— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 1801 Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 17. Februar 2015 Entwicklung der Ambulantisierung von stationären Wohnformen für Menschen mit Behinderungen Die unterzeichnenden Staaten der UN-Behindertenrechtskonvention, wozu seit 2009 auch die Bundesrepublik Deutschland zählt, erkennen in Artikel 19 an, dass „Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben.“ In einem im Jahr 2012 zwischen dem zuständigen bremischen Sozialressort und der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Träger der Wohlfahrtspflege geschlossenen Landesrahmenvertrag wurde das Ziel vereinbart, jährlich 5 % stationärer Wohnplätze zugunsten ambulanter Angebote in Bremen abzubauen. Zum 1. Januar 2014 sollte auf diese Weise die Angleichung der Versorgungsniveaus im stationären und im ambulanten Bereich erreicht werden. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Liegen dem Senat aktuelle Zahlen zum Abbau stationärer Wohnformen für Menschen mit Behinderungen vor? 2. Auf welche Weise werden die Fortschritte des Ambulantisierungskonzepts vom Februar 2013 evaluiert? 3. Welche Unterstützungsangebote gibt es für Menschen mit Behinderungen beim Übergang von stationären Wohnformen zu Formen des ambulant betreuten Wohnens? 4. Wie werden die Unterstützungsangebote in den Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen bekanntgemacht? Peter Erlanson, Kristina Vogt und Fraktion DIE LINKE D a z u Antwort des Senats vom 24. März 2015 Vorbemerkung Die fachpolitische Leitlinie der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen sieht im Bereich der Wohnangebote im Rahmen der Eingliederungshilfeleistungen vor, neue Wohnplätze möglichst in ambulanter Form zu realisieren sowie stationäre Plätze nach Möglichkeit abzubauen bzw. nicht neu zu schaffen und diese durch ambulante Angebote zu ersetzen. Für die Zielgruppe der Menschen mit seelischer Behinderung liegt seit Beginn der Psychiatriereform die Priorität auf dem ambulant betreuten Wohnen. Das Verhältnis zwischen dem ambulant betreuten Wohnen und dem stationären Wohnen beträgt aktuell 72 % zu 28 %. In den vertraglichen Vereinbarungen mit der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege für die Jahre 2012 und 2013 wurde ein Umwandlungsprozess der — 2 — Wohnangebote für Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen beschlossen , der die aktive Umwandlung von nach Möglichkeit jährlichen 5 % stationären Plätzen in ambulante Wohnangebote vorsieht. Die vertraglich vereinbarte Zielsetzung, 5 % der stationären Plätze im Bereich der Eingliederungshilfe für Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen abzubauen , wird einerseits durch die Anträge der Leistungserbringer für konkrete Vorhaben zur Ambulantisierung umgesetzt. Andererseits werden mögliche Umwandlungsschritte auf Initiative der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen mit den Leistungserbringern beraten und verhandelt, wie z. B. die Umwandlung von stationären Außenwohngruppen in ambulante Wohnformen. Die konzeptionelle Planung und Realisierung von Modellprojekten, die das Funktionieren, aber auch die Herausforderungen der Umwandlung von stationären in ambulante Wohnangebote zeigen, sind methodisch wichtige Schritte. Hindernisse in der Umsetzung des Umwandlungsprozesses von stationären zu ambulanten Wohnangeboten liegen u. a. im möglichen Wechsel der Kostenträgerschaft von auswärtigen Sozialhilfeträgern zu den örtlichen Sozialhilfeträgern im Land Bremen . Diese hätten zum Teil erhebliche Kostenausweitungen für das Land Bremen zur Folge. Hierzu werden Klärungsgespräche mit dem Land Niedersachsen und einzelnen örtlichen Sozialhilfeträgern im Umland von Bremen und Bremerhaven geführt . Zudem wird Bremen einen gesetzlichen Änderungsantrag stellen, der regeln soll, dass die Kostenträgerschaft immer bei dem bislang zuständigen Sozialhilfeträger bleibt, wenn ein stationäres in ein ambulantes Angebot umgewandelt werden soll. Eine wichtige Voraussetzung ist zudem, dass preiswerter, behindertengerechter Wohnraum auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt zur Verfügung steht. Grundsätzlich stehen bei der Umsetzung der Umwandlung von ambulanten zu stationären Wohnformen die Wünsche der Leistungsberechtigen im Vordergrund. Beratungs - und sorgfältige Planungsprozesse sind elementar und die Umsetzung gestaltet sich zum Teil als mehrjähriger Prozess. 1. Liegen dem Senat aktuelle Zahlen zum Abbau stationärer Wohnformen für Menschen mit Behinderungen vor? Die Anzahl der stationären Plätze im Land Bremen lag im Jahr 2011 bei 1 179 Plätzen. Im Jahr 2014 liegt die Zahl der vereinbarten stationären Plätze bei 1 166. Bisher konnte somit der Abbau von 13 stationären Plätzen umgesetzt werden. Darunter befindet sich eine stationäre Außenwohngruppe mit sechs Plätzen, die in ambulant betreutes Wohnen umgewandelt worden ist. Zudem sind sechs weitere Plätze eines stationären Wohntrainings zu Plätzen eines ambulanten Wohntrainings geworden. Somit wurde die Quote von 5 % umgewandelter Plätze aufgrund der Zeitdauer von Beratungs- und Planungsprozessen noch nicht erreicht. Im Jahr 2015 kann mit der geplanten Umwandlung von 60 stationären Wohnplätzen von drei Leistungserbringern die angestrebte Umwandlungsquote erzielt werden. Für die Folgejahre 2016/2017 finden zurzeit weitere Beratungen und Planungen mit einzelnen Leistungserbringern zur Konversion stationärer Plätze statt. Aufgrund der Hindernisse zur Kostenträgerschaft wurden und werden – entgegen der fachpolitischen Leitlinie – zwei neue Wohnprojekte zunächst stationär realisiert, um finanzielle Risiken zu vermeiden. Sobald die Gespräche mit dem Land Niedersachsen und mit den betroffenen Umlandgemeinden von Bremen und Bremerhaven in 2015 positiv abgeschlossen werden können, kann eine Umwandlung der stationären Angebote, die als Apartments bereits baulich geplant worden sind, erfolgen. 2. Auf welche Weise werden die Fortschritte des Ambulantisierungskonzepts vom Februar 2013 evaluiert? Im Rahmen des monatlichen Controllingverfahrens werden die Fallzahlen differenziert nach stationären und ambulanten Wohnformen erhoben und analysiert. — 3 — Die Entwicklung des Verhältnisses von Leistungsberechtigen, die ambulante bzw. stationäre Leistungen nutzen, wird in der Fachabteilung quantitativ und qualitativ ausgewertet. Vollzogene Umwandlungsprojekte werden gemeinsam mit den Leistungserbringern durch die Fachabteilung qualitativ ausgewertet und aus den Ergebnissen und Erfahrungen Rückschlüsse für Folgeprojekte gezogen. Im Rahmen eines Modellprojekts, das die Umwandlung von 24 stationären Plätzen vorsieht, findet die Evaluation durch eine wissenschaftliche Begleitung statt. 3. Welche Unterstützungsangebote gibt es für Menschen mit Behinderungen beim Übergang von stationären Wohnformen zu Formen des ambulant betreuten Wohnens? Der Übergang von stationären in ambulante Wohnformen wird durch eine differenzierte Angebotsstruktur gefördert. Neben der klassischen stationären Wohnform in einem Wohnheim gibt es stationäre Außenwohngruppen, die ein Wohnangebot zwischen dem Heimwohnen und dem ambulant betreuten Wohnen (in Gruppen- und Einzelwohnen) darstellen. In Außenwohngruppen sind höhere Anforderungen an die Selbstständigkeit gestellt als im Wohnheim, weil z. B. keine Nachtwache vorhanden und Betreuungspersonal nicht ständig anwesend ist. Um die Verselbstständigung im Bereich des Wohnens explizit zu trainieren, wird das stationäre Wohntraining vorgehalten und seit dem 1. Januar 2012 das ambulante Wohntraining modellhaft erprobt. In beiden Wohnformen wird zeitlich befristet ein gezieltes Wohntraining im Bereich selbstständiger Lebensführung durchgeführt, um Menschen mit geistigen oder mehrfachen Behinderungen zu befähigen, im ambulant betreuten Wohnen zu leben bzw. sie soweit möglich unabhängig von Unterstützungsmaßnahmen zu machen. Das Modellprojekt des Quartierwohnens ermöglicht Personen mit Behinderungen , die in Einzelfällen (noch) nächtliche Unterstützung durch eine Nachtbereitschaft benötigen, den Zugang zu ambulanten Wohnformen. Die nächtliche Unterstützung wird in der Quartierzentrale vorgehalten und erreicht im Bedarfsfall in wenigen Minuten den Menschen mit Behinderung in seiner eigenen Wohnung . Zudem dient die Quartierzentrale der gemeinschaftlichen Wahrnehmung von inklusiven Freizeit- und Bildungsangeboten. 4. Wie werden die Unterstützungsangebote in den Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen bekanntgemacht? Die Menschen mit Behinderung erhalten im Rahmen des Gesamtplanverfahrens bzw. bei der Erhebung ihres Hilfebedarfs eine Beratung durch den Sozialdienst Erwachsene des Amtes für Soziale Dienste. Mit den Leistungsberechtigten wird individuell über ihre Wünsche und Zukunftsperspektiven gesprochen. Auf Wunsch bzw. angeregt durch den Sozialdienst wird hinsichtlich der Möglichkeiten des Umzugs in eine ambulante Wohnform beraten. Fortsetzung findet dieser Beratungsprozess der Leistungsberechtigten im Rahmen der individuellen Hilfe- und Förderplanung in den Wohneinrichtungen. Manche Leistungserbringer halten zudem interne Wohnberatungsstellen vor. Druck: Anker-Druck Bremen