— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 1082 Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 3. September 2013 Telefonkosten in der JVA In den Justizvollzugsanstalten sind für die Gefangenentelefonie besondere Sicherheitsanforderungen zu berücksichtigen. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass die Anbieter solcher Systeme ihre faktische Monopolstellung dazu nutzen, von den Gefangenen überhöhte Tarife zu fordern. Außerdem muss bei den Sicherheitsanforderungen zwischen den Insassen der Justizvollzugsanstalten und denen des Abschiebegewahrsams unterschieden werden. Wir fragen den Senat: 1. Welche Telekommunikationsdienstleistungen werden in den Justizvollzugsanstalten und in den Gewahrsamseinrichtungen des Polizeivollzugsdienstes, die dem Vollzug der Abschiebungshaft dienen, im Land Bremen angeboten, und wer ist Anbieter dieser Produkte? 2. Welche vertraglichen Beziehungen bestehen mit den Anbietern dieser Telekommunikationsdienstleistungen , und welche Produkte werden in welchen Justizvollzugsanstalten oder anderen Gewahrsamseinrichtungen im Land Bremen genutzt (unter jeweiliger Angabe der regulären Vertragsdauer, Kündigungsoptionen und die jährlichen Kosten)? 3. Wurden diese Verträge jeweils ausgeschrieben? Falls nein, warum nicht? 4. Gibt es für die Häftlinge Möglichkeiten, außerhalb des vorhandenen Telefonsystems zu telefonieren? Wenn ja, welche? 5. Telefonnutzung a) Wie ist die Tarifstruktur des Telefonsystems für die Häftlinge (bitte unter vollständiger Angabe der Verbindungskosten für Ortsnetz, Fernzone, Handyverbindungen in die verschiedenen Netze, Auslandsverbindungen und Handyverbindungen ins Ausland)? b) In welcher Form können Häftlinge ihre Telefonkosten kontrollieren? c) In welchem zeitlichen Umfang ist den Häftlingen die Nutzung des Telefonsystems gestattet? d) Gibt es soziale Regelungen für mittellose Häftlinge (Freiminuten o. a.)? e) Ist es möglich über das Telefonsystem Sonderrufnummern (0800-Rufnummern ) zu erreichen, um Gespräche über andere Provider günstiger führen zu können? Sülmez Dogan, Dr. Matthias Güldner und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen D a z u Antwort des Senats vom 1. Oktober 2013 Vorbemerkung Die Stabilisierung des sozialen Umfelds der Gefangenen ist für eine erfolgreiche Wiedereingliederung nach der Entlassung und die Minimierung der Rückfallgefahr — 2 — bedeutsam. Dabei misst der Justizvollzug insbesondere dem Kontakt der Gefangenen mit deren Familien einen hohen Stellenwert zu. Es werden daher umfangreiche Außenkontakte über Besuche, Briefwechsel und Telefongespräche ermöglicht. Um ausreichend Telefongespräche anbieten zu können, haben die Justizvollzugsanstalt (JVA) und die Gewahrsamseinrichtungen des Polizeivollzugsdienstes (Abschiebungsgewahrsam ) unterschiedliche Möglichkeiten geschaffen, von denen intensiv Gebrauch gemacht wird. So wurde in dem neuen Zentralgebäude auf dem Gelände der JVA in den ersten 100 Hafträumen ein Haftraummediensystem u. a. zur Verbesserung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt installiert, das den Gefangenen während der Einschlusszeiten die Möglichkeit des Telefonierens aus dem eigenen Haftraum bietet . Systeme zur Gefangenentelekommunikation müssen besondere technische Sicherheitsanforderungen erfüllen und lösen einen deutlich erhöhten Installations- und Wartungsaufwand bei den Anbietern aus. Dies dürfte neben der überschaubaren Zahl der potenziellen Kunden der Grund sein, warum die Zahl der Anbieter solcher Systeme jedenfalls bisher gering ist. Die allgemeine Kostenentwicklung im Bereich der Telekommunikation ist auf den Justizvollzug und Abschiebegewahrsam demzufolge nicht übertragbar. Die von den Gefangenen zu zahlenden Tarifentgelte entsprechen derzeit in etwa der Tarifstruktur der öffentlichen Telefone der Deutschen Telekom AG, die Einrichtung und laufenden Betrieb ebenfalls aus Gebühreneinnahmen zu bestreiten hat. Ein größerer Wettbewerb und damit eine Auswahl zwischen verschiedenen Anbietern wäre wünschenswert, um gegebenenfalls günstigere Konditionen erreichen zu können. Rechtzeitig vor Ablauf der Verträge wird die JVA in Abstimmung mit dem Senator für Justiz und Verfassung und im Austausch mit den anderen Landesjustizverwaltungen den Markt sondieren, um bei Abschluss neuer Verträge eventuell bessere Konditionen für die Gefangenen erreichen zu können. Dies vorausgeschickt beantwortet der Senat die Anfrage wie folgt: 1. Welche Telekommunikationsdienstleistungen werden in den Justizvollzugsanstalten und in den Gewahrsamseinrichtungen des Polizeivollzugsdienstes, die dem Vollzug der Abschiebungshaft dienen, im Land Bremen angeboten und wer ist Anbieter dieser Produkte? In der JVA werden als Telekommunikationsdienstleistungen derzeit Telefon, Fernsehen und Radio angeboten. Der Telefondienst in den noch nicht sanierten Bestandsgebäuden der Standorte Bremen und Bremerhaven wird über das Telefonsystem PhONio der Firma Telio Communications GmbH mit Wandtelefonen auf jedem Stationsflur angeboten. Die Telefone können nach Einrichtung eines Nutzerkontos mit Eingabe einer PIN für Anrufe mittels freigegebener Rufnummern genutzt werden. Eine Telefonkarte oder Münzen sind hierfür nicht erforderlich . Der Rundfunkempfang in den Bestandsgebäuden erfolgt entweder über individuell für den einzelnen Gefangenen zugelassene oder gemietete Fernsehbzw . Radiogeräte mit DVB-T-Empfang. Die Hafträume im neuen Zentralgebäude sind mit dem System MULTio der Firma Telio Communications GmbH ausgestattet, das u. a. Telefon, Fernsehen, Aufnahmefunktion mit Time-Shift, EPG und Radio in einem Gerät vereint. Soweit dieses Haftraummediensystem darüber hinaus auch eine Internet- und EMailfunktion bietet, so sind diese nicht freigegeben. Im Abschiebungsgewahrsam werden zwei kombinierte Karten-/Münztelefone angeboten, jeweils ein Gerät im Männer- und Frauentrakt. Die Wandgeräte sind Eigentum der Deutschen Telekom AG und bieten die Möglichkeit des weltweiten Telefonierens und des Versendens von SMS. Beide Geräte können auch aus dem Fest- oder Mobilfunknetz angerufen werden. 2. Welche vertraglichen Beziehungen bestehen mit den Anbietern dieser Telekommunikationsdienstleistungen , und welche Produkte werden in welchen Justizvollzugsanstalten oder anderen Gewahrsamseinrichtungen im Land Bremen genutzt (unter jeweiliger Angabe der regulären Vertragsdauer, Kündigungsoptionen und die jährlichen Kosten)? Für die Nutzung des System PhONio hat die JVA mit der Telio Communications GmbH 2007 einen Vertrag über eine Laufzeit von zehn Jahren geschlossen. Dieser sieht einen Probebetrieb von einem Jahr mit neunjähriger Verlängerung als Hauptvertragszeitraum vor. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Ende — 3 — des Hauptvertragszeitraums oder zum Ende einer Verlängerung. In einer Ergänzungsvereinbarung aus dem Jahr 2008 hat sich die Telio Communications GmbH 2007 zur Bereitstellung zusätzlicher Telefone verpflichtet, der Vertragshauptzeitraum hat sich mit dieser Ergänzungsvereinbarung um fünf auf 15 Jahre verlängert. Die Nutzung des Haftraummediensystem MULTio ist durch einen Vertrag zwischen der JVA und der Telio Communications GmbH aus dem Jahre 2012 geregelt . Der Vertrag wurde für eine Laufzeit von acht Jahren geschlossen, die Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Ende des Hauptvertragszeitraums. Ohne ordentliche Kündigung verlängert sich bei beiden Verträgen die Vertragslaufzeit jeweils um den vollen Hauptvertragszeitraum. Die Kündigung bedarf der Schriftform . Eine Kündigung aus wichtigem Grund ist möglich. Kosten für die Bereitstellung , Nutzung sowie Wartung der Hard- und Software entstehen der JVA bei beiden Systemen nicht. Die beiden Telefone im Abschiebungsgewahrsam sind von der Deutschen Telekom AG gemietet. Für die Anmietung fällt eine Grundgebühr in Höhe von monatlich 80 ‡ pro Gerät an, die auch die Wartungs- und Servicekosten beinhaltet. Eine Kündigung des Vertragsverhältnisses ist unter Beachtung der dreimonatigen Kündigungsfrist jeweils zum Jahresende möglich; ohne Kündigung verlängert sich der Vertrag automatisch um ein Jahr. 3. Wurden diese Verträge jeweils ausgeschrieben? Falls nein, warum nicht? Die Telekommunikationsdienstleistungen wurden nicht ausgeschrieben. Zum Zeitpunkt der Vergabe gab es außer der Deutschen Telekom AG, die zum Teil lediglich manipulations- und missbrauchsanfällige Telefone mit aufladbaren Karten anbot, keinen weiteren Anbieter, der die erhöhten Sicherheitsanforderungen des Justizvollzugs erfüllte und gleichzeitig das Telefonnetz und die Telefonanlage zur Verfügung stellen konnte. Im Bereich des Haftraummediensystems gab es nach Kenntnis der JVA 2012 ebenfalls keinen weiteren Anbieter, der die Anforderungen der JVA erfüllen und auf einen erfolgreichen Einsatz im Echtbetrieb im Justizvollzug verweisen konnte. Auch die Telekommunikationsleistungen im Abschiebungsgewahrsam wurden nicht ausgeschrieben, da zum Zeitpunkt der Aufstellung im Jahr 2000 nur die Deutsche Telekom AG solche Karten-/Münztelefone angeboten hat, die auch als öffentliche Telefone (auf Bahnhöfen, Flughäfen etc.) verwendet werden. 4. Gibt es für die Häftlinge Möglichkeiten, außerhalb des vorhandenen Telefonsystems zu telefonieren? Wenn ja, welche? Ja, in dringenden Angelegenheiten können die Gefangenen in der JVA unter Aufsicht Telefonate über die Telefone in den Stationsbüros der Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes oder der Fachdienste führen. Von dieser Möglichkeit wird insbesondere in der Abteilung für Entlassungsvorbereitung umfangreich Gebrauch gemacht, da die Gefangenen so zusammen mit Mitarbeitern der JVA Termine mit Behörden oder z. B. zur Wohnungsbesichtigung verabreden können. Darüber hinaus können Gefangene, die Lockerungen erhalten oder im offenen Vollzug untergebracht sind, Telefone außerhalb der JVA benutzen. Die Häftlinge im Abschiebungsgewahrsam können jederzeit eigene Mobiltelefone nutzen. Weiterhin ist die Nutzung von eigenen Computern (Smartphones, Tablet-PCs, Laptops) erlaubt, über die – sofern die technischen und vertraglichen Voraussetzungen vorliegen – eine Internetnutzung bzw. -telefonie möglich ist. Die Kosten für die Nutzung eigener Geräte hat der Abschiebungshäftling zu tragen. 5. Telefonnutzung a) Wie ist die Tarifstruktur des Telefonsystems für die Häftlinge (bitte unter vollständiger Angabe der Verbindungskosten für Ortsnetz, Fernzone, Handyverbindungen in die verschiedenen Netze, Auslandsverbindungen und Handyverbindungen ins Ausland)? Pro Tarifeinheit beträgt der Preis bei allen Angeboten 0,10 ‡. Bei den nationalen Gesprächen unterscheidet sich die Taktlänge nach Orts- und Nah- — 4 — gesprächen, Ferngesprächen und Mobilfunkgesprächen, bei Auslandsgesprächen nach unterschiedlichen Tarifzonen. Für Standardverbindungen stellt sich die Tarifstruktur wie folgt dar: Orts- Fern- Mobilfunk- Auslandsgespräche gespräche gespräche gespräche Telio 10 Cent/Minute 20 Cent/Minute 10 Cent/ 10 Cent/2,3 8,6 Sekunden bis 10,0 Sekunden Telekom 23 Cent/Minute 34 Cent/Minute 10 Cent/ 10 Cent/2,0 9,0 Sekunden bis 9,0 Sekunden Die detaillierte Tarifstruktur der Telefonsysteme ist den in der Anlage beigefügten Tarifentgeltbestimmungen zu entnehmen. Im Abschiebungsgewahrsam können Anrufe von außerhalb kostenfrei angenommen werden. b) In welcher Form können Häftlinge ihre Telefonkosten kontrollieren? Im Telefonsystem PHONio erhalten die Gefangenen vor Beginn eines jeden Gesprächs eine Mitteilung über ihren aktuellen Kontostand. Daneben können nach Abschluss des Gesprächs die für das soeben geführte Gespräch angefallenen Kosten abgefragt werden. Bei MULTio erfolgt eine Kostenkontrolle über eine Displayanzeige vor bzw. nach jedem Gespräch. Über den Umgang mit den Geräten, dem System und der Tarifstruktur werden die Gefangenen durch eine auf jeder Station ausliegende Mappe informiert . Die Tarifstruktur ist daneben auch über die Telefongeräte abrufbar. Soweit Sondertarife, z. B. zu Weihnachten oder Ostern, angeboten werden, werden die Gefangenen darüber durch Aushänge unterrichtet. Im Abschiebungsgewahrsam erlauben die Guthabenkarten und die Bezahlung mit Münzgeld dem Häftling ebenfalls jederzeit eine selbstständige Kontrolle der Kosten. Der Guthabenstand wird im Display der Telefone angezeigt . Die aktuellen Tarifinformationen können vor dem Anruf ebenfalls im Display angezeigt werden. c) In welchem zeitlichen Umfang ist den Häftlingen die Nutzung des Telefonsystems gestattet? In der JVA ist den Gefangenen eine Nutzung der Wandtelefone zu den allgemeinen Freizeit- bzw. Aufschlusszeiten auf den Stationen möglich. Das Haftraummediensystem MULTio gestattet die Nutzung des Telefons auf dem eigenen Haftraum der Häftlinge bei verschlossener Haftraumtür in der Zeit von 12.00 bis 14.00 Uhr und von 18.30 Uhr bis 6.00 Uhr. Im Abschiebungsgewahrsam ist die Nutzung der Karten- bzw. Münztelefone während der Aufschlusszeiten von 10.00 Uhr morgens bis 1.00 Uhr nachts jederzeit ungehindert möglich. Während der Einschlusszeiten wird in begründeten Ausnahmen das Telefonieren ermöglicht. Eigene Telekommunikationsgeräte können ständig genutzt werden. d) Gibt es soziale Regelungen für mittellose Häftlinge (Freiminuten o. a.)? Auch Gefangene, die lediglich Taschengeld beziehen, haben selbstverständlich die Möglichkeit, ein Telio-Konto einzurichten und Taschengeld auf dieses Konto umbuchen zu lassen. Im Übrigen werden mittellosen Gefangenen in der JVA in begründeten Einzelfällen unter Aufsicht Telefonate über die Telefone in den Stationsbüros der Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes oder der Fachdienste ermöglicht. Daneben ist es auch möglich , dass Dritte Guthaben für Gefangene auf deren Telefonkonto über die JVA oder über die Telio-Homepage überweisen. Über das wöchentliche Taschengeld (22,05 ‡) haben auch mittellose Gefangene die Möglichkeit zur Nutzung der Karten-/Münztelefone. Daneben wird ihnen in begründeten Einzelfällen das Telefonieren über die dienstlichen Telefone ermöglicht (z. B. zur Angehörigenbenachrichtigung nach Aufnahme, Information des Rechtsanwalts). Die Sozialarbeiterin des Abschiebungsgewahrsams hat weitere Möglichkeiten , bei Bedarf mittellosen Häftlingen eine telefonische Kontaktaufnahme mit Angehörigen oder Vertrauenspersonen zu ermöglichen. — 5 — e) Ist es möglich über das Telefonsystem Sonderrufnummern (0800-Rufnummern ) zu erreichen, um Gespräche über andere Provider günstiger führen zu können? Nach Information der JVA ist die Anwahl von Sonderrufnummern, um Gespräche über andere Provider günstiger führen zu können, nicht möglich. Im Abschiebungsgewahrsam sind ausschließlich die in der anliegenden Preisliste aufgeführten 0800-Nummern freigeschaltet. Es ist nicht möglich, über weitere Sonderrufnummern kostengünstiger zu telefonieren.