— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 1727 (zu Drs. 18/1634) 03. 02. 15 Mitteilung des Senats vom 3. Februar 2015 Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger im Land Bremen Die Fraktion DIE LINKE hat unter Drucksache 18/1634 eine Große Anfrage zu obigem Thema an den Senat gerichtet. Der Senat beantwortet die vorgenannte Große Anfrage wie folgt: 1. Wie hat sich die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsbezieher jahresdurchschnittlich seit 2009 bis heute entwickelt? Bitte aufschlüsseln nach Bremen und Bremerhaven . Zahl der erwerbsfähigen Leistungsbezieherinnen/Leistungsbezieher; Jahresdurchschnittswerte 2009 2010 2011 2012 2013 Bremen 52 660 53 929 52 497 52 120 52 584 davon weiblich 26 611 27 145 26 623 26 576 26 820 davon männlich 26 049 26 784 25 874 25 544 25 764 Bremerhaven 15 063 15 183 14 814 14 103 13 986 davon weiblich 7 578 7 568 7 414 7 229 7 144 davon männlich 7 485 7 615 7 400 6 874 6 842 Jahresdurchschnittswerte für das Kalenderjahr 2014 liegen dem Senat noch nicht vor. 2. Wie hat sich die Zahl der im Land Bremen innerhalb eines Jahres neu ausgesprochenen Sanktionen seit 2009 bis heute entwickelt? Bitte aufschlüsseln nach Bremen und Bremerhaven. 2009 2010 2011 2012 2013 Bremen 4 341 5 458 7 616 8 511 8 647 davon weiblich 1 181 1 386 2 074 2 275 2 244 davon männlich 3 160 4 072 5 542 6 236 6 403 Bremerhaven 3 278 3 180 2 714 3 178 3 131 davon weiblich 972 984 896 1 002 948 davon männlich 2 306 2 196 1 818 2 176 2 183 Werte für das Kalenderjahr 2014 liegen dem Senat noch nicht vor. 3. Wie viele Sanktionen sind in den zwölf Monaten Juli 2013 bis Juni 2014 im Land Bremen neu ausgesprochen worden, und wie viele im Zeitraum Juli 2012 bis Juni 2013? Bitte aufschlüsseln nach Bremen und Bremerhaven. — 2 — Im Zeitraum Juli 2013 bis Juni 2014 wurden in Bremen 9 875 und in Bremerhaven 3 218 Sanktionen neu ausgesprochen. Im Zeitraum Juli 2012 bis Juni 2013 waren es in Bremen 8 091 und in Bremerhaven 2 998 neu ausgesprochene Sanktionen. 4. Wie viele der erwerbsfähigen Leistungsbezieherinnen/Leistungsbezieher waren seit 2009 kalenderjährlich von mindestens einer Sanktion betroffen? 2009 2010 2011 2012 2013 Bremen 3 374 3 847 4 507 4 709 4 743 davon weiblich 937 1 058 1 296 1 382 1 355 davon männlich 2 437 2 789 3 211 3 327 3 388 Bremerhaven 2 264 2 172 1 747 1 759 1 808 davon weiblich 724 738 590 615 596 davon männlich 1 540 1 434 1 157 1 144 1 212 Werte für das Kalenderjahr 2014 liegen dem Senat noch nicht vor. 5. Wie lange dauerten die ausgesprochenen Sanktionen üblicherweise oder durchschnittlich , d. h. für wie viele Monate galten sie? Hierzu liegen dem Senat keine statistischen Informationen vor. Allgemein gilt, dass der Minderungszeitraum einer Sanktion unabhängig von der Art der Pflichtverletzung drei Monate beträgt. Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten , die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, kann die Minderung des Auszahlungsanspruchs in Höhe der Bedarfe nach den §§ 20 und 21 SGB II unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auf sechs Wochen verkürzt werden. 6. Um welchen Betrag wurde der Leistungsbezug bei den in den letzten zwölf Monaten im Land Bremen ausgesprochenen Sanktionen durchschnittlich gekürzt? Die durchschnittliche Höhe der Kürzungen durch Sanktionen, bezogen auf alle erwerbsfähigen Leistungsbezieherinnen/Leistungsbezieher mit mindestens einer Sanktion betrug im Zeitraum Juli 2013 bis Juni 2014 98,10 ‡ monatlich. 7. Welche Summe wurde in den letzten zwölf Monaten im Land Bremen insgesamt aufgrund von Sanktionen nicht an erwerbsfähige Leistungsbezieherinnen/Leistungsbezieher ausgezahlt? Falls keine präzise Zahl vorliegt, bitte aufgrund von Zahl der Sanktionen und durchschnittlicher Dauer abschätzen, nach Möglichkeit aufgeschlüsselt nach Bremen und Bremerhaven. Für den Zeitraum Juli 2013 bis Juni 2014 betrug die Höhe des von den Jobcentern im Land Bremen ausgesprochenen Sanktionsbetrags insgesamt 2 303 416,50 ‡. 8. Wie bewertet der Senat unter dem Aspekt der Armutsbekämpfung die Tatsache , dass durch Sanktionen einer von Armut betroffenen Gruppe jährlich Geldmittel in Millionenhöhe entzogen werden, die ihr leistungsrechtlich zustehen? 9. Wie bewertet der Senat unter dem Aspekt der kommunalen Haushaltspolitik die Tatsache, dass durch Sanktionen einer von Armut betroffenen Gruppe jährlich Geldmittel in Millionenhöhe entzogen werden, was Folgen hat, die letztlich durch kommunale Anstrengungen und Aufwendungen aufgefangen werden müssen? Die Fragen 8 und 9 werden wegen ihres ähnlichen Sachverhalts zusammen beantwortet . Das Zweite Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) regelt Rechte und Pflichten der Leistungsberechtigten. Kommen die Leistungsberechtigten ihren Verpflichtungen ohne wichtigen Grund nicht nach, treten Sanktionen – in der Regel Kürzungen der Leistung – ein. Bei dem Eintritt von Sanktionen sind die Jobcenter an die Regelungen der §§ 31 ff. SGB II gebunden. — 3 — Betrachtet man die Gründe die zum Eintritt von Sanktionen führen, stehen mit einem Anteil von 76 % die an sich vermeidbaren Meldeversäumnisse der Betroffenen deutlich im Vordergrund (siehe Antwort zu Frage 10). Der Senat prüft, worauf der hohe Anteil der Meldeversäumnisse zurückzuführen ist. Eine Sanktion aufgrund eines Meldeversäumnisses nach § 32 SGB II führt zu einer Reduzierung des maßgeblichen Regelbedarfs um 10 %. Bei einer einmaligen/kumulierten Minderung des maßgeblichen Regelbedarfs um mehr als 30 % können die Jobcenter gemäß § 31a Abs. 3 SGB II ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Sachleistungen (z. B. Gutscheine für bestimmte Warengruppen) erbringen . Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die mit minderjährigen Kindern zusammenleben, ist die Gewährung ergänzender Sachleistungen sogar zwingend vorgeschrieben. Somit sieht das Sanktionsrecht des SGB II selbst Auffangmechanismen vor, welche trotz Pflichtverletzungen der Leistungsberechtigten Mittellosigkeit vermeiden . Kommunale Aufwendungen werden hierfür nicht in Anspruch genommen. 10. Auf welche Sanktionsgründe verteilten sich die in den letzten zwölf Monaten im Land Bremen neu ausgesprochenen Sanktionen? Gleitende Jahressumme der Berichtsmonate Juli 2013 bis Juni 2014; aktuellere Statistiken liegen dem Senat nicht vor. Anzahl im Berichtsjahr neu festgestellter Sanktionen (Land Bremen) 13 093 davon — Weigerung Erfüllung der Pflichten der Eingliederungsvereinbarung 1 261 — Weigerung Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit oder Maßnahme 1 377 — Abbruch bzw. Anlass zum Abbruch einer Maßnahme 150 — Meldeversäumnis beim Träger 9 954 — Meldeversäumnis beim ärztlichen oder psychologischen Dienst 20 — Verminderung von Einkommen bzw. Vermögen, um ALG-IIAnspruch herbeizuführen 15 — Fortsetzung unwirtschaftlichen Verhaltens 16 — Pflichtwidriges Herbeiführen einer Sperrzeit oder eines Erlöschens des Anspruchs nach SGB III 213 — Erfüllung der Voraussetzung für Eintritt einer Sperrzeit nach SGB III 87 11. Welche Sachverhalte genau können zu einer Sanktion aufgrund von „Meldeversäumnissen “ führen? Bitte möglichst präzise definieren bzw. auflisten. Eine Sanktion wegen Meldeversäumnissen (im Sinne des § 32 SGB II) tritt ein, wenn Leistungsberechtigte trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis einer Aufforderung des Jobcenters, sich bei ihm zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen , nicht nachkommen. Dies gilt nicht, wenn Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen. 12. Können Leistungsbezieherinnen/Leistungsbezieher sanktioniert werden, weil sie einen Rückruf des Jobcenters verpasst haben? Ein verpasster Rückruf des Jobcenters stellt keine Pflichtverletzung dar, die zu einer Sanktion führt. 13. Wie hat sich die Zahl der monatlich neu ausgesprochenen Sanktionen seit Beginn der sogenannten Joboffensive entwickelt? Die Zahlen der monatlich neu ausgesprochenen Sanktionen während des Zeitraums der Joboffensive stellen sich folgendermaßen dar: — 4 — Bremen Bremerhaven davon davon davon davon 2013 Gesamt weiblich männlich Gesamt weiblich männlich März 619 170 449 200 59 141 April 551 165 386 191 58 133 Mai 588 144 444 256 76 180 Juni 639 187 452 251 67 184 Juli 779 203 576 253 71 182 August 882 206 676 343 111 232 September 831 214 617 238 66 172 Oktober 832 220 612 306 94 212 November 791 194 597 268 74 194 Dezember 833 200 633 290 88 202 2014 Bremen Bremerhaven Januar 788 193 595 229 73 156 Februar 891 240 651 317 112 205 März 811 216 595 272 90 182 April 927 246 681 279 87 192 Mai 778 202 576 203 59 144 Juni 732 221 511 220 67 153 Juli 705 190 515 223 61 162 Da die Joboffensive-Teams erst im März 2013 ihre Vermittlungsarbeit begonnen haben, sind die Monate Januar und Februar 2013 nicht berücksichtigt. Für die Monate August bis Dezember 2014 liegen dem Senat noch keine Werte vor. 14. Wie bewertet der Senat die empirische Tatsache, dass höhere Personalausstattung der Jobcenter bisher immer zu einem Anstieg der Zahl der Sanktionen geführt hat? Ein empirischer Zusammenhang zwischen Personalausstattung der Jobcenter und den eingetretenen Sanktionen wird vom Senat nicht gesehen. So fällt z. B. der Anstieg der Sanktionen im Vergleich der Jahre 2012/2013 mit 136 eher geringfügig aus, obwohl 2013 allein im Rahmen der Joboffensive 44 neue Integrationsfachkräfte im Jobcenter Bremen eingestellt worden sind. Demgegenüber lässt sich für 2011/2012 ein Anstieg um 895 Sanktionen feststellen, ohne dass es einen nennenswerten Personalzuwachs gegeben hätte. 15. Wie erklärt sich der Senat den seit 2009 zu beobachtenden starken und stetigen Anstieg der Sanktionen? Konkrete Ursachen für den Anstieg der Zahl der Sanktionen in den Jobcentern des Landes Bremen sind dem Senat nicht bekannt. Mögliche Gründe können aus Sicht des Senats sein: Eine höhere Kontaktdichte in den Jobcentern, größere Rechtssicherheit bei der Anwendung der Sanktionstatbestände sowie Anstieg von Vermittlungsangeboten, deren Ablehnung zu Sanktionen geführt haben. Im Übrigen folgt der für das Land Bremen festgestellte Anstieg der Sanktionen dem Bundestrend. So ist die Sanktionsquote aller erwerbsfähiger Leistungsbe- — 5 — rechtigter bundesweit von 2,8 % im Jahr 2007 auf 3,3 % im Jahr 2013 gestiegen. Aktuell liegt die Sanktionsquote im Land Bremen bei 2,6 %, was den niedrigsten Stand aller Bundesländer bedeutet. 16. Welche Informationen hat der Senat über interne Vorgaben, welche Höhe der Sanktionsquote seitens der einzelnen Jobcenter oder bundesweit anzustreben ist? Dem Senat sind keine internen Vorgaben an die Jobcenter zur Höhe der Sanktionsquote bekannt. 17. Was hat der Senat unternommen, um den immer wieder erneuerten Berichten über entsprechende Zielvorgaben nachzugehen? Es wird auf die Antwort zu Frage 16 verwiesen. 18. In welcher Weise ist der Senat auf Bundesebene aktiv geworden, um die Zahl der Sanktionen zu senken? Der Senat hat sich im Rahmen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Rechtsvereinfachung im SGB II“ der Arbeits- und Sozialministerkonferenz sowie auf Ebene der Arbeits- und Sozialministerkonferenz selbst für verfahrensrechtliche Änderungen beim Sanktionsrecht in der Grundsicherung eingesetzt. Hierdurch sollen der Ablauf und Vollzug der Sanktionen vereinfacht und die Rechtsfolgen transparenter gestaltet werden. Hierzu gehört die Anpassung der bislang schärferen Sanktionen für unter 25- jährige Leistungsbezieherinnen/Leistungsbezieher an das Sanktionsgefüge für Leistungsbezieherinnen/Leistungsbezieher über 25 Jahren sowie der Wegfall der Sanktionen bei den Kosten der Unterkunft, wenn hierdurch die Gefährdung des Wohnens zu befürchten ist. 19. In welcher Weise ist der Senat gegenüber dem Jobcenter Bremen aktiv geworden , um die Zahl der Sanktionen zu senken? Der Senat sieht keine Veranlassung, gegenüber dem Jobcenter Bremen hinsichtlich der Zahl der dort verhängten Sanktionen aktiv zu werden, solange der Eintritt der Sanktion im Einklang mit den geltenden Rechtsvorschriften erfolgt. 20. In welcher Weise sind die Zahl der Sanktionen und die Höhe der Sanktionsquote thematisiert worden a) in der Trägerversammlung des Jobcenters Bremen, in der die Stadtgemeinde die Hälfte der Stimmen stellt und den Vorsitz führt; b) in Gesprächen des Arbeitsressorts mit der Leitung des Jobcenters; c) im Senat? Die Zahl der Sanktionen sowie die Sanktionsquote werden und wurden in unterschiedlichen Zusammenhängen behandelt. Eine systematische Erfassung von Gesprächsgegenständen findet nicht statt. 21. Welche Zusicherungen hat der Senat seitens der Jobcenter im Rahmen der Planungen zur Jugendberufsagentur erhalten, dass Jugendlichen, die sich in Ausbildung oder in Maßnahmen befinden oder sich für solche beworben haben, Sanktionsfreiheit zugesichert wird? Entsprechende Zusicherungen sind derzeit nicht Gegenstand von Absprachen zwischen den Jobcentern und dem Senat. 22. Mit welcher weiteren Entwicklung rechnet der Senat hinsichtlich der Zahl der Sanktionen und der Höhe der Sanktionsquote in den kommenden Jahren? Erwartet der Senat eine Fortsetzung der bisherigen Steigerung? Wenn ja, bis zu welchem Punkt? Der Senat hat keine Erwartungen an die Entwicklung der Sanktionszahlen und der Höhe der Sanktionsquote in den kommenden Jahren. — 6 — Die Zahl der Sanktionen ergibt sich aus einer Kombination unterschiedlicher, in ihrer Wirkung kaum abschätzbarer Faktoren, etwa der Entwicklung der Arbeitsmarktsituation , dem Verhalten der Leistungsberechtigten, der Rechtsetzung sowie der Betreuungsdichte. Druck: Anker-Druck Bremen