— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 1187 (zu Drs. 18/1078) 03. 12.13 Mitteilung des Senats vom 3. Dezember 2013 Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA nicht hinter verschlossenen Türen verhandeln Die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD haben unter Drucksache 18/1078 eine Große Anfrage zu obigem Thema an den Senat gerichtet. Der Senat beantwortet die vorgenannte Große Anfrage wie folgt: Die Etablierung multilateraler Handelsbeziehungen und ein erfolgreicher Abschluss der Entwicklungsagenda (sogenannte Doha-Runde) haben für Deutschland und auch die gesamte EU grundsätzliche Priorität. Da wichtige internationale Handelspartner der EU seit einigen Jahren bilaterale Abkommensinitiativen vorantreiben, geht auch die EU seit 2007 diesen Weg, um Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen auf den Weltmärkten zu vermeiden. Es wurden u. a. mit Singapur, Südkorea, Chile, Mexiko, Kolumbien, Peru und den zentralamerikanischen Staaten inklusive Panama Assoziierungs- oder Freihandelsabkommen geschlossen. Die Verhandlungen mit Kanada stehen kurz vor dem Abschluss . Weitere Verhandlungen wurden oder werden u. a. mit Malaysia, Indien, Vietnam oder Thailand aufgenommen. Auf dem G-8-Gipfel im Juni 2013 wurde von US-Präsident Obama und Kommissionspräsident Barroso der Beginn der Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen verkündet. Hierdurch könnte die größte Freihandelszone der Welt mit rd. 800 Mio. Einwohnern und Konsumenten entstehen. Der Handel zwischen den USA und Europa macht heute bereits rund ein Drittel des Welthandels aus und die beiden Wirtschaftsräume tragen aktuell zu etwa der Hälfte des weltweiten Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Beide Wirtschaftsräume erwarten positive Wirkungen eines Abkommens auf Wachstum und Beschäftigung. Nach einer ersten Verhandlungsrunde im Juli 2013 in Washington D.C. musste eine zweite für Oktober diesen Jahres terminierte Runde aufgrund des Government Shutdown in den USA abgesagt werden. Die Verhandlungen wurden in der Woche vom 11. bis 15. November 2013 in Brüssel fortgesetzt. Der Senat befürwortet grundsätzlich die Priorität des Abschlusses der Doha-Runde, aber auch das seit 2007 verfolgte Vorgehen des Abschlusses von bilateralen Abkommen mit wichtigen Handelspartnern, so auch mit den USA. 1. Ist dem Senat das Verhandlungsmandat der EU-Kommission bekannt? Wenn ja, wie lautet es? Der Senat hat über die Bundesratsdatenbank Eudisys Zugang zu den Verhandlungsleitlinien für ein Freihandelsabkommen der EU mit den USA, die der Rat (Auswärtige Angelegenheiten/Handel) der Europäischen Kommission am 14. Juni 2013 gegeben hat. Die Veröffentlichung dieses Dokuments ist dem Senat allerdings gemäß Artikel 1 Abs. 2, Artikel 3 Abs. 1, Artikel 4 Abs. 2 Beschluss des Rates vom 31. März 2011 (2011/292/EU) derzeit untersagt, da die Verhandlungsleitlinien als „EU restricted“ eingestuft sind und lediglich oberste Bundes- und Landesbehörden — 2 — darauf zugreifen dürfen. Laut Juristischem Dienst des Rates kann die Einstufung des Mandats als Verschlusssache nur durch einstimmig zu fassenden Beschluss des Rates geändert werden, um eine Veröffentlichung zu ermöglichen. Daher hat der Bundesrat mit Unterstützung Bremens am 7. Juni 2013 die Bundesregierung aufgefordert, sich angesichts der Tragweite und Bedeutung des zu verhandelnden Abkommens für die Veröffentlichung der Verhandlungsmandate sowie eine transparente Verhandlungsführung einzusetzen. Bisher hat die Bundesregierung auf diese Forderung gegenüber dem Bundesrat nicht reagiert. Sie hat sich allerdings nach dem Bundesratsbeschluss zusammen mit Dänemark und den Niederlanden unter Bezugnahme auf die ablehnende Haltung des Juristischen Dienstes des Rates gegen einen Antrag Frankreichs, der auf die Veröffentlichung des Verhandlungsmandats abzielte, ausgesprochen. Da hierfür ein einstimmiger Ratsbeschluss erforderlich ist, wurde die Einstufung des Mandats als Verschlusssache beibehalten. 2. Ist der Senat der Auffassung, dass das Verhandlungsergebnis für Deutschland erst in Kraft treten kann, wenn auch der Bundesrat zugestimmt hat? Auf welche Weise wird der Bundesrat über Zwischenstände der Verhandlungen informiert, um gegebenenfalls Einfluss auf den Fortgang nehmen zu können? Das Verhandlungsergebnis wird in Deutschland erst in Kraft treten können, wenn auch die entsprechenden innerstaatlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Bei dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA wird es sich um ein gemischtes Abkommen handeln, das die EU auf der Grundlage von Kompetenzen sowohl der EU als auch der Mitgliedstaaten verhandelt und das neben der EU und den USA auch von den einzelnen Mitgliedstaaten der EU abgeschlossen wird und nach dem jeweiligen Recht ratifiziert werden muss. Die Beteiligung der Länder an den Verhandlungen und an dem Abschluss des Abkommens erfolgt zunächst, wie regelmäßig in Angelegenheiten der EU, nach Artikel 23 Grundgesetz und dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG) und darüber hinaus über den Bundesrat in Bezug auf die Ratifizierung des Abkommens gemäß Artikel 59 Absatz 2 Grundgesetz. Die Zustimmung oder Billigung zu einem Ratifizierungsgesetz durch den Bundesrat ist eine Voraussetzung für die innerstaatliche Ratifizierung des Abkommens in Deutschland. Aus Ländersicht ist darüber hinaus eine Beteiligung der Länder durch den Bund im Rahmen des sogenannten Lindauer Abkommens erforderlich, außerdem hat der Bund im Falle von Regelungen in Bereichen der ausschließlichen Länderkompetenz die Zustimmung aller Länder einzuholen. Die Bundesregierung hat in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD im Bundestag zu den Beteiligungsrechten zum TTIP-Abkommen am 24. September 2013 geantwortet, dass die Bundesregierung den Bundesrat nach dem EUZBLG über den Fortgang der Verhandlungen unterrichten und die Mitwirkungsrechte des Bundesrates beachten wird (BT-Drs. 17/14787). Informationen werden den Ländern inzwischen auch zum Fortgang der Verhandlungen (Drahtberichte u. a.) über die Bundesratsdatenbank Eudisys zur Verfügung gestellt. Für diese Informationen sind aber neben der Zugangsbeschränkung zu Eudisys verschiedene Verwendungsvorgaben (nur für den Dienstgebrauch , „EU restricted“ u. a.) festgelegt. 3. Wie beurteilt der Senat den von der EU-Kommission vorgestellten Ansatz hinsichtlich Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit während der Verhandlungen im Vergleich zu früheren Verhandlungsrunden? Die Europäische Kommission ist gegen eine Veröffentlichung ihrer vom Rat vorgegebenen Verhandlungsleitlinien, weil sie eine Schwächung ihrer Verhandlungsposition gegenüber den USA befürchtet.1) Gleichzeitig ist sie sich des öffentlichen und medialen Interesses an den Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen bewusst. Nach Wahrnehmung des Senats versucht sie intensiver als bei früheren Verhandlungen, einen möglichst hohen Grad an Transparenz zu gewährleisten. ––––––– 1) http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ttip/questions-and-answers/#negotiations-confidentiality (engl.; abgerufen am 27. November 2013). — 3 — Zu den Maßnahmen der Europäischen Kommission zur Herstellung von Transparenz gehören insbesondere — Konsultationen von Stakeholdern aus den Bereichen Industrie, Handel, Verbraucherschutzorganisationen und anderen Vertretern der Zivilgesellschaft ,2) — eine Webpage mit Informationen zu dem transatlantischen Freihandelsabkommen 3) und — die Veröffentlichung von ursprünglichen Positionspapieren der Europäischen Union, welche in den Verhandlungen verwendet wurden.4) Der Senat begrüßt diese Maßnahmen zu mehr Transparenz und spricht sich dafür aus, diese konsequent und über die gesamte Dauer der Verhandlungen umzusetzen und beizubehalten, insbesondere sollten die staatlichen Stellen und Stakeholder nach jeder Verhandlungsrunde zeitnah informiert werden und die Möglichkeit erhalten, ihre Vorschläge, Kritikpunkte und Anregungen in den Prozess einzuspeisen. 4. Wo liegen nach Auffassung des Senats vor allem die Bereiche, in denen die Vereinbarung gemeinsamer technischer und organisatorischer Standards einen Mehrwert für beide Seiten zur Folge haben würde? Die Europäische Kommission geht davon aus, dass zwischen zwei Drittel und vier Fünftel der positiven Effekte des TTIP auf den Abbau bürokratischer Hindernisse und eine bessere Koordinierung zwischen den Regulierungsbehörden zurückgehen würden. Mit dem angestrebten Handelsabkommen sollen unnötige Kosten und Verzögerungen für die Unternehmen abgebaut werden, während die bestehenden Standards im Gesundheits-, Sicherheits-, Verbraucher- und Umweltschutz weiter gewährleistet werden sollen. Positive Effekte durch eine erhöhte Kompatibilität der regulatorischen Auflagen werden z. B. in Branchen wie der Automobil-, der chemischen und der pharmazeutischen Industrie sowie in anderen Gesundheitsbereichen, beispielsweise bei Medizingeräten, erwartet. 5. In welchen Bereichen des europäischen und deutschen Umwelt-, Gesundheitsund Verbraucherschutzes sieht der Senat keine Möglichkeit einer Harmonisierung (z. B. Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln, Hormon- und Klonfleisch oder sogenannte Chlorhühnchen)? Wie unterscheiden sich die Grundsätze des Verbraucherschutzes in der EU und den USA? Wäre eine Angleichung hier sinnvoll bzw. wird diese überhaupt angestrebt? Die bisher von der EU abgeschlossenen Handelsabkommen mit Drittstaaten zeigen, dass die im Gemeinschaftsrecht verankerten Regelungen für Belange des Umweltschutzes sowie des gesundheitlichen Verbraucherschutzes nicht infrage gestellt oder mit dem Ziel der Harmonisierung verhandelt werden. Derartige Handelsabkommen beinhalten meistens eine Klausel der gegenseitigen Anerkennung bestimmten rechtlicher Vorgaben, die dem Umwelt-, Gesundheitsund Verbraucherschutz dienen, und tragen damit auch unterschiedlichen Grundsätzen in diesen Bereichen Rechnung. Auch wenn die Verhandlungsposition der USA gegenüber den Ländern, mit denen bisher Abkommen unterzeichnet wurden, als gewichtiger einzuschätzen ist, steht auch in den Verhandlungen mit den USA das erreichte hohe Schutzniveau in Europa nicht zur Debatte.5) ––––––– 2) Z. B. Vorbesprechungen vor Beginn der Verhandlungen am 17. Mai 2013 (http://trade.ec.europa. eu/civilsoc/meetdetails.cfm?meet=11406) und 24. Juni 2013 (http://trade.ec.europa.eu/civilsoc/ meetdetails.cfm?meet=11410) in Brüssel; Update nach der ersten Verhandlungsrunde am 16. Juli 2013 in Brüssel (http://trade.ec.europa.eu/civilsoc/meetdetails.cfm?meet=11411) (Unvollständige ) Liste weiterer Veranstaltungen zu TTIP: http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ttip/ resources/#_events (alle Quellen in Englisch und abgerufen am 27. November 2013). 3) http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ttip/ (engl.; abgerufen am 27. November 2013). 4) Papiere sind unter folgender Adresse in Englisch abrufbar: http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/ index.cfm?id=943 (abgerufen am 27. November 2013). 5) http://trade.ec.europa.eu/doclib/cfm/doclib results.cfm?docid=151605 (abgerufen am 28. Novem- ber 2013). — 4 — 6. Ist der Senat der Auffassung, dass in oder mit dem Freihandelsabkommen auch Vereinbarungen über gemeinsame Datenschutzstandards getroffen werden müssen? Wenn ja, mit welchen Inhalten? Der Senat ist der Auffassung, dass hohe Datenschutzstandards auch im transatlantischen Verhältnis gewahrt sein müssen. Der Senat begrüßt daher, dass Fragen der Datenübermittlung und des Datenschutzes , die für den Handelsaustausch oder Investitionsbeziehungen relevant sind, auch im Rahmen der Verhandlungen zur TTIP angesprochen werden. Die bestehenden Datenschutzstandards in Deutschland und der EU sollen dabei nicht zur Disposition stehen. 7. Wie unterscheiden sich die Regulierungen im Bereich der Finanzdienstleistungen in den USA von denen in der EU? Sieht der Senat hier die Notwendigkeit von Angleichungen? Die schwere Krise im Finanzsektor 2008 mit der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers und ihre bis heute andauernden Auswirkungen haben gezeigt , dass die seinerzeitigen nationalen Regulierungsrahmen ihren Zweck nicht erfüllt hatten. Auf dem G-20-Gipfeltreffen 2008 waren sich alle Beteiligten, auch die Regierungsspitzen der EU und der USA, im Grundsatz einig, dass alle Finanzmärkte , Produkte und Akteure reguliert oder überwacht werden sollten. Auch Hedgefonds und Ratingagenturen sollten in die Überwachung einbezogen werden . Es wurden allgemeine Leitlinien für die international zu ergreifenden Reformmaßnahmen beschlossen, die in den Folgekonferenzen erweitert wurden. Orientiert auch an diesen Vorgaben haben sich die inzwischen 28 Mitgliedstaaten der EU zu einer breit und umfassend angelegten Vereinheitlichung der europäischen Regulierungsrahmen für den gesamten Finanzsektor entschlossen. Als aktuelle Beispiele für die umfangreichen Reformprojekte sind die Regelungen zur Restrukturierung und zur Abwicklung von Banken, eine Vereinheitlichung der Bankenaufsicht sowie eine gemeinsame Aufsicht über grenzüberschreitend tätige Geldhäuser zu nennen. Der Senat der Freie Hansestadt Bremen war und ist über die Mitwirkungsrechte im Bundesrat an diesen Reformprozessen aktiv beteiligt. Dieser Prozess ist auf europäischer Ebene aber noch nicht abgeschlossen. Die USA sind mit dem 2010 verabschiedeten Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act einen Regulierungsweg gegangen, der die tiefgreifendste Reform der Aufsichtsbehörden und des gesamten US-Finanzsektors seit den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts darstellt. Die Umsetzungsarbeiten zu diesem sehr umfangreichen Gesetzespaket sind zurzeit noch nicht abgeschlossen. Die Heterogenität der bisher realisierten Aufsichtsstrukturen und -maßnahmen in der EU und den USA lässt eine vergleichende politische Bewertung in allgemeiner Form nicht sinnvoll erscheinen. Die Notwendigkeit von Angleichungen kann daher erst nach fallweiser sorgfältiger Prüfung der einzelnen Dienstleistungen und Produkte beurteilt werden. Dabei muss dem Grundsatz Rechnung getragen werden , dass es im Rahmen einer Freihandelsangleichung zu keiner Aufweichung erreichter Regulierungsstandards kommen darf – im Grundsatz muss die restriktivere und damit wirksamere Regulierung zum Tragen kommen. Die Forderung nach einer Verstärkung des sogenannten Heimatlandprinzips muss daher aus prinzipiellen Schutzerwägungen heraus abgelehnt werden. Hinzuweisen ist auch auf die in elf EU-Ländern geplante Finanztransaktionssteuer , die in den USA zurzeit noch nicht zur Diskussion steht: Die Einführung dieses hochwirksamen antispekulativen Regulierungsinstruments bei Finanzprodukten darf auf keinen Fall behindert und das Konzept auch nicht durch Einschränkungen und Ausnahmeregelungen aufgeweicht werden, sondern der Geltungsbereich dieser Steuer sollte nach Möglichkeit eine transatlantische Erweiterung erfahren. 8. Ist dem Senat bekannt, ob bei den Verhandlungen zum TTIP auch Inhalte des gescheiterten ACTA-Abkommens in anderer Form wieder aufgenommen werden könnten? Nach der veröffentlichten Position der Europäischen Kommission, die den Beschluss des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2012 zur Ablehnung des ACTA-Abkommens „voll und ganz respektiert“, ist dies nicht der Fall.6) ––––––– 6) http://ec.europa.eu/trade/policv/in-focus/ttip/questions-and-answers/index de.htm (abgerufen am 27. November 2013). — 5 — 9. Welche Inhalte, Genres, Präsentations- und Produktformate sowie Organisationsformen und Förderungen im Bereich der Medien und der Kultur sollten nach Auffassung des Senats von der Handelsliberalisierung ausgenommen bleiben, wie das für die erste Verhandlungsphase vereinbart ist? Worum geht es hier im Besonderen? Wird der Bundesrat befasst werden, wenn die Kommission zu einem späteren Zeitpunkt der Verhandlungen zu der Auffassung kommt, dass diese Gegenstände in die Verhandlungen aufgenommen werden sollten? Hätte dies in Deutschland Auswirkungen, etwa auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten ? Das Verhandlungsmandat für die Europäische Kommission gilt nicht unbegrenzt: Nach langen Diskussionen hat der Europäische Rat, vor allem auf Druck Frankreichs , beschlossen, dass der audiovisuelle Markt von Film- und Musikproduktionen – zumindest zurzeit – nicht in das Verhandlungsmandat eingeschlossen wird. Zwar bleibt damit der Weg offen, dass die Medien- und Kulturthemen auf Antrag der Europäischen Kommission zu einem späteren Zeitpunkt doch noch zum Gegenstand des Abkommens gemacht werden. Aber eine solche, spätere Einbeziehung bedarf dann der ausdrücklichen Zustimmung aller europäischen Mitgliedstaaten im Ministerrat. Mit dem jetzt erzielten Kompromiss ist also gesichert, dass die Kommission in ihren Verhandlungen nicht nach Belieben über den Medien- und Kulturbereich disponieren kann. Der Bundesrat hat in seiner 910. Sitzung vom 7. Juni 2013 eine mit den Stimmen Bremens beschlossene Entschließung gefasst (BR-Drucksache 463/13), die die Bundesregierung dazu aufgefordert hat, sich dafür einzusetzen, dass der Medienbereich sowie audiovisuelle und kulturelle Dienstleistungen aus den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen ausgeklammert werden. Der Senat hatte zuvor beschlossen, diese Bundesratsinitiative zu unterstützen, weil er – genau wie die Mehrheit der Länder – der Auffassung ist, dass die europäischen Standards in der Kulturförderung und im Bereich des Rundfunks und der Telemedien nicht zur Disposition gestellt werden dürfen. Kulturgüter werden nicht den Gesetzen des Marktes überlassen, sondern sie genießen den Schutz und die Förderung des Staates: — Die deutsche Filmförderung ermöglicht hochwertige Produktionen, die aber an der Kinokasse nicht mit den Filmen konkurrieren könnten, die Hollywood für den Massengeschmack produziert. — Fernsehanbieter sind bei uns zu hoher journalistischer Sorgfalt verpflichtet, ihre Programme unterliegen Vorgaben zur Sicherung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt. — Dies schließt aus, den Bereich Kultur und Medien der Liberalisierungslogik zu unterwerfen und ihn unbegrenzt für amerikanische Anbieter zu öffnen. Im Internet verändern sich die Voraussetzungen mit rasanter Geschwindigkeit , hier muss der nationale Gesetzgeber die Möglichkeit behalten, regulativ einzugreifen. Diese Handlungsfreiheit wird aufgegeben, wenn der kulturelle Sektor den Bedingungen des Freihandelsabkommens unterworfen wird. — Schließlich würde auch der europäische Grundkonsens für die Kulturförderung infrage gestellt, der lautet, dass Kulturgüter nicht allein den Gesetzen des Marktes überlassen werden sollen. Zwar war es der Wunsch der Europäischen Kommission, ohne inhaltliche Vorgaben durch die Mitgliedstaaten mit den USA verhandeln zu können. Sowohl die Kommission als auch die Bundesregierung haben beteuert, dass die Kulturschaffenden auch geschützt werden, ohne dass der gesamte Bereich offiziell für die Verhandlungen blockiert wird. All diesen Versprechungen zum Trotz hätte die Freigabe des Verhandlungsmandats für den Medien- und Kulturbereich nach Einschätzung des Senats zumindest die Gefahr heraufbeschworen, dass dieser am Ende doch zum Gegenstand der Marktliberalisierung wird. Aus diesem Grund war es notwendig, für die Eingrenzung des Verhandlungsmandats einzutreten und die Gestaltungshoheit auf diesem gesellschaftlich wichtigen Gebiet nicht preiszugeben. Bestätigung und Unterstützung findet diese Einschätzung auch aus dem Bereich der deutschen sowie der europäischen Zivilgesellschaft (Deutscher Kultur- — 6 — rat, Europäische Filmschaffende, Deutsche Unesco-Kommission), von woaus eine Reihe von kritischen Stellungnahmen abgegeben wurden, die nachdrücklich eine Ausnahme von Kultur und Audiovision im Abkommen befürworten bzw. sich für den Schutz und Erhalt der kulturellen Vielfalt in Europa einsetzen. 10. Wie beurteilt der Senat das Instrument des „Investor-Staat-Streitschlichtungsmechanismus “, sowohl was die geheimen Verfahren als auch die Stellung ausländischer Investoren gegenüber ortsansässigen Unternehmen und der Zivilgesellschaft betrifft? Das Instrument des „Investor-Staat-Streitschlichtungsmechanismus“ kann grundsätzlich ein wichtiges Mittel zum Schutz von Investoren aus Deutschland bzw. der EU im Ausland darstellen und diesen ein höheres Maß an Sicherheit gewähren . Dies gilt insbesondere dann, wenn in dem Land, in dem eine Investition getätigt wird, keine gefestigte Rechtsordnung vorzufinden ist. Obwohl die EU und die USA entwickelte Volkswirtschaften mit gefestigten Rechtsordnungen sind, strebt die Europäische Kommission in den Verhandlungen zum TTIP an, Bestimmungen zum Schutz von Investoren in das Abkommen aufzunehmen. Hier könnte die Gefahr bestehen, dass Unternehmen diesen Mechanismus nutzen, um sich zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen über Regierungsmaßnahmen und bestehende nationale Gesetze hinwegzusetzen. Um jegliche Art von Missbrauch auszuschließen, muss nach Auffassung des Senats ein hohes Maß an Transparenz der Verfahren erreicht und eine Besserstellung ausländischer Investoren gegenüber heimischen Unternehmen oder der Zivilgesellschaft verhindert werden. Der Senat wird die Verhandlungen diesbezüglich beobachten und im Rahmen seiner Möglichkeiten entsprechend auf diese einwirken. 11. Welche Auswirkungen wird der Abschluss eines bilateralen TTIP auf die multilateralen Abkommen vor allem der WTO haben? Der Senat sieht weiterhin die Priorität im Abschluss der Doha-Runde. Da die Verhandlungen zu deren Abschluss stocken, wird der Weg verfolgt, durch plurioder auch bilaterale Abkommensinitiativen mit wichtigen Handelspartnern der EU eine Marktöffnung bzw. eine Verbesserung des Marktzugangs für europäische Unternehmen in wichtigen Märkten zu erreichen und auf diese Weise auch Impulse für die Doha-Runde insgesamt zu setzen. Ein zentraler Kritikpunkt an diesem Vorgehen ist, dass es möglicherweise Drittländer benachteiligen könnte, die Funktionsweise der Welthandelsorganisation (WTO) behindert und ein erfolgreicher Abschluss eines multilateralen Abkommens (Doha-Runde) verhindert werde. Gemäß ifo-Institut (siehe ifo-Schnelldienst 4/2013, 27. Februar 2013) zeigt die „aktuelle empirische Forschung [. . .] allerdings, dass wichtige bilaterale Abkommen die Anreize, auf multilateraler Ebene zu erfolgreichen Liberalisierungsschritten zu kommen, erhöhen, nicht senken.“ Die EU-Kommission geht weiter davon aus, dass über das TTIP verfolgte gemeinsame Ansätze im Bereich der Deregulierung und auch der Standardisierung sich weltweit leichter durchsetzen und eine positive ordnungspolitische Sogwirkung entfalten könnten. 12. Hält der Senat die angestrebten Auswirkungen des Abkommens auf Wachstum und Arbeitsplätze in Deutschland für realistisch? Es gibt mehrere aktuelle Einschätzungen und Untersuchungen zu den Auswirkungen des geplanten Abkommens auf Wachstum und Beschäftigung in den betroffenen Wirtschaftsräumen und speziell auch in Deutschland. So kommt z. B. eine im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie erstellte Studie des ifo-Instituts (siehe ifo-Schnelldienst 4/2013, 27. Februar 2013) nach Untersuchung mehrerer Szenarien (Zollszenario – vollständige Eliminierung aller bilateralen Importzölle, NTB-Szenario – zusätzliche Reduktion von effektiven nicht tarifären Handelshemmnissen auf das Durchschnittsniveau in beobachteten Freihandelsabkommen, Binnenmarktszenario – Reduktion der effektiven variablen Handelsbarrieren auf das Niveau innerhalb der EU) zu maximalen Netto-Arbeitsplatzzuwächsen von rd. 400 000 in der EU (davon 110 000 in Deutschland) und 100 000 in den USA sowie weiterhin zu langfristi- — 7 — gen Wohlfahrtssteigerungen (in dem Gutachten gleichgesetzt mit Reallohneffekten ) von 13,4 % in den USA, 4,7 % in Deutschland und zwischen 2,6 % (Frankreich) und 9,70 % (Großbritannien) in den Ländern der EU insgesamt. Das Gutachten stellt jedoch auch Wohlstands- und Arbeitsplatzverluste für Länder fest, die nicht Bestandteil der Freihandelszone EU–USA sein würden. Insgesamt stellt die Studie einen Anstieg der Exporte in allen Wirtschaftsbereichen in Aussicht, wobei die bedeutendsten Effekte in Deutschland vor allem im Maschinen - und Kraftfahrzeugbau zu erwarten sind, aber auch im Dienstleistungsbereich , hier besonders bei Finanzdienstleistungen, im Kommunikationsbereich und bei unternehmensnahen Dienstleistungen. Das ifo-Institut betont, dass die positiven Effekte, insbesondere die Wohlfahrtsgewinne , Langfristeffekte sind, die besonders von einem umfassenden Abkommen generiert werden, während eine Realisierung des Zollszenarios nur zu geringen Effekten führen würde. Eine aktuelle Studie des IMK Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (siehe Pressemitteilung des IMK vom 16. Juli 2013, http://www.boeckler. de/41912 43696.htm) hält es „[ . . .] für höchst unwahrscheinlich, dass ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA kurzfristig nennenswerte Konjunkturimpulse setzen würde. Da die Einfuhrzölle auf Industriegüter, die zwischen beiden Wirtschaftsräumen in erster Linie gehandelt werden, bereits gering sind, werde eine vollständige Abschaffung nur wenig ändern. Bedeutsamer dürfte die transatlantische Angleichung von Qualitätsstandards, technischen Normen und Kennzeichnungspflichten sein. Allerdings seien dabei schon jetzt schwerwiegende Interessenkonflikte absehbar.“ Im Ergebnis zeigen beide genannten Gutachten Einigkeit darüber, dass substanzielle positive Effekte des TTIP möglich sind, aber nur langfristig und durch den deutlichen Abbau nicht tarifärer Handelshemmnisse entstehen können. Der Senat hält grundsätzlich positive langfristige Effekte durch Abschluss des TTIP und zusätzliches Wachstum in der EU und den USA für realistisch und befürwortet daher auch die Aufnahme der Verhandlungen. Die Höhe der letztlich für Deutschland, und insbesondere Bremen, eintretenden Effekte hängt aber maßgeblich von der letztendlichen Ausgestaltung des Freihandelsabkommens und der allgemeinen weltwirtschaftlichen und globalpolitischen Entwicklung ab. 13. Welche Auswirkungen auf das Verhältnis von Handelsströmen zu Direktinvestitionen wären zu erwarten? Es sind im Falle eines positiven Abschlusses des TTIP sowohl eine Zunahme der Handelsströme als auch eine Zunahme der jeweiligen Direktinvestitionen aus der EU in die USA und andersherum zu erwarten. Die Entwicklung des Verhältnisses von Handelsströmen und Direktinvestitionen wird letztlich maßgeblich durch die genaue Ausgestaltung des TTIP beeinflusst werden. Aktuell liegen keine dem Senat bekannten Prognosen hierzu vor. 14. Welche Vorteile bzw. Risiken eines solchen Abkommens wären mit Blick speziell auf die bremische Wirtschaftsstruktur zu erwarten? Im Rahmen der vorliegenden Untersuchungen zu den Effekten des Abschlusses des TTIP, wie z. B. in der Untersuchung des ifo-Instituts (siehe Antwort zu Frage 12), wurden Abschätzungen der langfristigen Entwicklung der Exporte über einzelne Wirtschaftssektoren angestellt. Hierbei handelt es sich allerdings um Modellrechnungen, die regionale wirtschaftsstrukturelle Besonderheiten nicht berücksichtigen. Valide Untersuchungen zu den Effekten des TTIP auf die bremische Wirtschaftsstruktur sind dem Senat nicht bekannt, konkrete Aussagen dazu wären an dieser Stelle insofern rein spekulativ. Detaillierte Vor- und Nachteile eines Freihandelsabkommens für den Wirtschaftsstandort Bremen, einzelne Branchen oder Berufsgruppen hängen weiterhin auch stark von der genauen Ausgestaltung des Abkommens ab. Es ist aber zu vermuten, dass eine grundsätzlich erwartete Zunahme des Handelsvolumens zwischen Deutschland bzw. der EU und den USA positive Effekte für die bremische Hafen- und Logistikwirtschaft haben wird, da die USA das wich- — 8 — tigste Handelspartnerland für die bremischen Häfen sind. Weiterhin erscheinen positive Effekte im Bereich der bremischen Automobilindustrie durch die angestrebten Deregulierungen in diesem Sektor möglich. Ein Spezialproblem betrifft das sogenannte 100-%-Scanning-Gesetz der USA, die House Resolution No. 1 des Safe Port Act von 2007. Dieses Gesetz sieht vor, dass alle Container im Abgangshafen gescannt werden müssen, bevor sie in die USA hineingelassen werden. Bremen hatte zusammen mit der Bundesregierung und der Europäischen Kommission die Aufhebung dieses Gesetzes verlangt, weil das 100-%-Scannen der für die USA bestimmten Container weltweit zu einem Handelshindernis führen würde. Besonders Bremerhaven als der wichtigste US-Exporthafen Europas für Container wäre von diesem Gesetz massiv betroffen, da der Transport von Containern über den Atlantik erheblich erschwert, verlangsamt und verteuert würde. Dies würde die Wirtschaftlichkeit des Containerterminals Bremerhaven im Wettbewerb erheblich belasten und die Qualität des Exportstandortes Deutschland insgesamt negativ beeinflussen. Es gab zwar verschiedene Versuche innerhalb der USA, das Gesetz zu ändern, die aber gescheitert sind, weil der US-Kongress kein Gesetz, das der Sicherheit des eigenen Landes dient, aufhebt oder ändert. Das Gesetz ist also in seiner ursprünglichen Fassung in Kraft, lediglich die Anwendung ist bis zum 1. Juli 2014 verschoben worden und bisher ist nicht klar, ob die Durchsetzung des Gesetzes weiter hinausgeschoben wird. Daher hat der Senat dem Bundesverkehrsministerium vorgeschlagen, die Aufhebung dieses US-Gesetzes in die Verhandlungen der Europäischen Kommission mit den USA aufzunehmen. Dies wird von der Bundesregierung grundsätzlich unterstützt, wie am 31. Oktober 2013 bestätigt wurde . 15. Könnte das Abkommen nach Ansicht des Senats die Gestaltung des bremischen Beschaffungswesens nach sozialen und ökologischen Kriterien gefährden? Der Senat hat keine Hinweise darauf, dass der Abschluss des TTIP Auswirkungen auf die Ausgestaltung des bremischen Beschaffungswesens haben wird. Druck: Anker-Druck Bremen