frage 7: Auch bei Herkunftsländern mit einer schwierigen passrechtlichen Situation müssen die Ausländerbehörden sämtliche angemessenen Möglichkeiten ausschöpfen, um die Identität von ausländischen Personen, die über keine anerkannten, echten und gültigen Reisedokumente verfügen, bestmöglich festzustellen. Besitzt eine ausländische Person keine geeigneten Dokumente, so ist sie verpflichtet, im Rahmen der für sie festgestellten Zumutbarkeit bei der Beschaffung mitzuwirken. Zur Klärung der Identität kann die Behörde in Fällen, in denen eine ausländische Person einen anerkannten Pass oder Passersatz nicht in zumutbarer Weise beschaffen kann, auch die Beschaffung eines nicht als Pass oder Passersatz anerkannten Dokuments verlangen. Somit handelt die Ausländerbehörde zutreffend, wenn sie die ausländische Person auffordert, sich einen Pass des Herkunftsstaates zu beschaffen. Diese Verpflichtung bezieht sich selbstverständlich nur auf legale Möglichkeiten. 8. Wann erfüllen Antragsteller aus Somalia bzw. Afghanistan trotz der eingangs erwähnten Umstände nach Auffassung der Landesregierung den Tatbestand einer sanktionierbaren Weigerung an der Mitwirkung zur Klärung ihrer Identität? zu Frage 8: Sofern für den Antragsteller die Zumutbarkeit der Passbeschaffung festgestellt wurde und die Auslandsvertretung erklärt, dass dieser zur Passbeschaffung in den Heimatstaat reisen muss, um sich dort einen Pass zu beschaffen, kann es im konkreten Einzelfall auch zumutbar sein, dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, in den Heimatstaat zwecks Passbeschaffung zu reisen. Welche konkreten Anforderungen an das Vorliegen einer Unzumutbarkeit zu stellen sind, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls durch die zuständige Ausländerbehörde zu beurteilen. Die eine Unzumutbarkeit begrün- Landtag Brandenburg Drucksache 6/9306 - 5 - denden Umstände müssen grundsätzlich durch den Ausländer gegenüber der Ausländerbehörde dargelegt und nachgewiesen werden (vgl. OVG NW, Beschluss vom 17.05.2016 - 18 A 951/15). Wenn der Antragsteller seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Mitwirkung an der Identitätsklärung nicht nachkommt, können Sanktionen in Betracht kommen. 9. Welche Möglichkeiten und ggf. Fallbeispiele sind der Landesregierung bekannt, wie afghanische bzw. somalische Staatsangehörige die für eine Eheschließung notwendigen Unterlagen beibringen konnten? zu Frage 9: Einzelfälle aus der standesamtlichen Praxis über Möglichkeiten der Beschaffung von für die Eheschließung notwendigen Unterlagen durch afghanische und somalische Staatsangehörige sind der Landesregierung bisher nicht bekannt geworden.