— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 1387 Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 10. April 2014 Aufnahme syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge in Bremen Der syrische Bürgerkrieg tobt seit drei Jahren. Insgesamt sind über neun Millionen Menschen auf der Flucht, die UNO bezeichnet die humanitäre Katastrophe als die schlimmste seit dem Völkermord in Ruanda. Während die meisten Flüchtlinge in den Nachbarstaaten in aussichtslos überfüllten Lagern unterkommen müssen, schottet sich Europa mit einem hochgerüsteten Grenzschutzapparat gegen Flüchtlinge aus der Region ab. So werden von den Ausländerbehörden zwar fast alle syrischen Asylgesuche anerkannt, die Zahl derjenigen, die solche Anträge überhaupt stellen können, ist aufgrund des Dublin-II-Mechanismus und der Abschottungspolitik an der EU-Außengrenze aber sehr gering. Auch das UNHCR-Kontingent, in dessen Rahmen die Bundesländer 5 000 bzw. 10 000 Flüchtlinge aufnehmen wollen, ist angesichts der extremen humanitären Katastrophe im Land nicht hinreichend. Unter anderem fordern deshalb Vertreterinnen/Vertreter der Kirchen ein Kontingent für mindestens 100 000 Menschen. Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen kritisieren außerdem die hohen materiellen und bürokratischen Hürden für den Familiennachzug: hier lebende syrische Migrantinnen/Migranten mit einem sicheren Aufenthaltsstatus oder deutschem Pass können nur unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere einem überdurchschnittlich hohen Haushaltseinkommen, syrische Angehörige aus dem Bürgerkrieg nach Bremen nachholen. Wir fragen den Senat: 1. Wie viele syrische Staatsangehörige sind seit Anfang 2011 nach Bremen gekommen (bitte aufschlüsseln nach Aufenthaltstitel und Jahr der Einreise)? 2. Wie viele syrische Staatsangehörige sind aufgrund des Aufnahmebeschlusses von Bund und Ländern vom Mai 2013 in Bremen bisher aufgenommen worden? Mit wie vielen Aufnahmen auf Grundlage des Aufnahmebeschlusses rechnet der Senat bis Ende des Jahres? 3. Wie viele syrische Staatsangehörige sind aus besonderen politischen Interessen (§ 22 AufenthG) aufgenommen worden? 4. Wie viele syrische Staatsangehörige sind im Rahmen des Resettlement-Programms nach Bremen gekommen? 5. Wie viele syrische Staatsangehörige sind im Rahmen des Erlasses vom 9. September 2013 zu in Bremen lebenden Verwandten nachgezogen? 6. Wie viele Anträge auf Aufnahme von wie vielen Personen im Rahmen des Familiennachzuges sind in Bremen im gleichen Zeitraum gestellt worden? 7. Wie lange dauert die behördliche Bearbeitung eines Antrags auf Familiennachzug im Schnitt? — 2 — 8. Wie stellt sich der Höhe des jeweils vorzuweisenden Haushaltseinkommens (Verpflichtungserklärung) für den Nachzug von Familienangehörigen aktuell dar? Bitte aufschlüsseln nach Anzahl der im Haushalt lebenden und der aufzunehmenden Personen. 9. Wie viele Anträge auf Aufnahme von syrischen Familienangehörigen wurden abgelehnt, weil der Nachweis über ein Haushaltseinkommen in der vorgegebenen Höhe (Verpflichtungserklärung) nicht erbracht werden konnte? 10. Wie viele Anträge auf Aufnahme von syrischen Familienangehörigen wurden abgelehnt, weil andere Hinderungsgründe vorlagen? Bitte differenzieren nach Anzahl und Art der Hinderungsgründe. 11. Macht der Senat bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zum Familiennachzug Gebrauch von § 36 Absatz 2 Aufenthaltsgesetz, wonach zur „Vermeidung außergewöhnlicher Härten“ erleichterte Aufnahmebedingungen möglich wären? 12. Angesichts der extremen humanitären Katastrophe im Bürgerkriegsland Syrien und in den Flüchtlingscamps der Nachbarstaaten: welche Möglichkeiten sieht der Senat, den Familiennachzug landesrechtlich unbürokratischer und mit deutlich niedrigeren Hürden für die aufnehmenden und aufzunehmenden Personen zu gestalten? 13. In welchem Rahmen, mit welchen konkreten Initiativen und mit welcher Zielsetzung setzt sich der Senat für erleichterte Einreisen und Aufenthaltserlaubnisse für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge ein? Wie beurteilt der Senat in diesem Zusammenhang die FRONTEX-Einsätze im östlichen Mittelmeer, bei denen beispielsweise am 25. Januar 2014 zwölf Menschen u. a. aus Syrien ertranken, als ihr Boot von der griechischen Marine mit hoher Geschwindigkeit in die Türkei zurückgeschleppt worden ist? Kristina Vogt und Fraktion DIE LINKE D a z u Antwort des Senats vom 5. Mai 2014 1. Wie viele syrische Staatsangehörige sind seit Anfang 2011 nach Bremen gekommen (bitte aufschlüsseln nach Aufenthaltstitel und Jahr der Einreise)? Im Land Bremen lebten am 31. März 2014 1 381 syrische Staatsangehörige (792 Männer/589 Frauen). Hiervon sind: 131 Personen (79 männlich/52 weiblich) im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels , 664 Personen (370 männlich/294 weiblich) im Besitz eines befristeten Aufenthaltstitels aus völkerrechtlichen bzw. humanitären Gründen, 148 (60 männlich/88 weiblich) Personen im Besitz eines befristeten Aufenthaltstitels aus familiären Gründen, 43 Personen (36 männlich/sieben weiblich) im Besitz eines befristeten Aufenthaltstitels zu Ausbildung- bzw. Erwerbszwecken, 162 Personen (109 männlich/53 weiblich) im Besitz einer Aufenthaltsgestattung und 23 Personen (16 männlich/sieben weiblich) im Besitz einer Duldung. Bei 66 Personen (34 männlich/32 weiblich) sind die Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels noch nicht abschließend entschieden. 144 Personen verfügen über sonstige Aufenthaltsrechte bzw. einen abgelaufenen Aufenthaltstitel, dessen Verlängerung noch nicht beantragt wurde. — 3 — Zugezogen sind seit 2011: 160 syrische Staatsangehörige im Jahr 2011 (133 Bremen/27 Bremerhaven), 255 syrische Staatsangehörige im Jahr 2012 (225 Bremen/30 Bremerhaven), 365 syrische Staatsangehörige im Jahr 2013 (324 Bremen/41 Bremerhaven), 117 syrische Staatsangehörige im 1. Quartal 2014 (93 Bremen/24 Bremerhaven). Eine Unterteilung nach Aufenthaltstiteln und Geschlecht im Einreisejahr ist nicht möglich, da nur aktuell vorhandene Speicherungen statistisch ausgewertet werden können. 2. Wie viele syrische Staatsangehörige sind aufgrund des Aufnahmebeschlusses von Bund und Ländern vom Mai 2013 in Bremen bisher aufgenommen worden? Mit wie vielen Aufnahmen auf Grundlage des Aufnahmebeschlusses rechnet der Senat bis Ende des Jahres? Die 5 000 syrischen Flüchtlinge, die aufgrund der Anordnung des Bundesministeriums des Innern vom 30. Mai 2013 in Deutschland Aufnahme finden, werden nach dem Königsteiner Schlüssel den Bundesländern zugewiesen. Bremen hat danach 47 Flüchtlinge aufzunehmen. Bisher sind 45 Flüchtlinge aufgenommen worden. Der Senat geht davon aus, dass das Bremer Kontingent bis Jahresmitte ausgeschöpft ist. 3. Wie viele syrische Staatsangehörige sind aus besonderen politischen Interessen (§ 22 AufenthG) aufgenommen worden? Es sind keine syrischen Staatsangehörigen aus besonderen politischen Interessen (§ 22 AufenthG) aufgenommen worden. 4. Wie viele syrische Staatsangehörige sind im Rahmen des Resettlement-Programms nach Bremen gekommen? Es sind keine syrischen Staatsangehörigen im Rahmen des Resettlement-Programms nach Bremen gekommen. 5. Wie viele syrische Staatsangehörige sind im Rahmen des Erlasses vom 9. September 2013 zu in Bremen lebenden Verwandten nachgezogen? Nach einer Mitteilung des Auswärtigen Amtes wurden bisher 22 Visa aufgrund der Bremer Aufnahmeanordnung erteilt. Eingereist sind davon bisher 16 syrische Staatsangehörige. 6. Wie viele Anträge auf Aufnahme von wie vielen Personen im Rahmen des Familiennachzuges sind in Bremen im gleichen Zeitraum gestellt worden? Für 90 syrische Staatsangehörige wurde die Aufnahme beantragt. 7. Wie lange dauert die behördliche Bearbeitung eines Antrages auf Familiennachzug im Schnitt? Die Bearbeitungsdauer des Antrags in den Ausländerbehörden dauert etwa 45 Minuten pro Person, für die ein Antrag gestellt wird. Dies umfasst die Aufnahme und Prüfung des Antrags sowie die Weiterleitung an die zuständige Auslandsvertretung Deutschlands. Soweit kein Termin vergeben wurde, konnten beide Ausländerbehörden in der Regel die Anträge auch von sogenannten Laufkunden (ohne Termin) annehmen und bearbeiten. Die Ausstellung des Visums erfolgt sodann durch die deutsche Auslandsvertretung (Botschaft). Die deutschen Auslandsvertretungen in den Anrainerstaaten Syriens haben seit Ausbrechen des Syrienkonflikts erhebliche Antragsmengen zu bewältigen. Daneben ist es für die Betroffenen aufgrund der dortigen Sicherheitslage teilweise schwierig, die Botschaften zu erreichen. Dies hat dazu geführt, dass die Einreise erst einige Monate nach Antragstellung erfolgen konnte. Das Auswärtige Amt hat in den vergangenen Monaten erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Antragsmengen, unter anderem auch die Syrienaufnahmen aufgrund der beiden 5 000er-Kontingente, schneller bewältigen zu können, was zwischenzeitlich zu einer merklichen Beschleunigung der Verfahren geführt — 4 — hat. So wurden die Anträge für zwei über die Bremische Aufnahmeanordnung am 15. April nach Deutschland eingereisten syrische Flüchtlinge erst zwei Wochen vorher gestellt. 8. Wie stellt sich der Höhe des jeweils vorzuweisenden Haushaltseinkommens (Verpflichtungserklärung) für den Nachzug von Familienangehörigen aktuell dar? Bitte aufschlüsseln nach Anzahl der im Haushalt lebenden und der aufzunehmenden Personen. Die Abgabe einer Verpflichtungserklärung setzt voraus, dass der Verpflichtungsgeber über eine ausreichende Bonität verfügt. Diese bemisst sich nach seinen familiären Verhältnissen und wird unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenzen geprüft. Wegen des humanitären Hintergrundes der Aufnahmeaktion hat es der Senator für Inneres und Sport in Abstimmung mit der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen für vertretbar erachtet, für Einreisen aufgrund der Bremer Aufnahmeanordnung vom 9. September 2013 reduzierte Einkommensgrenzen anzuwenden, indem die aufzunehmenden Flüchtlinge als Familienmitglied und nicht als Gast der Familie bewertet werden. Aus den beiden nachfolgen Tabellen sind beispielhaft die Einkommensgrenzen für die Aufnahme eines Flüchtlings und von zwei Flüchtlingen zu ersehen. Die Ausländerbehörden wurden zudem gebeten, geringfügige Unterschreitungen außer Betracht zu lassen. Einreise eines Flüchtlings Einladende Familie in Bremen Einkommensgrenze lt. Pfändungstabelle monatlich in € Einkommensgrenze für Verpflichtungserklärungen betr. Familienangehörige aus Syrien monatlich in € Alleinstehender Verwandter 1 540 1 440 Verheiratet ohne Kinder 2 130 1 660 Verheiratet ein Kind 2 520 1 880 Verheiratet zwei Kinder 3 030 2 100 Einreise von zwei Flüchtlingen Einladende Familie in Bremen Einkommensgrenze lt. Pfändungstabelle monatlich in € Einkommensgrenze für Verpflichtungserklärungen betr. Familienangehörige aus Syrien monatlich in € Alleinstehender Verwandter 2 040 1 660 Verheiratet ohne Kinder 2 820 1 880 Verheiratet ein Kind über 3 200 2 320 Verheiratet zwei Kinder über 3 200 2 320 9. Wie viele Anträge auf Aufnahme von syrischen Familienangehörigen wurden abgelehnt, weil der Nachweis über ein Haushaltseinkommen in der vorgegebenen Höhe (Verpflichtungserklärung) nicht erbracht werden konnte? Diese Daten wurden statistisch nicht erfasst. 10. Wie viele Anträge auf Aufnahme von syrischen Familienangehörigen wurden abgelehnt, weil andere Hinderungsgründe vorlagen? Bitte differenzieren nach Anzahl und Art der Hinderungsgründe. Diese Daten wurden statistisch nicht erfasst. 11. Macht der Senat bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zum Familiennachzug Gebrauch von § 36 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz, wonach zur „Vermeidung außergewöhnlicher Härten“ erleichterte Aufnahmebedingungen möglich wären? Die Aufnahme syrischer Flüchtlinge hat humanitären Charakter und ist nicht an die hohen Voraussetzungen geknüpft, die für den Familiennachzug gelten. Insbesondere im Hinblick auf die Passpflicht und den Lebensunterhalt bietet die Bremer Aufnahmeanordnung einen größeren Entscheidungsspielraum als die Regelungen im Aufenthaltsgesetz. — 5 — Insofern sieht der Senat keine Notwendigkeit, über die allgemeine Anwendbarkeit hinaus, Regelungen zu § 36 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz zu treffen. 12. Angesichts der extremen humanitären Katastrophe im Bürgerkriegsland Syrien und in den Flüchtlingscamps der Nachbarstaaten: welche Möglichkeiten sieht der Senat, den Familiennachzug landesrechtlich unbürokratischer und mit deutlich niedrigeren Hürden für die aufnehmenden und aufzunehmenden Personen zu gestalten? Die Aufnahme von Flüchtlingen setzt eine landesrechtliche Anordnung voraus, die gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 Aufenthaltsgesetz des Einvernehmens des Bundesministeriums des Innern bedarf. Zu der Anordnung vom 9. September 2013 und der Verlängerungsregelung vom 17. März 2014 hat das Bundesministerium des Innern jeweils sein Einvernehmen erklärt. Die formellen aufenthaltsrechtlichen Rahmenbedingungen, wie z. B. die Identitätsfeststellung und das Visumverfahren , können landesrechtlich nicht beeinflusst werden. Eine weitere Absenkung der Einkommensgrenzen sowie die Übernahme von Krankheits- und Unterkunftskosten würden allerdings den Personenkreis der Familienangehörigen vergrößern, die Verwandte aufgrund der Bremer Aufnahmeanordnung einladen könnte. Dadurch wären zusätzliche Belastungen für den Haushalt unumgänglich. Der Senat ist der Auffassung, dass nur ein gemeinsames Handeln des Bundes und der Länder die Gewähr dafür bietet, verlässliche Voraussetzungen für die Aufnahme einer größeren Zahl syrischer Flüchtlingen zu schaffen. Er setzt sich deshalb im Rahmen der aktuellen Verhandlungen dafür ein, dass das Aufnahmekontingent des Bundes weiter erhöht wird. 13. In welchem Rahmen, mit welchen konkreten Initiativen und mit welcher Zielsetzung setzt sich der Senat für erleichterte Einreisen und Aufenthaltserlaubnisse für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge ein? Wie beurteilt der Senat in diesem Zusammenhang die FRONTEX-Einsätze im östlichen Mittelmeer, bei denen beispielsweise am 25. Januar 2014 zwölf Menschen u. a. aus Syrien ertranken, als ihr Boot von der griechischen Marine mit hoher Geschwindigkeit in die Türkei zurückgeschleppt worden ist? Der Senat hält es für notwendig, die deutschen Bemühungen zur Unterstützung syrischer Flüchtlinge fortzusetzen und zusätzlich eine europäische Strategie zu entwickeln. Der Bundesminister des Innern ist dazu von den Innenministern und -senatoren der Länder aufgefordert worden, sich weiterhin für eine gesamteuropäische Aufnahmeaktion einzusetzen. Die Innenministerkonferenz wird in ihrer nächsten Sitzung im Juni 2014 über das weitere Vorgehen einer weiteren Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland beraten. Der Senat bedauert die tragischen Ereignisse im Mittelmeer, bei denen wiederholt auch Todesopfer zu beklagen waren. An der Grenzüberwachung im Mittelmeer ist er allerdings weder unmittelbar noch mittelbar beteiligt. Dem Senat ist eine Bewertung derartiger Einsätze europäischer Institutionen und anderer Mitgliedstaaten daher nicht möglich. Der Senat setzt sich auf europäischer Ebene dafür ein und hält es für unabdingbar, konsequente Maßnahmen zu ergreifen, die das Risiko, dass Menschen auf dem Weg nach Europa ihr Leben verlieren, minimieren. Der Grundsatz der Nichtzurückweisung und die Pflicht zur Seenotrettung müssen umfassend beachtet werden. Druck: Anker-Druck Bremen