— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 1808 Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 10. Februar 2015 Tarifgerechtigkeit bei öffentlichen Unternehmen im Land Bremen Beschäftigte arbeiten faktisch beim selben Unternehmen, werden für die gleiche Tätigkeit aber unterschiedlich bezahlt – das ist eine Ungerechtigkeit, die viele Beschäftigte heute erleben. Niedriglöhne durch Aus- und Umgründungen, durch Einrichtung von Tochtergesellschaften und „Servicegesellschaften“ sind an der Tagesordnung . Mindestlohn und Landesmindestlohn setzen dem Missstand der Niedriglöhne eine Grenze. Ebenso wichtig gegen die Aushöhlung des Lohngefüges ist es aber, Tarifbindung und Tarifgerechtigkeit durchzusetzen, d. h., Beschäftigte davor zu schützen, dass Tarifverträge durch Ausgründungen mit schlechteren Haustarifen unterlaufen werden. Leider findet eine Ungleichbezahlung von Beschäftigten, die direkt oder über eine Tochtergesellschaft angestellt sind, auch bei öffentlichen Unternehmen im Land Bremen statt. Der Arbeitskampf bei der Flughafentochter Bremer Airport Service (BAS) hat dies öffentlich bewusst gemacht. Wer am Flughafen arbeitet, aber statt beim Flughafen bei der BAS angestellt ist, wird im Schnitt 20 % schlechter bezahlt. Solche Verhältnisse bei öffentlichen Unternehmen sollten geändert werden, damit die öffentliche Hand glaubhaft gegen entsprechende Praktiken im privatwirtschaftlichen Bereich vorgehen kann. Wir fragen den Senat: 1. Bei welchen öffentlichen Unternehmen im Land Bremen (d. h. Unternehmen, auf die das Land Bremen oder seine Stadtgemeinden direkt oder mittelbar beherrschenden Einfluss hat), existieren Tochtergesellschaften, deren Tarifverträge mindestens für einen Teil der Beschäftigten gegenüber den entsprechenden Tarifverträgen der Muttergesellschaft nach unten abweichen? 2. Welche öffentlichen Unternehmen sind das, und in welcher Weise sind Teile der Beschäftigten der Tochtergesellschaft dabei im Verhältnis zu Beschäftigten der Muttergesellschaft bei gleicher Tätigkeit schlechter gestellt a) hinsichtlich des Grundgehalts, b) hinsichtlich anderer Vergütungen wie Sonderzahlungen oder Schichtzulagen , c) hinsichtlich anderer Vertragsbestandteile, z. B. Arbeitszeit, Kündigungsregelungen etc.? 3. Hält der Senat eine solche Tarifungleichheit zwischen Beschäftigten, die letztlich für dasselbe öffentliche Unternehmen arbeiten, für gerechtfertigt? 4. In welcher Weise könnten Senat oder Bürgerschaft eine tarifliche Gleichstellung von Beschäftigten, die direkt oder mittelbar für dasselbe öffentliche Unternehmen arbeiten, sicherstellen? 5. In welcher Weise hat der Senat sich in der vergangenen Zeit dafür eingesetzt, nicht nur Tarifbindung und Mindestlohn, sondern auch Tarifgerechtigkeit und Tarifgleichheit bei öffentlichen Unternehmen im Land Bremen durchzusetzen? — 2 — 6. Wie bewertet der Senat die Möglichkeit, im Tariftreue- und Vergabegesetz eine Verpflichtung aufzunehmen, dass öffentliche Auftragnehmer die für die Durchführung des Auftrags eingesetzten Beschäftigten nicht schlechter bezahlen dürfen , als es der Tarifvertrag vorsieht, an den der Auftraggeber selbst gebunden ist? Claudia Bernhard, Kristina Vogt und Fraktion DIE LINKE D a z u Antwort des Senats vom 7. April 2015 1. Bei welchen öffentlichen Unternehmen im Land Bremen (d. h. Unternehmen, auf die das Land Bremen oder seine Stadtgemeinden direkt oder mittelbar beherrschenden Einfluss hat), existieren Tochtergesellschaften, deren Tarifverträge mindestens für einen Teil der Beschäftigten gegenüber den entsprechenden Tarifverträgen der Muttergesellschaft nach unten abweichen? 2. Welche öffentlichen Unternehmen sind das, und in welcher Weise sind Teile der Beschäftigten der Tochtergesellschaft dabei im Verhältnis zu Beschäftigten der Muttergesellschaft bei gleicher Tätigkeit schlechter gestellt a) hinsichtlich des Grundgehalts, b) hinsichtlich anderer Vergütungen wie Sonderzahlungen oder Schichtzulagen , c) hinsichtlich anderer Vertragsbestandteile, z. B. Arbeitszeit, Kündigungsregelungen etc.? Bei zwei öffentlichen Unternehmen und deren beherrschten Tochtergesellschaften werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in gleich bezeichneter Tätigkeit sowohl bei Tochter- als auch bei Muttergesellschaft mit abweichenden Arbeitsbedingungen beschäftigt. Es handelt sich hierbei einerseits um Beschäftigte der Gesundheit Nord Dienstleistungen GmbH gegenüber der Gesundheit Nord gGmbH und andererseits um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bremen Airport Service GmbH gegenüber der Flughafen Bremen GmbH. Nach Angaben der Geschäftsführung der Flughafen Bremen GmbH verbergen sich hinter der gleich bezeichneten Tätigkeit jedoch Tätigkeiten, die tariflich unterschiedlich zu werten sind. Sie stehe mit ihrem Betriebsrat in Kontakt, um zu klären, ob die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bremen Airport Service GmbH, soweit diese Tätigkeiten erbringen, die in gleicher Weise in der Flughafen Bremen GmbH erbracht werden, mit diesen Aufgaben in die Flughafen Bremen GmbH überführt werden können. Die Tarifunterschiede zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft lassen sich wie folgt zusammenfassen: Das Tabellenentgelt liegt bei den Beschäftigten der Tochtergesellschaften im Durchschnitt um rund 23 % unter dem der Beschäftigten in gleicher Tätigkeit bei der Muttergesellschaft. Die Schwankungsbreite liegt zwischen 19,23 % und 26,84 %. Weitere Abweichungen gibt es etwa bei Jahressonderzahlungen , dem Leistungsentgelt nach § 18 TVöD (Tarifvertrag öffentlicher Dienst), bei der Höhe des Urlaubsanspruchs und im Bereich der betrieblichen Altersversorgung. Bei der Bremen Airport Service GmbH gilt darüber hinaus ein anderes Kündigungsregime. Anzumerken ist allerdings, dass in den benannten Bereichen nicht durchweg Leistungen, die in der Muttergesellschaft gewährt werden den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Tochtergesellschaft generell und flächendeckend vorenthalten werden. Zum Teil sind entsprechende Fragen anderweitig geregelt. So erhalten beispielsweise Beschäftigte der Gesundheit Nord Dienstleistungen GmbH anstelle der Jahressonderzahlung nach § 20 TVöD-K/VKA (Tarifvertrag öffentlicher Dienst – Krankenhäuser/ Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände) bzw. § 15 Abs. 2.3 TVöDK /VKA ein festes Weihnachts- bzw. Urlaubsgeld, dessen Höhe sich nach der Beschäftigungsdauer bestimmt. Auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bremen Airport Service GmbH erhalten statt der Jahressonderzahlung ein Weihnachtsgeld nach § 8 des hauseigenen Rahmentarifvertrags. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bremen Airport Service GmbH erhalten außer- — 3 — dem höhere Zeitzuschläge als Mitarbeiter im Bereich des TVöD. Außerdem besteht unter bestimmten Umständen ein Anspruch auf Sterbegeld für die Hinterbliebenen von Beschäftigten der Bremen Airport Service GmbH. Bei der Gesundheit Nord Dienstleistungen GmbH ist darüber hinaus noch folgende Besonderheit anzumerken: Die Sonderregelungen des Haustarifvertrags des Unternehmens gelten nur für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nach dem TVöD-K in die Entgeltgruppen 1 bis 4 eingruppiert worden wären. Für alle weiteren Beschäftigten findet der TVöD-K/VKA vollumfänglich Anwendung. 3. Hält der Senat eine solche Tarifungleichheit zwischen Beschäftigten, die letztlich für dasselbe öffentliche Unternehmen arbeiten, für gerechtfertigt? 4. In welcher Weise könnten Senat oder Bürgerschaft eine tarifliche Gleichstellung von Beschäftigten, die direkt oder mittelbar für dasselbe öffentliche Unternehmen arbeiten, sicherstellen? 5. In welcher Weise hat der Senat sich in der vergangenen Zeit dafür eingesetzt, nicht nur Tarifbindung und Mindestlohn, sondern auch Tarifgerechtigkeit und Tarifgleichheit bei öffentlichen Unternehmen im Land Bremen durchzusetzen? Nach deutschem Tarifrecht können für dieselbe Tätigkeit unterschiedliche Arbeitsbedingungen aufgrund voneinander abweichender Tarifabschlüsse vorliegen . Dieser Freiraum zu autonomer Rechtsgestaltung durch die Tarifparteien ist wesentlicher Bestandteil der verfassungsmäßig garantierten Tarifautonomie, Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG). Tarifverträge kommen als Vereinbarung von Arbeitgeber oder Arbeitgeberverbänden auf der einen Seite und Gewerkschaften auf der anderen Seite zustande . Sie werden also nicht einseitig gegen den Willen der einen oder anderen Seite festgelegt, sondern sind das Ergebnis von Verhandlungen. Dabei gewährleistet das deutsche Tarifrecht, dass sich gleichstarke Verhandlungspartner gegenüberstehen (vergleiche etwa Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Urteil vom 4. Juli 1995 – 1 BvF 2/86 u. a.). Denn nur bei hinreichender Durchsetzungsfähigkeit werden Arbeitnehmervereinigungen von der Rechtsprechung als tariffähige Gewerkschaften anerkannt. Fehlt es an der Durchsetzungsfähigkeit, kann eine Arbeitnehmervereinigung keine Tarifverträge abschließen. Weil zwischen den Parteien des Tarifvertrags ein Verhandlungsgleichgewicht besteht, ist – mit der Rechtsprechung – zu Recht davon auszugehen, dass ein Tarifvertrag den Interessen beider Seiten gerecht wird und kein unzumutbares Gleichgewicht zugunsten der einen oder anderen Seite besteht (staatliche Rechtsprechung; vergleiche etwa Bundesarbeitsgerichts-Urteil vom 24. Februar 2004 – 3 AZR 10/02). Es ist somit zunächst Aufgabe der Tarifparteien selbst, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen anzustreben. Der Senat ist sich aber gleichwohl bewusst, dass die Freie Hansestadt Bremen als Arbeitgeberin in der sozialen Verantwortung steht, gerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen. Hierzu gehört grundsätzlich auch, dass für die gleiche Tätigkeit in beherrschten Eigen- oder Mehrheitsgesellschaften der Freien Hansestadt Bremen und deren Tochtergesellschaften vergleichbare Arbeitsbedingungen angestrebt werden. Der Senat nimmt gegebenenfalls im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Befugnisse und soweit möglich über die Mitgliedschaftsrechte der Unternehmen in den Arbeitgeberverbänden Einfluss auf eine entsprechende Gestaltung der Tarife. Der Senat weist darauf hin, dass die Gründung der Tochtergesellschaften wesentlich mit dem Ziel einer eigenen Tarifgestaltung erfolgte, und dass die Entgelte nach den abgeschlossenen Haustarifverträgen über dem Niveau vergleichbarer Branchentarifverträge liegen. 6. Wie bewertet der Senat die Möglichkeit, im Tariftreue- und Vergabegesetz eine Verpflichtung aufzunehmen, dass öffentliche Auftragnehmer die für die Durchführung des Auftrags eingesetzten Beschäftigten nicht schlechter bezahlen dürfen , als es der Tarifvertrag vorsieht, an den der Auftraggeber selbst gebunden ist? Aus dem Kontext schließt der Senat, dass in dieser Frage nur Auftragsverhältnisse zwischen einer Muttergesellschaft und einer ausgegründeten Tochtergesellschaft und Servicegesellschaft gemeint sind. — 4 — Druck: Anker-Druck Bremen Die Einführung einer Regelung über die Arbeitsbedingungen in den Tochteroder Servicegesellschaften hätte nach Auffassung des Senats nicht den gewünschten Effekt. Denn das Tariftreue- und Vergabegesetz regelt nur die Beschaffung von Lieferungen und Leistungen auf dem Markt. Werden hingegen Tochterunternehmen eingesetzt, so handelt es sich in der Regel um Unternehmen, die ausschließlich von der Muttergesellschaft finanziert und beherrscht werden und die im Wesentlichen nur für diese Muttergesellschaft tätig sind. Verträge zwischen der Mutter- und der Tochtergesellschaft stellen in diesen Fällen sogenannte Inhousegeschäfte dar, die nicht dem Vergaberecht unterliegen und auf die auch das Tariftreue- und Vergabegesetz nicht anwendbar wäre. Dies würde auch für die vorgeschlagene Regelung im Tariftreue- und Vergabegesetz gelten , die folglich in den allermeisten Fällen nicht zur Anwendung käme.