Landtag Brandenburg Drucksache 6/9817 6. Wahlperiode Eingegangen: 25.10.2018 / Ausgegeben: 30.10.2018 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 3915 der Abgeordneten Birgit Bessin (AfD-Fraktion) und Dr. Rainer van Raemdonck (AfD- Fraktion) Drucksache 6/9624 Todesfälle und Patientengefährdung im Klinikum Westbrandenburg Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragesteller: Innerhalb eines anonymen Schreibens vom 18. September 2018 wurde uns die Situation im Klinikum Westbrandenburg am Standort Potsdam im Zusammenhang mit mehreren Todesfällen und schwersten Patientenschädigungen in Folge fortdauernder personeller Unterversorgung insbesondere im intensivmedizinischen Bereich beschrieben. Dem Schreiben beigefügt waren Kopien von Schreiben mit nahezu identischem Inhalt an Ministerpräsident Woidke vom 30. August 2018, an die damalige Ministerin Golze vom 10. August 2018 sowie an den Abteilungsleiter im Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, Herrn B., vom 22. Juni 2018. Zusätzlich wurde auf ein Schreiben an den Aufsichtsratsvorsitzenden des Klinikums Ernst von Bergmann, Herrn M. S., verwiesen. Des Weiteren erheben die Absender des Schreibens schwere Vorwürfe gegen die Krankenhausleitung und den Aufsichtsratsvorsitzenden M. S., da im Nachgang zu den dorthin gerichteten anonymen Schreiben arbeitsvertragliche bzw. disziplinarische Maßnahmen angekündigt worden seien gegenüber internen Kritikern der dargestellten Zustände. Stattdessen wurden weder die Todesfälle und schweren Patientenschädigungen öffentlich gemacht noch die zugrunde liegenden Zustände der fortdauernden personellen Unterversorgung im intensivmedizinischen Bereich behoben. Frage 1: Welche der oben genannten Schreiben liegen der Landesregierung vor? zu Frage 1: Der Landesregierung liegen die genannten Schreiben an Herrn Ministerpräsidenten Woidke vom 30. August 2018 (Posteingang 3. September 2018) sowie an die ehemalige Ministerin Golze vom 10. August 2018 (Posteingang 13. August 2018) mit dem als Anlage beigefügten Schreiben an die Abteilungsleitung Gesundheit datiert vom 22. Juni 2018 vor. Frage 2: Wie hat die Landesregierung darauf bisher reagiert? Landtag Brandenburg Drucksache 6/9817 - 2 - zu Frage 2: Nach Kenntnisnahme des anonymen Schreibens wurde die Geschäftsführung des betroffenen Klinikums umgehend aufgefordert, zu dem in dem anonymen Schreiben vorgetragenen Sachverhalt Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme des Klinikums gegenüber der Landesregierung konnte die Vorwürfe aus dem anonymen Schreibens plausibel und glaubhaft entkräften. Dennoch ist es der Landesregierung wichtig, den dargelegten Vorwürfen weiter nachzugehen. Da die Verfasserinnen bzw. Verfasser des Mitarbeiterschreibens nicht bekannt sind, wurde seitens der Landesregierung der Geschäftsführung angekündigt, mit Verantwortlichen im Klinikum weitergehende Gespräche zu führen. Frage 3: Ab wann hatte die Landesregierung erstmals Kenntnis von den in den Schreiben geschilderten Todesfällen und schwersten Patientenschädigungen sowie von der personellen Unterbesetzung im intensivmedizinischen Bereich als auch der Schließung einer Intensivstation? zu Frage 3: Die Landesregierung hatte erstmals mit Eingang des anonymen Schreibens an die ehemalige Ministerin Golze vom 10. August 2018 Kenntnis von dem geschilderten Sachverhalt. Frage 4: Inwiefern decken sich die Schilderungen der Mitarbeiter mit der tatsächlichen Situation im Klinikum Westbrandenburg sowie in den Abteilungen des Klinikums Ernst von Bergmann? zu Frage 4: Die Schilderungen des anonymen Schreibens beziehen sich offenbar auf den intensivmedizinischen Bereich der Kinderklinik. Aus den Darlegungen der Geschäftsführung des Klinikum Westbrandenburg in Verbindung mit den dokumentierten Qualitätsdaten ergibt sich, dass am Standort Potsdam des Klinikums Westbrandenburg die Behandlung auf qualitätsgesichertem Niveau erfolgt. Die medizinischen Qualitätsergebnisse des Klinikum Westbrandenburg werden standortbezogen jährlich auf der Homepage www.perinatalzentren.org veröffentlicht. Diese umfassen nicht nur Daten zur Anzahl der Frühgeborenen, der Schwangerschaftswochen, in der sie entbunden wurden und des Geburtsgewichtes, sondern auch Daten zur Frage, wie viele Frühgeborene überlebt haben und wie viele Frühgeborene ohne schwere Schädigungen überlebt haben. Bei beiden der letztgenannten Parameter weist der Standort Potsdam des Klinikums Westbrandenburg überdurchschnittlich gute Werte auf. Gemäß der Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene des Gemeinsamen Bundesausschusses über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Frühund Reifgeborenen gemäß § 136 Absatz 1 Nummer 2 SGB V in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 SGB V (Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene/QFR-RL) ist das Klinikum als Perinatalzentrum verpflichtet, definierte Mindeststrukturmerkmale fundiert gegenüber den Kostenträgern nachzuweisen und je nach Anzahl, Versorgungsgrad und Gewicht eine Strukturbesetzung im Pflegedienst je Schicht sicher zu stellen. Darüber hinaus besteht eine Verpflichtung, ein Personalmanagementkonzept zu entwickeln bzw. vorzuhalten, welches eine sehr kurzfristige situative Anpassung der Schichtbesetzung bei Belegungsschwankungen oder kurzfristigen Personalausfällen, z.B. aufgrund von Krankheit , unter Einbezug aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, insbes. der examinierten Pflegekräfte der Kinderklinik ermöglicht. Landtag Brandenburg Drucksache 6/9817 - 3 - Das Klinikum befindet sich derzeit in einem sogenannten „Klärenden Dialog“ auf der Grundlage der QFR-RL des Gemeinsamen Bundesausschusses. Ein solcher klärender Dialog wird durchgeführt, wenn Perinatalzentren die vorgegebenen Anforderungen an die pflegerische Versorgung von Kindern mit einem Geburtsgewicht unter 1500g gemäß QFR- RL ab dem 1. Januar 2017 nicht jederzeit erfüllen und dies dem G-BA mitgeteilt haben. Diese dürfen dann bis längstens zum 31. Dezember 2019 unter bestimmten Bedingungen von der Vorgabe abweichen. Dies betrifft im Moment 187 von 211 Zentren bundesweit. Der „Klärende Dialog“ dient insbesondere der Ursachenanalyse und soll das Perinatalzentrum unterstützen, die Personalanforderungen, die sich zunehmend auch aus einem allgemeinen Fachkräftemangel ergeben, schnellstmöglich zu erfüllen. Hierbei wird auch die Versorgungsstruktur der jeweiligen Region betrachtet und zudem ein koordiniertes Vorgehen zur Förderung der Ausbildung von Gesundheits- und Kinderkrankenpflegern/-innen sowie der Fachweiterbildung des Pflegepersonals vorgesehen. Der „Klärende Dialog“ mit dem Perinatalzentrum erfolgt gemeinsam mit den Landesverbänden der Krankenkassen, den Ersatzkassen, den Landeskrankenhausgesellschaften, der für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörde sowie weiterer Fachexperten (z.B. Pflegerat/Pflegekammer, Patientenvertreter). Das Klinikum Westbrandenburg hat das Qualitätsgütesiegel „Ausgezeichnet für Kinder“ (erteilt durch die Gesellschaft der Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen in Deutschlands (GKinD)) erst in diesem Jahr wiederholt erhalten. Die Erreichung des Qualitätsgütesiegels setzt unter anderem auf die Erfüllung definierter Strukturmerkmale auf. Zur Erläuterung des möglichen Hintergrundes des anonymen Schreibens aus der Mitarbeiterschaft teilt die Geschäftsführung des Klinikum Westbrandenburg zudem mit, dass derzeit ein zentrales Entwicklungsprojekt für das Klinikum Westbrandenburg umgesetzt werde . Der Fokus liege dabei einerseits auf der Weiterentwicklung der stationären und ambulanten Kindermedizin in Potsdam unter Einhaltung definierter Qualitätsrichtlinien und andererseits unbenommen der gestarteten Ausbildungs- und Anwerbungsoffensive auch mit Blick auf die erwartete Verfügbarkeit von Pflegekräften auf der Erarbeitung eines Personalkonzeptes zur durchgehenden Absicherung gemäß Anlage 2, Pkt. I.2.2 Ziffern (5)-(7) der Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene/QFR-RL des G-BA. Die Umsetzung der Richtlinie bedeutet nach Angaben der Geschäftsführung des Klinikum Westbrandenburg auch ein kritisches Hinterfragen der bisherigen Abläufe und Strukturen in der gesamten Kinderklinik unter Einbindung des Perinatalzentrums. Das Ziel sei, die begrenzt verfügbaren Fachkräfte dort einzusetzen, wo sie jeweils benötigt würden und sie notwendigerweise flexibel an die Belegungsschwankungen anzupassen. Bei dieser Umstrukturierung werde nach Angaben der Geschäftsführung mit größtmöglicher Offenheit unter Einbeziehung des Betriebsrates und zahlreicher engagierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorgegangen. Nach Auffassung der Geschäftsführung können solche Veränderungsprozesse bei einigen Beteiligten auch Ängste und Widerstände hervorgerufen werden. Um ein möglichst umfassendes Bild der Situation im Klinikum Westbrandenburg zu erhalten , sucht die Landesregierung derzeit das Gespräch mit Klinikverantwortlichen (s. Antwort zu Frage 1). Landtag Brandenburg Drucksache 6/9817 - 4 - Frage 5: Wie hat die Geschäftsführung der Klinik bisher auf die erhobenen Vorwürfe reagiert ? zu Frage 5: Die Geschäftsführung des Klinikums hat zu den anonym erhobenen Vorwürfen einer Patientengefährdung - wie in der Antwort auf Frage 2 näher ausgeführt - gegenüber dem MASGF Stellung bezogen. Der interne Umgang der Geschäftsführung mit dem anonymen Schreiben entzieht sich der Kenntnis der Landesregierung. Frage 6: Stimmt es, dass die Geschäftsführung mit Mitarbeitern, die auf Missstände aufmerksam gemacht hatten, Gespräche führte? Welche Ergebnisse wurden dabei erzielt? zu Frage 6: Nach der Stellungnahme des Klinikums gelingt eine erfolgreiche Bewältigung der Herausforderungen der Umsetzung der Qualitätsrichtlinien nur, wenn in der Klinik eine transparente und offene Kommunikationskultur herrscht und Probleme oder Verbesserungspotenziale innerhalb des Teams bzw. der Klinik benannt und bewältigt werden. Vor diesem Hintergrund hat das Klinikum versichert, dass selbstverständlich auch Gespräche mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geführt wurden, die solche Probleme oder Verbesserungspotenziale erkennen und benennen. Ziel entsprechender Gespräche sei stets, diese Probleme auch zu lösen und auf diesem Wege die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verbesserungsprozess mit einzubinden. In den letzten Monaten fanden nach Angaben des Klinikums für die gesamte Belegschaft am Standort Potsdam Mitarbeiterversammlungen statt. Es wurden Arbeitsgruppen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterschiedlicher Berufsgruppen und Hierarchien und unter Einbindung des Betriebsrates zu unterschiedlichen Projektinhalten bzw. Fragestellungen gebildet, die mehrmals tagten. Hier boten sich ausgiebig Gelegenheiten zu Aussprachen zu aktuell interessierenden Fragen. Zur besseren Informationsverbreitung wurde ein regelmäßig erscheinender Klinik-Newsletter neu eingeführt. Der Landesregierung liegen darüber hinaus keine weitergehenden Erkenntnisse zu Gesprächen zwischen der Klinikleitung und Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern, die Missstände benannt haben, vor. Frage 7: Welche Maßnahmen hat die Landesregierung bisher ergriffen, um die dargestellten Zustände abzustellen? zu Frage 7: Die Auswertung der Stellungnahme des Klinikums ergab bislang keinen Anlass für weitere Maßnahmen. Frage 8: Wurde den Mitarbeitern bisher die Möglichkeit gegeben, wie von ihnen gewünscht , Hinweise auf Missstände der Leitungsebene und dem Ministerium in anonymisierter Form zukommen zu lassen? Wenn ja, welche Erkenntnisse konnten hieraus gewonnen werden? Landtag Brandenburg Drucksache 6/9817 - 5 - zu Frage 8: Nach Auffassung der Klinikleitung gibt es verschiedene Möglichkeiten, mit denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Gefährdungspotenziale oder Probleme aufmerksam machen können. Dies ist einerseits das anonyme Fehlermeldesystem CIRS (Critical Incident Reporting System) und andererseits die Fallvorstellung in sogenannten M&M- Konferenzen (Mortalitäts- und Morbiditäts-Konferenzen). Unabhängig hiervon prüft die Landesregierung derzeit die Option der Errichtung eines anonymen virtuellen Briefkastens. Frage 9: Liegen der Landesregierung Hinweise auf eine ähnliche Situation in anderen Krankenhäusern im Land Brandenburg vor? Wenn ja, bitte aufzählen und detailliert beschreiben . zu Frage 9: Der Landesregierung liegen keine ähnlichen Hinweise auf angebliche Missstände vor. Frage 10: Welche Maßnahmen will die Landesregierung ergreifen, um angesichts des Fachkräftemangels die medizinische Sicherheit und Versorgung im Land Brandenburg zu garantieren? zu Frage 10: Im Jahr 2016 war in Brandenburg jeder vierte Arbeitsplatz im Gesundheitswesen gegenüber dem Stand von 2008 eine neu geschaffene Stelle (incl. der Berücksichtigung beendeter Beschäftigungsverhältnisse). Dies geht aus einer Pressemitteilung des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg vom Juli 2018 hervor. Demnach dominierten in Brandenburg bei der Zunahme der Beschäftigungsverhältnisse die Bereiche Pflege, Vorsorge und Reha, die 2016 gegenüber dem Vorjahr die stärkste Zuwachsrate von 4,8 Prozent aufwiesen. Dieser Bereich machte mehr als ein Viertel der Beschäftigungsverhältnisse im Gesundheitswesen aus und wuchs auch schon in den vergangenen Jahren am kräftigsten . Trotzdem besteht laut der aktuellen Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit vom Juni 2018 in Brandenburg ein Fachkräftemangel unter anderem in der Gesundheits - und Krankenpflege. Ein Ansatzpunkt, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, liegt in der Verbesserung der Attraktivität des Berufes. Auf der Ebene der Arbeitgeber sind insbesondere die Instrumente der angemessenen Vergütung und der Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen zu nennen. Auf der Ebene der Länder geht es in erster Linie um ausreichend und gut qualifizierten Nachwuchs. Derzeit gibt es im Land Brandenburg 17 staatlich anerkannte Ausbildungsstätten für Gesundheits - und Krankenpflege, die gleichzeitig eine staatliche Anerkennung für die Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflegehilfe besitzen, eine staatlich anerkannte Gesundheits - und Krankenpflegehilfeschule und drei staatlich anerkannte Schulen für Gesundheits - und Kinderkrankenpflege. Die Ausbildungszahlen in den genannten Berufen stiegen in den letzten sechs Jahren stetig und lagen im Ausbildungsjahr 2017/2018 bei rund 2040 Auszubildenden. Darüber hinaus gibt es in Brandenburg zwei staatlich anerkannte Weiterbildungsstätten für Intensivpflege und Anästhesie in Cottbus und Potsdam. Landtag Brandenburg Drucksache 6/9817 - 6 - Im Übrigen findet im Land Brandenburg ein klärender Dialog gemäß § 8 Qualitätssicherungs -Richtlinie Früh- und Reifgeborene des Gemeinsamen Bundesausschusses statt (vergleiche hierzu auch die Ausführungen zu Frage 4). Der klärende Dialog mit den meldenden Perinatalzentren erfolgt gemeinsam mit den Landesverbänden der Krankenkassen , den Ersatzkassen, den Landeskrankenhausgesellschaften sowie der für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörde. Der klärende Dialog dient insbesondere der schnellstmöglichen Erfüllung der Personalanforderungen durch den Abschluss von Zielvereinbarungen . In Brandenburg wurden mit allen Perinatalzentren der Versorgungsstufen Level I und II entsprechende Zielvereinbarungen abgeschlossen.