— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 1417 (zu Drs. 18/1378) 03. 06. 14 Mitteilung des Senats vom 3. Juni 2014 Herkunft und Verbleib von Kulturgütern – Provenienzforschung in Bremen Die Fraktion der CDU hat unter Drucksache 18/1378 eine Große Anfrage zu obigem Thema an den Senat gerichtet. Der Senat beantwortet die vorgenannte Große Anfrage wie folgt: 1. Welche Bedeutung misst der Senat der Provenienzforschung bei, und wie sind Senat und die senatorischen Behörden integriert bzw. involviert? Der Senat misst der Provenienzforschung eine herausragende Bedeutung bei. Provenienzforschung und ein sensibler, wissenschaftlich fundierter Umgang mit Raubkunstfällen ist heute unverzichtbar und ein wichtiger Bestandteil der Pflege des Sammlungsbestandes der Einrichtungen. Der Senator für Kultur wird durch die Einrichtungen hinzugezogen, wenn es zu Restitutionsersuchen kommt oder Einrichtungen eine Rückgabe beabsichtigen bzw. mit den Berechtigten über eine finanzielle Kompensation anstelle einer Rückgabe verhandeln möchten. Die Provenienzforschung selber wird von den Einrichtungen als eine ihrer wichtigen Aufgaben selbstständig wahrgenommen. Eine maßgebliche Rolle bei der Entscheidung über eine Rückgabe hat die Freie Hansestadt Bremen nur dort, wo sie Eigentümerin eines betroffenen Objekts ist. 2. Wie ist die Provenienzforschung bei staatlichen und privaten Kultureinrichtungen im Land Bremen organisiert, und welche Ressourcen stehen hierfür zur Verfügung ? Welche anderen bremischen Einrichtungen, wie beispielsweise Hochschulen , befassen sich darüber hinaus mit der Provenienzforschung? Provenienzforschung gehört zum Standard in den bremischen Museen, seien sie staatlich oder in privatrechtlicher Trägerschaft. Sie ist Bestandteil der regelmäßigen Arbeit der in den Einrichtungen tätigen Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftler . Es ist daher nicht möglich, sie als besondere Organisationseinheit zu definieren oder nach Arbeitsanteilen darzustellen. Als regelmäßige Aufgabe wird sie mit den allgemeinen Finanzmitteln der Einrichtung abgedeckt. Wenn besondere Forschungsprojekte aufgelegt werden, sind diese in der Regel zusätzlich finanziell unterlegt. Finanzierende Stelle ist in vielen Fällen die „Arbeitsstelle für Provenienzforschung beim Institut für Museumsforschung Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz“ – im Weiteren: Arbeitsstelle für Provenienzforschung. Seit 2009 stehen der Kunsthalle jährlich ca. 95 000 ‡, davon 60 000 ‡ von der Arbeitsstelle für Provenienzforschung und 35 000 ‡ aus Eigenmitteln zur Verfügung . Finanziert wurde damit ein Projekt von Oktober 2010 bis Dezember 2013, das die Untersuchung der Gemälde aus den Bremer Sammlungen Blome, Glosemeyer und Oelze (80 Bilder, vier Skulpturen und 40 Papierarbeiten) betraf . Als Folge des Forschungsprojekts in der Kunsthalle sind auch im ÜberseeMuseum Verdachtsfälle in der völkerkundlichen Sammlung zutage getreten, die derzeit genauer untersucht werden. Sollte sich der Verdacht erhärten, wird ein Förderantrag bei der Arbeitsstelle für Provenienzforschung gestellt werden. Das aktuell laufende Anschlussprojekt der Kunsthalle von April 2014 bis März 2015 dient der Überprüfung des gesamten Gemäldebestands auf Verdachtsfälle — 2 — von NS-Raubkunst (ca. 600 Gemälde). Am 1. Oktober 2014 wird eine Fortsetzung bei der Arbeitsstelle für Provenienzforschung um ein weiteres Jahr beantragt werden, um die Verdachtsfälle in Einzelanalysen zu untersuchen und gegebenenfalls eine Restitution an die Erben der Eigentümer einzuleiten. Die in der Kunsthalle für die Projekte eingestellte Provenienzforscherin wird vom Personal der Kunsthalle unterstützt. In den Museen Böttcherstraße gab es bislang einen Werkvertrag für eine Provenienzforscherin in den Jahren 2006/2007. Dafür wurden 6 000 ‡ von der Stadt Bremen zur Verfügung gestellt. Provenienzforschung findet auch außerhalb der Kultureinrichtungen statt. Aus dem Bereich der Hochschulen ist die Staats- und Universitätsbibliothek bereits seit 1991 mit der Problematik NS-Raubgut befasst, also bereits lange vor der Verabschiedung des Washingtoner Abkommens 1998. Der zufällige Fund eines Nutzers gab damals den Anstoß für die systematische Erforschung eines spezifischen Teils des Zugangs der Bibliothek in den Jahren 1942 und 1943. In den Neunzigerjahren wurde eine umfassende Provenienzrecherche beauftragt, den identifizierten Bibliotheksbestand bzw. den in Rede stehenden Zugang der Jahre 1942 und 1943 aktiv zu untersuchen. Die betroffenen Bestände wurden über die erhaltenen Zugangsbücher ermittelt und ausfindig gemacht. Von den dokumentierten ca. 1 600 Bänden konnten bis heute 330 Bücher namentlich zugeordnet werden, von denen bis 2009 der größte Teil (insgesamt 290) an Besitzerinnen /Besitzer und Erbinnen bzw. Erben aus aller Welt restituiert wurde. Abgeschlossene Projekte in der Staats- und Universitätsbibliothek sind „Systematische Bestandsrecherche zum NS Raubgut“(1991 bis 1998) sowie „Erstellung einer Datenbank zum NS-Raubgut“ (2008 bis 2009). Hinzu kommen die Ausstellungen „Seligmann’s Bücher“ 2005 und „Eigentümer gesucht“ 2009. Die Veröffentlichung der Publikation „Auf den Spuren der Eigentümer“, die zur Ausstellung Seligmann’s Bücher von der Staats-und Universitätsbibliothek Bremen 2004 herausgegeben wurde, ist mit Unterstützung diverser Beteiligter möglich geworden. Die Finanzierung erfolgte aus Eigenmitteln. Für das Projekt „Erstellung einer Datenbank“, in der alle ermittelten NS-Raubgutidentifizierten Buchtitel aufgenommen und alle restituierten Bände dokumentiert wurden, ist ein Betrag von ca. 30 000 ‡ aus Mitteln der Staats- und Universitätsbibliothek aufgewendet worden. Der Antrag zum Projekt „Systematische Bestandsforschung zum NSRaubgut unter Berücksichtigung der Zugänge des Kunst- und Buchhändlers Blome und der Buchhandlung Leuwer“ wurde im Mai 2014 bei der Arbeitsstelle für Provenienzforschung gestellt. Eine voraussichtliche Projektlaufzeit ist auf zwei Jahre ausgerichtet: Oktober 2014 bis Oktober 2016; die beantragte Fördersumme beläuft sich auf 135 000 ‡, zusätzlich werden Eigenmittel von 75 000 ‡ aufgewendet . Die Staats- und Universitätsbibliothek war 1991 die erste Bibliothek in Deutschland , die Erfahrungen auf dem Gebiet der Provenienzforschung gesammelt hat. Diese Aktivitäten galten jahrelang als wegweisend für weitere Aktivitäten im deutschen Bibliothekswesen. Zu Sammlungen von Privatleuten kann der Senat keine Auskunft erteilen. Wie private Sammler oder Kunsthändler außerhalb öffentlich finanzierter Einrichtungen in privater Trägerschaft mit Raubkunst umgehen, ist dem Senat weder generell noch hinsichtlich möglicher Einzelfälle bekannt. 3. Wie wird die Vernetzung der auf dem Gebiet der Provenienzforschung tätigen Bremer Akteure untereinander und mit den zuständigen Stellen des Bundes und anderer Länder sichergestellt? Welche Bremer Verbindungen, Kooperationen und Gespräche gibt es gegebenenfalls darüber hinaus auf internationaler Ebene? Kooperation der Bremer Akteure aufseiten der Einrichtungen gibt es mit anderen Kultureinrichtungen, sowohl national als auch international, aufseiten des Kulturressorts mit den Vertreterinnen/Vertretern des Bundes, der Arbeitsstelle Provenienzrecherche und der Koordinierungsstelle Magdeburg sowie der anderen Länder. Insgesamt gibt es eine enge Zusammenarbeit der beteiligten Akteure auf allen relevanten Ebenen. — 3 — Die Bremer Museen arbeiten in allen Fragen kooperativ zusammen, auch in Fragen der Provenienzrecherche. Zum Kulturgutschutz insgesamt – der jedoch weitere Fragen als die Restitution umfasst – arbeiten die Länder in einer BundLänder -Arbeitsgruppe zusammen, an der auch Vertreter der Koordinierungsstelle Magdeburg teilnehmen. Auch in konkreten Restitutionsfällen arbeitet der Senator für Kultur eng mit den betroffenen Einrichtungen, der Koordinierungsstelle Magdeburg und der Arbeitsstelle Provenienzrecherche zusammen. Wesentliche Beispielsfälle zur Kooperation der Bremer Museen sowie der Staatsund Universitätsbibliothek im Bereich Provenienzforschung werden im Folgenden dargestellt: Die mit der Provenienzforschung befassten Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter der Kunsthalle Bremen gehören seit 2010 dem Arbeitskreis für Provenienzforschung an, der sich zweimal jährlich zu einer Tagung trifft. Im kommenden November wird die Kunsthalle Bremen die Herbsttagung ausrichten und die ca. 200 Mitglieder des Arbeitskreises für zwei Tage nach Bremen einladen. Mitglieder sind vor allem die Provenienzforscherinnen/Provenienzforscher an deutschen, aber auch österreichischen, Schweizer und US-amerikanischen Museen, Bibliotheken und Archiven (öffentliche Institutionen), darüber hinaus auch Forscherinnen/ Forscher beim Kunsthandel sowie freiberuflich tätige Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftler . Die Mitglieder tauschen sich auch über ein spezielles Online-Portal der Arbeitsstelle für Provenienzforschung, Berlin, aus. Auf diese Weise sind die Provenienzforscherinnen/Provenienzforscher der Kunsthalle Bremen mit den Kollegen an anderen Häusern in ständigem Kontakt. Es gibt ferner eine enge Zusammenarbeit der Kunsthalle mit der Koordinierungsstelle Lost Art in Magdeburg und der Forschungsstelle für Entartete Kunst in Berlin/Hamburg. Das Focke-Museum arbeitet seinerseits eng mit der Kunsthalle zu deren Provenienzforschungsprojekt zum Sammler Arnold Blome zusammen. Objekte von Gerhard Marcks wurden vor 1933 vor allem von jüdischen Privatsammlern gesammelt, und die meisten seiner Werke in deutschen Sammlungen wurden 1937 beschlagnahmt. Es gibt daher schon lange gute Verbindungen des Gerhard-Marcks-Hauses zu internationalen Provenienzforschern. Da es sich bei Marcks oft um Werke in Auflagen handelt, ist die Recherche zum konkreten Objekt oftmals mit großen Problemen verbunden. Im Fall von komplizierten Sammlungsgeschichten werden Forscher durch das Gerhard-Marcks-Haus unterstützt . Die Staats- und Universitätsbibliothek arbeitet bei ihren unter 2. dargestellten Projekten mit der Universität Bremen, der Kunsthalle Bremen, dem Staatsarchiv Bremen, dem Landesmuseum (Oldenburg), der Koordinierungsstelle Magdeburg, der Arbeitsstelle Provenienzforschung (Berlin) sowie der Commission for Looted Art (London) zusammen. Das Übersee-Museum leitet eine Arbeitsgruppe im Rahmen der Fachgruppe Naturkundemuseen im Deutschen Museumsbund zum Thema „Provenienzforschung “. Diese erstellt einen Leitfaden. Hierin werden Kriterien erarbeitet, die den Museen Unterstützung bei der Recherche nach entsprechenden Verdachtsfällen gibt. Der Abschlussbericht wird in Kürze veröffentlicht. 4. Welche Regelungen und Verfahren gibt es allgemein zur Herkunftsforschung der Bestände und beim Neuerwerb von Kulturgütern, und wie werden diese in Bremen umgesetzt? Spezifische Regelungen im Sinne von Vorgaben gibt es zum Umgang der Einrichtungen zur Herkunftsforschung nicht. Zum Washingtoner Abkommen gibt es Handreichungen, mit denen die Einrichtungen arbeiten und an denen sie sich orientieren. Es gibt zur Provenienzforschung wissenschaftliche Standards, die von Museen und Bibliotheken mit etabliert wurden und auf deren Grundlage sie arbeiten. Die Kustoden überprüfen z. B. bei der Kunsthalle im Fall von Neuzugängen, die vor 1945 entstanden sind, ob diese bei der Koordinierungsstelle Lost Art Magdeburg gesucht werden. Hinzu tritt bei den Einrichtungen, für die dies in der Sache wegen der betroffenen Objekte infrage kommt, eine regelmäßige Zusammenarbeit mit der Berliner Forschungsstelle „Entartete Kunst“. Gegebenenfalls werden anlassbezogen gezielt weitere Provenienzrecherchen durchgeführt. — 4 — Da Provenienzforschung ein sehr kompliziertes Verfahren ist, können die Museen nicht bei allen Erwerbungen, bei denen ein Zusammenhang mit möglicher Raubkunst nicht erkennbar ist – wie z. B. bei Objekten alltagskultureller Art im Focke-Museum – eine flächendeckende Provenienzprüfung vor Neuzugang durchführen. Die Überprüfung von Objekten des Kunsthandwerks ist z. B. kaum umfassend zu leisten, da sie im älteren Handel selten photografisch dokumentiert sind. Im Auktionshandel sind Auskünfte über Vorbesitzer nicht üblich. Das Gerhard-Marcks-Haus hat über die Jahre sein Wissen über das Werk von Gerhard Marcks schrittweise erweitert, sodass dort inzwischen für (fast) jede Skulptur von Marcks, die auf dem Markt auftaucht, Aussagen über die Provenienz gemacht werden können. Nach Erwerb führt das Haus eine präzise Forschung durch. 5. Wie gehen staatliche und private Kultureinrichtungen vor, wenn bei einem Kulturgut a) ein Verdacht auf Raubkunst besteht, b) der Verdacht auf Raubkunst bewiesen wurde, und der rechtmäßige Besitzer ausfindig gemacht werden konnte, c) der Verdacht auf Raubkunst zwar bewiesen, der rechtmäßige Besitzer aber nicht gefunden werden konnte? Die Fragestellung trennt den Verdacht vom Beweis auf Raubkunst. Eine Aufteilung in die drei genannten Kategorien ist zwar abstrakt naheliegend, in der Praxis aber wenig hilfreich, da die Trennung zwischen Beweis- und Verdachtsfällen oftmals im Ergebnis nicht zielführend ist. Dies liegt zum einen daran, dass das Washingtoner Abkommen nicht vom Beweis eines Raubkunstfalles ausgeht, sondern eine unter dort definierten Voraussetzungen eintretende Vermutungswirkung eines verfolgungsbedingten Entzugs ausreichen lässt, um einen Raubkunstfall annehmen zu können. Zum anderen kann in einer Vielzahl von Fällen der Sachverhalt hinsichtlich Raubkunst nicht voll geklärt werden, sodass es bei einem Verdachtsfall bleibt. Oftmals lassen sich auch die Tatsachen, die eine Vermutungswirkung nach dem Washingtoner Abkommen begründen können, nicht in vollem Umfang verifizieren. Hinzu tritt, dass der rechtmäßige ehemalige Eigentümer in nahezu allen Fällen nicht mehr am Leben ist und nicht in allen Fällen klare Erbverhältnisse bestehen. Auch unter den Erbinnen bzw. Erben gibt es in diesen Fällen nicht selten, wie sonst auch, Erbstreitigkeiten. Die Sachverhalte sind daher in vielen Fällen auf allen Ebenen nicht eindeutig, sodass es letztendlich eine Einschätzungsfrage ist, wie im Einzelfall verfahren wird. Die Freie Hansestadt Bremen gibt, wo sie verfügungsberechtigt ist, in Fällen, in denen ein Verdacht auf Raubkunst zweifelsfrei bewiesen ist und der rechtmäßige Besitzer oder Erbe ebenso zweifelsfrei feststeht, das betreffende Objekt zurück oder bemüht sich gegenüber der/dem Berechtigten um eine finanzielle Kompensation, wenn das betroffene Objekt für die Sammlungsbestände der Einrichtung von wesentlicher Bedeutung ist. Die Einrichtungen verfahren mit Objekten , über die sie selber verfügungsberechtigt sind, ebenso. Nur als ein Beispiel unter vielen bekennt sich der Kunstverein ausdrücklich dazu, unrechtmäßig entzogene Kunstwerke an die Erbinnen bzw. Erben der Vorbesitzerinnen/ Vorbesitzer zurückzugeben und Zweifelsfälle weiter zu erforschen, bis die Fakten klar sind. Steht der Restitutionsberechtigte nicht fest, ist eine Rückgabe nicht möglich. Die Einrichtungen versuchen aber, wenn der Raubkunstverdacht bei ihnen selber ermittelt wurde, mit potenziellen Erbinnen bzw. Erben Kontakt aufzunehmen. So hat der Kunstverein es beispielweise bei einem Gemälde von Vivarini und bei einer Zeichnung von Cavedone getan. In den Fällen, in denen es nicht möglich ist, Erbinnen bzw. Erben der rechtmäßigen Eigentümer aufzufinden, wird das betreffende Werk mit allen bekannten Fakten der Entzugsgeschichte in der Lost Art Datenbank der Koordinierungsstelle Magdeburg veröffentlicht. Die Koordinierungsstelle unterstützt und berät die Museen (und auch Privatleute) bei der Suche nach den Erbinnen bzw. Erben. Dies dient dem Zweck, dass ein potenzieller Berechtigter Kenntnis von den Objekten erlangen und sich melden kann. Ein bloßer Verdachtsfall reicht für die Rückgabe aus, wenn die Voraussetzungen des Washingtoner Abkommens und der dazu erstellten Handreichungen erfüllt sind, um eine Vermutungswirkung zu begründen. In diesen Fällen — 5 — wird der Rückgabe eine Forschungstätigkeit zur Provenienz vorgeschaltet, um gegebenenfalls die Vermutungswirkung widerlegen zu können. Gelingt dies nicht, werden die Objekte zurückgegeben. In unklaren Fällen kann im Einvernehmen beider Seiten auch die „Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz“, die sogenannte Limbach-Kommission, eingeschaltet werden, die auf der Grundlage des Washingtoner Abkommens als Mediatorin zwischen den betroffenen öffentlichen Sammlungen und den ehemaligen Eigentümern der Kulturgüter bzw. deren Erben eine Empfehlung für oder gegen eine Rückgabe abgibt. 6. Zu welchem Anteil sind die Bestände der einzelnen staatlichen und privaten Kultureinrichtungen im Land Bremen hinsichtlich ihrer Herkunft gesichert erforscht ? Welchen Status haben gegebenenfalls die nicht vollständig gesichert erforschten Kunstwerke, und wie wird mit diesen verfahren? Die auf Provenienz untersuchten Anteile der Bestände differieren sehr nach Einrichtungen . Sehr umfassend untersucht sind die Bestände des Gerhard-MarcksHauses (ca. 99 %) und des Ludwig-Roselius-Museums (vollständig mit Ausnahme des Münzbestandes). In der Kunsthalle sind die 120 Werke (80 Gemälde und 40 Papierarbeiten), die aus den Sammlungen Arnold Blome, Heinrich Glosemeyer und Hugo Oelze in die Kunsthalle kamen, bereits untersucht worden. Es läuft derzeit ein Forschungsprojekt mit dem Ziel, bis Ende März 2015 den gesamten, nach 1933 erworbenen und vor 1945 entstandenen Gemäldebestand (ca. 600 Gemälde) der Kunsthalle Bremen überblicksmäßig nach verdächtigen Provenienzen zu überprüfen. Die dabei herausgefilterten Verdachtsfälle werden anschließend in vertieften Provenienzrecherchen untersucht. Der Anteil an NS-Raubkunst im umfangreichen Bestand von Papierarbeiten (Zeichnungen, Aquarelle und Druckgrafiken) und im Skulpturenbestand ist bislang noch nicht bekannt. Im Focke-Museum wurden die Inventarbucheintragungen der Dreißiger- und Vierzigerjahre überprüft und entsprechende Objektrecherchen durchgeführt. Zweifelhafte Fälle wurden in das Lost Art Register der Koordinierungsstelle Magdeburg eingestellt. Aus der Staats- und Universitätsbibliothek sind nach den Zugangszahlen 1933 bis 1948 rd. 86 000 Bände in den Bestand übernommen worden. Nach vorsichtiger Schätzung sind davon ca. 20 000 Bände als raubgutverdächtig einzuschätzen . Das Übersee-Museum ist nur am Rande betroffen, da das Gros der Sammlungsbestände des Übersee-Museums aus der Zeit vor 1933 stammt. Danach ging der Sammlungszugang deutlich zurück. Vielfach erhielt das Übersee-Museum nach 1945 und erhält heute Sammlungsbestände, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg zusammengetragen wurden und die häufig aus erster Hand und nicht aus Nachlässen stammen. 7. Welche Fälle sind dem Senat bekannt, wo im Land Bremen einstmals von den Nationalsozialisten gestohlene Kulturgüter wiedergefunden werden konnten? Wie ist es zu diesen Funden gekommen, und mit welchem Ergebnis sind die Restitutionsbemühungen im Einzelnen geendet? Rückgaben hat es bislang aus den Beständen der Kunsthalle (vergleiche Anlage ), des Focke-Museums und der Staats- und Universitätsbibliothek gegeben. In einem Restitutionsfall der Museen Böttcherstraße kam es zu einer finanziellen Lösung anstelle der Rückgabe. Die Rückgabefälle der Kunsthalle sind in einer beigefügten Liste der Kunsthalle aufgeführt. Alle 290 Rückgaben der Staats- und Universitätsbibliothek erfolgten durch das Projekt „Systematische Bestandsrecherche zum NS Raubgut“. Sie sind daher Ergebnis eigener Forschungsbemühungen. Alle Restitutionen sind über die Datenbank dokumentiert. Informationen zum Projekt finden sich auf den Webseiten der Staats- und Universitätsbibliothek unter: http://www.suub.unibremen .de/infos/ns-raubgut/. — 6 — Der bislang einzige Restitutionsfall des Focke-Museums ist durch eigene Nachforschungen zustande gekommen, bevor sich in der Sache ein Rechtsanwalt mit einer Restitutionsanfrage gemeldet hat. In den Museen Böttcherstraße war der Fall durch die umfassende Erforschung des Bestandes des Ludwig-RoseliusMuseums zustande gekommen. Über die Erforschung und die Lösung im LudwigRoselius -Museum ist in einer Veröffentlichung der Koordinierungsstelle Magdeburg („Die Verantwortung dauert an, Beiträge deutscher Institutionen zum Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“, Magdeburg 2010) berichtet worden. Derzeit laufen drei Restitutionsanfragen eines Anwaltsbüros in Vertretung der oder auch nur einiger Erben. Der Senat kann über diese laufenden Fälle nur Auskunft über die Vorgehensweise erteilen, die wissenschaftliche Bewertung ist nicht abgeschlossen. Dies betrifft in zwei Fällen Rückgabeersuchen konkreter und tatsächlich in den Einrichtungen vorhandener Gegenstände, in einem Fall vorgeschaltet noch die Anfrage, ob die Objekte tatsächlich in der Einrichtung vorhanden sind. In einem Fall sind neben Objekten in Bremen auch Objekte in anderen Bundesländern betroffen. Dazu ist im Jahre 2013 eine Arbeitsgruppe der betroffenen Einrichtungen, Kommunen oder Länder bei der Arbeitsstelle Provenienzrecherche eingerichtet worden. Sie hat gemeinsam über einen Forschungsauftrag hinsichtlich zu klärender Fragen beraten, den die Freie Hansestadt Bremen dann mit Mitteln der Arbeitsstelle Provenienzrecherche in Auftrag gegeben hat. Die gemeinsame Beratung der noch vorläufigen Ergebnisse der Forschungsarbeit steht noch aus. Die Beteiligten sind bereits über die Arbeitsstelle Provenienzrecherche zur Beratung nach Bremen eingeladen worden. 8. Welche Kenntnis hat der Senat über Kulturgüter, die zurzeit des Nationalsozialismus bremischen Bürgerinnen und Bürgern entwendet wurden oder von ihnen zwangsverkauft werden mussten und gegebenenfalls bis heute verschollen sind? Auch Bremer Bürgerinnen und Bürgern wurden Kulturgüter und Haushaltsgegenstände bei den Zwangsauktionen (sogenannte Judenauktionen) in den Jahren 1941 bis 1943 geraubt. Es gibt dazu Archivalien und Publikationen mit Opfer - und Käufernamen im Staatsarchiv Bremen. Mehrere Mitglieder und Sammlerinnen /Sammler des Kunstvereins Bremen wurden während der NS-Zeit diskriminiert und verfolgt, darunter auch das Vorstandsmitglied Ernst Cohn, der eine bedeutende Kunstsammlung hatte. Hinzu kommen Anni Leuwer, Kunstund Buchhandlung Leuwer, die 1943 in Auschwitz umgekommen ist, und die Künstlerin Dora Bromberger, die 1941 in Minsk umgebracht wurde. In einem Projekt „Systematische Bestandsforschung zum NS-Raubgut unter Berücksichtigung der Zugänge des Kunst- und Buchhändlers Blome und der Buchhandlung Leuwer“ wird der Verdacht untersucht, inwieweit die Ankäufe während der Nazizeit Bremerinnen und Bremern als NS-Raubgut entzogen wurden. 9. Wie gestaltet sich in Bremen die Erforschung von Kulturgütern, die sich in Privatbesitz befinden und der Öffentlichkeit nicht frei zugänglich sind, und welche Probleme treten dabei auf? Der Senat hat über Bestände in Privatbesitz keine spezifische Kenntnis. Ob und wie Kulturgüter in Privatbesitz (d. h. von Privatleuten, die nicht öffentlich geförderte privatrechtliche Einrichtungen sind) erforscht werden, ist dem Senat nicht bekannt. Er kann darauf auch keinen Einfluss nehmen. 10. Wie bewertet der Senat die bislang in Bremen insgesamt gemachten Erfahrungen im Bereich der Provenienzforschung, und welchen Handlungsbedarf sieht er? Welche Pläne verfolgt der Senat, um die Herkunftsforschung weiter auszubauen und zu unterstützen? Der Senat bewertet die Erfahrungen in Bremen als durchweg positiv. Die Einrichtungen haben sich schon sehr lange und zum Teil zu einem sehr frühen Zeitpunkt dem Thema offensiv gestellt und große Anstrengungen unternommen , die Bestände zu erforschen. Eine Aufforderung des Senats, in diesem Feld tätig zu werden, benötigen die Einrichtungen nicht. Die Bereitschaft zur Restitution in Raubkunstfällen und zur Erforschung von Zweifelsfällen ist bei den Einrichtungen allgemein vorhanden. — 7 — Die Herkunftsforschung senatsseitig weiter auszubauen, ist daher nicht notwendig . Sie ist, wie zu Frage 2 beantwortet, regelmäßiger Bestandteil der Tätigkeit der Einrichtungen und dort Standard. Selbstverständlich konnten noch nicht in allen Einrichtungen alle Bestände, die infrage kommen, untersucht werden. Dem Zweck dienen aktuelle und auch in Zukunft noch aufzulegende weitere Forschungsprojekte. Anlage: Kunsthalle Bremen I. NS-verfolgungsbedingte Restitutionen seit 1945 1. Francesco Trevisani, Ornament mit Madonna, Zeichnung, 17. Jh. a) Sammlung Melitta und Dr. Michal Berolzheimer, München b) Ankauf 1950 Ackermann & Sauerwein, München c) 2013 Recherche und Anspruch durch die Erben d) 2013 Restitution an die Erben 2. Giacomo Cavedone, Rückenfigur, Zeichnung, 17. Jh. a) Sammlung Melitta und Dr. Michal Berolzheimer, München b) Ankauf 1941 Auktion Puppel, Berlin c) 2012 Eigenrecherche und Kontaktaufnahme d) 2013 Restitution an die Erben 3. Anonym (Ital.), Diana, Bronzeskulptur, 16. Jh. a) Sammlung Emma Budge, Hamburg b) Ankauf 1937 Auktion Graupe, Berlin c) Oktober 2009 von RA Kuhlentz für Erben Anspruch angemeldet d) November 2010 Restitution an die Erben 4. Umkreis Vivarini, Madonna mit Kind, Gemälde, um 1470, a) Sammlung Jacob und Rosa Oppenheimer b) Ankauf 1935 Auktion Graupe, Berlin c) 2006 Eigenrecherche und Kontaktaufnahme d) 2006 Restitution und Rückkauf von den Erben 5. Philipp Wouwermann, Apfelschimmel vor Schmiede, Gemälde a) Privatbesitz Plate, Bremen/Amsterdam; Slg. Amsinck, Hamburg b) Ankauf 1940 von Herrn Plate, Amsterdam (Niederlande) c) Restitution 1946: Anfang 1946 von der amerikanischen Militärregierung beschlagnahmt und am 6. November von einem holländischen Offizier aus der Kunsthalle abgeholt zur Restitution an den niederländischen Staat. Verbleib unbekannt. Beschlagnahmung wegen nachgewiesenen Ankaufs aus bremischen Privatbesitz in Amsterdam juristisch bedenklich. Hier könnten Restitutionsansprüche vonseiten der Kunsthalle bestehen! 6. Abraham Blomaert, Marktbauer, Gemälde a) Unbekannte Provenienz b) Ankauf 1940 im Kunsthandel in Amsterdam c) Restitution 1946: Anfang 1946 von der amerikanischen Militärregierung beschlagnahmt und am 6. November von einem holländischen Offizier aus der Kunsthalle abgeholt zur Restitution an den niederländischen Staat. Verbleib unbekannt. — 8 — 7. Abraham Blomaert, Marktbäuerin, Gemälde a) Unbekannte Provenienz b) Ankauf 1940 im Kunsthandel in Amsterdam c) Restitution 1946: Anfang 1946 von der amerikanischen Militärregierung beschlagnahmt und am 6. November von einem holländischen Offizier aus der Kunsthalle abgeholt zur Restitution an den niederländischen Staat. Verbleib unbekannt. 8. Ferdinand Bols, Knabe mit Pfirsichen, Gemälde a) Unbekannte Provenienz b) Ankauf 1940 im Kunsthandel in Amsterdam c) Restitution 1946: Anfang 1946 von der amerikanischen Militärregierung beschlagnahmt und am 6. November von einem holländischen Offizier aus der Kunsthalle abgeholt zur Restitution an den niederländischen Staat. Verbleib unbekannt. II. Aktuelle Verhandlung über Restitutionsanspruch der Erben: Ein Objekt • Sammlung Lieben bzw. Sammlung Erich Lederer, Wien III. Meldungen bei Lost Art Magdeburg a) Suchmeldungen von Kriegsverlusten der Kunsthalle, die ursprünglich aus jüdischem Besitz verfolgungsbedingt entzogen wurden: Fünf Objekte • Zwei Zeichnungen, Auktion 1933, Sammlung C. Glaser • Zwei Zeichnungen, Auktion 1938, Sammlung M. Berolzheimer • Eine Zeichnung, Auktion 1939, Sammlung S. Lämmle b) Fundmeldungen von Objekten im Bestand der Kunsthalle Bremen, bei denen der konkrete Verdacht besteht, dass sie verfolgungsbedingt entzogen wurden: Sieben Objekte • sieben bibliophile Bücher, 1945 Volksbücherei, davor Gestapo Bremen Dr. Brigitte Reuter Druck: Anker-Druck Bremen