— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 1347 Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 28. Februar 2014 Kulturelle und künstlerische Bildung im Land Bremen verbindlich entwickeln Kulturelle Bildung nimmt in Bezug auf die soziale und seelische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sowie die Entwicklung von Literalität, Sprach- und Medienkompetenz, aber auch im Hinblick auf inklusives Lernen, die Bildung von Empathie und Urteilsfähigkeit und die generelle Entwicklung von Lernfähigkeit und Wissensentwicklung einen hohen Stellenwert in der Bildung ein. Dies gilt für Kinderbetreuungsangebote und Schulen gleichermaßen wie für außerschulische Angebote und für die lernende Entwicklung der Stadtgesellschaft insgesamt. Fast alle Kultureinrichtungen Bremens und Bremerhavens bieten individuell entwickelte Kurse, Projekte und Begleitveranstaltungen zu ihren Programmen an – für die Freizeit oder mit den Bildungseinrichtungen. Vielfach sind diese Angebote Teil der Fördervereinbarungen oder der Projektförderung. Eine wichtige Herausforderung für die Angebote kultureller Bildung ist die Wahrnehmung , Akzeptanz und Förderung von Kulturerfahrungen, Kulturtechniken und kultureller Kompetenz von Kindern und Jugendlichen selbst. Dazu gehören insbesondere deren familiäre, interkulturelle und Migrationserfahrungen und -prägungen. Ihre kulturelle Biografie, ihr kulturelles Interesse und Erleben orientieren sich nicht an etablierten Kunstsparten, sondern sind von sozialen und familiären Erfahrungen , medialen Angeboten und Kulturformen, von Design und Mode, Popkultur und Netzkommunikation geprägt. Sich darauf einzulassen, lässt auch die beteiligten Künstlerinnen und Künstler und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kultur- und Bildungseinrichtungen von den Begegnungen profitieren. Auch der Einbau bisher außerschulisch nachmittags privat stattfindender individueller Kurse und Projekte in die Ganztagsbetreuung von Kindern und Jugendlichen ist eine Herausforderung kultureller Bildung – nicht zuletzt im Hinblick auf den Arbeitsmarkt, auf den Umgang mit privatwirtschaftlichen und staatlichen Angeboten und auf die Entwicklung neuer Berufsbilder und Ausbildungen. Daher sollten verbindlichere Rahmen für die staatlich geförderte kulturelle Bildung entwickelt werden, die der notwendigen Individualität der Angebote und Projekte Rechnung tragen und zugleich ihre Herausforderungen, Ziele und Erfolge kenntlich machen können. Wir fragen den Senat, 1. welche pädagogischen und kulturwissenschaftlichen Kriterien der Förderung und Durchführung von Angeboten kultureller und künstlerischer Bildung in Bremer und Bremerhavener Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen zugrunde liegen? 2. welche darüber hinausgehenden Kriterien und Kennzahlen der Senat für sinnvoll hält, a) um künftig Ziele, Erfolge, Defizite und Herausforderungen der Angebote erkennbar zu machen und bewerten zu können; — 2 — b) um künftig als Grundlage der institutionellen oder projektbezogenen Förderung der Angebote zu dienen und Eingang in Kontrakte zwischen Bildungs - und Kultureinrichtungen sowie in Zuwendungsverträge zu finden? 3. auf welche Weise die kulturellen Erfahrungen, Erlebniswelten, Interessen und Prägungen, auch Migrationserfahrungen, von Kindern und Jugendlichen selbst mit zur Grundlage von Projekten der kulturellen Bildung gemacht werden können ? 4. welche fachlichen und arbeitsrechtlichen Kriterien und Maßgaben zum Einsatz von Künstlern und Künstlerinnen in interdisziplinären, multiprofessionellen Teams in Bildungseinrichtungen existieren – und ob und wie diese aus Sicht des Senats weiter entwickelt werden sollten? 5. ob eine regelmäßige Evaluation oder/und pädagogische, kulturfachliche bzw. wissenschaftliche Begleitung der Angebote kultureller und künstlerischer Bildung dem Senat sinnvoll oder möglich erscheinen? Carsten Werner, Sülmez Dogan, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Dr. Matthias Güldner und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen D a z u Antwort des Senats vom 1. April 2014 1. Wir fragen den Senat, welche pädagogischen und kulturwissenschaftlichen Kriterien der Förderung und Durchführung von Angeboten kultureller und künstlerischer Bildung in Bremer und Bremerhavener Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen zugrunde liegen? Der Senator für Kultur fördert über seine institutionellen Zuschüsse und anderen Zuwendungen die Angebote einiger Kulturträger, die unter anderem an Schulen, in Kindertagesstätten bzw. anderen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche realisiert werden. Kulturwissenschaftliche Kriterien der Start-Jugend Kunst Stiftung Bremen und des Senators für Kultur beziehen sich im Wesentlichen auf die künstlerische Substanz der Projektidee, sowie die animatorische Qualität der Vermittlung, d. h. der partizipativen Teilhabe am gemeinsamen Gestaltungsprozess. Hierfür ist die Professionalität der Kulturakteure bzw. der Künstlerinnen und Künstler eine wichtige Grundlage. Die Einhaltung kulturfachlicher Kriterien bei institutionellen Förderungen wird über Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen dem Senator für Kultur und den Kultureinrichtungen sichergestellt. Projektbezogene Förderentscheidungen werden eng mit künstlerischen Expertinnen und Experten der Stadt getroffen oder in berufenen Gremien zur Entscheidungsfindung beraten. Einige Angebote, die sich aufgrund ihrer spezifischen Konzeption auch an Schulen wenden, werden auf Basis der genannten Kriterien sowohl vom Senator für Kultur als auch von der Senatorin für Bildung und Wissenschaft gefördert. Grundlage für eine Förderung ist immer die Qualität, die sich im Kontext der Zielsetzung der Angebote, der Qualifikation der Akteure und der Umsetzungsplanung innerhalb der strukturellen Rahmenbedingungen zeigt. Pädagogische Kriterien zur Durchführung der Angebote kultureller und künstlerischer Bildung an Schulen sind implizit in den Rahmensetzungen der Senatorin für Bildung und Wissenschaft enthalten: Basis für den Unterricht und für die unterrichtsergänzenden bzw. Wahl- und Wahlpflichtangebote an Schulen sind das Bremer Schulgesetz, dessen Bildungs- und Erziehungsziele sowie die Verordnungen der Bildungsgänge. Auf dieser Basis entscheiden sich die Schulen für Profile und Schwerpunkte und konkretisieren diese in ihren Schulprogrammen . Fachliche Vorgaben werden in Bildungsplänen und den darauf bezogenen schulischen Curricula definiert. Jede Ganztagsschule legt zudem ein Kooperationskonzept vor und definiert, mit welchen Partnern sie kooperieren will und trifft damit eine Qualitätsentscheidung. Zur Einschätzung der Qualität der Kulturpartner werden Hilfen angeboten wie z. B. die Rahmenvereinbarung — 3 — mit dem Landesmusikrat, für dessen Mitgliedsorganisationen festgelegte Ausbildungs - und Fortbildungsstandards gelten. Kulturelle und künstlerische Bildung für Kinder in vorschulischen Einrichtungen ist eingebettet in ein Bildungsverständnis, in dem Bildung gesehen wird als ein Prozess, der in einer aktiven Aneignung der Kinder entsteht und eine tätige Verarbeitung von Wahrnehmungen und Erfahrungen verlangt. Angebote der kulturellen und künstlerischen Bildung sollten sich diesem Grundsatz unterordnen , nämlich durch die Möglichkeiten Neues wahrzunehmen und zu erfahren und zu Veränderungen, Anpassungen und Neuschöpfungen zu kommen. Dabei ist der Maßstab immer die Eigenaktivität des Kindes. 2. Wir fragen den Senat, welche darüber hinausgehenden Kriterien und Kennzahlen der Senat für sinnvoll hält, a) um künftig Ziele, Erfolge, Defizite und Herausforderungen der Angebote erkennbar zu machen und bewerten zu können? Die Vorgabe standardisierter und betriebswirtschaftlicher Kennzahlen ist für Angebote im Bereich der kulturellen Bildung aufgrund ihrer starken strukturellen und organisatorischen Unterschiedlichkeit, der variierenden Trägerstruktur wie auch der Abhängigkeit von zielgruppenspezifischen Faktoren (Sozialindikator, Räume, Akzeptanz, Programmatik) nicht sinnvoll. Angebote mit zahlenmäßig kleinen Gruppen können unter spezifischen Zielsetzungen hochwirksam sein. Zudem liegt die Herausforderung immer in der Heterogenität der (Lern-)Gruppen und dem passgenauen Zuschnitt eines Vorhabens auf die Situation vor Ort. Die Qualitätsentwicklung des Senats erfolgt kontinuierlich über die in der Antwort zu Frage 1 dargelegten Steuerungsinstrumente. Ein weiteres Mittel der Qualitätsentwicklung ist die Qualifikation und Fortbildung der Akteure, die z. B. auf die Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses der Professionen und ihrer spezifischen Zugänge zielt. Qualitätsentwicklung erfolgt außerdem über den bundesweit intensiv geführten fachlichen Diskurs, der sich zum Beispiel an der „Empfehlung der Kultusministerkonferenz zur kulturellen Kinder- und Jugendbildung“ vom 10. Oktober 2013 orientiert, aber auch an „best practice“-Projekten, wie sie z. B. auf den Internet-Plattformen des Bundeswettbewerbs „Kinder zum Olymp“ (Kulturstiftung der Länder) und „Mixed up“ (Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung) zur Verfügung stehen. Hier sind bereits mehrere Vorhaben aus Bremen ausgezeichnet worden: — Kinder zum Olymp: Zwei Auszeichnungen für die Immanuel-KantSchule Bremerhaven „Meine Familie und ich“ (2011 – Film, Fotografie und neue Medien), “Windmusik” (2012 – nahm als Finalist an der Bewerbung um den Hauptpreis teil), — Mixed up: „ELEMENTANZ“ (2010 – Kooperation zwischen „Tanzpädagogisches Projekt SchulTanz (TAPST)“ des Arbeitsförderungszentrum und der Marktschule Bremerhaven; EinWandererHaus“ (2010 – Quartier gGmbH mit Grund- und weiterführenden Schulen, der bremer shakespeare company und dem Übersee-Museum Bremen; KonTakt (2009) Sonderpreis: „Lebenkunst lernen“ – Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und Partner, — BKM-Preis Kulturelle Bildung: Für das in 2012 durchgeführte Projekt „zuhause.anderswo“ wurden 2013 Quartier gGmbH und dessen Kooperationspartner Institut français Bremen, bremer shakespeare company und steptext dance project nominiert. Im Jahr 2010 war Quartier gGmbH für das Kinderkulturprojekt „Götterspeise und Suppenkasper“ BKM-Preisträger, — Deutscher Musikpreis ECHO Klassik 2012 und Zukunftsaward 2007: Das „Zukunftslabor“ der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen er- hielt 2012 den ECHO Klassik für ihre Nachwuchsförderung. Für dieses innovative Konzept gemeinsamer Projekte von Schule und Orchester sind Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und die Gesamtschule Bremen-Ost auch mit dem „Zukunftsaward 2007“ ausgezeichnet worden, — 4 — — „365 Orte im Land der Ideen“: Das „Zukunftslabor“ in der Gesamtschule Bremen-Ost war 2008 ein ausgewählter Ort der Standortinitiative „Deutschland – Land der Idee“ deren Schirmherrschaft der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler übernahm. Mit dem Projekt „Meine Welt Zuhause“ gehört auch Quartier gGmbH zu den 365 „Ausgewählten Orten 2012“. b) um künftig als Grundlage der institutionellen oder projektbezogenen Förderung der Angebote zu dienen und Eingang in Kontrakte zwischen Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie in Zuwendungsverträge zu finden? Der Senat schließt keine Zuwendungsverträge, sondern erlässt Zuwendungsbescheide , wenn ein Vorhaben über den Weg der Zuwendung Mittel erhält. Im Übrigen hält der Senat die in den Antworten auf Frage 1 und 2 a) genannten Steuerungsmittel und Förder-Kriterien für ausreichend. Für Kontrakte zwischen Schulen und Kultureinrichtungen gilt das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit der Schule auf der Basis der in der Antwort zu Frage 1 genannten Vorgaben. Eine erhöhte Sensibilität für die kulturelle Bildung und die Erfassung weiterer relevanter Kriterien verspricht sich der Senat im Kontext eines für die kommenden drei Jahre geplanten Programms, das die kulturelle Bildung verbindlicher – unter anderem in schulischen Rahmensetzungen – verankern soll. 3. Wir fragen den Senat, auf welche Weise die kulturellen Erfahrungen, Erlebniswelten , Interessen und Prägungen, auch Migrationserfahrungen, von Kindern und Jugendlichen selbst mit zur Grundlage von Projekten der kulturellen Bildung gemacht werden können? Kulturelle Bildungsprojekte ermöglichen ein kultursensibles Arbeiten und beziehen kulturelle, biografische und interkulturelle Erfahrungshintergründe ein. Sie legen den Fokus auf die Künste und auf die künstlerische, gestaltende Auseinandersetzung mit einer Thematik. Sie wenden sich an Schülerinnen und Schüler einer bestimmten Altersgruppe, einer Schule, eines Jahrgangs oder einer anders zusammengesetzten Zielgruppe, die ihre eigenen Erfahrungen einbringen sollen und können. Der Bezug auf die Künste eröffnet erweiterte Ausdrucks- und Verständigungsmöglichkeiten jenseits des gesprochenen und geschriebenen Wortes und ist darum besonders geeignet, Toleranz einzuüben und Vielfalt, Fremdes und Anderes sichtbar zu machen. Handlungsgrundlagen, auf die der Senat sich in seiner Arbeit bezieht, werden formuliert im „Entwicklungsplan Migration und Bildung“, der sich derzeit in der Abstimmung befindet. Auch die „Empfehlung der Kultusministerkonferenz zur Interkulturellen Bildung und Erziehung in der Schule“ ist ein handlungsleitendes Papier. Vor diesem Hintergrund steuert der Senat auch seine Einstellungspolitik und setzt die „Empfehlungen des Konzepts zur Förderung von mehr Migrantinnen und Migranten im Lehramt und im Bereich der sozialen Arbeit“ (16. Oktober 2009) um, die in Zusammenarbeit der Senatorin für Bildung und Wissenschaft und der Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales unter Beteiligung von Vertreterinnen und Vertreter der Universität Bremen, der Hochschule Bremen und des Landesinstituts für Schule erstellt wurden. 4. Wir fragen den Senat, welche fachlichen und arbeitsrechtlichen Kriterien und Maßgaben zum Einsatz von Künstlerinnen und Künstlern in interdisziplinären, multiprofessionellen Teams in Bildungseinrichtungen existieren – und ob und wie diese aus Sicht des Senats weiter entwickelt werden sollten? Schulen wie auch Kindertagesstätten stellen keine Künstlerinnen und Künstler ein. Insofern gelten hier die Kriterien und Maßgaben der Schulvereine, respektive der Kultureinrichtungen wie z. B. Arbeitsverträge der Musikschule Bremen, Honorarvereinbarungen von Trägern wie Quartier gGmbH oder Tarifverträge der Kulturinstitutionen. Die Senatorin für Soziales arbeitet zum Beispiel mit „Kunst:elementar“ oder mit „Quartier gGmbH“ zusammen, die für die Auswahl und zum Teil auch Fortbildung der Künstlerinnen und Künstler zuständig sind und sie damit besser in die Lage versetzen, mit kleinen Kindern zu arbeiten. — 5 — Druck: Anker-Druck Bremen Die fachliche Eignung wird über Vorgaben der Programm- und Projektträger definiert. Künstlerinnen und Künstler sind in der Regel nicht Mitglieder multiprofessioneller Teams in Bildungseinrichtungen, arbeiten aber interdisziplinär mit den Teams zusammen. Eine Maßgabe für eine erfolgreiche Arbeit ist die Einbettung der Künstlerinnen und Künstler in solche Teams und eine Vorbereitung für ihre Aufgabe in Hinblick auf die Zielgruppe. Der Senat geht davon aus, dass die für Bremen gültigen arbeitsrechtlichen Beschlüsse umgesetzt werden. 5. Wir fragen den Senat, ob eine regelmäßige Evaluation oder/und pädagogische, kulturfachliche bzw. wissenschaftliche Begleitung der Angebote kultureller und künstlerischer Bildung dem Senat sinnvoll oder möglich erscheinen? Der Senat befürwortet die in den aktuell geförderten Angeboten kultureller und künstlerischer Bildung geleistete Qualitätsentwicklung, die unter anderem durch die kontinuierliche Reflektion durch die Akteure, durch „critical friends“ sowie durch die steuernden Behörden geschieht. Eine systematische Evaluation oder regelhafte kulturfachliche bzw. wissenschaftliche Begleitung ist mit vertretbarem Aufwand nicht leistbar. Zudem zeigt sich an Studien wie der 2013 veröffentlichten OECD-Studie „Kunst um der Kunst willen“, dass für eine Aussage zur Evaluation – insbesondere zur Wirkungsforschung qualitativ hochwertiger kultureller Bildung – zwingend eine Präzisierung der Fragestellung, der Zielrichtung und damit der erwarteten Effekte/Outcomes erforderlich ist.