— 1 — B R E M I S C H E B Ü R G E R S C H A F T Landtag 18. Wahlperiode Drucksache 18 / 259 Kleine Anfrage der Fraktion der SPD vom 18. Januar 2012 Einsatz von Glyphosat in der Landwirtschaft Das als Unkrautvernichtungsmittel konzipierte Glyphosat ist unter dem Handelsnamen Roundup bekannt und kommt auch in Bremen und Umgebung zum Einsatz . Sowohl Landwirte als auch Hobbygärtner verwenden dieses Mittel seit über 30 Jahren, weltweit ist es eines der am meisten verwendeten Herbizide. Mittlerweile wurden gentechnisch veränderte Pflanzen entwickelt, die gegen Glyphosat resistent sind und damit dessen ganzjährigen Einsatz ermöglichen. Zunächst wurde der Einsatz von Glyphosat als unbedenklich eingestuft, mittlerweile gibt es jedoch zunehmend Bedenken hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Zugleich entwickeln immer mehr sogenannte natürliche Unkrautpflanzen Resistenzen gegen Glyphosat, was wiederum einen verstärkten Einsatz von Herbiziden nach sich zieht. Auf EU-Ebene wurde die Zulassung für Glyphosat ohne weitergehende Prüfung bis 2015 verlängert. Wir fragen den Senat: 1. Wie schätzt der Senat die kurz-, mittel- und langfristigen Wirkungen von Glyphosat auf Mensch, Tier und Boden ein? 2. Wie bewertet der Senat den zunehmenden Einsatz von Glyphosat bei gentechnisch veränderten Pflanzen im Hinblick auf mögliche Abhängigkeiten zwischen Landwirtschaft und Herstellern von Saatgut? 3. Verändert der Einsatz des Mittels Fruchtfolgeplanungen? 4. Wo und wie wird, nach Kenntnis des Senats, das Mittel angewendet? 5. Wo, in welchen Mengen und in welchem Umfang wird Glyphosat von bremischen Betrieben wie z. B. dem Umweltbetrieb eingesetzt? 6. Welche Alternativen gibt es? 7. Wie bewertet der Senat die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat auf EUEbene ? 8. Welche Schutzeinrichtungen/Schutzmittel brauchen Beschäftigte aus z. B. der Landwirtschaft oder des Garten- und Landschaftsbaus, um sich vor dem Mittel zu schützen? Wolfgang Jägers, Arno Gottschalk, Björn Tschöpe und Fraktion der SPD D a z u Antwort des Senats vom 21. Februar 2012 1. Wie schätzt der Senat die kurz-, mittel- und langfristigen Wirkungen von Glyphosat auf Mensch, Tier und Boden ein? Pflanzenschutzmittel (PSM) mit dem Wirkstoff Glyphosat sind in Deutschland seit mehr als 30 Jahren zugelassen, d. h. sie dürfen in den zugelassenen An- — 2 — wendungsgebieten entsprechend der Gebrauchsanleitung eingesetzt werden. Als Zulassungsstelle für PSM fungiert in Deutschland das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Im Rahmen des Zulassungsverfahrens wird unter anderem ausführlich geprüft, ob das entsprechende PSM nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Technik — hinreichend wirksam ist, — keine sofortigen oder verzögerten schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen oder Tieren sowie auf das Grundwasser hat, — keine unannehmbaren Auswirkungen auf Pflanzen oder Pflanzenerzeugnisse sowie auf die Umwelt hat. Der Wirkstoff Glyphosat wurde in Hinsicht auf mögliche gesundheitsschädliche Wirkungen im Verlauf der letzten Jahre immer wieder untersucht und bewertet, neben dem BVL z. B. von der EU (2002) oder von der WHO (2004). Im Ergebnis dieser Bewertungen zeigte sich, dass bei bestimmungsgemäßer Anwendung keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier sowie den Naturhaushalt zu erwarten sind. Nähere Angaben zur Bewertung jüngster Studienergebnisse finden sich in der Antwort zu Frage 7. Da dem BVL jedoch Hinweise vorliegen, dass die Beistoffe Glyphosathaltiger PSM (vor allem POE-Tallowamine) höhere Toxizität aufweisen als der Wirkstoff selbst, hat das BVL inzwischen insgesamt sechs Tallowaminhaltige Produkte von der Liste der erlaubten Zusatzstoffe gestrichen. Der Senat nimmt die Hinweise auf mögliche gesundheitliche und umweltgefährdende Auswirkungen ernst und wird die im Rahmen der Neubewertung des Glyphosats (2015) anstehende Berichterstattung des Mitgliedsstaats Deutschlands intensiv begleiten. Der Senat wird die restriktive Genehmigungspraxis (siehe auch Antwort zu Frage 6) weiterführen, da zunächst die Einschätzung und toxikologische Bewertung der Zulassungsbehörden weiter gilt. 2. Wie bewertet der Senat den zunehmenden Einsatz von Glyphosat bei gentechnisch veränderten Pflanzen im Hinblick auf mögliche Abhängigkeiten zwischen Landwirtschaft und Herstellern von Saatgut? In der Landwirtschaft kann Glyphosat überall dort verwendet werden, wo unerwünschter Pflanzenbewuchs abgetötet werden soll. Das Mittel wirkt ausschließlich über grüne Pflanzenteile und nicht über die Wurzel. Es ist somit möglich, in einem Arbeitsgang Beikräuter oder konkurrierende Pflanzen auf landwirtschaftlichen Flächen zu bekämpfen und zusätzlich eine frische Saat einzubringen. Die Keimung und der Wuchs werden nicht negativ beeinflusst. Wenn die Kulturpflanzen allerdings aufgelaufen sind, ist der Einsatz eines Totalherbizids wie Glyphosat nicht mehr möglich, da außer den unerwünschten Pflanzen auch die Kulturpflanzen abgetötet würden. Dem versucht die Pflanzenzüchtung zu begegnen, indem herbizidresistente Sorten z. B. unter Anwendung gentechnischer Manipulationen erzeugt werden, so bei Mais, Soja, Raps und Baumwolle. Das bedeutet, dass Glyphosat auch auf mit diesen Kulturpflanzen bewachsenen Feldern ausgebracht werden kann und alle Pflanzen außer den herbizidresistenten Kulturpflanzen abgetötet werden. Sowohl der Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut als auch die zunehmende Verwendung von Agrochemikalien im Land Bremen wird vom Senat unter Umwelt- bzw. Naturschutz- und Gesundheitsvorsorgegründen kritisch gesehen. Darüber hinaus besteht vor dem Hintergrund des Patentschutzes und des Verbots unlizensierten Nachbaus von Sorten eine ernstzunehmende Gefahr, dass Landwirte in eine Abhängigkeit von den Herstellern gentechnisch veränderten Saatgutes geraten. Weniger als zehn Konzerne dominieren heute den Weltmarkt für Saatgut und Pflanzenschutzmittel. Mithilfe der Patentierung von Pflanzen besteht die Gefahr, dass diese Unternehmen die Kontrolle über Teile der weltweiten Erzeugung von Nutzpflanzen erlangen. Der Senat sieht die global zunehmende Anwendung von chemischen Mitteln insbesondere in Kombination mit an diese Mittel adaptierten gentechnisch veränderten Pflanzen in Landwirtschaft und Gartenbau mit Sorge. — 3 — Der Senat stellt jedoch fest, dass in Bezug auf die Verhältnisse im Lande Bremen keine ernsthafte Gefahr gesehen wird. Die Landwirtschaft in Bremen ist stark grünlandorientiert, sodass der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen hier nicht zum Tragen kommen kann. Darüber hinaus verzichten Bremer Landwirte freiwillig auf den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. 3. Verändert der Einsatz des Mittels Fruchtfolgeplanungen? Glyphosat kann einseitige Fruchtfolgen indirekt begünstigen, weil das Mittel eine problemlose Bekämpfung von unerwünschtem Pflanzenbewuchs ermöglicht . Der Sinn des üblichen Fruchtfolgewechsels in der landwirtschaftlichen Praxis besteht u. a. darin, ein verstärktes Auftreten solcher Pflanzen, die sich in einseitiger Fruchtfolge ansonsten herausselektieren, zu unterbinden. Der Einsatz der glyphosatresistenten Kulturpflanzen in Kombination mit den an diese Sorten angepassten Herbiziden kann, je nach Standortbedingungen, die Tendenz zu einer starken Einschränkung der Fruchtfolge fördern. Im Land Bremen ist ein potenzieller Einfluss von Glyphosat auf Fruchtfolgeplanungen angesichts von über 7 000 ha Dauergrünland im Vergleich zu ca. 1 500 ha Ackerland von minimaler Bedeutung, insbesondere vor dem Hintergrund, dass kein Anbau glyphosatresistenter Pflanzen erfolgt. 4. Wo und wie wird, nach Kenntnis des Senats, das Mittel angewendet? Eine Vielzahl Glyphosathaltiger PSM ist zur Bekämpfung ein- und zweikeimblättriger Unkräuter und zur Sikkation (Abreifebeschleunigung) in Deutschland zugelassen (Stand 9. Januar 2012 z. B. 60 Mittel für die Anwendung auf Nichtkulturland, 42 Mittel für den Haus- und Kleingartenbereich). Im Bereich der Anwendung auf landwirtschaftlich, forstwirtschaftlich oder gartenbaulich genutzten Flächen umfassen die Einsatzgebiete Kulturen in Ackerbau, Grünland , Obstbau, Weinbau, Gemüsebau, Zierpflanzenbau und im Forst (Stand 9. Januar 2012 59 gewerblich einsetzbare PSM). Dort dürfen die PSM nach den Bestimmungen der Zulassungsbehörde in Bezug auf Anwendungstechnik und Anwendungsbestimmungen eingesetzt werden. 5. Wo, in welchen Mengen und in welchem Umfang wird Glyphosat von bremischen Betrieben wie z. B. dem Umweltbetrieb eingesetzt? Da es in Deutschland weder beim Bund noch in den Ländern eine Informationspflicht des Anwenders zum tatsächlichen Einsatz von PSM gibt, liegen dem Senat keine Daten zu im Land Bremen ausgebrachten Mengen in den Kulturen der Landwirtschaft und des Gartenbaus vor. Allerdings ist der Einsatz Glyphosathaltiger PSM zur Anwendung auf Nichtkulturland von der Erteilung einer Genehmigung gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 2 des Pflanzenschutzgesetzes abhängig. Diese wird vom Pflanzenschutzdienst des Landes Bremen nach einer strengen Einzelfallprüfung erteilt. Eine Auswertung für das Jahr 2011 hat ergeben, dass — 46 Anträge auf Ausnahmegenehmigung gestellt wurden; davon bezogen sich 24 Anträge auf die Anwendung Glyphosathaltiger PSM, — 23 Anträge zur Anwendung Glyhphosathaltiger PSM für einen Flächenumfang von 955 ha genehmigt wurden, — laut Anwendungsprotokollen ca. 1 760 l Glyphosathaltiger PSM zum Einsatz kamen, — es sich bei den Anwendungsgebieten hauptsächlich um Gleisanlagen, Wege und Plätze, Betriebsgelände sowie Sportanlagen (v. a. Grandflächen) handelte, die Anträge von Firmen (9), Eigenbetrieben (8), Behörden (2), Vereinen (2) und der Bundeswehr (2) gestellt wurden. Der Umweltbetrieb Bremen hat auf 29,5 ha Glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel in einer Menge von 120,7 l aufgebracht. — 4 — 6. Welche Alternativen gibt es? Alternative Verfahren zur Herbizidbekämpfung lassen sich unterteilen in chemische und nichtchemische Verfahren wie z. B. mechanische oder auch verschiedene thermische Verfahren (Heißschaumverfahren). Rotofix und Rotowiper sind beispielsweise Verfahren, bei denen Herbizide gezielt zum Einsatz kommen. Hier wird die Applikation im Vergleich zur flächenmäßigen Ausbringung (konventionelles Spritzverfahren) gezielt nur auf die Pflanzen aufgetragen, die bekämpft werden sollen. Die Ausbringungsmenge kann durch diese Verfahren deutlich reduziert werden. Alternative chemische PSM sind Mittel auf der Basis von Pelargonsäure oder Essigsäure. Diese PSM haben im Unterschied zu Glyphosathaltigen Mitteln keine systemische Wirkung, sie wirken daher weniger nachhaltig und müssen innerhalb der Vegetationsphase häufiger eingesetzt werden. Solche Mittel kommen im Land Bremen auf Nichtkulturland bisher nicht zum Einsatz. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens hat der Pflanzenschutzdienst einen gewissen Einfluss auf den Einsatz der PSM und die zum Einsatz kommenden Verfahren. Die Genehmigungspraxis ist eher restriktiv; alternative Verfahren können auch trotz eines erheblichen Mehraufwandes im Einzelfall zugemutet werden. In bestimmten Bereichen wie dem Flughafen Bremen kommt z. B. seit über zehn Jahren ausschließlich das Heißschaumverfahren zum Einsatz. 7. Wie bewertet der Senat die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat auf EUEbene ? Die EU-Kommission verlängerte mit der Richtlinie 2010/77/EU die Wirkstofflistung von Glyphosat (zusammen mit 30 weiteren Wirkstoffen) ohne weitere Prüfung bis zum Jahr 2015, um ausreichend Zeit für die Dossiererstellung und die dann notwendige umfassende fachliche Neubewertung zur Verfügung zu haben. Das Verfahren dazu wurde in VO (EG) Nr. 1141/2010 festgelegt. Obwohl also in den letzten Jahren keine erneute Prüfung des Wirkstoffes durch den Berichterstattenden Mitgliedsstaat Deutschland durchgeführt wurde, wurden mehrfach Stellungnahmen zu aktuellen toxikologischen Studien oder zu Diskussionen um den Wirkstoff Glyphosat durch deutsche Behörden (BVL, BfR) an die EU-Kommission abgegeben: 1. Benachour und Séralini (2009) Die an humanen Zelllinien nachgewiesenen zytotoxischen Effekte wurden im Zusammenhang mit den in den getesteten PSM enthaltenen Beistoffen gesehen. 2. Paganelli et al. (2010) Glyphosatbasierte Herbizide können in ausreichender Konzentration embryonale Fehlbildungen bei Krallenfrosch und bei Hühnern verursachen. Die gewählten Versuchsbedingungen sind aber laut BVL nicht mit für den Menschen relevanten Expositionsbedingungen sowie der Toxikokinetik und dem Metabolismus im Säugerorganismus vergleichbar. 3. Antoniou et al. (2011): Die Nicht-Regierungsorganisation „Earth Open Source“ sieht die entwicklungstoxischen Eigenschaften von Glyphosat als nachgewiesen an. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bezweifelte jedoch die Validität der in Frage stehenden älteren Studien, da mit unphysiologisch hohen Dosierungen gearbeitet wurde und sich die Ergebnisse in neueren Studien nicht bestätigen ließen. Im Rahmen der bereits in der Antwort zu Frage 1 erwähnten langfristig geplanten Neubewertung von Glyphosat (2015) werden die oben genannten und alle relevanten neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse hinsichtlich gesundheits- und umweltgefährdender Auswirkungen erneut gesichtet und ausgewertet werden. Der Termin für die Einreichung aktualisierter Dossiers beim Berichterstattenden Mitgliedsstaat Deutschland ist der 31. Mai 2012. Der Senat unterstützt diesen umfassenden Ansatz der Neubewertung und erwartet eine grundlegende Würdigung der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse. — 5 — 8. Welche Schutzeinrichtungen/Schutzmittel brauchen Beschäftigte aus z. B. der Landwirtschaft oder des Garten- und Landschaftsbaus, um sich vor dem Mittel zu schützen? Die Anwender sind angehalten, die allgemeinen Vorgaben der Richtlinie für die Anforderungen an die persönliche Schutzausrüstung im Pflanzenschutz „Persönliche Schutzausrüstung beim Umgang mit Pflanzenschutzmitteln“ des BVL zu beachten. Zudem ist die notwendige Schutzausrüstung für den Anwender in den Anwendungsbestimmungen der Zulassung des jeweiligen PSM geregelt. Druck: Anker-Druck Bremen