— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 155 Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 3. November 2011 Schultrojaner Seit 2008 ist es verboten, ohne Genehmigung der Schulbuchverlage elektronische Kopien von urheberrechtlich geschützten Texten für den Unterricht zu verwenden. Im Dezember 2010 haben die Kultusministerien der Länder mit den Schulbuchverlagen und zwei Verwertungsgesellschaften einen „Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG“ geschlossen. In dem Vertrag heißt es unter Punkt 4: „Die Verlage stellen den Schulaufwandsträgern sowie den kommunalen und privaten Schulträgern auf eigene Kosten eine Plagiatssoftware zur Verfügung, mit welcher digitale Kopien von für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten Werken auf Speichersystemen identifiziert werden können. Die Länder wirken – die technische und datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit der Software vorausgesetzt – darauf hin, dass jährlich mindestens 1 % der öffentlichen Schulen ihre Speichersysteme durch Einsatz dieser Plagiatssoftware auf das Vorhandensein solcher Digitalisate prüfen lässt. Der Modus der Auswahl der Schulen erfolgt – aufgeschlüsselt nach Ländern und Schularten – in Absprache mit den Verlagen auf Basis eines anerkannten statistischen Verfahrens. Die Überprüfungen erfolgen ab Bereitstellung der Software, frühestens jedoch im zweiten Schulhalbjahr 2011/2012.“ Wir fragen den Senat: 1. An wie vielen Schulen im Land Bremen wird die Plagiatssoftware eingesetzt, aufgeschlüsselt nach Schularten? 2. Hat der Senat Bedenken bezüglich des Einsatzes dieser Software, und wie will der Senat sicherstellen, dass „die technische und datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit “ gegeben ist? 3. Wurde die Landesbeauftragte für den Datenschutz vor Unterzeichnung des Vertrags konsultiert? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, welche Stellungnahme hat die Landesbeauftragte für den Datenschutz dazu abgegeben? 4. Welche weiteren Institutionen, Behörden oder Senatsressorts wurden vor Unterzeichnung des Vertrags beteiligt? 5. Wie ist der Einsatz der „Späh-Software“ mit dem Dienstrecht und dem Personalvertretungsrecht vereinbar, und gibt es darüber schon eine abgeschlossene Prüfung ? 6. In welcher Form sollen die Schulen und die Personalräte einbezogen werden? 7. Was soll mit den erhobenen Daten geschehen, und wer darf diese Daten einsehen ? 8. Welche jährliche Summe zahlt die Bildungsbehörde an die Verwertungsgesellschaften , damit Urheberrechte gewahrt werden? 9. Welche Kosten erwartet das Land Bremen durch den Einsatz einer Plagiatssoftware und die Auswertung der Daten? 10. Welche Haltung hat der Senat gegenüber Äußerungen von Lehrerverbänden, Lehrerinnen und Lehrer seien mit diesem Vertrag einem Generalverdacht ausgesetzt ? — 2 — 11. Wie beurteilt der Senat den Einsatz einer Späh-Software, um Urheberrechtsverletzungen aufzuspüren, und wie hat der Senat bisher Verletzungen des Urheberrechts aufgespürt? 12. Hat der Senat Sanktionen in Erwägung gezogen für Fälle von Verstößen gegen das Urheberrecht bzw. gegen den Vertrag? Wenn ja, welche? Mustafa Öztürk, Sülmez Dogan, Björn Fecker, Dr. Matthias Güldner und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen D a z u Antwort des Senats vom 6. Dezember 2011 1. An wie vielen Schulen im Land Bremen wird die Plagiatssoftware eingesetzt, aufgeschlüsselt nach Schularten? Die in § 6 Abs. 4 des Gesamtvertrags zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG (im Folgenden: Gesamtvertrag) vorgesehene Plagiatssoftware existiert zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht. Dementsprechend wird sie derzeit an keiner Schule im Land Bremen eingesetzt. 2. Hat der Senat Bedenken bezüglich des Einsatzes dieser Software, und wie will der Senat sicherstellen, dass „die technische und datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit “ gegeben ist? Die von den Verlagen vorzulegende Plagiatssoftware liegt, wie unter 1. aufgeführt , derzeit noch nicht vor. Eine Einschätzung des Einsatzes dieser Software kann erst erfolgen, wenn sie von den Verlagen vorgelegt wird. Erst wenn die entsprechende Plagiatssoftware hergestellt ist, kann die gemäß § 6 Abs. 4 des Gesamtvertrages vorgesehene Prüfung dieser Software in datenschutzrechtlicher und technischer Hinsicht erfolgen. In die Prüfung der Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen wird die Landesbeauftragte für den Datenschutz und Informationsfreiheit einbezogen. Vor dem Einsatz der Software an Schulen bedarf es ferner der Zustimmung der Stadtgemeinden als Schulträger. 3. Wurde die Landesbeauftragte für den Datenschutz vor Unterzeichnung des Vertrags konsultiert? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, welche Stellungnahme hat die Landesbeauftragte für den Datenschutz dazu abgegeben? Die Landesbeauftragte für den Datenschutz und Informationsfreiheit wurde vor Unterzeichnung des Vertrages nicht konsultiert. Der Vertrag enthält den bekannten datenschutzrechtlichen Vorbehalt. Eine vorherige Beteiligung war daher nicht angezeigt. Sobald die Plagiatssoftware existiert, wird die Landesbeauftragte für den Datenschutz im Hinblick auf die Prüfung der datenschutzrechtlichen Unbedenklichkeit der Plagiatssoftware konsultiert. Es wird in Bremen keine Software ohne Prüfung durch die Landesbeauftragte für den Datenschutz und Informationsfreiheit an Schulen eingesetzt. 4. Welche weiteren Institutionen, Behörden oder Senatsressorts wurden vor Unterzeichnung des Vertrags beteiligt? Der Gesamtvertrag wurde zwischen allen Ländern unter der Federführung Bayerns einerseits sowie der VG Wort und weiteren Verwertungsgesellschaften sowie dem Verband der Schulbuchverlage Bildungsmedien e. V. (VdS) andererseits zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG im Dezember 2010 geschlossen. Die Kultusministerkonferenz hat diesem Vertrag in der 205. Amtschefkonferenz am 10. Februar 2011 zugestimmt und die Zustimmung der Finanzministerkonferenz eingeholt, die am 31. März 2011 erfolgte . — 3 — 5. Wie ist der Einsatz der „Späh-Software“ mit dem Dienstrecht und dem Personalvertretungsrecht vereinbar, und gibt es darüber schon eine abgeschlossene Prüfung? Die Plagiatssoftware würde nur zum Einsatz kommen, um den spezifischen, vertraglich erweiterten Auskunftsanspruch der Verlage gegenüber den Ländern zu erfüllen. Kein anderer Zweck wird damit angestrebt. Die Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit würde in einem Jahresbericht die Zahl der Fälle, in denen Digitalisate aus Schulbüchern auf Schulcomputern aufgefunden wurden, an die Rechteinhaber übermitteln und gegebenenfalls eine Aufstellung vornehmen, welche Werke in welchem Umfang betroffen waren. Diese Daten dienten ausschließlich als Grundlage für Verhandlungen zwischen den Ländern und den Schulbuchverlagen. In keinem Fall würden Schulnamen oder ähnliches an die Rechteinhaber weitergegeben. Ziel der Plagiatssoftware wäre es insbesondere nicht, festzustellen welche Lehrkräfte Digitalisate hergestellt haben. Aus dem Vertragstext ergibt sich zudem klar, dass in keinem Fall daran gedacht wird, private Rechner von Lehrkräften zu untersuchen. Insgesamt werden die vereinbarten Maßnahmen als solche angesehen, die alleine die Aufsicht über die Schulen betreffen und keine reglementierenden Auswirkungen auf das Personal oder deren Arbeitsbedingungen haben. Hiermit wird vielmehr die positive Erwartung verbunden, dass der Gesamtvertrag einen rechtssicheren Umgang mit Vervielfältigungen ermöglicht und Lehrkräfte vor individuellen Vergütungsansprüchen der Rechteinhaber schützt. Aus diesem Grund wird der Einsatz der Plagiatssoftware in der derzeit geplanten Weise mit dem Dienst- und Personalvertretungsrecht für vereinbar gehalten . Eine Beteiligung der Personalvertretungsgremien kann erst nach Vorliegen der Plagiatssoftware erfolgen. 6. In welcher Form sollen die Schulen und die Personalräte einbezogen werden? Die Personalvertretung soll im Rahmen ihrer Zuständigkeit in der üblichen Weise befasst werden, wenn die Plagiats-Software vorliegt. Die Auswahl der Schulen, an denen die Plagiatssoftware eingesetzt würde, hat gemäß § 6 Abs. 4 des Gesamtsvertrages auf der Basis eines anerkannten statistischen Verfahrens zu erfolgen. Die Schulen würden rechtszeitig über den Einsatz der Plagiatssoftware informiert werden. 7. Was soll mit den erhobenen Daten geschehen, und wer darf diese Daten einsehen ? Vergleiche Antwort zu Frage 5. 8. Welche jährliche Summe zahlt die Bildungsbehörde an die Verwertungsgesellschaften , damit Urheberrechte gewahrt werden? Nach dem Gesamtvertrag erfolgt die Berechnung nach dem Königsteiner Schlüssel. Für 2011 beträgt der Zahlungsbetrag für Bremen 69 746 ‡. 9. Welche Kosten erwartet das Land Bremen durch den Einsatz einer Plagiatssoftware und die Auswertung der Daten? Nach § 6 Abs. 4 Gesamtvertrag erfolgt die Bereitstellung der Plagiatssoftware auf Kosten der Verlage. Eine Aussage über die erwarteten Kosten der Auswertung der Daten kann zum derzeitigen Zeitpunkt nicht erfolgen, da die infrage stehende Plagiatssoftware und damit Daten über die Inanspruchnahme von Werken bislang nicht vorliegt. 10. Welche Haltung hat der Senat gegenüber Äußerungen von Lehrerverbänden, Lehrerinnen und Lehrer seien mit diesem Vertrag einem Generalverdacht ausgesetzt ? Der Senat teilt die in der Frage zum Ausdruck gebrachte Auffassung nicht. Der Abschluss eines Vertrages war wegen der Gesetzeslage unausweichlich. Aufgrund der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des — 4 — Druck: Anker-Druck Bremen Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (Urheberrechtsrichtlinie – UrhRil) betrieb und betreibt das federführende Bundesministerium der Justiz eine Reihe von Urheberrechtsreformen (sogenannte Körbe 1 bis 3) zum Schutz des geistigen Eigentums. Insbesondere der am 1. Januar 2008 in Kraft getretene „zweite Korb“ hatte dabei erhebliche Auswirkungen auch auf die Bildungs- und Wissenschaftsbereiche. In den Gesetzesmaterialien kann nachgelesen werden, welche erheblichen Anstrengungen die Kultus- und Wissenschaftsressorts (einschließlich der KMK) unternommen haben, auf die Gesetzgebung im Sinne der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit Einfluss zu nehmen . Dies ist nur zum Teil geglückt. Der Abschluss des Vertrages dient ausdrücklich dem Schutz von Schulen und ihren Beschäftigten, indem sie vor Ansprüchen aus § 53 Abs. 3 UrhG und aus Urheberrechtsverletzungen durch pauschale Abgeltungen geschützt werden. 11. Wie beurteilt der Senat den Einsatz einer Späh-Software, um Urheberrechtsverletzungen aufzuspüren, und wie hat der Senat bisher Verletzungen des Urheberrechts aufgespürt? Anders als es der Begriff „Schultrojaner“ suggeriert, würde es sich bei dem Einsatz der von den Verlagen zu entwickelnden Plagiatssoftware um eine angekündigte , offene und transparente Maßnahme handeln. Die Software würde demgemäß auch nach Durchführung der Überprüfung vollständig von dem Server der überprüften Schule gelöscht. Der Gesamtvertrag regelt die Möglichkeit von Vervielfältigungen für den Unterrichts - und Prüfungsgebrauch aus urheberrechtlich geschützten Werken. Ohne eine solche Vereinbarung wäre das Fotokopieren „eines Werkes, das für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmt ist“, gemäß § 53 Abs. 3 UrhG „stets nur mit Einwilligung des Berechtigten“ gegen entsprechende Vergütung zulässig . Durch die Vereinbarungen des Gesamtvertrags werden Lehrkräfte vor individuellen Vergütungsansprüchen der Rechteinhaber geschützt. Als Gegenleistung für die pauschale Abgeltung der Urheberrechte musste jedoch ein unbegrenztes (digitales) Kopieren aus Schulbüchern verhindert werden . Hintergrund hierfür ist auch, dass Schulbuchautoren und -verlage nahezu ausschließlich Schulen als Kunden haben. Ihr Anliegen und das Anliegen der Verwertungsgesellschaften, ihr geistiges Eigentum nicht unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, sind daher durchaus nachvollziehbar. Urheberrechtsverletzungen wurden und werden in aller Regel durch die Rechteinhaber verfolgt. Neben Schadenersatzansprüchen steht ihnen dabei bekanntermaßen auch das Strafrecht (z. B. § 106 UrhG) zur Seite. Ziel des Senats war daher nicht ein „Aufspüren“ der Verletzungen, sondern die Beratung der Schulen zur Vermeidung von Verletzungen des Urheberrechts im Rahmen von Informationsschreiben und Informationsveranstaltungen, u. a. im Landesinstitut für Schule. 12. Hat der Senat Sanktionen in Erwägung gezogen für Fälle von Verstößen gegen das Urheberrecht bzw. gegen den Vertrag? Wenn ja, welche? Es geht nicht um Verstöße gegen das Urheberrecht, sondern um die Frage der Inanspruchnahme bzw. des Fotokopierens von Werken, um damit eine Grundlage zu schaffen, wie und in welcher Höhe eine pauschale Abgeltung gerechtfertigt ist.