— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 1528 Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 15. Juli 2014 Kraftfahrzeuge als Datensammler Viele moderne Fahrzeuge sammeln, meist vom Fahrzeughalter unbemerkt, zahlreiche Daten, etwa zu Geschwindigkeit, Bremseinsatz, Lenkverhalten und selbst zur Position des Fahrzeugs. Auch Daten wie die Öl- und Wischwasserstandsanzeige werden im Fahrzeug gespeichert. Sie werden später von Autowerkstätten und vom Fahrzeughersteller selbst genutzt. Laut Automobil Club Europa (ACE), sind 80 bis 100 „kleine Helfer“ damit beschäftigt, Daten zu sammeln. Fahrzeughersteller haben auch Interesse am Fahrzeugzustand. Sind die Bremsbeläge abgelaufen, bekommt der Fahrzeuginhaber einen Hinweis zur Reparatur. Die im Fahrzeug erfassten Daten werden teils im Fahrzeug gespeichert und später ausgelesen, teils direkt per Mobilfunk an den Hersteller übertragen. Einige Hersteller rüsten Autos darüber hinaus mit eCall-Systemen aus. Diese Systeme senden im Falle eines Unfalls beim Auslösen der Airbags automatisch einen Notruf mit der Positionsangabe des Unfallorts. Die Europäische Kommission hat vorgeschlagen, den Einsatz von eCall für alle neu zugelassenen Fahrzeuge ab 2015 verbindlich zu machen. Auch wenn am Ende des noch laufenden Gesetzgebungsprozesses die eCall-Verpflichtung möglicherweise mit starken Datenschutzanforderungen verbunden wird – das Europäische Parlament fordert ein Verbot der zweckwidrigen Nutzung der eCall-Daten – ist damit zu rechnen, dass sich durch die flächendeckende Einführung von eCall der Trend zur Datensammlung in Kraftfahrzeugen weiter massiv verstärken wird. Autobesitzer stimmen beim Fahrzeugkauf den Modalitäten der Datenspeicherung und -nutzung durch die Hersteller vertraglich zu. In den überwiegenden Fällen sind diese in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen festgehalten, die von den meisten Käufern ignoriert oder nur nachlässig gelesen werden. Die Autofahrer können zwar die Übertragung der Daten durch Entfernen der bordeigenen Sim-Karte stoppen – deaktivieren dabei aber in vielen Fällen auch die unter Umständen lebensrettende eCall-Funktion. Die starke Ausweitung der Erfassung der Daten in Kraftfahrzeugen kann, wie auch in vielen anderen Lebensbereichen, unerwartete Nutzungsmöglichkeiten dieser Daten inner- und außerhalb der Automobilhersteller nach sich ziehen, beispielsweise durch Versicherungen oder für je nach Aufenthaltsort und vorherigem Fahrverhalten angepasste , personalisierte Werbung. Ein Versicherungsunternehmen bietet bereits heute einen Tarif an, bei dem das Fahrverhalten des Kunden überwacht wird und er für einen risikoarmen Fahrstil mit einem Rabatt belohnt wird. Auch eine Nutzung der Daten durch Strafverfolgungsbehörden ist denkbar. Spezifische gesetzliche Regelungen zur Nutzung der in Kraftfahrzeugen gesammelten Daten existieren nicht. Wir fragen den Senat: 1. Wer stellt die für das eCall-System notwendige Empfangstechnik zur Verfügung? Wer wartet die Empfangsanlagen, und wer trägt die Kosten? 2. Ist dem Senat das Problem der Datensammlung durch Kraftfahrzeuge bekannt? 3. Können Fahrzeughalter feststellen, welche Daten erfasst und übertragen werden? 4. Liegen dem Senat Erkenntnisse vor, welche Daten in Kraftfahrzeugen gesammelt werden? — 2 — 5. Übertragen die Dienstfahrzeuge der Städte Bremen und Bremerhaven und der von der öffentlichen Hand beherrschten Unternehmen Daten an die Fahrzeughersteller ? Um welche Daten handelt es sich? Sind Personal- und Betriebsräte informiert? 6. Hält der Senat die derzeitigen Datenschutzgesetze mit Blick auf die hier dargelegten Probleme für ausreichend? 7. Plant der Senat, für die Fahrzeugflotten des Landes und der Städte Versicherungsverträge abzuschließen, bei denen im Zusammenhang mit Datensammlungen Rabatte gewährt werden? 8. Werden in Kraftfahrzeugen gesammelte Daten zu Zwecken der Strafverfolgung genutzt? Wolfgang Jägers, Rainer Hamann, Sükrü Senkal, Björn Tschöpe und Fraktion der SPD D a z u Antwort des Senats vom 26. August 2014 1. Wer stellt die für das eCall-System notwendige Empfangstechnik zur Verfügung? Wer wartet die Empfangsanlagen, und wer trägt die Kosten? Durch Beschluss Nummer 585/2014/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 wird die Einführung des interoperablen EU-weiten eCall-Dienstes erfolgen. Nach Artikel 2 des Beschlusses tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Bearbeitung von eCalls für die Nutzer der EU-weiten eCall-Dienste kostenlos ist. Der Einbau des eCall-Systems in das Kraftfahrzeug ist durch den jeweiligen Automobilhersteller in die neuen Fahrzeugmodelle und Lieferwagen vorzubereiten. Die im Fahrzeug montierten Geräte melden über ein öffentliches Mobilfunknetz einen Verkehrsunfall automatisch an die einheitliche europäische Notrufnummer 112. Dabei sollen Daten (z. B. Ortsangaben) und Sprache übertragen werden, um schneller und gezielter Rettungsmaßnahmen einleiten zu können. Damit eCall funktionieren kann, müssen auch die Rettungsleitstellen für den Empfang ausgerüstet sein. Die Übertragung der Sprache ist schon heute gewährleistet. Zur Auswertung der von den Fahrzeugen übertragenen Daten sind Anpassungen an den Einsatzleitsystemen (ELS) notwendig. Hard- und Softwareänderungen und Wartungsarbeiten an den ELS werden in der Regel ausschließlich vom Hersteller ausgeführt. Hinsichtlich der technischen Anbindung der Leitstellen können die Kosten noch nicht exakt quantifiziert werden. Kostenträger werden die Kommunen sein. Eine Teilrefinanzierung wird dabei über die Kostenträger des Rettungsdienstes zu erwarten sein. 2. Ist dem Senat das Problem der Datensammlung durch Kraftfahrzeuge bekannt? Das Problem der Datensammlung in Kraftfahrzeugen ist dem Senat bekannt, so z. B. im Bereich der Datenspeicherung in Kraftfahrzeugen zur Unterstützung von Wartungsarbeiten. 3. Können Fahrzeughalter feststellen, welche Daten erfasst und übertragen werden? Zur Auswertung der gespeicherten Daten sind spezielle Diagnosegeräte notwendig . Eine direkte Übertragung von Daten, z. B. an Hersteller ist bei hochwertigen Fahrzeugen möglich, die Auswertung der Daten für andere Fahrzeuge kann grundsätzlich nur in Kraftfahrzeugwerkstätten vorgenommen werden. Es ist davon auszugehen, dass dem Fahrzeughalter die notwendigen Gerätschaften zur Auswertung der Daten regelmäßig nicht zur Verfügung stehen beziehungsweise er die notwendigen Kenntnisse hierfür nicht hat. 4. Liegen dem Senat Erkenntnisse vor, welche Daten in Kraftfahrzeugen gesammelt werden? Bekannt sind die Erfassungen und Speicherungen von Daten über z. B. Laufleistung , Verbrauchsdaten, Füllständen und Abnutzungsgrad von Verschleißteilen. — 3 — Druck: Anker-Druck Bremen 5. Übertragen die Dienstfahrzeuge der Städte Bremen und Bremerhaven und der von der öffentlichen Hand beherrschten Unternehmen Daten an die Fahrzeughersteller ? Um welche Daten handelt es sich? Sind Personal- und Betriebsräte informiert? Eine direkte Übertragung der Daten aus Dienstfahrzeugen an die Fahrzeughersteller ist mit der derzeit vorhandenen Technik nicht möglich. Die Fachwerkstätten verfügen über die technische Ausstattung zum Auslesen sämtlicher Daten. Dazu ist nicht bekannt, ob die Datensätze weitergehende Informationen enthalten und diese gespeichert und/oder an die Fahrzeughersteller weitergegeben werden. 6. Hält der Senat die derzeitigen Datenschutzgesetze mit Blick auf die hier dargelegten Probleme für ausreichend? Für die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung in Kraftfahrzeugen gelten die allgemeinen datenschutzrechtlichen Regelungen. Der Senat geht davon aus, dass die Einführung des eCall-Systems datenschutzgerecht ausgestaltet wird. 7. Plant der Senat, für die Fahrzeugflotten des Landes und der Städte Versicherungsverträge abzuschließen, bei denen im Zusammenhang mit Datensammlungen Rabatte gewährt werden? Der Senat plant nicht, für die Dienstfahrzeuge des Landes und der Stadtgemeinde Bremen Versicherungsverträge abzuschließen, die die Gewährung von Rabattleistungen beinhalten. Die Dienstkraftfahrzeuge im Land und der Stadtgemeinde Bremen sind gegen Schadenersatzansprüche Dritter aus Unfällen durch Dienstkraftfahrzeuge beim Haftpflichtschadenausgleich Deutscher Großstädte versichert. Die Dienstkraftfahrzeuge der Stadt Bremerhaven sind über den kommunalen Schadenausgleich Hannover versichert. 8. Werden in Kraftfahrzeugen gesammelte Daten zu Zwecken der Strafverfolgung genutzt? Bislang liegen bei der Staatsanwaltschaft Bremen nur wenige unmittelbare Erfahrungen mit der Auswertung von Daten aus Kraftfahrzeugen zu Zwecken der Strafverfolgung vor. Soweit Fahrzeugdaten gespeichert und über den Fahrzeughersteller abrufbar sind, finden diese Daten Eingang in die Gutachten der Sachverständigen bei der Erstellung von unfallanalytischen Gutachten. Gleichfalls fließen diese Daten in Gutachten über Vergehen des Missbrauchs von Wegstreckenzählern gemäß § 22b Absatz 1 Straßenverkehrsgesetz ein. Darüber hinaus können die in Kraftfahrzeugen gesammelten Daten in einem weiteren Bereich für die Strafverfolgung von Bedeutung sein. Soweit GPS-gestützte Standortdaten beim jeweiligen Automobilhersteller auflaufen, können diese Daten ein Auffinden eines entwendeten Fahrzeuges ermöglichen, wobei die Nutzung dieser Daten regelmäßig mit Zustimmung des Eigentümers erfolgen dürfte. Sofern das Fahrzeug nicht mit einem isolierten GPS-Sender ausgestattet, sondern mit einer SIM-gestützten Notruffunktion ausgeliefert wurde, kann der Standort auch über einen Beschluss nach § 100g der Strafprozessordnung (Erhebung von Daten des Telekommunikationsverkehrs) ermittelt werden, sofern die IMSI (International Mobile Subscriber Identity) bekannt ist. Praktische Erfahrungen, die auf von der Staatsanwaltschaft Bremen geführten Ermittlungsverfahren beruhen, liegen allerdings nicht vor.