— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 1524 Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 9. Juli 2014 Finanzierung medizinisch-therapeutischer Leistungen in der Frühförderung Wir fragen den Senat: 1. Ist der Senat der Auffassung, dass die mit den Krankenkassen verhandelte Pauschale für medizinisch-therapeutische Leistungen im Rahmen der Frühförderung ausreicht, um alle notwendigen Behandlungen für mehrfach behinderte Kinder zu erbringen? 2. Falls nein, welche Möglichkeiten sieht der Senat, um zukünftig eine ausreichende Finanzierung zu gewährleisten? 3. Kann der Träger einer Frühförderstelle selbst über den Umfang der zu erbringenden medizinisch-therapeutischen Leistungen entscheiden? 4. Sind dem Senat Fälle bekannt, in denen Frühförderstellen die Behandlungen aufgrund nicht ausreichender Finanzierung abbrechen mussten? 5. Sind dem Senat Fälle bekannt, in denen sich Eltern von mehrfach behinderten Kindern aufgrund der Finanzierungsproblematik der Frühförderzentren für Verordnungen von niedergelassenen Ärzten entscheiden? Wenn ja, wie bewertet der Senat dies? Dr. Stephan Schlenker, Dr. Maike Schaefer, Dr. Matthias Güldner und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen D a z u Antwort des Senats vom 12. August 2014 1. Ist der Senat der Auffassung, dass die mit den Krankenkassen verhandelte Pauschale für medizinisch-therapeutische Leistungen im Rahmen der Frühförderung ausreicht, um alle notwendigen Behandlungen für mehrfach behinderte Kinder zu erbringen? Die Vergütung der medizinisch-therapeutischen Leistungen erfolgt in Form einer zwischen den gesetzlichen Krankenkassen als medizinischen Rehabilitationsträgern nach dem SGB IX und der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAG) sowie der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) für die interdisziplinären Frühförderträger vertraglich vereinbarten Monatspauschale . Die Verhandlungen zur abschließenden Höhe der medizinisch-therapeutischen Pauschale sind ohne Beteiligung der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen oder des Magistrats der Stadtgemeinde Bremerhaven erfolgt . Es handelt sich um eine medizinisch-therapeutische Jahresdurchschnittspauschale , die nicht nach Art und Schwere der personenbezogenen Behandlungsbedarfe gestaffelt ist. Der unter Koordination der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen als Landesbehörde erarbeiteten Empfehlung zur Vereinbarung (bedarfsstufen-)differenzierter Fallpauschalen ist nicht gefolgt worden. Für die Stadtgemeinde Bremen beträgt die vertraglich vereinbarte Monatspauschale derzeit 123,18 ‡. Für die Stadtgemeinde Bremerhaven ist eine Anpassung der derzeitigen Pauschale (118,62 ‡) vorgesehen. Die Pauschale wird — 2 — zudem ganzjährig erstattet, d. h. auch für Monate bezahlt, in denen aufgrund von Ferienzeiten oder Therapiepausen keine medizinisch-therapeutische Therapie stattfindet. Die Pauschale ist das Ergebnis einer Mischkalkulation, d. h. die Kosten für Kinder mit höheren und für Kinder mit niedrigeren Therapiebedarfen werden als Durchschnitt erfasst. Die Kalkulationsdaten der Vertragsparteien zur vereinbarten Pauschale liegen dem Senat nicht vor; das gilt auch für Vergleichsdaten zur Ausgabenhöhe der Krankenkassen vor Inkraftsetzung der Pauschale. Der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen sowie dem Senator für Gesundheit gegenüber sind wiederholt Beschwerden über die unzureichende Höhe der Pauschale zugetragen worden. Diesen Beschwerden wurde seitens der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen in dem von ihr eingerichteten begleitenden Fachbeirat nachgegangen. Da personenbezogene medizinische Daten dem Vertrauens- und Datenschutz unterliegen, wurden die oben genannten Vertragsparteien ferner um Auswertung der Einzelfälle und gegebenenfalls Neuverhandlung gebeten. Auf dieser Grundlage haben die Krankenkassen auch der Kündigung der einzelnen Verträge mit dem Ziel der Neuverhandlung zugestimmt. Eine anonymisierte Auswertung der bisherigen Leistungsfälle liegt den beteiligten Fachressorts für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen sowie Gesundheit bisher nicht vor. Den Fachressorts ist jedoch bekannt, dass sich einzelne Antragsteller nach vorheriger Komplexleistungsdiagnostik für die Erbringung von Einzelleistungen zur Frühförderung entschieden haben. Die persönlichen Gründe hierfür waren unterschiedlich, sind aber im Einzelfall nicht explizit begründet worden, sodass hierzu keine näheren Auswertungen möglich sind. Im Rahmen dieser Kleinen Anfrage sind die Bremer Leistungserbringer der interdisziplinären Frühförderstellen, vertreten durch die Landesarbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände (LAG) sowie die Bremische Evangelische Kirche, um eine aktuelle schriftliche Stellungnahme zur Bewertung des Leistungsumfangs gebeten worden. Nach hierzu vorliegender Rückmeldung der Verhandlungspartner lässt sich die Frage der Auskömmlichkeit der Pauschalen zurzeit noch nicht beantworten. Nach Stellungnahme der Bremerhavener Leistungserbringer ist die Höhe der vereinbarten und auch einer an Bremen angepassten Pauschale voraussichtlich nicht ausreichend, um die notwendigen Therapien zu finanzieren. Allerdings ist anzumerken, dass die dortige Früherkennungsstelle (FEST) die Komplexleistungsdiagnostik erst im Herbst 2013 aufgenommen hat. Seitdem liegen 19 Anträge auf Komplexleistung vor, von denen bisher 17 bewilligt wurden . Die interdisziplinäre Förderung läuft nach zwischenzeitlich erfolgter Anerkennung interdisziplinärer Frühförderstellen somit erst an oder ist vor kurzem angelaufen. Eine fallspezifische bzw. fallübergreifende Auswertung im Gesamtbewilligungszeitraum /Jahresverlauf war daher noch nicht möglich. Eine statistische Erfassung bzw. Auswertung der Fälle, in denen Eltern sich gegen die Komplexleistung entschieden haben, liegt für die Stadtgemeinde Bremerhaven ebenfalls nicht vor. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Frage der Auskömmlichkeit der Pauschale auch aus Sicht des Senats noch nicht abschließend beurteilen. 2. Falls nein, welche Möglichkeiten sieht der Senat, um zukünftig eine ausreichende Finanzierung zu gewährleisten? Um den sachlichen, zeitlichen und finanziell unterschiedlichen Anforderungen behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder, insbesondere auch den schwer- und schwerstmehrfachbehinderten Kindern, gezielter entsprechen zu können, verfolgt die Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen weiterhin die Empfehlung zur Einführung leistungsdifferenzierter Fallpauschalen. Der Senator für Gesundheit sowie der Magistrat Bremerhaven haben sich dieser Empfehlung angeschlossen. Auch die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegebene wissenschaftliche Studie des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) mit dem Titel „Strukturelle und finanzielle Hindernisse bei der Umset- — 3 — zung der interdisziplinären Frühförderung gemäß § 26 Absatz 2 Nr. 2 in Verbindung mit §§ 30 und 56 Absatz 2 SGB IX“ weist u. a. auf eine Unterfinanzierung medizinisch-therapeutischer Leistungen hin. Dies auch im Verhältnis zu den heilpädagogischen Leistungen, die von den Jugend- und Sozialhilfeträgern finanziert werden und empfiehlt daher bei möglicher quotierter Kostenteilung einen deutlich höheren Kostenanteil der Krankenkassen. Es werden auf Bundes- und Länderebene Gespräche zur Nachjustierung geführt . Auf Grundlage der Bremischen Landesrahmenempfehlung zur Früherkennung und Frühförderung nach dem SGB IX (BremFrühE) ist die Durchführung einer landesweiten Evaluation vorgesehen. Laut Auftrag aus dem Jugendhilfeausschuss vom 22. Oktober 2013 soll diese insbesondere auch valide Aussagen zur Bedarfsgerechtigkeit von Leistungen für schwer- und schwerstmehrfachbehinderte Kinder ermöglichen. Über den oben genannten Fachbeirat wurde zwischenzeitlich eine Arbeitsgruppe Evaluation eingerichtet, die mit der Entwicklung eines konkreten Untersuchungskonzepts zur Selbst- bzw. Fremdevaluation beauftragt ist. Die Verabschiedung des Gesamtkonzepts soll auf Landesebene über die Vertragskommission erfolgen. Im Einvernehmen mit dem Magistrat Bremerhaven geht der Senat davon aus, dass nach Verabschiedung des Evaluationskonzepts auf der Datengrundlage 2014 insbesondere auch zur Frage des medizinisch-therapeutischen Leistungsrahmens eine aussagefähige Auswertung möglich wird. Soweit auf Basis der vereinbarten Selbstdokumentation bereits vorher ausreichende Bewertungsgrundlagen für kurzfristige Anpassungen bzw. eine Neuvereinbarung vorliegen , werden diese von den Vereinbarungspartnern im Rahmen der dargestellten Vertragsverhandlungen umzusetzen sein. 3. Kann der Träger einer Frühförderstelle selbst über den Umfang der zu erbringenden medizinisch-therapeutischen Leistungen entscheiden? Der Träger der Frühförderstelle entscheidet je nach fallspezifischer Notwendigkeit unter Beachtung der Empfehlung aus dem Förder-und Behandlungsplan der Früherkennungsstelle (FEST) über den Rhythmus der Leistungserbringung. Die Leistungen können gleichzeitig oder nacheinander, in gleicher oder in wechselnder Intensität erbracht werden. Der Träger bewegt sich dabei in dem ihm fallübergreifend zur Verfügung stehenden Finanzrahmen. Grundsätzlich ist seitens der Krankenkassen keine Festlegung der Therapiefrequenz durch die Früherkennungsstellen vorgesehen. Die örtlichen Früherkennungsstellen sprechen auf Grundlage ihrer interdisziplinären Diagnostik Empfehlungen für die im Einzelfall erforderlichen Förder- und Behandlungsschwerpunkte aus. Nur im Einzelfall sind medizinisch notwendige Frequenzen anzugeben , z. B. um konkrete Gesundheitsgefährdungen auszuschließen. In diesen besonderen Einzelfällen ist eine genaue Therapieempfehlung mit Frequenzangaben möglich. Diese Vorgabe ist von den Frühförderstellen einzuhalten. Die vorstehenden Regelungen wurden mit dem Vertrag über die Erbringung und Vergütung von Komplexleistungen zur Früherkennung und Frühförderung behinderter oder von Behinderung bedrohter Kinder durch interdisziplinäre Frühförderstellen gemäß § 30 SGB IX (BremFrühE) zwischen den Reha-Trägern und den Leistungserbringern vereinbart. Damit obliegt den Frühförderstellen die Umsetzung der Förderschwerpunkte in einem individuellen Förder- und Behandlungsplan sowie in einem mit den Antragstellern abzustimmenden Zeitplan zur Leistungserbringung. 4. Sind dem Senat Fälle bekannt, in denen Frühförderstellen die Behandlungen aufgrund nicht ausreichender Finanzierung abbrechen mussten? Nach Angaben der Krankenkassen sind dort keine entsprechenden Fälle bekannt . Auch vonseiten der Leistungserbringer liegen dem Fachressort hierzu keine Daten vor. 5. Sind dem Senat Fälle bekannt, in denen sich Eltern von mehrfach behinderten Kindern aufgrund der Finanzierungsproblematik der Frühförderzentren für Ver- — 4 — ordnungen von niedergelassenen Ärzten entscheiden? Wenn ja, wie bewertet der Senat dies? Den Krankenkassen sind keine Fälle bekannt. Der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen liegen vonseiten Dritter keine diesbezüglichen Rückmeldungen vor. Nach Angaben der dortigen Steuerungsstelle Frühförderung sind zwei Fälle bekannt, in denen die Komplexleistung auf Wunsch der Eltern und Empfehlung der Kinderärztin bzw. des Kinderarztes mit dem konkreten Hinweis auf unzureichende medizinisch-therapeutische Leistungen auf die Erbringung von ärztlich verordneten Einzelleistungen zurückgegangen sind. Inwieweit in diesen Fällen eine ausreichende medizinische Therapie auch durch die Frühförderstelle möglich gewesen wäre, kann vonseiten des Senats nicht beurteilt werden. Druck: Anker-Druck Bremen