Landtag Brandenburg Drucksache 6/9892 6. Wahlperiode Eingegangen: 08.11.2018 / Ausgegeben: 13.11.2018 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage Nr. 3933 der Abgeordneten Kristy Augustin (CDU-Fraktion), Raik Nowka (CDU-Fraktion) und Roswitha Schier (CDU-Fraktion) Drucksache 6/9675 Schwangerschaftsabbrüche und postkoitale Empfängnisverhütung Namens der Landesregierung beantwortet die Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkungen der Fragesteller: Das Statistische Bundesamt hat die Zahlen der Schwangerschaftsabbrüche präsentiert. Demnach nahm die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche 2017 gegenüber dem Vorjahr um 2,5 % zu. Insgesamt wurden in 2017 rund 101 200 Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland gemeldet. Im vierten Quartal 2017 wurden rund 24 300 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet, das waren 4,3 % mehr als im vierten Quartal 2016. In Brandenburg gab es im Jahr 2017 3287 Abbrüche der Schwangerschaft. Auf 1000 geborene Kinder kamen zuletzt etwa 175 Abbrüche. Frage 1: Wie bewertet die Landesregierung die dargestellten Zahlen? zu Frage 1: Im Jahr 2016 ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche auf den niedrigsten Stand seit rund 20 Jahren gefallen. Ein leichter Anstieg vom Jahr 2016 auf das Jahr 2017 ist in der Bundesstatistik der Schwangerschaftsabbrüche zwar erkennbar, nichtsdestotrotz hat sich die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in den vergangenen 20 Jahren um 30% verringert. Frage 2: Wie viele Frauen aus Brandenburg ließen den Abbruch in einem anderen Bundesland durchführen? zu Frage 2: Der Landesregierung liegen hierzu keine Informationen vor. Frage 3: Wie teuer ist ein Abbruch (je nach Methode) und wie viele Abbrüche wurden seit 2010 über den Landeshauhalt (u.a. über den Titel 63610 des Einzelplans 07) finanziert? (Mit der Bitte um Auflistung nach Abbrüchen und Methoden pro Jahr.) zu Frage 3: Der Landesregierung liegen lediglich Zahlen zu den Kosten der Schwangerschaftsabbrüche vor, die nach Abschnitt 5 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) von den Krankenkassen gegenüber dem Land abgerechnet wurden. Die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch variieren je nach Methode und medizinischer Leistung. Unten sind die durchschnittlichen Kosten nach Methode pro Haushaltsjahr für die gegenüber dem Land von den Krankenkassen abgerechneten Fälle aufgelistet. Im Haushaltsjahr sind u. a. Abbrüche aus Vorjahren enthalten; Wie teuer ein Abbruch tatsächlich ist kann von Landtag Brandenburg Drucksache 6/9892 - 2 - hier nicht beziffert werden, da in den Ausgaben Teilrechnungen und Nachzahlungen aus Vorjahren enthalten sind. Dies führt auch zu Mehrfachzählungen bei den Fallzahlen. Da das Haushaltsjahr nicht mit dem Abbruchjahr gleichzusetzen ist, können diese Daten mit der Bundesstatistik nicht direkt verglichen werden. ambulanter Abbruch medikamentös ambulanter Abbruch operativ stationärer Abbruch ambulanter Abbruch operativ in Lokalanästhesie1 Fälle durchschnittliche Kosten pro Fall € Fälle durchschnittliche Kosten pro Fall € Fälle durchschnittliche Kosten pro Fall € Fälle durchschnittliche Kosten pro Fall € 2010 671 269,75 3639 356,67 36 501,39 1 183,69 2011 809 266,20 3613 338,76 45 505,80 2 195,26 2012 745 256,93 2954 340,64 31 515,64 2 183,69 2013 734 251,31 2514 328,39 39 528,58 1 183,69 2014 776 255,59 2466 341,54 34 542,26 2 183,69 2015 789 259,82 2285 348,40 23 566,37 2 256,50 2016 918 271,87 2743 350,49 21 586,44 2 280,49 2017 946 272,75 2330 355,65 32 616,02 0 0 1 Der Abbruch in Lokalanästhesie wird in Einzelfällen in Berlin durchgeführt. Dort gibt es entsprechende Pauschalen. Frage 4: Werden auch die mit einem Abbruch verbundenen Folgebehandlungen bezahlt? zu Frage 4: Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für mögliche mit dem Schwangerschaftsabbruch verbundene Folgebehandlungen. Frage 5: Wie viele Frauen haben in den letzten 5 Jahren Alternativen wie z.B. Adoption, anonyme Geburt oder die Babyklappe genutzt? zu Frage 5: Die Statistik weist für Brandenburg in den letzten 5 Jahren folgende Adoptionszahlen aus: 2017 100 2016 119 2015 115 2014 84 2013 94 Seit Einführung der Regelungen zur vertraulichen Geburt im Jahr 2014 gab es zwölf vertrauliche Geburten im Land Brandenburg. Der Landesregierung liegen keine Angaben über die Anzahl der in Babyklappen abgelegten Kinder vor. Frage 6: In der Antwort (DS 6/6622) auf die Anfrage Nr. 2529 werden die Zahlen der Ratsuchenden bei einer Konfliktberatung den tatsächlichen Abbrüchen nach Beratung gegenübergestellt . Wie bewertet die Landesregierung diese Zahlen? zu Frage 6: Bei der Erhebung der Zahlen der Ratsuchenden bei einer Schwangerschaftskonfliktberatung im Land Brandenburg wird der Wohnsitz der Ratsuchenden nicht erfasst. Die Zahlen der Abbrüche unter der Beratungsregelung beziehen sich auf Frauen mit Wohnsitz im Land Brandenburg. Die Zahlen sind daher nicht miteinander vergleichbar. Eine Bewertung der Zahlen ist insofern nicht möglich. Landtag Brandenburg Drucksache 6/9892 - 3 - Frage 7: Wie bewertet die Landesregierung die Qualität der Beratungsangebote und inwiefern wird diese überprüft? zu Frage 7: Im Rahmen des bestehenden Angebotes der Schwangerschaftskonfliktberatung im Land Brandenburg haben schwangere Frauen in einer Not- oder Konfliktlage die Chance, sich über Zweifel, Sorgen, Ängste und Wünsche in einem ergebnisoffenen Gespräch klar zu werden. Die Beratung geht von der Verantwortung der Frau aus und soll ermutigen und Verständnis wecken. Mit der Schwangerschaftskonfliktberatung ist eine gute und anerkannte Beratungsleistung gegeben. Die Qualitätssicherung der Beratungsstellen erfolgt durch die Verpflichtung zur Erstellung eines jährlichen schriftlichen Berichts nach § 10 Abs. 1 SchKG und die Überprüfung der Beratungsstellen hinsichtlich der Voraussetzungen für die Anerkennung nach § 9 SchKG durch das Ministerium für Arbeit, Sozia -les, Gesundheit, Frauen und Familie im Abstand von jeweils höchstens drei Jahren. Frage 8: Wie schätzt die Landesregierung die Zusammenarbeit der Beratungsstellen und der Ärzteschaft ein? zu Frage 8: Gemäß § 9 Nr. 4 SchKG darf die Beratungsstelle „mit keiner Einrichtung, in der Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden, derart organisatorisch oder durch wirtschaftliche Interessen verbunden sein, dass hiernach ein materielles Interesse der Beratungseinrichtung an der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht auszuschließen ist.“ Eine Zusammenarbeit der Beratungsstellen und der Ärztinnen und Ärzte, die keine Schwangerschaftsabbrüche anbieten, ist der Landesregierung nicht bekannt. Frage 9: Wie bewertet die Landesregierung die Möglichkeit, dass postkoitale Verhütung auch ohne Rezept in Apotheken erhältlich sind? zu Frage 9: Notfallkontrazeptiva mit dem Wirkstoff Levonorgestrel sind in nahezu allen europäischen Ländern rezeptfrei erhältlich. Studien der Weltgesundheitsorganisation, Empfehlungen des Europarates sowie die positiven Erfahrungen aus dem Ausland, sprechen für eine rezeptfreie Abgabe. Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht hat festgestellt, dass es unter Arzneimittelsicherheitsaspekten keinen Grund gibt, Notfallkontrazeptiva mit dem Wirkstoff Levonorgestrel in der Verschreibungspflicht zu belassen . Demzufolge gibt es nach Auffassung der Landesregierung, keine sachlichen Gründe, eine rezeptfreie Abgabe von Notfallkontrazeptiva mit diesem Wirkstoff abzulehnen . Frage 10: Wie viele postkoitale Verhütungsmittel haben die Apotheken seit 2016 ausgegeben ? zu Frage 10: In den Jahren 2016 und 2017 wurden insgesamt 1.565.000 (mit und ohne Rezept) Notfallkontrazeptiva in deutschen Apotheken abgegeben. (Quelle: Insight Health GmbH & Co. KG) Frage 11: In Deutschland ist seit dieser Maßnahme die Anzahl der Abbrüche wieder angestiegen , der erhoffte Effekt ist damit ausgeblieben. Wie erklärt sich die Landesregierung diese Entwicklung? Landtag Brandenburg Drucksache 6/9892 - 4 - zu Frage 11: Postkoitale Verhütung ist seit dem Frühjahr 2015 in Deutschland rezeptfrei erhältlich und schon seit 2000 zugelassen. Seit 2000 ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche um mehr als 30 % gesunken. Jahr Schwangerschaftsabbrüche 2000 134 609 2001 134 964 2002 130 387 2003 128 030 2004 129 650 2005 124 023 2006 119 710 2007 116 871 2008 114 484 2009 110 694 2010 110 431 2011 108 867 2012 106 815 2013 102 802 2014 99 715 2015 99 237 2016 98 721 2017 101 209 Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis), 2018 Frage 12: Sind der Landesregierung negative Gesundheitsfolgen durch die entsprechenden Präparate für die postkoitale Verhütung bekannt? zu Frage 12: Entsprechend der Angaben aus den Fachinformationen für die jeweiligen Präparate sind der Landesregierung negative Gesundheitsfolgen bekannt. Frage 13: Sollten Verhütungsmittel in Brandenburg aus Sicht der Landesregierung kostenfrei zur Verfügung gestellt werden? Wie hoch wären die Kosten für eine solche Maßnahme ? zu Frage 13: Aus Sicht der Landesregierung sollen die Kosten für Verhütungsmittel für Frauen mit geringen Einkommen übernommen werden. Zu diesem Zweck hat sich Brandenburg am Antrag von Länder auf Entschließung des Bundesrates: Bundeseinheitliche Regelung zur Kostenübernahme von Verhütungsmitteln für Frauen mit geringem Einkommen beteiligt (BR-Drs. 617/17). Mit dem Bundesrat Beschluss vom 15. Dezember 2017 (BR-Drs. 617/17) wurde die Bundesregierung aufgefordert, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass 1. allen Frauen ein gleichberechtigter Zugang zu Verhütungsmitteln ermöglicht wird, 2. die Kosten für ärztlich verordnete Verhütungsmittel für einkommensschwache Frauen und Frauen im Sozialleistungsbezug unbürokratisch übernommen werden und hierbei auch die rückwirkende Erstattung von vorverauslagten Kosten für Notfallkontrazeptiva berücksichtigt wird. Landtag Brandenburg Drucksache 6/9892 - 5 - Frage 14: Wie ist der Standpunkt der Landesregierung zum §219a StGB? zu Frage 14: Die Landesregierung hält die geltende Regelung jedenfalls insoweit für inakzeptabel , als von der Strafvorschrift auch Handlungen erfasst werden, die lediglich sachliche Informationen über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen beinhalten. Nach der geltenden Rechtslage sind Schwangerschaftsabbrüche durch Ärztinnen und Ärzte unter bestimmten Bedingungen rechtmäßig oder gar nicht erst tatbestandsgemäß. Wenn der Schwangerschaftsabbruch nach § 218a StGB selbst jedoch nicht strafbar ist, so ist nicht nachvollziehbar, warum sachliche Informationen darüber strafbar sein sollen. In diesem Zusammenhang ist auf den Beschluss einer Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgericht vom 24. Mai 2006 - 1 BvR 1060/02, 1 BvR 1139/03 - hinzuweisen, mit der die Verfassungsbeschwerde in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung der Verteilung von Flugblättern vor der Praxis eines Frauenarztes nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Der Arzt hatte hiergegen eine Unterlassungsverpflichtung erwirkt , weil ihm die Durchführung „rechtswidriger“ Abtreibungen unterstellt wurde. Die Kammer äußerte sich wie folgt: „Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können“. Durch diese Aussage wird deutlich, dass unter dem Aspekt der Einheit der Rechtsordnung nicht zivilrechtlich etwas erlaubt sein kann, was dann aber strafrechtlich negative Folgen hat. Dies muss im Hinblick auf das legitime Informationsbedürfnis des Patienten insbesondere dann gelten, wenn die vom Arzt verbreitete Information seine Nichtgewerblichkeit nicht in Frage stellt, vgl. § 27 (Muster)Berufsordnung der Ärzte (MBO-Ä). Die Landesregierung unterstützt den in den Bundesrat eingebrachten Gesetzesantrag zur Aufhebung des § 219a StGB (BR-Drs. 761/17). Frage 15: Gibt es aus der Sicht der Landesregierung Versorgungslücken für Schwangerschaftsabbrüche ? Wenn nein, warum sollte dann der §219a StGB gestrichen werden? zu Frage 15: Anhaltspunkte für aktuell bestehende Versorgungslücken im Land Brandenburg liegen der Landesregierung nicht vor. Allerdings trägt die gegenwärtige Rechtslage dazu bei, Ärztinnen und Ärzten, die entsprechende Eingriffe durchführen, zu stigmatisieren . Dies bringt die Gefahr mit sich, dass sich zunehmend Ärztinnen und Ärzte aus diesem Versorgungsgebiet zurückziehen. Daraus könnten sich Versorgungslücken entwickeln. Frage 16: Die damals zuständige Ministerin berichtete auf die mündliche Anfrage 1173 im Februar 2018, dass die Landesregierung derzeit prüfe, eine Liste mit ambulanten und stationären Einrichtungen zu veröffentlichen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Wie ist das Ergebnis der Prüfung und wie ist die Position der praktizierenden Frauenärzte hierzu? zu Frage 16: Unter Strafe stellt § 219 a StGB nur, dass jemand "um seines Vermögensvorteils willen" Schwangerschaftsabbrüche "anbietet", "ankündigt" oder "anpreist". Ein Arzt darf also nicht selbst derjenige sein, der diese Information weitergibt, weil er an einem Schwangerschaftsabbruch wie an allen anderen medizinischen Leistungen verdient. Informiert an seiner Stelle aber eine „neutrale“ Institution über diese Möglichkeit, ist dies nicht von den Tatbestandsvoraussetzungen des § 219a StGB erfasst. Insoweit steht die Strafnorm des § 219a StGB der Veröffentlichung einer entsprechenden Liste nicht entgegen . Auch unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes werden keine durchgreifenden Landtag Brandenburg Drucksache 6/9892 - 6 - Bedenken gegen eine Veröffentlichung gesehen. Nach § 5 Abs. 1 BbgDSG ist die Verarbeitung personenbezogener Daten durch öffentliche Stellen zulässig, wenn sie zur Erfüllung der in der Zuständigkeit des Verantwortlichen liegenden Aufgabe erforderlich ist. Nach § 13 Abs. 2 SchKG stellen die Länder ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicher. Von diesem Auftrag ist nach diesseitiger Auffassung auch das Recht umfasst, über die entsprechenden Angebote zu informieren. Die Erforderlichkeit folgt daraus, dass das vorliegende Angebot nur wahrgenommen werden kann, wenn diejenigen, die für eine Inanspruchnahme in Frage kommen, sich hierüber auch informieren können. Darüber hinaus liegt auch eine rechtmäßige Verarbeitung der personenbezogenen Daten gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe a EU-DSGVO vor, da die für die Liste erforderlichen Daten selbstverständlich nur mit Einwilligung der betroffenen Ärztinnen und Ärzte erhoben und bekannt gegeben werden sollen. Gerichtlich ist die Frage der strafrechtlichen Relevanz einer durch eine Behörde veröffentlichten Liste nach Kenntnis der Landesregierung noch nicht geklärt. Das bedeutet, dass egal welcher Rechtsmeinung man folgt, derzeit das Risiko besteht, dass ein Gericht die Information im Wege einer Liste als strafbar ansieht. Die Landesregierung ist deshalb im Gespräch der Ärzteschaft wie man eine für alle Beteiligten rechtssichere Lösung erreichen kann. Nach Auskunft der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen im Land liegen dort die für die Frauen notwendigen Informationen und Kontaktadressen vor.