— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 1565 Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 1. September 2014 Auswirkungen eines Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Kanada (CETA) Im August 2014 wurde den Mitgliedstaaten der EU der Vertragstext für ein Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA) übermittelt. Nach Presseberichten hat die Bundesregierung den Vertragsentwurf dem Bundestag und dem Bundesrat, also auch den Landesregierungen, zur Stellungnahme mit sehr engen Fristen übermittelt. Das Abkommen mit Kanada wird allgemein über den eigenen Geltungsbereich hinaus als „Blaupause“ für ein mögliches Abkommen mit den USA (TTIP) gesehen, zumal es auch für kanadische Tochterfirmen von US-Unternehmen gelten würde. Die wachsenden Befürchtungen in den Parlamenten und der Zivilgesellschaft, dass in diesen Abkommen wichtige Umwelt-, Verbraucher-, Sozial- und Datenschutzstandards abgesenkt werden könnten, gelten daher auch für CETA. Zudem droht die Einführung von Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren und damit die Gefahr, dass künftig durch Klagen von Unternehmen nationale Rechtssysteme unterlaufen werden. Wir fragen den Senat: 1. Liegt dem Senat das Verhandlungsergebnis für CETA (EU-Dok. 132/2014–139/ 2014) zur Stellungnahme vor? In welcher Weise hat der Senat gegenüber der Bundesregierung Stellung genommen? 2. Wie bewertet der Senat das vorliegende Verhandlungsergebnis? Entspricht der Entwurf sinngemäß den Anforderungen, die die Bürgerschaft (Landtag) in ihrem Beschluss vom 21. Mai 2014 (Drs. 18/1395) für ein Abkommen mit den USA formuliert hat? In welchen Punkten sieht der Senat Änderungsbedarf (siehe auch Fragen 5 bis 18)? 3. Welche Kenntnisse hat der Senat über den Zeitplan für den Abschluss des Abkommens und der Ratifizierung in den Mitgliedstaaten der EU? 4. Geht der Senat davon aus, dass der Bundestag und der Bundesrat einer Ratifizierung des Abkommens zustimmen müssen? 5. Sind nach Auffassung des Senats die Vertragsbestimmungen in CETA in Sachen Investorenschutz weitgehend identisch mit den Vorschlägen, die von der Kommission im Konsultationsverfahren zum Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren zu TTIP vorgestellt worden sind? Welchen Wert hat dann noch die sehr breit genutzte öffentliche Konsultation der Kommission zu diesem Thema? 6. In der Diskussion über Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren in TTIP wird in Deutschland überwiegend die Auffassung vertreten, dass solche Verfahren zwischen Wirtschaftsräumen mit sicheren und verlässlichen Rechtssystemen nicht notwendig, sondern gefährlich sind, indem sie ausländischen Investoren Sonderrechte einräumen. Gilt dies nach Auffassung des Senats auch für die EU und Kanada? 7. Welche Haltung hat der Senat im Besonderen zu der Tatsache, dass eine Berufungsinstanz nicht zwingend vorgeschrieben werden soll, und dass ausländische Investoren sich unmittelbar an die Schiedsgerichte wenden können, inländische jedoch nicht? — 2 — 8. Geht der Senat davon aus, dass eine Aufnahme des Investitionsschutzkapitels in CETA eine präjudizierende Wirkung auf TTIP haben wird? 9. Welche Chancen und Risiken sieht der Senat im vorliegenden CETA-Abkommen für die deutsche Land- und Lebensmittelwirtschaft? 10. Wird sich die EU-Zulassungspraxis für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) ändern, da die Zulassungsverfahren für GVO in Kanada eher auf der Risikoeinschätzung der Hersteller basieren? Könnte die EU nach CETA-Abschluss ihre Zulassungsverfahren noch auf sozio-ökonomische und ethische Gesichtspunkte erweitern? Wäre eine erweiterte Kennzeichnungspflicht erschwert oder unmöglich gemacht? Wie bewertet der Senat die Tatsache, dass das Ziel der regulatorischen Kooperation bei GVO mit Kanada nicht die Sicherung eines hohen Schutzniveaus für Verbraucherinnen und Verbraucher und die Umwelt sein soll, sondern die Minimierung von Handelshemmnissen? 11. Ist nach Auffassung des Senats in CETA das staatliche „Recht zur Regulierung“ („Right to regulate“) vor Investorenklagen geschützt? Was bedeutet es, dass Umweltregulierungen der EU in Zukunft mit CETA „vereinbar“ sein müssen? 12. Wird das CETA-Abkommen nach Auffassung des Senats direkte oder indirekte Auswirkungen auf die Regulierung von Fracking in Deutschland haben? Welche Klagemöglichkeiten für ausländische Investoren könnten sich ergeben? 13. Welche Dienstleistungen werden über die bisherigen Regelungen hinaus liberalisiert , und wie bewertet der Senat dies? 14. Gibt es in CETA Regelungen, die die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in der EU erschweren könnten? 15. Wird nach Auffassung des Senats durch das Abkommen der Spielraum für künftige Rekommunalisierungen durch „standstill“- oder „ratchet“-Klauseln beschnitten ? 16. Wie beurteilt der Senat die Anwendung von Negativlisten für Ausnahmen im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge im Vergleich zum Positivlistenansatz ? Wie wird sich dies in Deutschland auswirken? Welche Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge sind von den Negativlisten oder anderen Regeln nicht erfasst und damit nicht vor Liberalisierungsverpflichtungen geschützt? 17. Wie beurteilt der Senat die Tatsache, dass der Vertragsentwurf für die EU keine generelle Ausnahme für Kultur vorsieht, sondern nur für audiovisuelle Dienstleistungen , während die Ausnahmen für Kanada umfassender sind? 18. Teilt der Senat die Auffassung, dass sich restriktive Durchsetzungsinstrumente im Urheberrecht, die bei ACTA gescheitert sind, im CETA-Abkommen wiederfinden ? Wie steht der Senat dazu? Dr. Hermann Kuhn, Dr. Matthias Güldner und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen D a z u Antwort des Senats vom 30. September 2014 Im Herbst 2006 legte die EU-Kommission (EU-KOM) die Mitteilung „Ein wettbewerbsfähiges Europa in einer globalen Welt“ vor, in der sie die künftigen Schwerpunkte der europäischen Handelspolitik skizzierte. Wichtiger Bestandteil dieser Strategie ist die Verbesserung des Zugangs der europäischen Wirtschaft zu Märkten in Drittländern . Dafür muss die EU Rahmenbedingungen schaffen, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft verbessern und eventuelle Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Ländern ausgleichen. Ein Schwerpunkt liegt dabei zum einen auf dem Abschluss der WTO-Verhandlungen zur Doha-Runde, zum anderen auf der Umsetzung und Weiterentwicklung unterschiedlicher europäischer Freihandelsinitiativen, die als Ergänzung des multilateralen Handelssystems dienen sollen. In diesem Zusammenhang stehen auch die Verhandlungen zwischen der EU-KOM und Kanada über das „Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA)“. — 3 — Nach Vorprüfungen und einer gemeinsam von Kanada und der EU-KOM durchgeführten Studie über die Kosten und Nutzen einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den beiden Wirtschaftsräumen („EU-Canada Joint Study“), die im Ergebnis positive Effekte auf beiden Seiten, z. B. in Bezug auf Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze, prognostizierte, wird das CETA-Abkommen seit 2009 verhandelt . Nach mehrjährigen Verhandlungen wurde Ende 2013 schließlich ein Durchbruch erreicht. Der Abschluss der Verhandlungen auf „technischer Ebene“ erfolgte am 1. August 2014, die Übersendung der Verhandlungsdokumente an die Mitgliedsstaaten am 5. August 2014. Das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat daraufhin am 6. August 2014 die Dokumente auch an die Bundesländer weitergegeben. Der Senat befürwortet grundsätzlich Bestrebungen zu Liberalisierung des Welthandels durch den Abbau von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der sehr starken Exportorientierung der bremischen Wirtschaft und der positiven Effekte von Handel für die bremische Hafenund Logistikwirtschaft. Handelsliberalisierung kann jedoch nicht um jeden Preis erfolgen , sondern muss unter Wahrung der in der EU und ihren Mitgliedstaaten geltenden Gesetze und Schutzniveaus erfolgen, darf öffentliche Regelungskompetenzen nicht unterwandern und bedarf keiner Regelungen zum Investitionsschutz, wenn die Rechtssysteme der beteiligten Länder dies nicht erforderlich machen. Hierbei ist der inhaltliche Rahmen durch den Beschluss der Bürgerschaft (Landtag) vom 21. Mai 2014 (Drs. 18/1395) für ein Abkommen mit den USA gesetzt. Multilaterale Handelsabkommen sind nach Auffassung des Senats bi- und plurilateralen Handelsabkommen vorzugswürdig. Daher liegt nach Einschätzung des Senats eine Priorität auf dem Abschluss der Doha-Runde, der durch den vermeintlichen Durchbruch durch das sogenannte Bali-Paket Ende 2013 zwischenzeitlich näher zu rücken schien, inzwischen aber insbesondere aufgrund einer indischen Blockadehaltung zumindest vorläufig wieder in weitere Ferne gerückt ist. Unter diesen Voraussetzungen und unter Berücksichtigung der genannten Vorbehalte akzeptiert der Senat grundsätzlich die Notwendigkeit von bi- oder plurilateralen Vereinbarungen, wie z. B. mit Kanada. Nach Einschätzung des Senats wird diese grundsätzliche Position zu Freihandelsabkommen und diesbezüglichen notwendigen Einschränkungen von allen Bundesländern mehr oder weniger einhellig geteilt. In unterschiedlichen Gremien (z. B. Wirtschaftsministerkonferenz, Agrarministerkonferenz , Verbraucherschutzministerkonferenz) sowie auch im Bundesrat wurden in den letzten Monaten in breitem Konsens der Länder Forderungen an die Bundesregierung zur weiteren Gestaltung der Verhandlungen u. a. mit den USA definiert und Positionen der Länder bekräftigt. Der Senat wird sich in seinem zukünftigen Abstimmungsverhalten im Bundesrat oder sonstigen Gremien an den Inhalten des Beschlusses der Bürgerschaft (Landtag ) vom 21. Mai 2014 (Drs. 18/1395) orientieren. Dem Senat liegen die Verhandlungsdokumente (inklusive der Annexe deutlich über 1 000 Seiten in englischer Sprache) seit Anfang August vor. Aufgrund der Kürze der Beantwortungsfrist und des Umfangs sowie der englischen Sprachfassung der Unterlagen war keine umfassende, abschließende und vor allem rechtssichere Auswertung möglich. Auch die Hinzuziehung von Sekundärquellen wie Gutachten, Protokollen, parlamentarischen Anfragen in Bundestag oder anderen Länderparlamenten usw. konnte nur ansatzweise erfolgen und keine umfassende Aufklärung aller Sachverhalte liefern. Die nachfolgenden Antworten stehen daher unter diesem Vorbehalt. Auch das Revidieren von nachfolgenden Positionen auf Basis eines späteren offiziellen, abschließenden und deutschsprachigen Abkommenstextes kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Vor diesem Hintergrund beantwortet der Senat die gestellten Fragen wie folgt: 1. Liegt dem Senat das Verhandlungsergebnis für CETA (EU-Dok. 132/2014–139/ 2014) zur Stellungnahme vor? In welcher Weise hat der Senat gegenüber der Bundesregierung Stellung genommen? — 4 — Dem Senat liegt das Verhandlungsergebnis seit dem 6. August 2014 vor. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat bis 29. August 2014 um Prüfung und Anmerkungen gebeten. Eine Stellungnahme ist in dieser Frist zwar nicht erfolgt, aber inhaltliche Anregungen wurden auf anderem Wege eingebracht . 2. Wie bewertet der Senat das vorliegende Verhandlungsergebnis? Entspricht der Entwurf sinngemäß den Anforderungen, die die Bürgerschaft (Landtag) in ihrem Beschluss vom 21. Mai 2014 (Drs. 18/1395) für ein Abkommen mit den USA formuliert hat? In welchen Punkten sieht der Senat Änderungsbedarf (siehe auch Fragen 5 bis 18)? Eine umfassende, abschließende und rechtssichere Bewertung des Verhandlungsergebnisses ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Daher ist auch eine Aussage in Hinblick auf die Anforderungen aus Drs. 18/1395 nur bedingt möglich. Nicht eingehalten wird auf jeden Fall die Position zu dem Thema Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren, das im Abkommenstext enthalten ist. Der Senat sieht Änderungsbedarf insofern insbesondere bezüglich der Regelungen zum Investitionsschutz bzw. Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren. Ansonsten wird auf die Antworten zu den Fragen 5 bis 18 verwiesen. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass nach Informationen des Senats die EU-KOM die Verhandlungen als abgeschlossen ansieht. Der Senat wird jedoch seine Position für eine Entscheidung des Bundesrates über die Ratifizierung des Abkommens – im Falle der Bestätigung, dass es sich bei CETA um ein gemischtes Abkommen handelt – unter Berücksichtigung einer vertieften Analyse und in Abstimmung mit den anderen Ländern und dem Bund festlegen. 3. Welche Kenntnisse hat der Senat über den Zeitplan für den Abschluss des Abkommens und der Ratifizierung in den Mitgliedstaaten der EU? Nach Kenntnis des Senats ist von folgendem Vorgehen auszugehen: — Erklärung zum Abschluss der Verhandlungen auf dem EU-Kanada-Gipfel am 26. September 2014. Eine Parafierung des Abkommens ist nicht vorgesehen . — Danach Rechtsförmlichkeitsprüfung und Übersetzung in alle EU-Sprachen (Dauer ca. sechs Monate), dann Übersendung an das Europäische Parlament und den Ministerrat. — Mögliche Unterzeichnung auf Grundlage eines Ministerratsentschlusses (gewöhnlich durch den EU-Handelskommissar) und Abschluss des Abkommens , voraussichtlich im 2./3. Quartal 2015. — Übermittlung des Textes an das europäische Parlament im 3./4. Quartal 2015 und Analyse im Ausschuss für internationalen Handel, Entscheidung durch Plenum über Annahme oder Ablehnung. — Vorläufige Anwendung des Abkommens im Falle einer Zustimmung des Europäischen Parlaments und der Unterzeichnung durch den Ministerrat möglich, wenn auch Kanada entsprechend beschließt. — Entscheidung über die Natur des Abkommens (reines Handelsabkommen versus gemischtes Abkommen) wird auf Grundlage einer Analyse des endgültigen Vertragstextes vonseiten des Ministerrats getroffen. — Die endgültige Entscheidung zum Abschluss des Abkommens trifft der Ministerrat nach der Ratifizierung durch das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedstaaten. — Veröffentlichung des Abkommenstextes im offiziellen Amtsblatt der EU. 4. Geht der Senat davon aus, dass der Bundestag und der Bundesrat einer Ratifizierung des Abkommens zustimmen müssen? Der Senat teilt die von der Bundesregierung und auch den meisten EU-Mitgliedstaaten vertretene Auffassung, dass es sich um ein gemischtes Abkommen — 5 — handelt, das einer Ratifizierung durch die nationalen Parlamente bedarf. Diese Position wird durch ein aktuelles, vom BMWi in Auftrag gegebenes und dem Senat vorliegendes Rechtsgutachten bestätigt. In diesem Fall wären in Deutschland der Deutsche Bundestag und der Bundesrat zu beteiligen. Die EU-KOM vertritt nach Informationen des Senats hingegen die Position, dass es sich um ein „EU-only-Abkommen“ handele. Eine abschließende Entscheidung zur Natur des Abkommens fällt nach Kenntnis des Senats auf Basis der Analyse des endgültigen Vertragstextes (vermutlich Mitte 2015) durch den Ministerrat. Aufgrund der mehrheitlichen Einschätzung des Abkommens als gemischtes Abkommen durch die Mitgliedstaaten ist nach aktuellem Stand ein entsprechender Beschluss zu erwarten. 5. Sind nach Auffassung des Senats die Vertragsbestimmungen in CETA in Sachen Investorenschutz weitgehend identisch mit den Vorschlägen, die von der Kommission im Konsultationsverfahren zum Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren zu TTIP vorgestellt worden sind? Welchen Wert hat dann noch die sehr breit genutzte öffentliche Konsultation der Kommission zu diesem Thema? Da das Konsultationsverfahren zu TTIP bereits abgeschlossen ist, besteht aktuell kein Zugriff mehr auf den Fragebogen oder ähnliche Materialien. Eine umfassende Auswertung der Vertragsbestimmungen in CETA zum Investorenschutz in Vergleich zu den im Konsultationsverfahren der Kommission zu TTIP vorgestellten Regelungen ist durch den Senat daher nicht erfolgt. Eine entsprechende Auswertung durch Dritte ist dem Senat nicht bekannt. Unabhängig davon ist der Senat der Auffassung, dass zumindest die Ergebnisse der TTIP-bezogenen öffentlichen Konsultation in CETA integriert werden müssten . 6. In der Diskussion über Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren in TTIP wird in Deutschland überwiegend die Auffassung vertreten, dass solche Verfahren zwischen Wirtschaftsräumen mit sicheren und verlässlichen Rechtssystemen nicht notwendig, sondern gefährlich sind, indem sie ausländischen Investoren Sonderrechte einräumen. Gilt dies nach Auffassung des Senats auch für die EU und Kanada? Der Senat teilt die auch von der Bundesregierung vertretene Einschätzung, dass Bestimmungen zum Investitionsschutz einschließlich Investor-Streitschlichtungsverfahren in Abkommen mit OECD-Staaten, also auch Kanada, aufgrund der in diesen Staaten bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten grundsätzlich nicht erforderlich sind. 7. Welche Haltung hat der Senat im Besonderen zu der Tatsache, dass eine Berufungsinstanz nicht zwingend vorgeschrieben werden soll und dass ausländische Investoren sich unmittelbar an die Schiedsgerichte wenden können, inländische jedoch nicht? Der Senat ist der Auffassung, dass Investitionsschutzabkommen ein Höchstmaß an Transparenz gewährleisten sowie keine Sonderrechte für ausländische gegenüber inländischen Investoren gewähren sollten und die Regelungsrechte von Staaten nicht einschränken dürfen. 8. Geht der Senat davon aus, dass eine Aufnahme des Investitionsschutzkapitels in CETA eine präjudizierende Wirkung auf TTIP haben wird? Auch bezüglich TTIP teilt der Senat die von der Bundesregierung vertretene Auffassung, dass Bestimmungen zum Investitionsschutz einschließlich InvestorStreitschlichtungsverfahren nicht erforderlich sind. Der Senat ist nicht direkt in die Verhandlungen zu TTIP eingebunden. Eine fundierte Einschätzung zur präjudizierenden Wirkung von CETA auf die TTIP-Verhandlungen ist daher nicht möglich. 9. Welche Chancen und Risiken sieht der Senat im vorliegenden CETA-Abkommen für die deutsche Land- und Lebensmittelwirtschaft? Auf Basis von veröffentlichten Unterlagen der EU-KOM (CETA facts and figures) sowie Expertenanhörungen des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft — 6 — des Deutschen Bundestages vom Juni 2014 kann angenommen werden, dass es u. a. zu erleichtertem Marktzugang für kanadisches Rind- und Schweinefleisch, Getreide, Obst und Gemüse sowie Pflanzenöle in der EU, andersherum zu erleichtertem Marktzugang für europäische Käse und Molkereiprodukte, Geflügel sowie veredelte Agrarprodukte (vor allem Wein und Spirituosen) in Kanada kommen wird. Im Zusammenhang mit dem erleichterten Marktzugang für kanadische Unternehmen bestehen Befürchtungen bezüglich eines steigenden Wettbewerbsdrucks auf die europäische Agrar- und Lebensmittelwirtschaft. Zu den Chancen und Risiken des CETA-Abkommens für die deutsche Landund Lebensmittelwirtschaft liegen keine dem Senat bekannten Abschätzungen vor, die insbesondere auch den endgültigen Abkommenstext berücksichtigen. 10. Wird sich die EU-Zulassungspraxis für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) ändern, da die Zulassungsverfahren für GVO in Kanada eher auf der Risikoeinschätzung der Hersteller basieren? Könnte die EU nach CETA-Abschluss ihre Zulassungsverfahren noch auf sozio-ökonomische und ethische Gesichtspunkte erweitern? Wäre eine erweiterte Kennzeichnungspflicht erschwert oder unmöglich gemacht? Wie bewertet der Senat die Tatsache, dass das Ziel der regulatorischen Kooperation bei GVO mit Kanada nicht die Sicherung eines hohen Schutzniveaus für Verbraucherinnen und Verbraucher und die Umwelt sein soll, sondern die Minimierung von Handelshemmnissen? Der Senat ist grundsätzlich bei dem Abschluss von Freihandelsabkommen für einen Erhalt der bestehenden Schutzniveaus in Deutschland und der EU. Nach Einschätzung des BMWi bleiben EU-Zulassungsverfahren vollständig erhalten. Weiterhin werden Standards im Bereich Umwelt- oder Verbraucherschutz nicht durch CETA angegriffen. 11. Ist nach Auffassung des Senats in CETA das staatliche „Recht zur Regulierung“ („Right to regulate“) vor Investorenklagen geschützt? Was bedeutet es, dass Umweltregulierungen der EU in Zukunft mit CETA „vereinbar“ sein müssen? Nach Auffassung des Senats muss das staatliche „Recht zur Regulierung“ vollständig erhalten bleiben. Nach einer diesbezüglichen Auskunft von BMWi und EU-KOM schränken die enthaltenen Investitionsschutzregelungen den Spielraum der europäischen Mitgliedstaaten zur Regulierung nicht ein. Diese Position wird durch ein aktuelles, vom BMWi in Auftrag gegebenes und dem Senat vorliegendes Rechtsgutachten bestätigt, wonach „CETA (. . .) keine wesentlich über bestehende verfassungsund unionsrechtliche Vorgaben hinausgehende Bindungen des Gesetzgebers“ enthält und „in Kernpunkten hinter dem verfassungs- und unionsrechtlich erreichten Schutz von Investitionen zurück(bleibt)“. Die Sicherung des Politikspielraums, auch für Umweltregulierungen, erfolgt nach Einschätzung des BMWi durch die folgende Formulierung: „Maßnahmen einer Vertragspartei, die getroffen und angewendet werden zum Schutz legitimer öffentlicher Interessen, wie beispielsweise Gesundheit, Sicherheit und Umwelt , sind kein Fall indirekter Enteignung, wenn sie nicht diskriminieren oder offenkundig unverhältnismäßig sind.“ 12. Wird das CETA-Abkommen nach Auffassung des Senats direkte oder indirekte Auswirkungen auf die Regulierung von Fracking in Deutschland haben? Welche Klagemöglichkeiten für ausländische Investoren könnten sich ergeben? Dem Senat liegt eine schriftliche Stellungnahme des BMWI vor, nach der notwendige Handlungsspielräume zur Regulierung von Fracking vollständig erhalten bleiben und dieser Bereich nicht der Liberalisierung unterliegt. Hiernach fällt Fracking unter die Ausnahmeregelungen in Artikel X.4 der CETA-Vereinbarung . 13. Welche Dienstleistungen werden über die bisherigen Regelungen hinaus liberalisiert , und wie bewertet der Senat dies? Liberalisierungen sollen nach Kenntnis des Senats im Bereich der Finanz-, Telekommunikations -, Energie- und Ingenieurdienstleistungen sowie weiterhin im — 7 — Bereich des maritimen Transports erreicht werden. Auch hier wird auf die Einhaltung europäischer Standards zu achten sein. Durch erleichterte – auch temporäre – Zugänge für Personal in Bereichen wie Ingenieurswesen, Architektur oder Rechnungswesen soll das Geschäft für europäische Unternehmen in Kanada erleichtert werden, u. a. für Tätigkeiten im Bereich der after-sales-services. Weiterhin wurden Schritte zur Vereinfachung der Anerkennung von Berufsqualifikationen vereinbart. Der Senat sieht in diesem Bereich den wirtschaftlich bedeutendsten Aspekt des Abkommens, der auch für einen großen Teil der positiven Effekte auf der EU-Seite verantwortlich sein dürfte. 14. Gibt es in CETA Regelungen, die die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in der EU erschweren könnten? Ein vom BMWi in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis , dass der gesetzgeberische Handlungsspielraum im Bereich der Finanzdienstleistungen durch die Regelung in Kapitel 15 Artikel 15 CETA geschützt wird. Nach dem Gutachten erlaubt diese Vorschrift „umfangreiche Eingriffe in den Finanzdienstleistungssektor zum Schutz von Anlegern, zur Regulierung des Zahlungsverkehrs und grenzüberschreitender Finanzdienstleistungen, zur Regulierung und Haftung von Finanzinstitutionen, und zur Sicherstellung der Integrität und Stabilität des Finanzsystems als Ganzes.“ Weitere Regelungen, die die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in der EU gegebenenfalls erschweren könnten oder auch anderslautende juristische Einschätzungen sind dem Senat nicht bekannt. 15. Wird nach Auffassung des Senats durch das Abkommen der Spielraum für künftige Rekommunalisierungen durch „standstill“- oder „ratchet“-Klauseln beschnitten ? Dem Senat sind Befürchtungen im Zusammenhang mit CETA bekannt, dass durch sogenannte ratchet- bzw. standstill-Klauseln Rekommunalisierungen von Dienstleistungen erschwert oder verhindert werden könnten. Eine Prüfung, ob dies tatsächlich der Fall ist, ob der Bestand des „right to regulate“ (siehe Antwort zu Frage 11) weiter Rekommunalisierungen möglich macht oder andere diesbezügliche Regelungen bestehen, konnte nicht durchgeführt werden und ist auch in den ausgewerteten Sekundärquellen nicht enthalten . Der Senat bekräftigt aber seine Auffassung, dass eine Einschränkung bei der Rekommunalisierung von Dienstleistungen durch CETA keinesfalls erfolgen darf. 16. Wie beurteilt der Senat die Anwendung von Negativlisten für Ausnahmen im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge im Vergleich zum Positivlistenansatz? Wie wird sich dies in Deutschland auswirken? Welche Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge sind von den Negativlisten oder anderen Regeln nicht erfasst und damit nicht vor Liberalisierungsverpflichtungen geschützt? Neu und abweichend von der Herangehensweise bei bisherigen WTO-Verhandlungen und bisherigen Freihandelsabkommen (z. B. EU-Südkorea) wurde auf Wunsch Kanadas für den Dienstleistungsbereich der sogenannte Negativlistenansatz gewählt. Zusammengefasst bedeutet dies, dass alle Dienstleistungsbereiche (Ausnahme Finanzdienstleistungen) liberalisiert werden, die nicht explizit in einer Negativliste ausgenommen sind. Der Senat beurteilt die Anwendung des Negativlistenansatzes gegenüber dem bisher verwendeten Positivlistenansatzes kritisch, allein da dies zu erheblichem Mehraufwand in den Ländern und beim Bund im Rahmen der Erstellung der Listen geführt hat und da zu befürchten ist, dass aufgrund der nicht vorhandenen Erfahrungen mit diesem Ansatz die Fehleranfälligkeit größer ist. Eine Aussage zu den Auswirkungen des Negativlistenansatzes im CETA-Abkommen im Vergleich zu einem Positivlistenansatz für die kommunale Daseinsvorsorge in Deutschland ist dem Senat nicht möglich. Es wurde nach umfangreichen Diskussionen, u. a. auch im Bund-Länder-Kontext , nach einhelliger Meinung keine abschließende Definition zur Daseinsvor- — 8 — sorge erarbeitet, insbesondere auch, um nicht in Konflikt mit den Beihilferegelungen der EU zu kommen. 17. Wie beurteilt der Senat die Tatsache, dass der Vertragsentwurf für die EU keine generelle Ausnahme für Kultur vorsieht, sondern nur für audiovisuelle Dienstleistungen , während die Ausnahmen für Kanada umfassender sind? Nach Informationen des Senats gibt es in CETA eine Doppelung des Kulturvorbehalts , einmal vonseiten der EU und einmal vonseiten Deutschlands. Der deutsche Kulturvorbehalt ist gemäß schriftlicher Stellungnahme des BMWi umfassend gegenüber allen Verpflichtungsarten und insgesamt breiter als der EUVorbehalt . Insbesondere besteht nach Auskunft des BMWi auch die Möglichkeit einer Diskriminierung in diesem Bereich. Nach Kenntnis des Senats ist die Tatsache, dass für die EU eine Ausnahme nur für audiovisuelle Dienstleistungen besteht und für Kanada für Kultur insgesamt, den bestehenden GATS-Verpflichtungen (GATS = General Agreement on Trade in Services) der Vertragspartner geschuldet, hinter die man in CETA nicht zurückfallen kann. 18. Teilt der Senat die Auffassung, dass sich restriktive Durchsetzungsinstrumente im Urheberrecht, die bei ACTA gescheitert sind, im CETA-Abkommen wiederfinden ? Wie steht der Senat dazu? Dem Senat ist bekannt, dass sich Bestandteile des gescheiterten ACTA-Abkommens in früheren Entwürfen des CETA-Abkommens wiederfanden, zum Teil in wortgleichen Formulierungen. Dies ist nach vorliegenden Informationen inzwischen aber nicht mehr der Fall. Dem Senat ist weiterhin die nachfolgend zitierte Position der EU-KOM bekannt (Quelle: Fact Sheet der EU-Kommission zu „The EU’s Free Trade Agreement with Canada and its Intellectual Property Rights provisions“ vom 18/10/2013, Fundstelle http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2012/august/tradoc_149866.pdf): „The EU wants to raise the level of protection and enforcement of intellectual property rights for its products in Canada to a comparable level to that of the EU. The EU is not aiming to go beyond rules that are already applied in the EU and in its Member States. Nothing in the EU-Canada FTA will contradict or add to the intellectual property rules that are already being applied in the EU and its Member States. The intellectual property provisions of the CETA will also be fully respectful of the rules agreed by the World Trade Organisation. The text under negotiation reflects the fact that the Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) has been rejected by the European Parliament. Since both the EU and Canada negotiated ACTA, earlier drafts of the EU-Canada intellectual property chapter bore similarities to ACTA in the section on the enforcement of intellectual property rights. But since ACTA has not become part of the „EU rulebook“, this is reflected in the current negotiations with Canada. Hence, the current text of the EU-Canada FTA is very different from ACTA, especially for those ACTA sections that created most uncertainty and debate: a) Internet provisions: The ACTA provisions on the liability of internet service providers (ACTA articles 27.3 and 27.4) are not part of the current EU-Canada trade negotiations. The EU is proposing rules based on the EU’s E-Commerce Directive from 2000. As has been the case on the EU market for over a decade, this does not require the introduction of any general monitoring requirements nor any three-strike mechanism. b) Criminal enforcement: The legally binding ACTA provisions on criminal sanctions have been entirely removed from the CETA text.“ Sollte trotz dieser veröffentlichten Position der EU-KOM eine Einführung von Regelungen des im Rahmen eines parlamentarischen Prozesses abgelehnten ACTA-Abkommens „durch die Hintertür“ im Rahmen von CETA erfolgen, so lehnt der Senat dies ab. Druck: Anker-Druck Bremen