— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 1536 Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 29. Juli 2014 Kontodatenabfrage durch Behörden Seit 2005 erlaubt das Kreditwesengesetz (KWG) und die Abgabenordnung zahlreichen Behörden über das Bundeszentralamt für Steuern auf Antrag Einblick in die Kontodaten von Bürgern zu nehmen. Insbesondere Finanzämter und Sozialbehörden sollen somit mutmaßlichen Steuerbetrug oder mutmaßlichen Missbrauch von Sozialleistungen leichter aufdecken können. Einsehbar sind allgemeine Kontodaten (u. a. Name und Anschrift des Kontoinhabers, Datum der Einrichtung und gegebenenfalls Auflösung des Kontos), nicht jedoch Kontostand oder getätigte Umsätze. Im Regelfall müssen Betroffene über die Einsichtnahme informiert werden. Gemäß § 802l Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) dürfen seit 2013 außerdem Gerichtsvollzieher über das Bundeszentralamt Kontoinformationen erfragen. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Wie hat sich die Gesamtzahl der Kontodatenabrufe durch Behörden im Land Bremen in den Jahren 2007 bis 2013 entwickelt? 2. Wie oft haben in den Jahren von 2007 bis 2013 a) Jobcenter, b) Sozialämter, c) BAföG-Ämter, d) Wohngeldstellen im Land Bremen Kontodaten nach § 93 Abs. 8 Abgabenordnung abgerufen (bitte nach Jahren und Antragstellern aufschlüsseln)? 3. Wie oft haben in den Jahren von 2007 bis 2013 Finanzämter im Land Bremen Kontodaten nach § 93 Abs. 7 Abgabenordnung abgerufen? 4. Wie oft haben im Jahr 2013 Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher im Land Bremen Kontodaten nach § 802l Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) abgerufen? 5. Wie oft haben in den Jahren von 2007 bis 2013 Staatsanwaltschaft, Polizei oder Verfassungsschutz Kontendaten abgerufen (bitte nach Jahren und Antragstellern aufschlüsseln)? 6. In wie vielen Fällen wurden im genannten Zeitraum Anfragen aus Bremen durch das Bundeszentralamt für Steuern zurückgewiesen? 7. Auf welchem Weg werden betroffene Bürgerinnen und Bürger von den jeweiligen Behörden über einen Kontodatenabruf informiert? 8. Wie stellt der Senat bei Kontenabrufen die Verhältnismäßigkeit, insbesondere im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger, sicher? 9. In wie vielen Fällen haben im genannten Zeitraum Bremer Finanzämter nach einem Kontodatenabruf weitergehende Anfragen (insbesondere nach Kontostand und Kontenbewegungen) bei Kreditinstituten gestellt? — 2 — 10. In wie vielen Fällen kam es bei Kontodatenabrufen durch die unter 2. benannten Stellen zu einem Erkenntnisgewinn für die Behörden, d. h. zu einem Aufdecken von einem zuvor nicht angegebenen Konto? Rainer Hamann, Björn Tschöpe und Fraktion der SPD D a z u Antwort des Senats vom 2. September 2014 1. Wie hat sich die Gesamtzahl der Kontodatenabrufe durch Behörden im Land Bremen in den Jahren 2007 bis 2013 entwickelt? Die Gesamtzahl der Kontodatenabrufe durch Behörden im Land Bremen hat sich in den Jahren 2007 bis 2013 wie nachstehend dargestellt entwickelt: 2007 142, 2008 84, 2009 62, 2010 193, 2011 256, 2012 259, 2013 644. Der signifikante Anstieg der Fallzahl im Jahr 2013 ist darauf zurückzuführen, dass Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher seit dem 1. Janauar 2013 berechtigt sind, Kontenabrufersuchen an das Bundeszentralamt für Steuern zu richten (siehe Antwort zu Frage 4). 2. Wie oft haben in den Jahren von 2007 bis 2013 a) Jobcenter, b) Sozialämter, c) BAföG-Ämter, d) Wohngeldstellen im Land Bremen Kontodaten nach § 93 Abs. 8 Abgabenordnung abgerufen (bitte nach Jahren und Antragstellern aufschlüsseln)? In den Jahren von 2007 bis 2013 haben die genannten Behörden Kontodaten nach § 93 Abs. 8 Abgabenordnung in folgendem Umfang abgerufen: a) Jobcenter 2007 0, 2008 1, 2009 0, 2010 3, 2011 2, 2012 1, 2013 6. b) Sozialämter 2007 0, 2008 0, 2009 0, 2010 0, 2011 0, 2012 0, 2013 47. — 3 — c) BAföG-Ämter Die BAföG-Ämter haben in den Jahren von 2007 bis 2013 keine Kontodaten nach § 93 Abs. 8 Abgabenordnung abgerufen. d) Wohngeldstellen Die Wohngeldstellen haben in den Jahren von 2007 bis 2013 keine Kontodaten nach § 93 Abs. 8 Abgabenordnung abgerufen. 3. Wie oft haben in den Jahren von 2007 bis 2013 Finanzämter im Land Bremen Kontodaten nach § 93 Abs. 7 Abgabenordnung abgerufen? Die Finanzämter des Landes Bremen haben in den Jahren von 2007 bis 2013 Kontodaten nach § 93 Abs. 7 Abgabenordnung in folgender Anzahl abgerufen: 2007 142, 2008 83, 2009 62, 2010 190, 2011 254, 2012 258, 2013 279. 4. Wie oft haben im Jahr 2013 Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher im Land Bremen Kontodaten nach § 802l Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) abgerufen? Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher im Land Bremen haben im Jahr 2013 in 303 Fällen Kontodaten nach § 802l Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) abgerufen. 5. Wie oft haben in den Jahren von 2007 bis 2013 Staatsanwaltschaft, Polizei oder Verfassungsschutz Kontendaten abgerufen (bitte nach Jahren und Antragstellern aufschlüsseln)? Staatsanwaltschaft Die Abfrage von Kontodaten gehört zu den Standardmaßnahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Wie häufig die Staatsanwaltschaft in den Jahren von 2007 bis 2013 von diesem Instrument Gebrauch gemacht hat, ist nicht statistisch erfasst. Polizei Eine Statistik zur Anzahl von Kontoinhaberfeststellungen wird bei der Polizei nicht geführt. Die Anzahl ist nur mit erheblichem Aufwand in Form einer Einzelauswertung aller Ermittlungsverfahren recherchierbar, die mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht zu leisten ist. Verfassungsschutz Für das Landesamt für Verfassungsschutz Bremen bestehen keine nach § 93 Abs. 8 Abgabenordnung oder § 24c Abs. 3 KWG vergleichbaren gesetzlichen Regelungen zur Abfrage von Kontostammdaten beim Bundeszentralamt für Steuern. Eine solche Kompetenz ist unter bestimmten Bedingungen lediglich dem Bundesamt für Verfassungsschutz auf der Grundlage von § 8a Abs. 2a Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) eingeräumt worden. Ob und in welchem Umfang von dieser Befugnis Gebrauch gemacht wurde, ist dem Senat nicht bekannt. Mit Genehmigung des Senators für Inneres und Sport und Zustimmung der Kommission nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel-10-Gesetz – G 10) kann das Landesamt für Verfassungsschutz im Einzelfall bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsunternehmen und Finanzunternehmen Auskünfte einholen, sofern die engen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 BremVerfSchG erfüllt sind. Hiervon wurde in den Jahren 2007 bis 2013 in einem Fall Gebrauch gemacht. — 4 — 6. In wie vielen Fällen wurden im genannten Zeitraum Anfragen aus Bremen durch das Bundeszentralamt für Steuern zurückgewiesen? Die Zahl der vom Bundeszentralamt zurückgewiesenen Anfragen aus Bremen wird nicht statistisch erfasst. Für den Bereich der Finanzämter kann aber von einer im Schätzungswege ermittelten Zahl von ca. 15 Fällen ausgegangen werden . Hierbei handelt es sich um Fälle, in denen in dem Abrufersuchen Pflichtangaben fehlten oder fehlerhaft waren. 7. Auf welchem Weg werden betroffene Bürgerinnen und Bürger von den jeweiligen Behörden über einen Kontodatenabruf informiert? Finanzämter Nach § 93 Abs. 9 Abgabenordnung (AO) ist der Betroffene vor einem Abrufersuchen auf die Möglichkeit des Kontenabrufs hinzuweisen. Auf eine konkrete Anhörung vor einem Kontenabruf kann verzichtet werden, wenn dadurch der Ermittlungszweck gefährdet würde. Da im Vollstreckungsverfahren regelmäßig eine Gefährdung des Ermittlungszwecks zu befürchten ist, wenn der säumige Steuerschuldner vor einem Kontenabruf informiert würde, unterbleibt eine Information des Betroffenen vor Durchführung eines Kontenabrufs nach § 93 Abs. 9 Satz 3 Nr. 1 AO. Hat das Finanzamt aufgrund der Erkenntnisse aus einem Kontenabruf eine Kontopfändung vorgenommen, wird der Betroffene durch Übersendung der Abschrift der Pfändungsverfügung über den Kontenabruf informiert. Würde im Bereich des Besteuerungsverfahrens durch eine vorhergehende Information des Betroffenen der Ermittlungszweck gefährdet oder ergibt sich aus den Umständen des Einzelfalls, dass eine Aufklärung durch den Betroffenen selbst nicht zu erwarten ist, kann sich die Finanzbehörde nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AO unmittelbar an die betreffenden Kreditinstitute wenden. Der Betroffene ist in diesen Fällen nachträglich über die Durchführung des Kontenabrufs zu informieren . Wurden die Angaben des Betroffenen durch einen Kontenabruf bestätigt, ist er gleichwohl über die Durchführung des Kontenabrufs zu informieren, z. B. durch eine Erläuterung im Steuerbescheid: „Es wurde ein Kontenabruf nach § 93 Abs. 7 AO durchgeführt.“ Jobcenter Hinsichtlich der Information der betroffenen Leistungsempfänger durch die Jobcenter gilt die Handlungsempfehlung/Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit zum Kontoabrufverfahren (Fassung: 08/2007). Diese konkretisiert im Wesentlichen die normierten Informationspflichten bei Kontoabrufen aus § 93 Abs. 9 AO. Danach ist der Antragsteller vor der Durchführung eines Kontenabrufs auf die Möglichkeit des Kontoabrufs hinzuweisen, ein pauschaler Hinweis in Vordrucken und Merkblättern ist ausreichend. Nach der Durchführung eines Kontenabrufs ist der Antragsteller auch über das Ergebnis zu informieren. Sozialämter Den Betroffenen wird mitgeteilt, dass das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen gegebenenfalls durch einen Kontenabruf überprüft werden kann. Polizei Die Polizei informiert Betroffene nicht eigeninitiativ über eine derartige Abfrage im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Gleichwohl ist jeder Antrag auf und das Ergebnis von Kontodatenübermittlungen Bestandteil der Ermittlungsakte. Sobald der/die Betroffene als Beschuldigter gilt und Kenntnis von einem Ermittlungsverfahren erhält, kann Akteneinsicht beantragt werden . Dadurch ist die Möglichkeit eröffnet, dass der Beschuldigte Kenntnis über den Abruf von Kontostammdaten erhält. Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher Im Falle der Kontodatenabfrage durch Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher im Land Bremen wird der Schuldner gemäß § 802l Abs. 3 ZPO innerhalb von vier Wochen nach Eingang der Auskunft schriftlich durch den Gerichtsvollzieher oder die Gerichtsvollzieherin in Kenntnis gesetzt. — 5 — Dem Senat liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass den genannten rechtlichen Anforderungen in der Praxis nicht entsprochen worden wäre. 8. Wie stellt der Senat bei Kontenabrufen die Verhältnismäßigkeit, insbesondere in Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger, sicher ? Finanzämter Die verfahrensrechtlichen Grundlagen für Kontenabrufe durch Finanzbehörden sind neben den gesetzlichen Regelungen in §§ 93 Abs. 7 und 9, 93b AO im Anwendungserlass zur Abgabenordnung niedergelegt. Danach steht der Abruf von Kontodaten im Ermessen der ersuchenden Finanzbehörde und kann nur anlassbezogen und zielgerichtet erfolgen. Bei der Ausübung des Ermessens sind die Grundsätze der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, der Verhältnismäßigkeit der Mittel, der Erforderlichkeit, der Zumutbarkeit, der Billigkeit und von Treu und Glauben sowie das Willkürverbot und das Übermaßverbot zu beachten. Die Erforderlichkeit ist von der Behörde im Einzelfall im Wege einer Prognose zu beurteilen. Sie setzt keinen begründeten Verdacht dafür voraus, dass steuerrechtliche Unregelmäßigkeiten vorliegen. Es genügt vielmehr, wenn aufgrund konkreter Momente oder aufgrund allgemeiner Erfahrungen ein Kontenabruf angezeigt ist (vergleiche BVerfG-Beschluss vom 13. Juni 2007, 1 BvR 1550/03, 1 BvR 2357/03, 1 BvR 603/05). Die Verantwortung für die Zulässigkeit des Datenabrufs und der Datenübermittlung trägt die ersuchende Finanzbehörde (§ 93b Abs. 3 AO). Finanzamtsintern unterliegen Kontodatenabrufersuchen dem Zeichnungsvorbehalt des Hauptsachgebietsleiters für Verfahrensrecht, der regelmäßig auch Vertreter des Amtsleiters ist. In dem eigens hierfür zu verwendenden Vordruck „Dokumentation zum Kontenabruf“ sind die Gründe, die zu der Ermessensentscheidung geführt haben, anzuführen. Außerdem ist anzugeben, ob der Betroffene vor dem Abrufersuchen informiert worden ist bzw. warum davon abgesehen wurde. Die Rechtmäßigkeit eines Kontenabrufs nach § 93 Abs. 7 AO kann vom Finanzgericht im Rahmen der Überprüfung des Steuerbescheids oder eines anderen Verwaltungsakts, zu dessen Vorbereitung der Kontenabruf vorgenommen wurde , oder isoliert im Wege der Leistungs- oder (Fortsetzungs-)Feststellungsklage überprüft werden. Jobcenter Die Jobcenter sind durch die Handlungsempfehlung/Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit (Fassung 08/2007) gehalten, auf das Instrument der Kontoabfrage nur dann zurückzugreifen, wenn es zur Aufklärung des Sachverhalts kein ebenso geeignetes aber für den Betroffenen weniger belastendes Beweismittel gibt. Ferner sind anlassunabhängige oder routinemäßige Abrufe nicht zulässig. Polizei Die Wahrung der Verhältnismäßigkeit, die als allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung im Zusammenhang mit jedem Rechtseingriff geprüft wird, ist dadurch hinreichend sichergestellt, dass Kontoinhaberanfragen nur im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens aufgrund eines Gesetzes (KWG) erfolgen. Darüber hinaus wird die Maßnahme nur dann ergriffen, wenn andere Maßnahmen zur Täterermittlung nicht weiter führen. Daneben ist durch die Einbeziehung der Staatsanwaltschaft, als Herrin des Verfahrens, eine zweite und unabhängige Kontrollinstanz gegeben. Gerichtsvollzieher Gerichtsvollzieher handeln in der Zwangsvollstreckung selbstständig und unterstehen der Aufsicht des Gerichts. Die Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit einer Kontoabfrage sind in § 802I Abs. 1 Satz 2 ZPO geregelt. Dem Senat liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass die im jeweiligen Verfahrensrecht oder Datenschutzrecht geregelten Rechte Betroffener nicht beachtet worden wären. — 6 — 9. In wie vielen Fällen haben im genannten Zeitraum Bremer Finanzämter nach einem Kontodatenabruf weitergehende Anfragen (insbesondere nach Kontostand und Kontenbewegungen) bei Kreditinstituten gestellt? Die zur Beantwortung benötigten Daten werden nicht statistisch erfasst. Die weit überwiegende Zahl von Kontodatenabrufen erfolgte aus dem Bereich Vollstreckung . Sofern dabei bisher unbekannte Konten ermittelt wurden, wurden diese regelmäßig gepfändet. In diesen Fällen erübrigen sich weitergehende Anfragen nach Kontostand oder Kontenbewegungen. 10. In wie vielen Fällen kam es bei Kontodatenabrufen durch die unter 2. benannten Stellen zu einem Erkenntnisgewinn für die Behörden, d. h. zu einem Aufdecken von einem zuvor nicht angegebenen Konto? Die Zahl der Fälle, in denen Kontodatenabrufe durch die unter 2. benannten Behörden zu einem Erkenntnisgewinn geführt haben, wird nicht statistisch erfasst . Druck: Anker-Druck Bremen