— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 241 Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 10. Januar 2012 Personalienfeststellungen und Durchsuchungen an sogenannten Gefahrenorten Das Bremer Polizeigesetz sieht individuell-verdachtsunabhängig sogenannte lageabhängige Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen von Personen vor, die einen Ort betreten oder überqueren, „von dem aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte erfahrungsgemäß anzunehmen ist“, dass sich dort Straftäter/-innen aufhalten (§ 11 Abs.1 Nr. 2 BremPG). Zur Funktionslogik dieses prekären Instrumentes gehört es, die betroffenen Örtlichkeiten bzw. Gebiete nicht als solche auszuweisen, was auch der Landesbeauftragte für Datenschutz in seinem 28. Jahresbericht kritisierte: „Für den Bürger ist die polizeiliche Festlegung als ‚Gefahrenort‘ nicht erkennbar. Es ist für ihn nicht überprüfbar, ob die Polizei die Befugnis zur Identitätsfeststellung besitzt“ (LfD 2005). Über die hiermit ausgeweiteten polizeilichen Befugnisse zur Identitätsfeststellung von Passanten/-innen wird die Eingriffsschwelle in die informationelle Selbstbestimmung drastisch und für die Betroffenen auf nicht nachvollziehbare Art und Weise abgesenkt. Wir fragen den Senat: 1. Welche sogenannten Gefahrenorte wurden seit 2006 ausgewiesen? Bitte detailliert nach Ort, Zeit, Lageerkenntnissen, Anzahl der angehaltenen Personen, Anzahl der Identitätsfeststellungen und Anzahl der Durchsuchungen auflisten. 2. Wie groß sind die jeweiligen Gebiete genau? Bitte die eingrenzenden Straßennamen benennen. 3. Wie hat sich die Anzahl der durchgeführten polizeilichen Mittel seit 2006 in den jeweiligen Gebieten entwickelt? Bitte nach Beschlagnahmen, Platzverweisen, Aufenthaltsverboten und Gewahrsamnahmen differenzieren. 4. Welche Verwaltungsanordnungen und Dienstanweisungen gibt es bezüglich § 11 Abs.1 Nr. 2 BremPG? 5. Ergeben sich aus den Lageerkenntnissen über die sogenannten Gefahrenorte konkrete („lageabhängige“) Zielgruppen? Falls ja, wie sind diese jeweils konkret definiert? Wo bestehen sogenannte Gefahrenorte ohne eine solche definierte Zielgruppe, und nach welchen Kriterien wird hier polizeilich verfahren? 6. In welchen Zeiträumen und von welcher Stelle werden die Lageerkenntnisse, die zur Einrichtung von Gefahrengebieten herangezogen wurden, überprüft, und einer juristischen Bewertung hinsichtlich des Vorliegens der rechtlichen Voraussetzungen gemäß §11 Abs. 1 Nr. 2 BremPG sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unterzogen? 7. Warum wird nicht sichergestellt, dass die sogenannten Gefahrenorte für die Bürger/-innen als solche kenntlich sind? 8. Sind dem Senat Beschwerden bekannt, wonach bei polizeilichen Maßnahmen auf vorgeblich festgelegte sogenannte Gefahrenorte verwiesen wurde, die es im konkreten Fall gar nicht gab? Falls ja, wie bewertet der Senat solche Beschwerden ? Kristina Vogt und Fraktion DIE LINKE — 2 — D a z u Antwort des Senats vom 14. Februar 2012 Vorbemerkung Das in der Kleinen Anfrage erwähnte Instrument der sogenannten Gefahrenorte (geregelt in § 11 Abs. 1 Nr. 2 des Bremischen Polizeigesetzes – BremPolG) findet sich in ähnlicher Weise in den Polizeigesetzen fast aller Länder und des Bundes. Es handelt sich um eine Befugnis, die für die Polizeien in Deutschland im Bereich der Gefahrenabwehr zu den von den Landesgesetzgebern und dem Bundesgesetzgeber (vergleiche § 23 Abs. 2 Nr. 1 des Bundespolizeigesetzes – BPolG) vorgesehenen Standards polizeilicher Möglichkeiten gehört. Zulässig ist an Gefahrenorten nach dem Bremischen Polizeigesetz nur eine Identitätsfeststellung, ohne dass eine konkrete Gefahr – die ansonsten für polizeiliche Maßnahmen generell Voraussetzung ist – vorliegen muss. Allerdings ist diese Maßnahme nur zulässig, soweit dort Straftaten von erheblicher Bedeutung verabredet, vorbereitet oder verübt werden. Straftaten von erheblicher Bedeutung sind solche nach § 2 Nr. 5 BremPolG, so z. B. Verbrechen, schwerere Vergehen oder bestimmte gewerbs- oder bandenmäßig begangene Straftaten. Damit ist in Bezug auf die gesetzlichen Voraussetzungen bereits eine wesentliche Schranke errichtet worden, die die Anwendung dieses Instruments auf besondere Gefahrensituationen beschränkt und eine Beliebigkeit dieses Instruments ausschließt. Hinzu kommt, dass die Eingriffstiefe dieser Maßnahme – nur Identitätsfeststellung zulässig – geringfügig ist. Das OVG Lüneburg hat in einem Beschluss vom 4. März 2010 (Az. 11 PA 191/09) zum niedersächsischen SOG festgestellt, dass eine solche Maßnahme nicht gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verstößt . Die Beschränkungen dieses Rechts seien zulässig und auch im Hinblick darauf , dass die Vorschrift keine konkrete Gefahr verlange, sondern eine niedrigere Eingriffsschwelle genügen lasse, die dem Bereich der Gefahrenvorsorge zuzuordnen sei, nicht unverhältnismäßig. Bei der Identitätskontrolle handele es sich um einen insgesamt nicht gravierenden Eingriff. Der Senat teilt daher die in der Frage geäußerte Auffassung nicht, es handele sich um eine „prekäre“ Maßnahme. Im Zusammenhang mit der Beantwortung der Kleinen Anfrage hat sich gezeigt, dass die von der Polizei vorgenommene Gefahreneinschätzung nicht für alle Örtlichkeiten oder Personengruppen überzeugend war. Die Festlegung der Gefahrenorte ist daher überprüft und in Teilbereichen revidiert worden. 1. Welche sogenannten Gefahrenorte wurden seit 2006 ausgewiesen? Bitte detailliert nach Ort, Zeit, Lageerkenntnissen, Anzahl der angehaltenen Personen, Anzahl der Identitätsfeststellungen und Anzahl der Durchsuchungen auflisten. Gefahrenorte gelten grundsätzlich zu jeder Zeit und für alle Personen, sofern die jeweiligen Erkenntnisse nicht eine Eingrenzung zulassen. Eine Liste der aktuell ausgewiesenen Gefahrenorte in der Stadtgemeinde Bremen ist als Anlage beigefügt. Vier Gefahrenorte aus dem Umfeld des islamistischen Extremismus wurden nach einer Aktualisierung aus der Liste gestrichen. Die Gefahrenorte der Ortspolizeibehörde Bremerhaven bestehen bis auf Nr. 5 unverändert seit dem 1. Januar 2006. Nr. 5 wurde am 1. Juli 2011 hinzugefügt. Von den Polizeien des Landes Bremen werden keine Statistiken über die Anzahl der angehaltenen Personen, die Anzahl der Identitätsfeststellungen und die Anzahl der Durchsuchungen an Gefahrenorten geführt. 2. Wie groß sind die jeweiligen Gebiete genau? Bitte die eingrenzenden Straßennamen benennen. Die Umgrenzung der zur Bekanntgabe geeigneten Gefahrenorte ist der Anlage zur Antwort zu Frage 1 zu entnehmen. 3. Wie hat sich die Anzahl der durchgeführten polizeilichen Mittel seit 2006 in den jeweiligen Gebieten entwickelt? Bitte nach Beschlagnahmen, Platzverweisen, Aufenthaltsverboten und Gewahrsamnahmen differenzieren. Von den Polizeien des Landes Bremen werden keine Statistiken über durchgeführte Eingriffsmaßnahmen an Gefahrenorten geführt. — 3 — 4. Welche Verwaltungsanordnungen und Dienstanweisungen gibt es bezüglich § 11 Abs. 1 Nr. 2 BremPG? Gefahrenorte werden durch die Polizeibehörden für einen Zeitraum von maximal sechs Monaten vorab festgelegt und behördenintern bekannt gegeben. Neben den gesetzlichen Bestimmungen in § 11 Abs. 1 Nr. 2 BremPolG und den dazugehörigen Ausführungsbestimmungen gibt es keine weitergehenden Verwaltungsanordnungen oder Dienstanweisungen. 5. Ergeben sich aus den Lageerkenntnissen über die sogenannten Gefahrenorte konkrete („lageabhängige“) Zielgruppen? Falls ja, wie sind diese jeweils konkret definiert? Wo bestehen sogenannte Gefahrenorte ohne eine solche definierte Zielgruppe, und nach welchen Kriterien wird hier polizeilich verfahren? Gefahrenorte gelten grundsätzlich für alle angetroffenen Personen, sofern nicht die jeweiligen Erkenntnisse eine Eingrenzung zulassen. In den Fällen, in denen die Eingrenzung auf eine bestimmte Zielgruppe möglich ist, wird diese als Beschränkung in die Einrichtungsanordnung des betreffenden Gefahrenortes aufgenommen . Für die Gefahrenorte, die zur Bekanntgabe geeignet sind, ist die jeweilige Eingrenzung der Tabelle in der Antwort zu Ziffer 1 zu entnehmen. Das polizeiliche Einschreiten erfolgt unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. 6. In welchen Zeiträumen und von welcher Stelle werden die Lageerkenntnisse, die zur Einrichtung von Gefahrengebieten herangezogen wurden, überprüft, und einer juristischen Bewertung hinsichtlich des Vorliegens der rechtlichen Voraussetzungen gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 BremPG sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unterzogen? Bestehende Gefahrenorte werden mindestens halbjährlich auf das Fortbestehen der rechtlichen Voraussetzungen überprüft. Liegen diese Voraussetzungen nicht mehr vor, entfällt der betreffende Gefahrenort. Die Prüfung bzw. Entscheidung über die Festlegung eines Gefahrenortes obliegt in der Polizei Bremen dem Leiter der Direktion Schutzpolizei und in der Ortspolizeibehörde Bremerhaven dem Direktor der Ortspolizeibehörde. 7. Warum wird nicht sichergestellt, dass die sogenannten Gefahrenorte für die Bürger/-innen als solche kenntlich sind? Die Gefahrenorte im Land Bremen sind grundsätzlich für eine Offenlegung geeignet . Der Aufwand einer Kennzeichnung steht durch die ständige Überprüfung und eventuellen Änderungen der Gefahrenorte außer Verhältnis. Personen, die an solchen Orten kontrolliert werden, wird die Begründung der Kontrollmaßnahme eröffnet. 8. Sind dem Senat Beschwerden bekannt, wonach bei polizeilichen Maßnahmen auf vorgeblich festgelegte sogenannte Gefahrenorte verwiesen wurde, die es im konkreten Fall gar nicht gab? Falls ja, wie bewertet der Senat solche Beschwerden ? Entsprechende Beschwerden sind nicht bekannt. — 4 — — 5 — — 6 — — 7 — — 8 — — 9 — — 10 — — 11 — — 12 — — 13 — — 14 — — 15 — — 16 — Druck: Anker-Druck Bremen