Landtag Brandenburg Drucksache 6/9711 6. Wahlperiode Eingegangen: 08.10.2018 / Ausgegeben: 15.10.2018 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 3826 der Abgeordneten Steeven Bretz (CDU-Fraktion) und Gordon Hoffmann (CDU-Fraktion) Drucksache 6/9409 Schul-Konzepte gegen sexuelle Gewalt Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Bildung, Jugend und Sport die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Fragesteller: Im Juni 2018 wurde in Potsdam die bundesweite Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ vorgestellt, der sich Brandenburg als neuntes Bundesland anschließt. Dabei stellte der Bundesbeauftragte für Fragen des Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Röhrig, die Wichtigkeit von Prävention heraus: man müsse davon ausgehen , dass in jeder Klasse mindestens ein Kind schon unter sexueller Gewalt leiden musste (MOZ Bericht „Es kann überall passieren“ vom 19.06.2018). Gleichzeitig hätte nur jede achte Schule ein Schutzkonzept gegen sexuelle Gewalt, wobei 38 Prozent der Schulen sich mehr Beratung beim Thema wünschen würden. Die Initiative setzt dabei auf Aufklärung der Lehrerinnen und Lehrer und auf die Bitte, auf freiwilliger Basis Schutzkonzepte zu entwickeln. Vorbemerkung der Landesregierung: Das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport sowie alle Brandenburger Schulen stellen sich den Herausforderungen des Themas sexuelle Gewalt. Der gemeinsame Rahmenlehrplan für die Jahrgangsstufen 1 bis 10 für die Länder Berlin und Brandenburg, der seit dem Schuljahr 2017/2018 anzuwenden und umzusetzen ist, verpflichtet alle Schulen, übergreifende Themen wie Gewaltprävention oder Sexualerziehung - Bildung für sexuelle Selbstbestimmung im schulinternen Curriculum zu verankern . Diese Themen sind fächerübergreifend im Unterricht umzusetzen und sollen zudem in der Schulkultur bzw. im Schulleben berücksichtigt werden. Damit wird ein wesentlicher Beitrag zur Prävention geleistet. Die bundesweite Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ wurde im Land Brandenburg am 18. Juni 2018 gestartet. Zeitgleich mit dem Start der Initiative wurde das länderspezifische Fachportal www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de freigeschaltet. Auf diesem stehen für Schulleitungen, Lehrkräfte, das weitere pädagogische Personal an Schulen, aber auch für die Schülerinnen und Schüler sowie Eltern umfangreiche Informationsmaterialien zur Verfügung. Unabhängig davon handeln bei sexuellen Übergriffen in der Schule die Schulleitungen nach dem entsprechenden Notfallplan für die Schulen des Landes Brandenburg. Hilfreich ist weiterhin das Rundschreiben 16/17 „Hinsehen - Handeln - Helfen, angst- und gewaltfrei leben und lernen in der Schule“ vom 01.12.2017. Dieses regelt die Grundsätze des Handelns der Schulen und beschreibt zudem mögliche Maßnahmen. (Schwerwiegende) Gewalttaten sind grundsätzlich auf der Basis eines Meldeformulars dem jeweiligen staatlichen Schulamt und dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) anzuzeigen. Landtag Brandenburg Drucksache 6/9711 - 2 - Gegebenenfalls sind die Schulpsychologen einzubeziehen. Die Schulen wenden aber auch die Regelungen zu den Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen an. Im Bereich der Prävention arbeiten alle Schulen gemäß des Gemeinsamen Runderlasses zwischen Ministerium des Innern und für Kommunales und Ministerium für Bildung, Jugend und Sport vom 25.06.2018 mit der Polizei zusammen und führen in diesem Rahmen auch Veranstaltungen , wie z. B. „Gehe nicht mit Fremden“ oder „Nein sagen können“, durch. Aber nicht nur die Schulen stellen sich der Thematik, sondern auch der Kita- und Jugendbereich sowie der Sport. Das Land fördert verschiedene freie Träger, die Präventionsprojekte gegen sexualisierte Gewalt von Kindern und Jugendlichen umsetzen (z. B. Dreist e.V. mit Projekten für Grundschulkinder oder Jugendliche; STIBB e.V. mit dem Projekt „Kinder schützen - Opfern helfen“). Frage 1: Wie schätzt die Landesregierung die Problematik um sexuelle Gewalt für Kinder und Jugendliche in Brandenburg ein? Zu Frage 1: Im Bundesland Brandenburg sind die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gegen Kinder und Jugendliche in den letzten fünf Jahren um 78 Fälle bzw. 10,1 % auf 691 Fälle zurückgegangen. An Schulen ist dagegen ein Anstieg von 12 Fällen im Jahr 2013 auf 25 Fälle im Jahr 2017 zu verzeichnen. Diese Entwicklung unterliegt aufgrund niedriger Fallzahlen erheblichen jährlichen Schwankungen, wie die Beantwortung der Frage 2 zeigt. Frage 2: Wie viele Fälle von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Brandenburg und in Potsdam wurden in den Jahren 2013-2017 polizeilich festgestellt? (bitte nach Jahren aufschlüsseln). Zu Frage 2: Nachfolgend der Fünfjahresvergleich zu Sexualstraftaten mit Opfern unter 18 Jahren insgesamt sowie mit der Tatörtlichkeit „Schule“ für das Land Brandenburg und die Landeshauptstadt Potsdam. Die Beantwortung erfolgt auf Grundlage der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Diese zeichnet sich durch eine bundeseinheitliche Erfassung und einheitliche Zählweisen aus.1 Für den Phänomenbereich „Sexuelle Gewalt an Schulen“ wurden mit dem PKS- Straftatenschlüssel „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ Sonderrecherchen über Katalogwerte in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) durchgeführt. Diese werden vom kriminalpolizeilichen Sachbearbeiter auf freiwilliger Basis erhoben. Die Aussagekraft der Kriminalitätsdaten ist daher als eingeschränkt zu betrachten. Darüber hinaus ist zu beachten, dass im Jahr 2016 das Sexualstrafrecht novelliert worden ist (§§ 177 ff. StGB) und insoweit nur eine eingeschränkte Vergleichbarkeit der erfassten Fälle des Jahres 2017 mit den Vorjahren möglich ist. Weiterhin sind die Katalogwerte und die Erfassungsvoraussetzungen zum Katalog „Tatörtlichkeit“ bundesweit uneinheitlich, mithin nicht mit den Daten aus anderen Bundesländern vergleichbar. Als Tatörtlichkeiten wurden Schule, Schulhof , öffentliche Schule, private Schule und Sport-/Turnhalle festgelegt. 1 Bei der PKS handelt es sich um eine sogenannte Ausgangsstatistik, welche durch die PKS-Richtlinien geregelt wird. Es werden hier keine Anzeigen, sondern nur hinreichend konkretisierte Delikte mit PKS- Relevanz (Fall) registriert. Für die Beantwortung können nur die der Polizei bekannt gewordenen Fälle als Grundlage genommen werden. Eine Dunkelfeldanalyse ist nicht möglich. Landtag Brandenburg Drucksache 6/9711 - 3 - Tabelle1: Sexualstraftaten mit Opfern unter 18 Jahren gesamt Jahr Bundesland Brandenburg Potsdam Erfasste Fälle Opfer Erfasste Fälle Opfer Kinder Jugendliche Kinder Jugendliche 2013 769 596 229 37 31 13 2014 711 560 219 50 39 21 2015 643 506 195 43 34 17 2016 752 556 253 43 33 13 2017 691 481 272 43 26 21 Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 2013 - 2017 Tabelle 2: Sexualstraftaten mit Opfern unter 18 Jahren an Schulen Jahr Bundesland Brandenburg Potsdam Erfasste Fälle Opfer Erfasste Fälle Opfer Kinder Jugendliche Kinder Jugendliche 2013 12 7 6 1 1 2014 11 10 2 1 1 2015 18 20 3 2016 12 11 1 2 2 2017 25 21 5 Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 2013 - 2017 Frage 3: Welche Schulen in Potsdam haben bisher ein Schutzkonzept gegen sexuelle Gewalt entwickelt? Zu Frage 3: Seit dem Start der Initiative im Land Brandenburg am 18. Juni 2018 und dem Beginn des Schuljahres vor wenigen Wochen wurden von den Potsdamer Schulen noch keine individuellen Schutzkonzepte gegen sexuelle Gewalt abschließend entwickelt. Des Weiteren wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Frage 4: Inwieweit haben sich Schulen aus Potsdam mit Beratungsbedarf hinsichtlich Schutzkonzepten gegen sexuelle Gewalt an die Landesregierung gewendet? Zu Frage 4: Ein Beratungsbedarf von Potsdamer Schulen hinsichtlich der Erstellung von Schutzkonzepten gegen sexuelle Gewalt ist bisher noch nicht an das Ministerium für Bildung , Jugend und Sport signalisiert worden (siehe dazu auch Antwort zu Frage 3). Erste Ansprechpartnerinnen bzw. Ansprechpartner bei der Konzeptentwicklung sind die BUSS- Beraterinnen und Berater und/oder das zuständige Staatliche Schulamt Brandenburg an der Havel. Frage 5: Welche Unterstützung bietet die Landesregierung den Schulen zu dieser Thematik konkret an? Zu Frage 5: Es wird auf die Vorbemerkung und die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Landtag Brandenburg Drucksache 6/9711 - 4 - Frage 6: Inwiefern hält die Landesregierung die Freiwilligkeit der Initiative für sinnvoll, um flächendeckend Schutzkonzepte an Schulen einzurichten? Zu Frage 6: Gemäß § 4 Abs. 3 des Brandenburgischen Schulgesetzes (BbgSchulG) ist jede Schule im Land Brandenburg zum Schutz der seelischen und körperlichen Unversehrtheit , der geistigen Freiheit und der Entfaltungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler verpflichtet. Die Sorge für das Wohl der Schülerinnen und Schüler erfordert es auch, jedem Anhaltspunkt für Vernachlässigung oder Misshandlung nachzugehen. Insofern gehört auch der Schutz der Schülerinnen und Schüler vor sexueller Gewalt zu den Zielen und Grundsätzen der Erziehung und Bildung im Land Brandenburg. § 7 BbgSchulG definiert die Selbstständigkeit der Schulen. Die Schulen bestimmen im Rahmen der geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften ihre pädagogische, didaktische, fachliche und organisatorische Tätigkeit selbst. Sie legen ihre pädagogischen Ziele und Schwerpunkte ihrer Arbeit selbstständig fest. Eine Verpflichtung für ein Schutzkonzept nach den Vorlagen des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) besteht nicht. Grundsätzlich wird eine Erarbeitung von Schutzkonzepten vom UBSKM auf dem Fachportal mit vielen Anregungen und klaren Strukturen empfohlen. Die Schulen sind angehalten, sich des Themas anzunehmen. Wichtig bleiben die Information und Sensibilisierung der Schulen. Die länderspezifischen Hinweise unterstützen die Handlungsfähigkeit der Schulen. Mit dieser Initiative sollen alle an Schule Beteiligten ermutigt und fachlich unterstützt werden, sich mit dem komplexen Thema des sexuellen Kindesmissbrauchs professionell auseinanderzusetzen. Ein standardisiertes Schutzkonzept gegen sexuelle Gewalt gibt es nicht. Jede Schule muss ihr individuelles Schutzkonzept entwickeln. Frage 7: Laut oben genanntem Medienbericht schloss Ministerin Britta Ernst nicht aus, dass die Freiwilligkeit der Initiative später eingeschränkt wird. Unter welchen Umständen würde die Landesregierung dies erwägen? Zu Frage 7: Das Anliegen des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) ist es, die Schulen zu sensibilisieren und anzuregen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und schuleigene Konzepte zu entwickeln. Das MBJS wird sich über die staatlichen Schulämter informieren, wie sich die Schulen diesem Thema gestellt haben. Auf dieser Grundlage können zu einem späteren Zeitpunkt andere Schlussfolgerungen gezogen werden.