Landtag Brandenburg Drucksache 6/9462 6. Wahlperiode Eingegangen: 28.08.2018 / Ausgegeben: 03.09.2018 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 3784 des Abgeordneten Benjamin Raschke (Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 6/9297 „Strafrabatte“ durch Verfahrensverzögerungen Namens der Landesregierung beantwortet der Minister der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Fragestellers: Das Rechtsstaatsgebot erfordert, Strafverfahren angemessen zu beschleunigen. Eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verfahrensverzögerung verletzt den Beschuldigten in seinem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren. Eine rechtsstaatswidrige Verzögerung muss bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs berücksichtigt werden. In Anbetracht der derzeitigen mangelhaften Personalausstattung brandenburgischer Gerichte und Staatsanwaltschaften ist zu erwarten, dass es regelmäßig zu sogenannten „Strafrabatten“ durch Verfahrensverzögerungen kommt. Von diesen Rabatten profitieren vor allem Straftäter und Straftäterinnen im Bereich der schweren und organisierten Kriminalität, für deren Prozessdurchführungen umfangreiche Vorermittlungen notwendig sind. Es besteht somit die Gefahr , dass in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, „Schwerstkriminelle“ erhielten „Strafrabatte“, wohingegen „Kleinkriminelle“ nicht mit einem Nachlass bei ihrer Strafe rechnen können. In der Vergangenheit wurden in Brandenburg bereits mehrfach „Strafrabatte “ gewährt. Im Jahr 2016 wurde beispielsweise ein Delikt im Bereich der Umweltkriminalität verhandelt, welches bereits in den Jahren 2006 und 2007 begangen wurde. Dabei wurde eine Kiesgrube bei Jüterbog illegal als Abfalldeponie genutzt. Da bis zum Prozessbeginn mehrere Jahre vergingen, bot der vorsitzende Richter den vier mutmaßlichen Tätern für das Ablegen eines umfassenden Geständnisses „Strafrabatte“ an. Frage 1: In wie vielen Fällen droht an Brandenburger Strafgerichten in den nächsten sechs Monaten eine Strafverfolgungs- bzw. Vollstreckungsverjährung (bitte nach Gerichten aufschlüsseln )? Zu Frage 1: Wie bereits in den Antworten auf die jeweilige Frage 3 der Kleinen Anfragen 2827 und 3253 (Landtagsdrucksachen 6/7134 und 6/8149) mitgeteilt, kann die Frage mit vertretbarem Aufwand nicht vollständig beantwortet werden. Der Lauf der Verjährungsfrist für die Strafverfolgung beginnt je nach Strafverfahren zu einem anderen Zeitpunkt (vgl. § 78 Strafgesetzbuch [StGB]) und wird durch bestimmte Verfahrenshandlungen gehemmt oder erneut in Gang gesetzt (vgl. § 78b und 78c StGB). Aus diesem Grund werden die Fristen nicht in den Geschäftsstellenautomationsprogrammen erfasst. Diese Fristen werden ausschließlich von den jeweiligen Kammervorsitzenden, Vorsitzenden der Schöffengerichte und Strafrichtern als Teil der Rechtsprechungstätigkeit in eigener Verantwortung im Blick gehalten. Die Frage könnte daher nur nach Durchsicht aller Verfahrensakten um- Landtag Brandenburg Drucksache 6/9462 - 2 - fassend beantwortet werden. Frage 2: Wie oft führte in den vergangenen fünf Jahren eine durch die Justiz zu verantwortende Verzögerung von Strafverfahren zu einer Verminderung des Strafmaßes (bitte nach Gerichten, Delikten und dazugehöriger Dauer des „Strafrabatts“ aufschlüsseln)? zu Frage 2: Die Zahl der Fälle, in denen das Strafmaß wegen einer durch die Justiz zu verantwortenden Verzögerung vermindert wurde, wird statistisch nicht erfasst und lässt sich nicht mit vertretbarem Aufwand ermitteln, weil hierfür sämtliche verurteilenden Strafurteile und ihre Begründung durchgesehen werden müssten. Frage 3: Wie erklärt sich die Landesregierung die Anzahl an „Strafrabatten“? Zu Frage 3: Die Zahl der „Strafrabatte“ ist aus den zu Frage 2 genannten Gründen nicht bekannt, so dass eine Bewertung nicht möglich ist. Frage 4: Wie wird das Erteilen von „Strafrabatten“ durch die Landesregierung bewertet? Zu Frage 4: Die Konsequenzen eines Verstoßes gegen Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 der Europäischen Menschrechtskonvention (EMRK), d. h. einer rechtsstaatswidrigen, der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerung, sind gesetzlich nicht geregelt. Nach der früheren Rechtsprechung wurde ein entsprechender Verstoß ausschließlich im Bereich der Strafzumessung durch einen numerischen Abzug von der eigentlich schuldangemessenen Strafe kompensiert. Seit 2008 verlangt die höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. Bundesgerichtshof [BGH], Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, zitiert nach beckonline ), dass bei gravierenden Verstößen in der Urteilsformel ausgesprochen werden muss, dass ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt. Die vorgenannte Rechtsprechung muss unabhängig vom begangenen Delikt ohne Ansehung der Person berücksichtigt werden. Grundsätzlich gebieten eine wirksame Strafrechtspflege und die schutzwürdigen Interessen aller im Strafverfahren Beteiligten, das Verfahren zu einem zeitnahen Abschluss zu bringen. Frage 5: Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, die Praxis der vermehrten „Strafrabatte“ zu beenden bzw. deren Vergabe zu verringern? zu Frage 5: Es liegen keine Daten vor, aus denen sich ersehen lässt, dass vermehrt „Strafrabatte “ gewährt werden. Die höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. die zu Frage 4 zitierte Entscheidung des BGH, a. a. O.) gebietet, dass bei einem Verstoß gegen Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 EMRK eine entsprechende Kompensation vorgenommen wird. Ob und in welchem Umfang das Strafmaß zu mindern ist, ist von den Gerichten in richterlicher Unabhängigkeit im Einzelfall zu entscheiden und daher nicht von der Landesregierung zu beeinflussen.