— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 227 Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 13. Dezember 2011 Potenziale von Kleinwindkraftanlagen Die Windenergie ist gegenwärtig die erfolgreichste unter den erneuerbaren Energien und verschafft gerade dem Land Bremen durch den Ausbau der Offshore-Windparks Arbeitsplätze und Wertschöpfung. Der Anteil der Windenergie an der Stromerzeugung in Deutschland wird in den kommenden Jahren noch deutlich zunehmen, zum einen wegen der neu hinzukommenden Offshore-Windparks und zum anderen wegen des Ersatzes von alten Windenergieanlagen durch größere und leistungsfähigere Modelle. Während die Tendenz bei Windenergieanlagen im industriellen Maßstab zu mehr Größe und Leistungen bis zu fünf Megawatt geht, sehen viele Experten auch im Bereich kleinerer, privat betriebener Windkraftanlagen Ausbaupotenziale. Diese lassen sich z. B. auf Hausdächer oder auf größeren Grundstücksflächen montieren und können so Strom ins Netz einspeisen. Vielerorts bestehen jedoch noch rechtliche Hindernisse beziehungsweise Unklarheiten. So ist meist weder eine klare Genehmigungspraxis vorgesehen, noch bestehen einheitliche Grenzwerte bezüglich Schattenwurf oder Lärm. Wir fragen den Senat: 1. Wie viele Kleinwindkraftanlagen mit welcher Leistung sind derzeit im Land Bremen in Betrieb? 2. Wie bewertet der Senat das Potenzial von Kleinwindkraftanlagen zur Stromerzeugung ? 3. Wie wird die Einspeisung von mittels Kleinwindkraftanlagen erzeugtem Strom derzeit vergütet? 4. Welches Genehmigungsverfahren wird derzeit im Land Bremen für den privaten Aufbau und Betrieb von Kleinwindkraftanlagen angewendet? 5. Welche Grenzwerte hinsichtlich Lärm und Schattenwurf müssen beim Betrieb von Kleinwindkraftanlagen eingehalten werden? 6. Welche Gestaltungsspielräume bestehen bei der Festlegung von Grenzwerten zu Lärm bzw. Schattenwurf und sonstiger baulicher Vorgaben auf Landes- und Kommunalebene? Arno Gottschalk, Björn Tschöpe und Fraktion der SPD D a z u Antwort des Senats vom 7. Februar 2012 Vorbemerkung Der Begriff der „Kleinwindenergieanlage“ ist derzeit weder gesetzlich noch allgemein anerkannt definiert. Der Senat bezieht sich bei seiner Antwort auf die Kleine Anfrage auf Windenergieanlagen mit einer Gesamthöhe (einschließlich Rotor) bis 50 Meter und einer Nennleistung bis zu 100 Kilowatt (kW). — 2 — 1. Wie viele Kleinwindkraftanlagen mit welcher Leistung sind derzeit im Land Bremen in Betrieb? Dem Senat ist eine Kleinwindenergieanlage mit einer Leistung von 75 kW und eine weitere mit einer Leistung von 50 kW bekannt. Beide Windenergienanlagen stehen in der Stadt Bremen und sind in den Jahren 1992 und 1994 errichtet worden. Über die Errichtung von Kleinwindenergieanlagen in neuerer Zeit hat der Senat keine Kenntnis. Es werden hierzu keine Daten erfasst. 2. Wie bewertet der Senat das Potenzial von Kleinwindkraftanlagen zur Stromerzeugung ? Der Einsatz von Kleinwindenergieanlagen eröffnet technisch die Möglichkeit, die Windkraft auch innerhalb oder in der Nähe von Siedlungsbereichen zu nutzen. Kleinwindenergieanlagen erfahren in den letzten Jahren ein wachsendes Interesse in der Öffentlichkeit. Gleichwohl kommt es nicht zu einem breiten Einsatz dieser Technik. Der Senat sieht die Ursache hierfür insbesondere in den hohen spezifischen Kosten des mit Kleinwindenergieanlagen erzeugten Stroms, in einer bisher fehlenden Standardisierung der Qualität und in den Geräusch- und Schattenwurfemissionen, die von Kleinwindenergieanlagen, anders als bei Fotovoltaikanlagen, ausgehen können. Problematisch ist aus Sicht des Senats weiterhin, dass die Angaben zu technischen Eigenschaften der Anlagen, wie zum Beispiel Stromertrag oder Schallemission, nicht nach standardisierten Methoden ermittelt und angegeben werden. Die technischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beim Einsatz von Kleinwindenergieanlagen sind Gegenstand einer Reihe von aktuellen Untersuchungen .1) Der Senat wird die weitere Entwicklung des Kleinwindenergieanlagenmarktes beobachten und geht davon aus, dass die Technologie grundsätzlich das Potential besitzt, die bisherigen Nutzungsformen erneuerbarer Energie zu ergänzen. Aufgrund der überwiegend städtischen Bebauung im Land Bremen ist insbesondere der Einsatz an Gebäuden oder auf kleineren Grundstücken zu betrachten. Für diese Anwendung sind in der Regel nur Kleinwindenergieanlagen im Leistungsbereich bis 5 kW einsetzbar. Ein relevanter Beitrag zur Stromerzeugung könnte durch Anlagen dieser Leistungsklasse nur bei einem breiten Einsatz geleistet werden. Um die installierte Leistung einer aktuell marktüblichen großen Windenergieanlage zu erreichen, wäre die Installation von mehr als 1 000 Kleinwindenergieanlagen mit einer mittleren Leistung von 2,5 kW erforderlich. Um den gleichen Stromertrag und damit auch einen vergleichbaren Beitrag zum Klimaschutz wie aus einer einzigen großen Windenergieanlage zu erreichen, wäre eine noch deutlich höhere Zahl von Kleinwindenergieanlagen erforderlich, weil Kleinwindenergieanlagen innerhalb der städtischen Bebauung auf deutlich schlechtere Windverhältnisse treffen. Ein Zubau von Kleinwindenergieanlagen in dieser Größenordnung ist nach Einschätzung des Senats aus den oben genannten Gründen in den nächsten Jahren nicht realistisch. Die Errichtung von Kleinwindenergieanlagen mit mehr als 5 kW Leistung ist insbesondere in dörflich geprägten Ortsteilen oder Gewerbegebieten im Einzelfall denkbar. Bei größeren Leistungswerten nahe 100 kW und Gesamthöhen nahe 50 Meter wird in der Regel ein Standort in Gewerbegebieten oder im Außenbereich erforderlich sein. Auch für diese Leistungsbereiche geht der Senat aus den oben genannten Gründen nicht von der Errichtung von Kleinwindenergieanlagen in relevanter Anzahl in den nächsten Jahren aus, zumal teilweise nur Standorte zum Einsatz kommen können, auf denen eventuell bereits größere Anlagen zu errichten wären. ––––––– 1) Siehe zum Beispiel Bundesverband Windenergie e. V. (Hrsg.), „Qualitätssicherung im Sektor der Kleinwindenergieanlagen“ (Februar 2011) und „Wirtschaftlichkeit und Vergütung von Kleinwindenergieanlagen “ (Dezember 2010), Verfügbar im Internet unter http://www.wind-energie.de/ infocenter/studien#547 sowie Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH (ifeu) Pilotstudie zur Akzeptanz vertikaler Windenergieanlagen, Arbeitspaket Marktanalyse „Kleine Windkraft“, Juni 2009 verfügbar im Internet unter http://ifeu.de/index.php?bereich=ene&seite= windkraftanlagen. — 3 — Vor diesem Hintergrund ist der Senat der Auffassung, dass der Beitrag von Kleinwindenergieanlagen zur Stromnutzung im Land Bremen in den nächsten zehn Jahren im Vergleich zu anderen Formen der Nutzung erneuerbarer Energien von untergeordneter Bedeutung sein wird. 3. Wie wird die Einspeisung von mittels Kleinwindkraftanlagen erzeugtem Strom derzeit vergütet? Die Einspeisung von Strom aus Kleinwindenergieanlagen wird nach § 29 Erneuerbare-Energien-Gesetz derzeit mit 8,93 Cent je kWh vergütet (Anfangsvergütung ). 4. Welches Genehmigungsverfahren wird derzeit im Land Bremen für den privaten Aufbau und Betrieb von Kleinwindkraftanlagen angewendet? Vor der Errichtung von Kleinwindenergieanlagen ist ein bauaufsichtliches Verfahren nach der Bremischen Landesbauordnung (BremLBO) durchzuführen. Verfahrensrechtlich ist nach der BremLBO zu unterscheiden zwischen: 1. Windenergieanlagen mit einer Höhe von mehr als 30 Metern, die als Sonderbauten im Baugenehmigungsverfahren nach § 64 BremLBO „umfänglich“ zu prüfen sind und 2. Windenergieanlagen mit einer Höhe von maximal 30 Metern, die als „sonstige bauliche Anlagen, die keine Gebäude sind“, entweder • im Rahmen der Genehmigungsfreistellung (§ 62 BremLBO) lediglich anzuzeigen sind, weil sie den Festsetzungen eines qualifizierten Bebauungsplanes nicht widersprechen, oder • im vereinfachten Genehmigungsverfahren (§ 63 BremLBO) eingeschränkt zu prüfen sind, weil für das Baugrundstück kein qualifizierter Bebauungsplan gilt. Die Einhaltung der einschlägigen Immissionsrichtwerte wird als Bestandteil der bauplanungsrechtlichen Prüfung im umfänglichen und im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren bauaufsichtlich geprüft. Im Genehmigungsfreistellungsverfahren ist ausschließlich der Bauherr verantwortlich für die Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Vorschriften. Ein Standsicherheitsnachweis ist in allen oben genannten Verfahrenswegen als Bauvorlage zu erstellen. Eine bauaufsichtliche Prüfung des Standsicherheitsnachweises erfolgt bei allen Anlagen mit einer Höhe von mehr als zehn Metern, also auch bei den Vorhaben, die im Übrigen im Genehmigungsfreistellungsverfahren lediglich angezeigt werden müssen. 5. Welche Grenzwerte hinsichtlich Lärm und Schattenwurf müssen beim Betrieb von Kleinwindkraftanlagen eingehalten werden? Kleinwindenergieanlagen sind nichtgenehmigungsbedürftige Anlagen nach § 22 ff. des Bundesimmissionsschutzgesetzes. Von den Anlagen dürfen unter anderem keine schädlichen Umweltauswirkungen ausgehen, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Es ist also sicherzustellen, dass die Nachbarschaft vor schädlichen Umweltauswirkungen durch Lärm, Körperschall und Schattenwurf geschützt wird und die Anlage dem Stand der Technik entspricht. Maßstäbe sind, wie bei großen Windenergieanlagen, die gebietsbezogenen Immissionsrichtwerte der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) und die „Hinweise zur Ermittlung und Beurteilung der optischen Immissionen von Windenergieanlagen“ der Länderarbeitsgemeinschaft Immissionsschutz (LAI). 6. Welche Gestaltungsspielräume bestehen bei der Festlegung von Grenzwerten für Lärm und Schattenwurf und sonstiger baulicher Vorgaben auf Landes- und Kommunalebene? Die Richtwerte für Lärm und Schattenwurf bzw. deren gesetzlichen Grundlagen sind bundesrechtlich vorgegeben. — 4 — Der Senat verfolgt das Ziel, die Belastungen durch Immissionen zu mindern, sofern dies möglich ist. Der Einsatz von Kleinwindenergieanlagen in Siedlungsbereichen kommt nur in Betracht, wenn die Einhaltung der gebietsbezogenen Immissionsrichtwerte sichergestellt werden kann. Es wird häufig kritisiert, dass im Vorfeld der Errichtung von Kleinwindenergieanlagen kostenintensive Untersuchungen über die von den Anlagen ausgehenden Immissionen erstellt werden müssen. Eine Vereinfachung ließe sich durch standardisierte und verlässliche Angaben der Hersteller von Kleinwindenergieanlagen zu den beim Betrieb der Anlage entstehenden Schallemissionen erreichen.2) Die Behandlung von Kleinwindenergieanlagen im bauaufsichtlichen Verfahren liegt in der Hand des Landesgesetzgebers. Im Rahmen der Novellierung der Musterbauordnung (MBO) wird die Frage auch unter den Ländern diskutiert. Der aktuelle Entwurf zur Änderung der MBO begrenzt die Verfahrensfreiheit von Windenergieanlagen wie folgt: „Windenergieanlagen bis zu zehn Metern Höhe gemessen von der Geländeoberfläche bis zum höchsten Punkt der vom Rotor bestrichenen Fläche und einem Rotordurchmesser bis zu drei Metern außer in reinen Wohngebieten.“ Dieser Entwurf befindet sich zurzeit in der Anhörung; mit einer Beschlussfassung ist im Laufe des Jahres zu rechnen. In verdichteten städtischen Räumen muss eine mögliche Beeinträchtigung der Nachbarschaft durch Kleinwindenergieanlagen abgewogen werden mit den Vorteilen einer Verfahrensvereinfachung. Diese Konfliktpotentiale wird der Senat bei einer Anpassung der Bremischen Landesbauordnung an die Musterbauordnung berücksichtigen. Druck: Anker-Druck Bremen ––––––– 2) Siehe hierzu Bundesverband Windenergie (Hrsg.), „Qualitätssicherung von Kleinwindenergie- anlagen, a. a. O. (Fn. 1).