— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 112 Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 18. August 2011 Tierverbrauchsfreies Studium sicherstellen Viele Studierende möchten in ihrem Studium keine Versuche an lebenden Tieren oder eigens dafür getöteten Tieren durchführen. Die Gründe sind meist ethischer Art. Sie wollen nicht, dass Tiere für Lehrzwecke leiden. Das Bremische Hochschulgesetz legt in § 8 Abs. 1 fest: „Sofern es die mit dem Studium bezweckte Berufsbefähigung zulässt, andere Lehrmethoden und -materialien einzusetzen, soll in der Lehre auf die Verwendung von eigens hierfür getöteten Tieren verzichtet werden.“ Gleichzeitig sind die Hochschulen nach § 8 Abs. 2 aufgefordert „in Lehre und Forschung in den entsprechenden Fächern die Entwicklung von Methoden und Materialien , die die Verwendung von lebenden oder eigens hierfür getöteten Tieren verringern oder ganz ersetzen können“ zu fördern. Wir fragen den Senat: 1. An welchen Hochschulen im Land Bremen werden lebende oder eigens dafür getötete Tiere in Lehrveranstaltungen zu Lehr- bzw. Versuchszwecken eingesetzt ? 2. In welchen Lehrveranstaltungen – bezogen auf ein Studienjahr – werden lebende oder eigens dafür getötete Tiere eingesetzt (bitte aufschlüsseln nach Hochschulen , Fächern, Tierart und Anzahl der Tiere)? 3. Welche dieser Veranstaltungen sind Voraussetzungen für einen erfolgreichen Studienabschluss? 4. Welche Möglichkeiten haben Studierende, in diesen Veranstaltungen auf Versuche an lebenden oder eigens dafür getöteten Tieren zu verzichten und gleichzeitig die Veranstaltung bzw. ihr Studienfach erfolgreich zu beenden? 5. Welche tierverbrauchsfreien Alternativen werden Studierenden angeboten, und sind diese diskriminierungsfrei zugänglich? 6. Welche Anstrengungen unternehmen die Hochschulen, um die Lehre möglichst ohne den Gebrauch von lebenden oder eigens dafür getöteten Tieren zu gestalten ? Welche hochschulinternen Regularien gibt es dafür? 7. Welche Anstrengungen unternehmen die Hochschulen im Land Bremen, um die Forschung möglichst ohne Versuche an Tieren zu gestalten? Welche hochschulinternen Regularien gibt es dafür? Wie haben sich die Tierversuchszahlen in der Hochschulforschung in den letzten zehn Jahren entwickelt (bitte getrennt angeben nach Hochschule, Tierart und Anzahl der Tiere)? Silvia Schön, Linda Neddermann, Dr. Matthias Güldner und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen D a z u Antwort des Senats vom 8. November 2011 1. An welchen Hochschulen im Land Bremen werden lebende oder eigens dafür getötete Tiere in Lehrveranstaltungen zu Lehr- bzw. Versuchszwecken eingesetzt ? An der Universität Bremen werden im Fachbereich 2 Biologie/Chemie lebende und eigens dafür getötete Tiere in Lehrveranstaltungen zu Lehrzwecken eingesetzt . — 2 — An der Hochschule Bremen werden in den Studiengängen ISTAB (Internationaler Studiengang Technische und Angewandte Biologie) und ISB (Bionik) Tiere zu Lehrzwecken in Lehrveranstaltungen eingesetzt, nicht jedoch eigens für diese Veranstaltungen getötete Tiere. An der Hochschule Bremerhaven und an der Hochschule für Künste werden keine lebenden und eigens dafür getöteten Tiere in Lehrveranstaltungen zu Lehrzwecken eingesetzt. An der Jacobs University Bremen werden in der School of Engineering and Science lebende und eigens dafür getötete Tiere in Lehrveranstaltungen zu Lehrzwecken eingesetzt. 2. In welchen Lehrveranstaltungen – bezogen auf ein Studienjahr – werden lebende oder eigens dafür getötete Tiere eingesetzt (bitte aufschlüsseln nach Hochschulen , Fächern, Tierart und Anzahl der Tiere)? Universität Bremen Bachelor Biologie 1. Struktur und Funktion wirbelloser Tiere: Regenwurm, Miesmuschel, Grille. 2. Formenkenntnis Tiere: Regenwürmer, Insekten. 3. Struktur und Funktion der Wirbeltiere: Ratte und Fisch. 4. Tierphysiologie: Frösche, Versuch am frisch getöteten Tier; Ratten/Mäuse: Verhaltensversuche ohne Tötung der Tiere, Versuche an Fliegen mit anschließender Tötung der Fliegen (die ursprünglich am Wirbeltier durchgeführten Versuche werden nun an einem wirbellosen Organismus durchgeführt ). Der Kurs ist nur für Vollfachstudierende verpflichtend. 5. Ökologie 2: Wirbellose: Fliegen, (Biodiversitätserhebung). Die Tiere werden nach Versuchsende getötet. Zooplankton (Besiedelung von Regentonnen ). 6. Ökologie: Invertebraten (Wirbellose): Collembolen, Verhaltensbeobachtungen am lebenden Tier, Versuche nicht obligatorisch. 7. Neurobiologie: Ratten und Amphibien Master Ecology Population Ecology: Wirbellose: Fliegen, Drahtwürmer, Schlupfwespen (nicht invasive Verhaltensversuche, Sektion von Pflanzengallen). Master Neurosciences Ratten, Mäuse und Amphibien. Hochschule Bremen Bereich ISTAB Anatomische Studien erfolgen in der Biologiegrundausbildung an toten Forellen , die von einem Fischereibetrieb für den Lebensmittelhandel erzeugt werden , sowie an toten Wollhandkrabben, die vom Amtsfischer im Rahmen von Naturschutzmaßnahmen aus der Weser gefangen wurden. Bereich Bionik Im Modul „Präparationstechnik – Zoologie“ werden Kompetenzen im Bereich „Formfunktion“ innerhalb der Zoologie sowie der Präsentation und Dokumentation von Organismen zu wissenschaftlichen Zwecken bzw. im bionischen Übertragungsprozess der Transfer biologischer Bestehenslösungen in technische Anwendungen sowohl theoretisch als auch praktisch vermittelt. Im Präparationskurs werden im überwiegenden Fall Dauerpräparate bzw. Schlachtabfälle verwendet. Ausnahmen hierzu bilden lediglich einzellige Organismen sowie Heuschrecken. Im Bereich der Lokomotion verfügt der Studiengang zudem über zehn Fische, die in der institutseigenen Anlage gehalten werden. Die Tiere werden lediglich — 3 — zur Bewegungsanalyse im Wasserkanal herangezogen. Alle Fische überleben dies, zeigen keinerlei Beeinträchtigung und werden über viele Jahre hier gehalten . Jacobs University Bremen Im ersten Studiensemester des Studienganges Bio/Neuroscience werden Hamster (Phodopus sungorus) aus eigener Zucht für den Kurs „Natural Science Laboratory Biology/Neuroscience“ getötet und von den Studierenden präpariert. Dazu kommen etwa 20 vom Fischhändler eingekaufte tote Forellen. In einzelnen Praktikumsexperimenten des ersten und zweiten Jahres des Studiengangs Biochemistry and Cell Biology (BCCB) wird Gewebe von Mäusen verwendet , die nicht eigens für das Praktikum getötet worden sind. Die Gesamtzahl der Mäuse, deren Gewebe für Praktikumsexperimente verwendet wurde, belief sich auf sieben innerhalb der letzten zehn Jahre. Im Rahmen der angeleiteten Forschungspraktika des dritten Jahres zur Erstellung der Bachelor Thesis in BCCB besteht das fakultative Angebot zur Teilnahme an Forschungsprojekten, bei denen Gewebe aus getöteten Mäusen verwendet werden. In der nachstehend aufgeführten Tabelle sind die nach der Versuchstiermeldeverordnung gemeldeten Tiere für die Aus-, Fort- und Weiterbildung nach Anzahl und Institutionen der vergangenen fünf Jahre pro Jahr aufgeschlüsselt. Dabei wird darauf hingewiesen, dass diese Meldungen pro Kalenderjahr und nicht bezogen auf ein Studienjahr erfolgen. Jahr Institution 2006 2007 2008 2009 2010 AlfredWegener - ./. ./. ./. ./. ./. Institut Jacobs University 42 Hamster 23 Hamster 45 Hamster 82 Hamster 16 Hamster Bremen Universität 50 Mäuse 40 Mäuse 36 Mäuse 40 Mäuse 45 Mäuse Bremen 6 Ratten 25 Ratten 40 Ratten 92 Ratten 92 Ratten 25 Amphibien 25 Amphibien 39 Amphibien 66 Amphibien 68 Amphibien 75 Fische 65 Fische 70 Fische Hochschule Bremen 10 Fische 11 Fische 13 Fische 5 Fische 3. Welche dieser Veranstaltungen sind Voraussetzungen für einen erfolgreichen Studienabschluss? Bei der Universität Bremen sind alle in der Antwort zu Frage 2 aufgelisteten Veranstaltungen, soweit dort nicht Ausnahmen genannt sind, Voraussetzung für einen erfolgreichen Studienabschluss. Bei der Hochschule Bremen ist das Praktikum obligater Bestandteil des Bionikstudiums . Bei der Jacobs University Bremen ist der Laborkurs im Major Bio/Neuroscience für die Studierenden „mandatory“ und damit Voraussetzung für die Graduierung. 4. Welche Möglichkeiten haben Studierende, in diesen Veranstaltungen auf Versuche an lebenden oder eigens dafür getöteten Tieren zu verzichten und gleichzeitig die Veranstaltung bzw. ihr Studienfach erfolgreich zu beenden? An der Universität Bremen können in der Veranstaltung „Struktur und Funktion wirbelloser Tiere“ alternativ elektronische Sektionen vorgenommen werden. Von über 400 Studierenden haben drei die elektronische Version gewählt, alle anderen haben sich auf Anfrage für die Sektion der Tiere ausgesprochen. In der Veranstaltung „Struktur und Funktion der Wirbeltiere“ haben von über 200 Studierenden drei um alternative Methoden gebeten. Ab diesem Jahr werden Alternativen für Lehramtsstudierende angeboten. Für Vollfachstudierende — 4 — ist das Programm notwendig. Dies ergibt sich daraus, dass Studierende der Biologie hinreichend praktisch ausgebildet sein müssen, nicht zuletzt im Hinblick auf die Erwartungen an bestimmte Ausbildungsgänge. Deshalb können entsprechende Ausbildungsabschnitte nicht optional sein oder durch andere ersetzt werden , die die für Biologen notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse nicht vermitteln . Bei der Hochschule Bremen sind Probleme in der Akzeptanz durch die Studierenden bis dato nicht aufgetreten. Bei der Jacobs University Bremen werden keine Alternativen zum oben genannten Laborkurs angeboten. Es hat in der Vergangenheit keine Probleme mit der Akzeptanz durch die Studierenden gegeben. 5. Welche tierverbrauchsfreien Alternativen werden Studierenden angeboten, und sind diese diskriminierungsfrei zugänglich? Elektronische, computerbasierte Sektionen sind in bestimmten Bereichen der Universität Bremen eine begrenzt einsetzbare Alternative, die auf Anfrage vorgehalten wird. Allerdings weist die Universität darauf hin, dass damit das Lernziel nicht vollständig erreicht werden kann. Auch dem eigenen Anspruch, im Sinne des forschenden Lernens den Studierenden zu ermöglichen, sich am Organismus selbst ein Bild zu machen und die Inhalte nicht allein aus Medien zu rezipieren, wird die Universität mit dieser – gleichwohl angebotenen – Alternative nicht gerecht. In Abstimmung mit den Programmverantwortlichen der Studiengänge an der Hochschule Bremen könnten Alternativen zum entsprechenden Kompetenzerwerb abgestimmt werden. Dies wurde bisher nicht nachgefragt. Die Jacobs University Bremen bietet keine tierverbrauchsfreien Alternativen an. 6. Welche Anstrengungen unternehmen die Hochschulen, um die Lehre möglichst ohne den Gebrauch von lebenden oder eigens dafür getöteten Tieren zu gestalten ? Welche hochschulinternen Regularien gibt es dafür? Nach Einschätzung der Universität Bremen ist eine zoologische und ökologische Ausbildung ganz ohne getötete Tiere nicht sinnvoll und möglich. Zum Verständnis der Organisation von Organismen sowie der Reproduktion, der stofflichen Regulation und der Verarbeitung von Umweltreizen, ist wohl unerlässlich , sich exemplarisch an einzelnen Organismen die Organisation des Körpers zu erarbeiten. Eine rein theoretische Vermittlung solcher Inhalte führt aus Sicht der Universität nicht zu einer Durchdringung der Sachverhalte. Sie vermittle nicht die notwendigen handwerklich-experimentellen Fähigkeiten und würde dementsprechend dazu führen, dass Absolventen der Universität Bremen nicht über die Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, die bei Biologen vorausgesetzt werden. Die Universität Bremen bemüht sich im Sinne des Tierschutzes um eine besonders gute und nachhaltige Ausbildung im Sinne der 3R-Prinzips (reduce, refine, replace ). Der Tierverbrauch übersteigt nach Einschätzung der Universität nicht das notwendige Maß. Dort, wo dies möglich ist, werden Alternativen angeboten . Weiter wurde z. B. im Kurs „Struktur und Funktion der Wirbellosen“ der Verbrauch der Tiere in den letzten sieben Jahren auf ein Minimum reduziert, indem an 14 Kurstagen, an denen jeweils mindestens zwei verschiedene Organismenarten vorgestellt werden, nur drei frisch getötete Organismenarten genutzt werden. Von diesen wird jeweils nur für zwei Studierende ein wirbelloses Tier (Regenwurm, Muschel, Insekt) zur Verfügung gestellt. Im Kurs „Struktur und Funktion der Wirbeltiere“ wird, als weiteres Beispiel, nur an zwei von sechs Praktikumstagen eine Sektion an frisch getöteten Tieren durchgeführt . Sektionen erfolgen exemplarisch nur an zwei Tierspezies. Der Tierverbrauch wird durch die Durchführung der Sektionen nicht erhöht. Die verwendeten Ratten sind aus Zuchten aus Forschungsvorhaben. Diese Tiere werden aufgrund ihres hohen Lebensalters getötet und dabei für Sektionen genutzt, also nicht eigens für die Sektion getötet. In der Hochschule Bremen findet die Lehre im Wesentlichen nicht an eigens zu diesen Zwecken getöteten Tieren statt. Im Wesentlichen wird mit Schlachtab- — 5 — fällen, Beifängen oder mit Zuchttieren, die anschließend zur Weiterzucht verwendet werden, gearbeitet. Die Jacobs University Bremen hält die Präparation von ausgewählten Tierarten (Regenwurm, Fisch, Hamster) für die Grundvoraussetzung zum Verständnis der strukturellen und physiologischen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der untersuchten Spezies und für die Grundlage für das Verständnis ökologischer und evolutionsbiologischer Konzepte. Es werden auch bei der JUB generell Alternativen (z. B. Versuche an Zellkulturen) immer dann gewählt, wenn die Aussagekraft der Experimente mit denen am Tier vergleichbar ist. 7. Welche Anstrengungen unternehmen die Hochschulen im Land Bremen, um die Forschung möglichst ohne Versuche an Tieren zu gestalten? Welche hochschulinternen Regularien gibt es dafür? Wie haben sich die Tierversuchszahlen in der Hochschulforschung in den letzten zehn Jahren entwickelt (bitte getrennt angeben nach Hochschule, Tierart und Anzahl der Tiere)? Im Tierschutzgesetz ist die Voraussetzung und Durchführung von Tierversuchen in dem fünften Abschnitt geregelt. Wenn Tierversuche durchgeführt werden sollen, muss gegenüber der Genehmigungsbehörde u. a. wissenschaftlich begründet dargelegt werden, dass die Unerlässlichkeit des Versuchsvorhabens unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse gegeben ist. Weiter muss wissenschaftlich begründet dargelegt werden, dass der Versuchszweck nicht durch andere Methoden oder Verfahren als den Tierversuch erreicht werden kann. In den nachstehend aufgeführten Tabellen sind die nach Versuchstiermeldeverordnung gemeldeten, in der Forschung im Tierversuch eingesetzten Tiere nach Anzahl und Institutionen pro Jahr aufgeschlüsselt. Nach der Verordnung werden jährlich die Tiere genannt und erfasst, die erstmalig in den Versuchen eingesetzt werden. Jahr Institution 2001 2002 2003 2004 Alfred- 37 Fische 143 Fische 66 Fische 257 Fische Wegener- 5 andere Säuge- 5 andere SäugeInstitut tiere (Ziesel) tiere (Ziesel) 14 Reptilien Jacobs ./. 4 Mäuse 1 096 Mäuse 628 Mäuse University 39 Hamster Bremen 52 Fische Universität 61 Mäuse 26 Mäuse 331 Ratten 36 Mäuse Bremen 517 Ratten 358 Ratten 787 Amphibien 203 Ratten 638 Amphibien 879 Amphibien 7 Affen 66 Amphibien 2 Affen 250 Fische 3 Affen Jahr Institution 2005 2006 2007 2008 2009 2010 AlfredWegener - 17 Fische 138 Fische ./. 7 Fische ./. 182 Fische Institut Jacobs 1 199 Mäuse 1 562 Mäuse 178 Hamster ./. ./. 453 Ratten University 95 Fische 119 Fische 133 Fische Bremen Universität 292 Ratten 67 Mäuse 66 Mäuse 206 Mäuse 100 Mäuse 116 Mäuse Bremen 6 Affen 358 Ratten 300 Ratten 245 Ratten 340 Ratten 307 Ratten 12 Amphibien 4 Affen 4 Affen 6 Affen 4 Affen 98 Fische Hochschule Bremen ./. ./. ./. ./. ./. ./. Druck: Anker-Druck Bremen