Datum des Eingangs: 23.03.2015 / Ausgegeben: 30.03.2015 Landtag Brandenburg 6. Wahlperiode Drucksache 6/947 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 313 des Abgeordneten Thomas Jung der AfD-Fraktion Drucksache 6/679 Ist das Konzept der Abschiebe-Praxis gescheitert? Wortlaut der Kleinen Anfrage 313 vom 23.02.2015: Nach dem EuGH-Urteil vom 17. Juli 2014 verstößt die Unterbringung von Abschiebungshäftlingen im Strafvollzug gegen das Trennungsgebot. 2012 waren 100 Personen in Brandenburg zur Abschiebung vorgesehen, 2013 noch 195 (Quelle: BMI). Heute sitzt aktuell genau noch einer im Abschiebegewahrsam Eisenhüttenstadt. Nach Informationen des Bundesministeriums des Inneren gab es im vergangenen Jahr 10.884 Abschiebungen, 192 davon im Land Brandenburg. Diese Zahl hat sich, zumindest was Brandenburg angeht, anteilig erheblich verringert. Das wiederum liegt nicht an der guten Politik, sondern an Urteilen des BGH und des EuGH. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat klargestellt, dass die Abschiebehaft in Dublin- Verfahren überwiegend rechtswidrig ist. Damit entfällt besonders bei Flüchtlingen ein europarechtskonformer Haftgrund. Die Personen müssen freigelassen und /oder gesondert - also nicht mit Häftlingen - untergebracht werden. Nach dem BGH- Beschluss vom 26.06.2014 fehlen gesetzliche Grundlagen zur Inhaftnahme von Asylbewerbern zur Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Auf Landesebene hat man sich bisher von dieser Entwicklung völlig überfahren lassen. Derzeit kümmern sich nach Aussage des Leiters der Eisenhüttenstädter Abschiebeeinrichtung 49 Mitarbeiter um nur einen Einsitzenden. Ursprünglich war die Einrichtung für rund 200 Menschen gedacht. Die sehr hohen Kosten hier rechtfertigen in keinem Fall den Aufwand für nur eine Person. Ich frage die Landesregierung: 1.) Wie hoch sind die Gesamtkosten des Abschiebegewahrsams für nur eine Person in Eisenhüttenstadt? 2.) In welcher Form wurden die bisher zur Abschiebung vorgesehenen anderen Personen und deren möglicherweise freiwillige Ausreise überwacht? 3.) Was hat trotz eklatanter Steigerung, ja fast Verdoppelung der zur Abschiebung vorgesehenen Personen in den vergangenen zwei Jahren, die Landesregierung unternommen, um eine sichere Abschiebung zu gewährleisten? 4.) Hat man wirklich aufgrund einer veränderten Rahmengesetzgebung hunderte zur Abschiebung vorgesehene Menschen „in Treu und Glauben“ selbständig ziehen lassen, in der Hoffnung, dass sie auch das Land verlassen? 5.) Kann die Landesregierung diese Abschiebepraxis als gescheitert betrachten? Namens der Landesregierung beantwortet der Minister des Innern und für Kommunales die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Zur Klarstellung ist vorab Folgendes anzumerken: Brandenburg verfügt als eines der wenigen Bundesländer über eine EU-richtlinienkonforme Hafteinrichtung. Für die Abschiebungshafteinrichtung (AHE) sind im Stellenplan 16 Beschäftigte der Zentralen Ausländerbehörde (ZABH) ausgewiesen, die in vier Schichten tätig sind. Hinzu kommen durch Personal des Betreibers eine Sozialarbeiterin und pro belegte Abteilung zwei Wachschutzkräfte und in der Sicherheitszentrale/Schleuse weitere drei Wachschutzkräfte. Personal zur Essenausgabe und eine Krankenschwester des Betreibers werden bei Bedarf stundenweise eingesetzt. Die Kapazität der AHE beträgt 108 Haftplätze. Frage 1: Wie hoch sind die Gesamtkosten des Abschiebegewahrsams für nur eine Person in Eisenhüttenstadt? zu Frage 1: Die Kosten der AHE betrugen im Jahr 2014 insgesamt 1.781.298 €. In die Kosten fließen u. a. die Sachkosten und die Kosten des behördlichen Personals sowie des Betreibervertrages ein. Die Kosten pro Person beliefen sich im letzten Jahr, bezogen auf die Gesamtkapazität, auf 45,19 € je Hafttag. Frage 2: In welcher Form wurden die bisher zur Abschiebung vorgesehenen anderen Personen und deren möglicherweise freiwillige Ausreise überwacht? zu Frage 2: Eine Aussage ist hier nur für die ZABH möglich. Bei allen Asylsuchenden wird der Eintritt der Bestandskraft der ablehnenden BAMF-Bescheide überwacht. Soweit sich die Betreffenden noch in der Erstaufnahmeeinrichtung aufhalten, werden diese zum Verlassen Deutschlands aufgefordert. Bei freiwilligen Ausreisen per Flugzeug werden die Ausländer an den Flughafen gebracht, wobei die Vollstreckungsbeamten bis zum Abflug vor Ort verbleiben. Bei freiwilligen Ausreisen per Bus (insbesondere in den Westbalkan) ist die ZABH darauf angewiesen, dass die Grenzbehörden an den Schengen-Außengrenzen eine Grenzübertrittsbescheinigung ausstellen und an die ZABH leiten. Frage 3: Was hat trotz eklatanter Steigerung, ja fast Verdoppelung der zur Abschiebung vorgesehenen Personen in den vergangenen zwei Jahren, die Landesregierung unternommen, um eine sichere Abschiebung zu gewährleisten? zu Frage 3: Voranzustellen ist, dass mit Stichtag 31.12.2012 im Ausländerzentralregister 2.230 Ausreisepflichtige erfasst waren, am 31.12.2013 waren es 2.492 und am 31.12.2014 insgesamt 3.136 Personen. Eine „fast Verdoppelung“ liegt mithin nicht vor. Zudem bedeutet eine Erhöhung der Anzahl der Ausreisepflichtigen um 906 nicht einen identischen Anstieg der Zahl der Abzuschiebenden. In einer Vielzahl der Fälle stehen der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht zeitweise oder dauerhafte rechtliche oder tatsächliche Vollzugshindernisse entgegen. Dies sind vor allem zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote und inlandsbezogene Abschiebungshindernisse wie zum Beispiel die Bindung an eigene minderjährige Kinder, Reiseunfähigkeit, fehlende Passpapiere, unterbrochene Verkehrswege. Diese rechtlichen und tatsächlichen Hindernisse entziehen sich der Einflussnahme der Landesregierung. Da die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht durch Abschiebung als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung der Verantwortung der Landkreise und kreisfreien Städte unterliegt, erstattet das Land die Kosten der Abschiebung und finanziert in den Kommunen eine halbe Personalstelle zur Durchführung dieser Aufgabe. Frage 4: Hat man wirklich aufgrund einer veränderten Rahmengesetzgebung hunderte zur Abschiebung vorgesehene Menschen „in Treu und Glauben“ selbständig ziehen lassen, in der Hoffnung, dass sie auch das Land verlassen? zu Frage 4: Die Fragestellung bezieht sich nach hiesigem Verständnis auf freiwillige Ausreisen. Diese genießen Vorrang vor einer Abschiebung (vgl. §§ 58, 59 des Aufenthaltsgesetzes, Artikel 7 der EU-Rückführungsrichtlinie). Freiwillige Ausreisen müssen im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als milderes Mittel immer zuerst zur Anwendung kommen. Frage 5: Kann die Landesregierung diese Abschiebepraxis als gescheitert betrachten? zu Frage 5: Hinsichtlich der praktischen Vollzugshindernisse bei Abschiebungen wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Die rechtlichen Instrumentarien für eine zwangsweise Beendigung des Aufenthalts werden aktuell durch den Bund überarbeitet. In einem laufenden Gesetzgebungsverfahren soll u. a. das Recht zur Aufenthaltsbeendigung neu geregelt werden. Den Regelungen zu einer verbesserten Durchsetzung der Ausreisepflicht hat sich die Landesregierung im Bundesrat nicht verschlossen.